Montenegro – ein kapitalistisches Inferno

15 Jahre nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien und der Wiederherstellung des Kapitalismus mit seinen verheerenden Folgen kommt der Balkan immer noch nicht zur Ruhe. Die imperialistischen Mächte haben den Konflikt von Anfang an begünstigt und vorangetrieben. Jetzt haben sie sich für eine „Stabilisierung“ und für ein Ende jeder Art von Abspaltung entschieden, aber sie stehen nun vor dem Ruin und vor einem unkontrollierbaren Prozess, der seine eigene Logik besitzt.


15 Jahre nach dem Zusammenbruch von Jugoslawien und der Wiederherstellung des Kapitalismus mit seinen verheerenden Folgen kommt der Balkan immer noch nicht zur Ruhe. Die imperialistischen Mächte haben den Konflikt von Anfang an begünstigt und vorangetrieben. Jetzt haben sie sich für eine „Stabilisierung“ und für ein Ende jeder Art von Abspaltung entschieden, aber sie stehen nun vor dem Ruin und vor einem unkontrollierbaren Prozess, der seine eigene Logik besitzt.


Sie haben mit dem Nationalismus gespielt, um das Auseinanderbrechen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawiens zu erreichen. Der Imperialismus hat eine Kettenreaktion von regionalen Bränden ausgelöst, um diese dann wieder von oben auszulöschen. Flugzeuge umkreisen die Region für Jahre und überbringen Bomben oder Diplomaten. Beides ist mit neoliberalen Ultimaten bespickt. So war es nur eine Frage der Zeit, bis das Feuer auch auf die dichten Wälder von Montenegro übergreifen würde.

Montenegro ist das jüngste Land auf dem Balkan. In einem Referendum, überwacht von der EU, stimmten 230.711 Montenegriner (55,53%) für die Unabhängigkeit und 184.954 (44,47%) dagegen. Die Wahlbeteiligung lag bei 86,3%. Das Referendum verlief ohne ernsthafte Zwischenfälle, hinterlässt aber ein zutiefst gespaltenes Land.

Jung, schön und elegant

Der Ursprung der beiden Blöcke in Montenegro ist der gleiche. Die Unionisten und der Block für die Unabhängigkeit entstanden in den späten 1980er Jahren, als der montenegrinische Flügel der sogenannten anti-bürokratischen Revolution Jugoslawien erschütterte. Dies war tatsächlich eine getarnte Konterrevolution, die vom serbischen Bürokraten Slobodan Milosevic angeführt wurde und der Streikbewegung der jugoslawischen Arbeiterklasse in den 1980er Jahren das Rückgrat gebrochen hat. Die neuen aufstrebenden, jungen Politiker stellten sich selbst als Vorkämpfer gegen die alte korrupte titoistische Bürokratie dar und leiteten die Wut der Massen in Richtung Nationalismus. Montenegro war seit 1990 von der alten Schule von Politikern gesäubert worden und ist seither ein Bündnispartner von Milosevic geworden. An der Spitze stand das „junge, schöne und elegante“ Trio der ehemaligen kommunistischen Jugendfunktionäre Momir Bulatovic, Svetozar Marovic und Milo Djukanovic. Milo Djukanovic war der jüngste und bald erwies er sich als der gerissenste von allen. Er verdiente seinen ersten Lohn als Premierminister im Alter von erst 29 Jahren. Er war zusammen mit Bulatovic ein ergebener Unterstützer von Milosevic und seiner Kriegspolitik und zögerte 1991 nicht, die kroatische Stadt Dubrovnik bombardieren zu lassen. Seit 1996 ist Milosevic jedoch aus der Sicht der imperialistischen Interessen zu einem Hindernis geworden. Das serbische Regime wurde zunehmend isoliert und eine Oppositionsbewegung innerhalb Serbiens gewann an Stoßkraft. Djukanovic erkannte dies schnell und zog einen Vorteil aus Milosevic’ schwindendem Einfluss. Er sagte sich von Milosevic los und zerschnitt das Band mit Bulatovic. Djukanovic spaltete die größte regierende montenegrinische Partei (Demokratische Partei der Sozialisten) in zwei Fraktionen. Dies war der Ausgangspunkt der zwei rivalisierenden Blöcke, die wir heute in Montenegro beobachten können.

