Kategorie: Europa

Klarer Sieg: Jeremy Corbyn bleibt Labour-Vorsitzender

Bei der Urwahl des Parteivorsitzenden der britischen Labour Party konnte der seit einem Jahr amtierende linke Parteichef Jeremy Corbyn erneut einen haushohen Sieg einfahren.


Nach Abschluss der Auszählung aller von Mitgliedern und Unterstützern der Partei abgegebenen Stimmen kam er auf 313.209 Stimmen oder einen Stimmanteil von 61,8 Prozent. Sein von den Mainstream-Medien, bürgerlichen Kreisen, dem rechten Parteiflügel und der Mehrheit der Parlamentsfraktion unterstützter Gegenkandidat Owen Smith blieb mit 193.229 Stimmen oder 38,2% weit abgeschlagen. Vielen linken Corbyn-Unterstützern hatte der Parteiapparat durch umstrittene bürokratischen Methoden das Stimmrecht entzogen. Dennoch konnte Corbyn seinen Vorsprung gegenüber 2015 ausbauen. Damit ist der Ende Juni gestartete Versuch der rechtssozialdemokratischen, bürgerlichen Mehrheit der Parlamentsfraktion, Corbyn durch ein Misstrauensvotum wegzuputschen, endgültig gescheitert.

Wir gratulieren Jeremy Corbyn zu diesem Sieg, der weit über Großbritannien hinaus Wellen schlagen wird. Nachfolgend veröffentlichen wir ein Interview mit Ben Gliniecki (siehe Foto) aus London. Er ist Mitglied der Labour Party in Corbyns Londoner Wahlkreis Islington North sowie Unterstützer von Socialist Appeal (IMT) und sitzt im nationalen Jugendvorstand von Momentum (auf Deutsch „Impuls“). Diese Organisation wurde 2015 gegründet, um den in der Urwahl des Parteivorsitzenden siegreichen Jeremy Corbyn und seine linken Ideen zu stärken.

Was hat Momentum seit seiner Gründung vor einem Jahr bisher zustande gebracht?

Momentum wurde damals nach dem haushohen Sieg Jeremy Corbyns bei der Urwahl des Parteivorsitzenden spontan gegründet, weil vielen von uns klar war, dass der Parteiapparat von sehr vielen Corbyn-Gegnern durchsetzt ist. Bisher hat die Organisation 10.000 Mitglieder. Das ist noch ein kleiner Anteil an der gesamten Parteimitgliedschaft. Aber wir haben landesweit schon viele Versammlungen, Kundgebungen und Demonstrationen organisiert, die Hunderte und Tausende anzogen. In der laufenden Urwahl des Parteivorstands unterstützen wir Corbyn.

Der Erfolg für Corbyn vor einem Jahr hat viele überrascht. Er war lange Zeit ein absoluter Außenseiter in Fraktion und Parteiapparat. Wie lässt sich sein Aufstieg erklären?

Über viele Jahre hat sich starke Unzufriedenheit aufgebaut, denn die Lebensbedingungen der Massen haben sich massiv verschlechtert. Neben Griechenland und Portugal ist Großbritannien das Land, in dem die Reallöhne am meisten gesunken sind. Einzelne Regionen, die am stärksten unter dem industriellen Kahlschlag gelitten haben, verzeichnen ein Pro-Kopf-Sozialprodukt unter dem von Tschechien oder Polen. Armutsbedingte Krankheiten nehmen zu, Tuberkulose ist weiter verbreitet als in Algerien oder im Irak. Das Vertrauen in den Kapitalismus, das ganze System und seine Repräsentanten, Konzerne, Banken und Medien ist auf einem Tiefststand angelangt.
Es gab lange keinen politischen Ausdruck für diese Stimmung. Viele Leute sagten: Die Politiker vertreten uns nicht mehr. Corbyn hat als langjähriger Parlamentsabgeordneter immer konsequent gegen Kürzungspolitik und Kriege auch der eigenen Labour-Regierungen gestimmt. Das macht ihn glaubwürdig. Er spricht die Sprache „normaler“ Menschen und nicht das geschliffene Politiker-Neusprech. Nachdem er als vermeintlich „chancenloser“ Außenseiter im Sommer 2015 sich um die Parteiführung bewarb, setzte eine breite Bewegung zu seiner Unterstützung ein. Seit Jahrzehnten hat es im Lande keine vergleichbare Massenbegeisterung für eine politische Bewegung gegeben.

