Kategorie: 1918 |
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Die SPD vor dem ersten Weltkrieg: Reformistische Anpassung und Kriegseintritt |
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Mit dem Bismarck'schen Sozialistengesetz hatte die herrschende Klasse versucht, durch brutale staatliche Unterdrückung die aufstrebende Arbeiterbewegung zu schwächen, zu lähmen und zu demoralisieren. Doch alle diese Versuche Bismarcks schlugen schließlich völlig fehl. Nach anfänglichen Rückschlägen erholte sich die organisierte Arbeiterbewegung recht schnell, und in jenen Jahren der Unterdrückung wuchs die Stimmen - und Mitgliederzahl der Partei auf ein vielfaches an. |
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Der Kaiser selbst sah sich schließlich gezwungen, das Verbot der Sozialdemokratie 1890 aufzuheben. Aufschwung Die letzten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts waren gekennzeichnet von einem ungeheuren strukturellen Aufschwung des Kapitalismus, der nur von kleineren Rezessionen unterbrochen war. Deutsche Industrieproduktion
Tabelle: deutsche Industrieproduktion von 1867 bis 1902 im vergleich zu 1913(=100) Meistens kann man die Stahlproduktion als einen guten Maßstab für die Entwicklung der Wirtschaft ansehen. Der Aufschwung des deutschen Kapitalismus war so stark, daß die deutsche Stahlproduktion die englische in sehr kurzer Zeit überholte.
Tabelle: Stahlproduktion (in Mio. t) Man darf auch nicht vergessen, daß sich in jener Zeit die deutsche Industrie stark konzentrierte und monopolisierte. Es war dies die Zeit, in der viele Firmen gegründet wurden, die noch heute manche Branchen in der BRD beherrschen: Krupp, AEG, Siemens...
Tabelle: Geldlöhne 1870-1914, Auszüge (1900=100) Natürlich stiegen auch die Lebenshaltungskosten erheblich an, aber dennoch ging es mit den Reallöhnen bergauf. Dies war aber kein gütiges Geschenk des Herren Kapitalisten, sondern ein Ergebnis großer, harter und zäher Streikbewegungen. 1888 streikten beispielsweise die Bergarbeiter im Ruhrgebiet, streikende Hamburger Arbeiter wurden ausgesperrt. Die Arbeiter forderten im Rahmen der Aktion der Sozialistischen Internationale den 8-Stunden-Tag. Diese Kämpfe wurden von den stark anwachsenden Gewerkschaften geführt, deren Mitgliederzahlen zwischen 1897 und 1913 von 412.359 auf 2.548.763 anstiegen. Stärkung der SPD Die erfolgreichen Kämpfe brachten nicht nur eine Lohnerhöhung, sondern auch eine Arbeitszeitverkürzung von 11 Stunden täglich (1893) auf 9,5 Stunden (1914). Die SPD umfaßte 1913 eine Million Mitglieder und wurde zur stärksten Partei im Reichstag. Hier ein Überblick der SPD Wahlergebnisse der Reichstagswahlen:
Tabelle: Ergebnisse für die SPD bei den Reichtagswahlen (1893 bis 1912) Bei den preußischen Landtagswahlen zeigte sich besonders die starke Ungerechtigkeit des Dreiklassenwahlrechts: Von der SPD wurden mit 600.000 Stimmen ganze 6 Abgeordnete gestellt, während die Konservativen für 212 Abgeordnete nur ganze 418.000 Stimmen brauchten. Bürokratisierung Für viele Genossen ist die Sozialdemokratie vor dem 1. Weltkrieg ein Musterbeispiel einer mächtigen und vorwärtsschreitenden sozialistischen Partei. Aber der Schein trügt: Die SPD war jetzt nicht mehr die sozialrevolutionäre Partei, die sie nach dem Fall des Sozialistengesetzes gewesen war. Obgleich sie immer noch an den Worten von Marx und Engels festhielt, war sie jetzt in der Praxis ein reformistische Partei mit starken bürokratischen Tendenzen. Erfurter Programm Die aktivsten Parteimitglieder hatten ab 1878 in voller Wucht die Unterdrückungsmaßnahmen des Staates am eigenen Leib zu spüren bekommen. Diese Erfahrungen trugen maßgeblich dazu bei, daß die marxistische Auffassung vom Staat als Unterdrückungsinstrument in den Händen des Kapitals sich durchsetzte. Tagespolitik Für die Verfasser des Programms war die Frage der sozialistischen Umwälzung eine rein mechanische Frage. Sie verließen sich letzten Endes darauf, daß die Machteroberung durch die Arbeiterklasse automatisch eintreten würde - in der fernen Zukunft - und deshalb beschränkte sich die Praxis der Partei auf reine Tagesforderungen ohne Verbindung mit der Perspektive, daß eines Tages sich die sozialistische Umwälzung als praktische Aufgabe stellen würde. Engels kritisierte damals die steife Trennung zwischen dem kurzfristigen (Minimal-) und langfristigen (Maximal-) Programm und umriß die Gefahren: "Eine solche Politik kann nur die eigene Partei auf die Dauer irreführen... Dies Vergessen der großen Hauptgesichtspunkte über den augenblicklichen Interessen des Tages, dies