Bald nachdem Djukanovic den Milosevic-Vertrauten Bulatovic bei den Präsidentschaftswahlen schlug, war der Weg für ihn frei. Er baute erste feste Verbindungen mit dem Westen auf und betrieb die Trennung Montenegros von Serbien. Der Westen förderte ihn nach Kräften als Stachel in Milosevic’s Herrschaftsgebiet. Man zog sich einen Schurken heran, der einen an die James Bond-Filme erinnert.

Zwischen Albanien, Bosnien und Serbien gelegen, mit Zugang zum Meer, wurde Montenegro rasch zum Zentrum der Schmuggler. Montenegrinische Strände sind voller Jachten italienischer Gangster. Djukanovic förderte ein rigoroses Programm zur Privatisierung und zur Zerstörung der Industrie. Wirtschaftlich bleibt ihm nur noch der Zigarettenschmuggel, den er kontrolliert, und der Tourismus. Djukanovic führte die Deutsche Mark als montenegrinische Währung ein und errichtete Zollschranken an der Grenze zu Serbien. Schließlich startete dieses politische Chamäleon den Aufruf für ein unabhängiges Montenegro, eine Idee, die er von einer der kleineren Oppositionsparteien aufgegriffen hatte. Sein politisches Programm und seine Herrschaft beruhen nur noch auf der Forderung nach einem souveränen Montenegro.

Die Absurdität von Montenegros Schritt in Richtung eines sogenannten „souveränen Staates“ durch die Ausrufung der Unabhängigkeit liegt auf der Hand. Ein kleines Balkanland mit 670.000 Einwohnern und einer ruinierten Wirtschaft ist eine leichte Beute für fast jeden und verfügt über keine reale Verhandlungsmacht. Leider sind die Politiker des pro-unionistischen Flügels nicht viel besser. Ihre Opposition gegen eine Unabhängigkeit war nicht auf eine vernünftige oder fortschrittliche Plattform aufgebaut. Für diese Fraktion der entstehenden montenegrinischen Bourgeoisie war das Hauptargument gegen die Abspaltung jenes, dass die Montenegriner in Wirklichkeit Serben sind und sie deshalb im Staatenbund verbleiben sollten. Mit dieser nationalistischen Herangehensweise beschränkten die Unionisten ihren Aufruf von Beginn an nur an Staatsbürger, die sich selbst als Serben definieren. Sie verunsicherten aber gleichzeitig ein großes Potential an Wählern, die sich selbst als Montenegriner betrachten oder einer Minderheit wie den Muslimen aus der Sandzak-Region angehören, die mit der Idee eines einheitlichen Staates sympathisieren, aber in einer Form wie sie unter Tito existierte. Deshalb wird die Stimme für die Union nicht als eine Stimme des Vermächtnisses des alten Jugoslawiens angesehen, sondern als eine für den gegenwärtigen serbischen Nationalismus.

Wie weiter?

Montenegro ist nun die sechste und letzte Republik, die als unabhängiger Staat aus dem alten Jugoslawien hervorgegangen ist. Stellt dies das Ende der Atomisierung des Balkans dar? Sicherlich nicht. Auf dem Balkan erscheinen die meisten Gegebenheiten nicht in einem einfachen Schwarz-Weiß-Schema, sondern in unterschiedlichen Graustufen. Es ist sehr schwierig, klare ethnische Linien genau zu bestimmen. Jedes politische Projekt, welches sich auf die Nation stützt, ist zum Scheitern verurteilt. Die ganze Region ist bewohnt von Menschen, die die gleiche Sprache sprechen und eine ähnliche Kultur haben, woraus sich aber historisch unterschiedliche Völker entwickelten, die in verschiedenen Staaten mit aufgezwungenen Grenzen leben mussten.