Nach dem Brexit-Referendum holte die rechte Mehrheit der Labour-Parlamentsfraktion zum Schlag gegen Corbyn aus und wollte ihn per Misstrauensvotum stürzen. Kam dies überraschend?

Überhaupt nicht. Dieser Schlag gegen Corbyn wurde von langer Hand vorbereitet und geplant. Die Blairites, also die rechtssozialdemokratischen, bürgerlichen Anhänger von Ex-Premier Tony Blair in Fraktion und Parteiapparat haben sich nie mit Corbyn abgefunden. Sie wollten ihn absägen. Sie vertreten ganz andere Klasseninteressen in der Partei und stehen im Lager des Großkapitals und der Mainstream-Medien. Das war ein gezielter Versuch des Großkapitals, Kontrolle über die Partei zu behalten, die aus Sicht der Herrschenden zur Kanalisierung des Unmuts der Massen gebraucht wird.

Offenbar hat dieser gescheiterte Versuch eine noch stärkere Bewegung zur Verteidigung Corbyns ausgelöst.

Die zurückliegenden Sommermonate waren extrem spannend. Die Linke wurde abgehärtet und Momentum gestärkt. Hunderttausende sind innerhalb weniger Wochen in die Partei eingetreten. Eine solche Dynamik gab es in der politischen Geschichte des Landes noch nie. Zu Kundgebungen und Versammlungen mit Corbyn im ganzen Land kommen Hunderte und Tausende. Ich wohne in Corbyns Wahlkreis Islington North. Bei einer Momentum-Versammlung platzte der Raum aus allen Nähten. So mussten viele Leute vom Flur und Garten aus die Diskussion verfolgen. Labour ist inzwischen die mitgliederstärkste Partei Westeuropas.
Jetzt ist die Frage der demokratischen Nominierung der Parlamentskandidaten durch die örtliche Parteigliederung zu einem zentralen Thema geworden. Also vor allem auch das automatische Recht der Parteibasis, einen gewählten Abgeordneten für die nächste Wahl nicht wieder aufzustellen, wenn er ihr Vertrauen nicht mehr genießt. Bisher gab es in der Satzung hierfür sehr hohe Hürden.

Nun haben in den letzten Jahren kleinere linke Organisationen die Labour Party als bürgerliche Partei dargestellt und erfolglos bei Wahlen eigene Kandidaturen ins Rennen geschickt.

Diese Strategie ist ins Leere gelaufen. Zwar wurde die Labour Party vor allem seit den 1990er Jahren unter der Führung von Tony Blair und Gordon Brown systematisch von direkten Agenten der kapitalistischen Klasse unterwandert. Die demokratischen Rechte der Basis wurden ausgehöhlt. Aber die Gewerkschaften mit über vier Millionen Mitgliedern sind immer noch an die Partei angeschlossen. Vor allem in England und Wales hat die Partei noch tiefe Wurzeln in der Arbeiterklasse.

Aber die Gewerkschaftsführer spielen oft auch eine mäßigende Rolle. Viele unterstützten 2015 bei der Wahl des Parteichefs ursprünglich nicht Jeremy Corbyn, sondern den erfolglosen Bewerber Andy Burnham.

Natürlich sind auch Gewerkschaftsführer vielfach an Kompromissen und Aussöhnung mit dem Kapital interessiert. Aber man darf nicht vergessen, dass es starken Druck der Gewerkschaftsbasis pro Corbyn gibt. Der kam auf den jüngsten Konferenzen deutlich zum Ausdruck und ist entscheidend. Die Blairites haben immer nur Verachtung für die Gewerkschaftsführer aufgebracht und wollten die organischen Verbindungen und ihren Einfluss in der Partei kappen.