Ringen und Trachten nach dem Augenblickserfolg ohne Rücksicht auf die späteren Folgen, dies Preisgeben der Zukunft der Bewegung um der Gegenwart willen mag 'ehrlich' gemeint sein, aber Opportunismus ist und bleibt es... ." Engels war sich im klaren darüber, daß in dieser vergleichsweise ruhigen kapitalistischen Aufschwungszeit die Aufgabe darin bestünde, in Teilkämpfen um selbst die kleinsten Verbesserungen die Kraft von SPD und Gewerkschaften zu stärken. Dieser Periode würde jedoch unmittelbar ein Zeitabschnitt von Kriegen und revolutionären Umwälzungen folgen, in dem diese Macht der Arbeiterbewegung sich entscheidend auf die politische Machteroberung als dringende, unmittelbare Aufgabe umorientieren müßte. Bernstein Eduard Bernstein, der denjenigen Teil des Erfurter Programms schrieb, in dem die Tagesforderungen enthalten sind, gilt heute als "Erfinder" des Revisionismus. Bernstein gab aber lediglich der reformistischen Tagespraxis der SPD theoretischen Ausdruck. Er ließ sich von dem langen Aufschwung blenden und zog die Schlußfolgerung, daß der Klassenkampf überflüssig sei, weil der Kapitalismus ständig den Lebensstandard der breiten Masse verbessern könne. Er erklärte den Marxismus für "überholt". Die praktische Arbeit der SPD müsse sich ausschließlich beschränken auf parlamentarische Arbeit und den Ausbau von Reformen auf der Grundlage des Kapitalismus. Die Ideen Bernsteins sind vor allem auch wieder in der Nachkriegs-SPD aufgewärmt worden, was in den Reden der heutigen Parteiführer und im Godesberger Programm seinen Ausdruck fand. Luxemburg Auf der Linken entstand die Strömung der sogenannten "Linksradikalen". Rosa Luxemburg entwickelte zu Beginn des Jahrhunderts ihre politischen Ideen unter dem Eindruck einer sich verschärfenden nationalen und internationalen politischen Krise. Die Massenstreiks im Ruhrgebiet 1905 führten dazu, daß sie forderte, daß solche Bewegungen von SPD und Gewerkschaften aufgegriffen werden müßten. 1910 kam es wiederum zu schweren Zusammenstößen zwischen Polizei und Arbeitern, und Rosa Luxemburg stellte damals fest, die Partei könne einen Massenstreik weder ausrufen noch blockieren, sondern wenn er ausbricht, müsse sie ihn anführen. Kriegsvorbereitungen Gegen Ende des Zeitabschnitts 1900-1913 fing die Wirtschaft an zu stagnieren. 1913 brach eine Rezession (Überproduktionskrise) aus, die bis zum Kriegsausbruch 1914 andauerte. Die Kapitalkonzentration und Verflechtung zwischen den Monopolen und Banken nahm ständig zu. Es war der Übergang vom freien Konkurrenzkapitalismus zum Imperialismus, in dem die Großkonzerne einen entscheidenden Einfluß auf die Staatsgeschäfte ausübten. Die Eisen- und Stahlkonzerne, Schiffswerften, Chemiekonzerne hatten einen Riesenhunger auf Rüstungsaufträge. Es wurden von verschiedenen Teilen der Kapitalistenklasse Interessenverbände gegründet, wie etwa der Flottenverein, der Wehrverein oder der berüchtigte Alldeutsche Verein. Diese Vereine betrieben Propaganda für Aufrüstung, Patriotismus, Kolonialismus und Krieg. Widerstand Die zunehmende Kriegsvorbereitung der Imperialisten stieß auf den einhelligen Widerstand der internationalen Arbeiterbewegung. Inzwischen konnte sich die Sozialistische Internationale auf stattliche sozialistische Parteien in vielen Ländern stützen. Auf internationalen Sozialistenkongressen bekannten sich die Delegierten zum internationalen Zusammenhalt der Arbeiterklasse. 1907 in Stuttgart und 1912 in Basel wurden Resolutionen verabschiedet, in denen die Internationale sich verpflichtete, einen ausbrechenden Weltkrieg auszunutzen, um den Sturz der kapitalistischen Gesellschaft zu beschleunigen. Der VORWÄRTS, Zeitung des Parteivorstandes der SPD, druckte noch am 25. Juli 1914 in einer Sondernummer einen flammenden Appell ab, der mit den Worten schloß: "Der Weltkrieg droht! Die herrschenden Klassen, die Euch im Frieden knebeln, verachten, ausnutzen, wollen euch als Kanonenfutter mißbrauchen. Überall muß den Gewalthabern in den Ohren klingen: Wir wollen keinen Krieg! Nieder mit dem Kriege! Hoch die internationale Völkerverbrüderung!" Leere Worte Doch wenige Tage später kapitulierten SPD und Gewerkschaften vor dem Druck und der bürgerlich nationalen Kriegsbegeisterung und zogen mit. Die SPD-Fraktion billigte am 4.8.1914 im Reichstag die kaiserlichen Kriegskredite, und der ADGB (Gewerkschaftsbund) verzichtete im "Burgfrieden" auf irgendwelche selbständigen gewerkschaftlichen Aktionen während des Krieges. Am 2. August wurden alle noch andauernden Streiks abgebrochen und die Zahlung von Streikgeldern eingestellt.