Montenegro ist gespalten zwischen dem nördlichen Teil, wo sich ein großer Prozentsatz von Menschen als Serben bezeichnet, und dem südlichen, in dem sich die Menschen als Montenegriner fühlen. Hinzu kommt eine beträchtliche albanische Minderheit im Südosten. Die größte Minderheit des Landes bilden die slawischen Muslime in der Sandzak-Region im Nordosten, die sich jetzt durch zwei Länder erstreckt (Serbien und Montenegro). Der neue Staat trägt in sich alle Voraussetzungen für künftige Konflikte und Auseinandersetzungen.

Kosovo wird bald Montenegros Beispiel folgen und als weiterer winziger Satellitenstaat in der Region hinzukommen. Und dies wird auch die Mazedonien-Frage wieder auf die Tagesordnung zurückbringen, in der der Konflikt zwischen Albanern und Mazedoniern weiter unter der Oberfläche schwelt. Das benachbarte Bosnien ist ebenfalls gespalten in einen serbischen Teil, der die Vereinigung mit Serbien befürwortet, und einem kroatischen, der sich an Kroatien anlehnt. Bosnien ist weiterhin ein Pulverfass. Serbien lebt mit zahlreichen serbischen Flüchtlingen aus Kroatien und dem Kosovo und fühlt sich als gedemütigte potenzielle Lokalmacht, die für alles, was in den letzten 15 Jahren auf dem Balkan passierte, bestraft wurde.

Langfristig ist diese Situation unhaltbar. All dies geschah in einer historischen Situation, in der sich die Standpunkte der imperialistischen Mächte in der Balkanfrage deckten. Man muss sich nur vorstellen, wie gefährlich die Situation werden könnte, wenn sich die inner-imperialistischen Rivalitäten verschärfen und wenn diese zahlreichen Marionetten-Staaten eindeutigere Vertreter von diesen unterschiedlichen Interessen werden.

In Belgrad

Die Nachricht vom Ergebnis des Referendums wurde in Belgrad nicht so dramatisch aufgenommen wie die Ergebnisse der Sezessionsbestrebungen der ehemaligen Republiken in den 1990er Jahren. Unter Djukanovic funktionierte Montenegro schon seit Jahren als de facto unabhängiger Staat. Das Referendum bestätigte deshalb lediglich die Realität. Die Bewegung Djukonovic’s hat eindeutig negative Auswirkungen auf das Bewusstsein der Serben und Montenegriner. Das Gefühl der Hoffnungslosigkeit und der Unfähigkeit etwas gegen die Auflösung des Landes zu tun, die schon seit einem Jahrzehnt vor sich geht, ist chronisch und treibt die Menschen in eine passive Haltung. Die Mehrheit der serbischen herrschenden Klasse setzte sich für einen Bundesstaat ein und unterstützte offen die Unionisten in Montenegro. Als das Ergebnis des Referendums Belgrad erreichte, bemühte sich ein Teil der herrschenden Klasse vergeblich, eine pro-serbische Stimmung hervorzurufen, indem man betonte, dass man jetzt endlich ein unabhängiger Staat sei. Diese Tatsache stieß aber auf taube Ohren, denn die meisten Menschen in Serbien würden diesen „unabhängigen“ Staat lieber eintauschen in irgendeine Art von Union, die ein bisschen dem alten Jugoslawien ähneln sollte. Der Erfolg der letzten Maßnahme von Milo Djukanovic wird als Niederlage der serbischen, aber auch zu einem Großteil der montenegrinischen Bevölkerung angesehen. Diejenigen Montenegriner, die noch Illusionen darin haben, dass ein souveräner Nationalstaat ihnen eine bessere Zukunft bringen wird, werden eine bittere Enttäuschung erleben. Sie müssen nur auf die anderen vermeintlichen „freien und unabhängigen“ Balkan-Staaten blicken, in denen sich die Menschen mehr unterdrückt fühlen als jemals zuvor.