Wie geht es jetzt weiter?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass bei der Briefwahl des Parteiführers und Parteivorstands Corbyn einen haushohen Sieg einfährt. Sein Gegenkandidat Owen Smith ist ein Blairite und hat nichts anzubieten. Ende September ist Parteitag. Danach wird es so richtig interessant. Denn je mehr die Blairites ihre Felle davon schwimmen sehen, desto offener diskutieren sie und die bürgerlichen Medien über eine Spaltung der Partei. Manche Blairites scheinen dazu entschlossen und wollen so viel Schaden anrichten und verbrannte Erde hinterlassen wie möglich. Also rückt eine Abspaltung des rechten Flügels und der Mehrheit der Parlamentsfraktion in den Bereich des Möglichen. Dies könnte zur Gründung einer neuen bürgerlichen Zentrumspartei führen, möglicherweise zusammen mit den Liberalen und dem „linken“, pro-europäischen Flügel der Konservativen. Die würden eine Zeitlang regieren, aber unter Krisenbedingungen wäre mittelfristig eine linke Labour-Regierung unter Corbyn vorstellbar. Das möchte die herrschende Klasse verhindern.

Warum? In Griechenland hat die herrschende Klasse doch auch Syriza und Tsipras schließlich „auf Linie“ gebracht.

Eine Koalition aus Blairites und Konservativen wäre eine Krisenregierung, auf Dauer nicht sehr stabil und rasch diskreditiert. Die Folge wäre ein Linksrutsch. Die herrschende Klasse fürchtet weniger Corbyn selbst, sondern vielmehr die radikalisierten Massen, die hinter Corbyn stehen und ihn weiter nach links und in eine antikapitalistische Richtung drücken könnten. Eine Corbyn-Regierung könnte dafür die Schleusen öffnen. Daher die angedachte Spaltung, die bei Labour maximalen Schaden anrichten soll.

Corbyn fordert immerhin die Wiederverstaatlichung der privatisierten Eisenbahnen. Wie bewertest du sein gesamtes Programm?

Es ist ein klassisches keynesianistisches und linksreformistisches Programm. Er ist gegen Austerität und fordert einzelne Wiederverstaalichungen. Das ist auch gut so. Aber die Forderung nach Vergesellschaftung der Banken fehlt, das wäre jedoch entscheidend. Er fordert mehr staatliche Investitionen und Sozialausgaben. Die Hauptfrage ist: Welche Klasse soll das bezahlen? Der britische Kapitalismus hat eine schwache Position. Streben nach Wettbewerbsfähigkeit bedeutet im Kapitalismus Angriffe auf die arbeitende Klasse.

Nun haben manche Militärs mit einem Putsch gegen eine Regierung Corbyn gedroht.

Sie und das gesamte Establishment wollen nicht dulden, dass Corbyn Kriege und die NATO ebenso ablehnt wie die Trident-Atomwaffen und dass er die Rüstungsausgaben kürzen will. Derzeit ist er weit und breit der beste Parteiführer. Verteidigen wir ihn gegen die rechten Unterwanderer der Partei und kämpfen wir gleichzeitig für den Sozialismus. Dazu brauchen wir eine entschädigungslose Verstaatlichung nicht nur der Banken und Bahnen, sondern des gesamten Verkehrswesens, der Daseinsfürsorge, des Immobiliensektors und der Großkonzerne.

Und was ist Deine Botschaft an das restliche Europa?

Unterstützen wir Corbyn als Anti-Establishment-Kandidaten und klären die Menschen über die Vorgänge in Großbritannien auf. Internationale Solidarität heißt aber auch, dass junge und arbeitende Menschen im eigenen Lande für eine sozialistische Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft kämpfen müssen.

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