Tabelle: Streikstatistik 1914-1918 Die Bekenntnisse zur internationalen Solidarität verhallten wie leere Worte: Die Sozialdemokratischen Parteiführungen fast aller Länder stellten sich auf die Seite ihrer eigenen nationalen Kapitalistenklasse, und Arbeiter wurden ins Schlachtfeld geschickt, um dort Arbeiter anderer Nationen zu ermorden. Dies bedeutete nichts anderes als einen politischen Zusammenbruch der Sozialistischen Internationale. Krieg! Die Tatsache, daß sich die eigene Partei- und Gewerkschaftsführung so voll und ganz auf die Seite des nationalen Kapitals gestellt hatte und jegliche Grundsätze des Internationalismus über Bord geworfen hatte, bewirkte natürlich bei der Parteimitgliedschaft wie auch der marxistischen Linken in der Partei einen unvorstellbaren Schock. Die Kriegsbegeisterung der ersten Tage, die noch große Teile der Arbeiterklasse angesteckt hatte, verflog sehr schnell als sich das wahre Gesicht des Krieges zeigte. Die Arbeitslosigkeit schnellte in die Höhe, Preise stiegen sprunghaft an, dementsprechend sanken die Löhne und die Kaufkraft drastisch.
Tabelle: Lebenshaltungskosten im Vergleich (1900 = 100) Ab Dezember 1914 begann sich die Antikriegsopposition zu bilden. Es wurden Stimmen in der SPD laut gegen den Krieg. Allmählich brachten verschiedene SPD-Blätter Artikel, die den Krieg verurteilten. Unterdessen wurde der "Vorwärts" zweimal von den militärischen Oberbefehlshabern verboten. In Stuttgart erklärte eine Vertrauensleuteversammlung die ganze Reichstagsfraktion für "Lumpen und Schufte, die 40 Jahre lang die Partei belogen" hätten. SPARTAKUS-Gruppe 1916 traten bereits zehnmal so viele Arbeiter in den Streik wie 1915. Im selben Jahr kam es auch zu den ersten politischen Streiks, die in der Forderung nach Frieden gipfelten. Die staatliche Gewalt versuchte mit aller Schärfe, den aufkommenden Widerstand zu ersticken. Die SPD-Fraktion zog hierbei mit und schloß sogar im Januar 1916 Liebknecht aus ihren Reihen aus. Dieser war einer der Gründer der SPARTAKUS-Gruppe am 1.1.1916. Am 1. Mai desselben Jahres wurde er bei einer Kundgebung verhaftet, worauf zahlreiche Solidaritätsstreiks und Demonstrationen organisiert wurden, so in Berlin, Kiel, München, Braunschweig, Jena, Magdeburg und Hannover. Hierbei war besonders erfolgreich der Braunschweiger Jugendstreik 1916, der 2.000 junge Fabrikarbeiter umfaßte. Die Antikriegsopposition wurde immer mehr aus den Reihen führender Gewerkschafter gestärkt. Anti-Kriegs-Opposition Im Sommer kam es zu ersten Matrosenunruhen. In Wilhelmshaven meuterte die Besatzung des Panzerkreuzers "Prinzregent Luitpold", zwei berühmte Matrosen wurden daraufhin hingerichtet: Reichpietsch und Köbis. Erstmals wurden auf deutschem Boden (bzw. Hoheitsgebiet) Matrosenräte gegründet... . Hans-Gerd Öfinger |