Waffenbrüder

Geschichte und Tatsachen entlarven leicht die Nationalisten und ihre Demagogie auf allen Seiten. Im bürgerlichen Jugoslawien vor dem Zweiten Weltkrieg konnten sich die Montenegriner, wie die meisten anderen kleineren Völker, nicht offen zu ihrer Nationalität bekennen. Während des Zweiten Weltkriegs unterstützte Montenegro überproportional die Partisanen. Bereits seit 1941 hatten sich 22.000 der Einwohner dieser kleinen Republik mit seiner damaligen Bevölkerung von rund 360.000 am bewaffneten Kampf beteiligt. Die montenegrinische kulturelle Identität erreichte ihren Höhepunkt nach der jugoslawischen Revolution. In der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien erklärte sich eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung von Montenegro als Montenegriner und dennoch hätten die Menschen zu der Zeit über die Idee eines unabhängigen Montenegro gelacht.

Heute, wo nur 43% der Bevölkerung sich als Montenegriner bezeichnen, ist die Unterstützung für ein unabhängiges Montenegro stärker als jemals zuvor. Es gibt nichts Widersprüchliches an dieser Tatsache. Was Tito’s Jugoslawien zusammenhielt, war in erster Linie keine abstrakte staatliche Einheit, sondern eine Planwirtschaft und sozialer Fortschritt. Die Wirtschaft entwickelte sich in einer rasenden Geschwindigkeit und das legte den Grundstein, worauf sich die jugoslawische Einheit stützten konnte. Sobald die bürokratische Planwirtschaft zusammenzubrechen begann, folgte eine Wirtschaftskrise, die den Boden für den Zerfall Jugoslawiens legte. Ohne die Rahmenbedingungen einer föderalen Republik, die auf Staatseigentum und Planwirtschaft basiert, ist es für die Montenegriner sehr schwierig, in einer Union mit Serbien zu verbleiben, ganz gleich wie nahe man sich kulturell steht. Es scheint einfacher zu sein, sich von etwas zu trennen, wovon man glaubt, dass es ein Teil des Problems sei.

So weit, so schlecht

Eine austarierte Ausgewogenheit zwischen den verschiedenen Regionen von unterschiedlicher Größe und wirtschaftlicher Entwicklung hätte nur durch eine bewusste Wirtschaftspolitik, die auf gegenseitiges Einverständnis beruht und nicht den blinden Kräften des Marktes gehorcht, aufrechterhalten werden können. Es ist nicht schwierig zu sehen, warum in einer Marktwirtschaft das unterentwickelte Montenegro sich von größeren Partnern der Union dominiert fühlt. Es war deshalb ein leichtes Spiel für einen politischen Opportunisten wie Djukanovic, diese Stimmung und Gefühle zu besetzen und sein Ziel zu erreichen.

Ein kapitalistischer Balkan wird ständig von blutigen Konflikten bedroht sein. Der Untergang des ehemaligen Jugoslawien war ein Hauptschlag gegen die Arbeiterklasse aller Republiken. Die Arbeiterklasse hat sich von diesem Schlag längst noch nicht erholt. Sie hat noch nicht die Bühne betreten, niemand sonst ist aber fähig, die barbarischen Tendenzen zu stoppen, welche die ganze Region bedrohen. Die lokale herrschende Klasse ist durch und durch reaktionär und abhängig von der Unterstützung der einen oder anderen ausländischen Großmacht. Die Imperialisten ihrerseits besitzen aber keinen Schlüssel zur Lösung des Problems. Sie handeln kurzfristig, haben aber keinen langfristigen Plan. Sie sind sich bewusst, dass der Balkan für sie in Zukunft noch zu einem riesigen Problem werden könnte, aber sie befassen sich gegenwärtig mit anderen Prioritäten. Entweder ignorieren sie das Problem, indem sie den Konflikt auf niedriger Stufe weiter kochen oder sie versuchen die Dinge auf pragmatische Art und Weise zu lösen,also durch kurzfristige bürokratische Maßnahmen, die wiederum den Boden für größere Explosionen in der Zukunft bereiten. Das Hauptproblem auf dem Balkan ist, trotz der vermeintlichen Ruhe an der Oberfläche, mit jedem vergangenen Tag verständlicher geworden: Entweder Sozialismus oder Barbarei.

Goran M.

Übersetzung: Christoph Mürdter

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