Kategorie: Europa

Proteste in Russland und die Sackgasse des Liberalismus und Nationalismus

Am 26.03.2017 gingen verschiedenen Schätzungen zufolge russlandweit 60.000 bis 150.000 Menschen auf die Straßen, um friedlich gegen Korruption, miserable Lebensbedingungen und für umfangreiche Veränderungen zu protestieren.


Es waren die größten Proteste in Russland seit den Massenprotesten im Zuge der Parlamentswahlen 2011 und Präsidentschaftswahlen 2012, bei denen Vorwürfe zu Wahlfälschungen laut wurden. Diese Proteste wurden damals brutal vom Staatsapparat niedergeschlagen. Zudem wurden hohe Gefängnisstrafen verhängt, die abschreckend wirkten und zur Folge hatten, dass bis zum 26.03. keine Massendemonstrationen mehr stattfanden. Die jüngsten Proteste zeigen zwei bedeutsame Umstände. Erstens machten Schätzungen zufolge Jugendliche und junge Erwachsene, aber auch Kinder etwa 50 Prozent der Demonstranten aus. Zudem fanden die Proteste im ganzen Land verteilt statt, insgesamt waren es mehr als 80 Protestaktionen, von denen nur 21 genehmigt waren. Der Staat wurde von dem Ausmaß der Proteste offenkundig überrascht, ließ aber auch dieses Mal die Polizei hart durchgreifen. So wurden allein in Moskau über 900 Personen festgenommen, darunter auch viele Jugendliche.

Wer ist Alexei Nawalny?

Zu den Protesten hatte Alexei Nawalny aufgerufen. Er ist Gründer der Nichtregierungsorganisation „Fonds zur Korruptionsbekämpfung“, die sich damit beschäftigt, korrupte Machenschaften staatlicher Amtsträger offenzulegen. Außerdem ist er der Vorsitzende der „Fortschrittspartei“ und möchte für die Präsidentschaftswahl 2018 in Russland kandidieren. Er präsentiert sich als fortschrittlicher, für Gerechtigkeit kämpfender Mensch, der möglichst jedem russischen Staatsbürger ein würdevolles Leben ermöglichen möchte. Sein Parteiprogramm zeichnet das Idealbild eines nationalistischen, aber humanistischen Kapitalismus.

Für die Lohnabhängigen soll ein Mindestlohn von 25.000 Rubel (ca. 410€) monatlich eingerichtet werden. Von einer Liberalisierung des Wohnungsbaus erhofft er sich eine Ausweitung von bezahlbarem Wohnraum. Er will durch die Vergabe billiger Kredite an Privatpersonen jedem Haushalt mit zwei Arbeitenden den Traum vom Eigenheim erfüllen.

Besondere Gunst sollen nach diesem Programm Betriebe und Kleinunternehmen, aber auch mittelständische Unternehmen erfahren. Für diese sind abhängig von ihren Einnahmen sogar völlige Steuerfreiheit und das Wegfallen von Rechnungslegung und sonstigen Regulierungen geplant, wodurch sich Nawalny einen Anstieg von Arbeitsplätzen, Wirtschaftswachstum und ein Wachstum der Unternehmen erhofft.

Desweiteren verlangt Nawalny eine Privatisierung der öffentlichen Sektoren. Danach könnte durch erhöhte Wirtschaftlichkeit der Lebensstandard in Russland steigen, behauptet er. Konzerne sollen zwar hohe Steuerabgaben leisten, ihnen wird aber eine starke Annäherung, bzw. sogar Integration auf dem europäischen Markt versprochen, ebenso auch in Asien. Dabei soll Russland der anführende und tonangebende Nationalstaat Europas und Asiens sein. Mit anderen Worten: der russische Imperialismus soll weiter befeuert werden.

Immer wieder wird aber besonderer Wert auf den Kampf gegen die Korruption gelegt. In Nawalnys Augen muss diese die Ursache allen Übels sein. Nicht die Ausbeutung der Arbeitskraft der Lohnabhängigen und das Profitstreben der Kapitalisten sind Ursache der Ungerechtigkeit, sondern korrupte Politiker, Richter und schlecht bezahlte Polizisten.

Das sind nur einige der Forderungen Nawalnys, aber wie optimistisch sie auch formuliert sein mögen, sind sie doch offenkundig Angriffe auf die Arbeiterklasse. Wenn eine weitere Liberalisierung des Marktes (an einer Stelle seines Programms wird vom „verabsolutierten freien Markt“ gesprochen) erfolgen soll, dann bedeutet dies für die russische Arbeiterklasse eine weitere Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen und gesteigerte Gewinne für die Kapitalisten. Eine Befreiung der kleinen und mittelständischen Unternehmen von jeglichen Reglementierungen wird zur weiteren Verschlechterung des Arbeitsschutzes, der Löhne und anderer Errungenschaften der Arbeiterklasse führen. Ebenso ist ein liberalisierter Immobilienmarkt gepaart mit billigen Krediten an Privatpersonen, wie wir am Beispiel der USA sehen und fühlen durften, eine tickende Zeitbombe. Es wird unausweichlich zu einer Blasenbildung kommen, die, wenn sie platzt, schwere Wirtschaftskrisen nicht nur in Russland auslösen wird. Auch das wird in erster Linie einen scharfen Einschnitt für die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse nach sich ziehen. Nicht zuletzt ist Imperialismus zudem stets ein Angriff auf die Lebensumstände der Arbeiterklasse anderer Nationalstaaten. So entlarvt sich das optimistisch geschriebene Parteiprogramm als heimtückische Kriegserklärung gegen die Arbeiterklasse.

Die Demonstranten

Nawalny nutzt einen professionellen Internetauftritt, um sowohl die Arbeit des „Fonds zur Korruptionsbekämpfung“ zu publizieren als auch für seine Kandidatur zu mobilisieren. Dabei präsentiert er sich wissenschaftlich, ehrlich, ehrgeizig und kämpferisch, was durch die Aufmachung der Internetauftritte besonders die junge Generation anlockt. Von großer Bedeutung für die jüngsten Proteste waren Korruptionsvorwürfe an die Adresse des Premierministers Dmitiri Medwedew durch den „Fonds zur Korruptionsbekämpfung“ in Form der Dokumentation „On vam ne Dimon“ („Für euch heißt er nicht Dimon“), zu denen Medwedew keine Stellung genommen hat. Im Rahmen dieser Ereignisse hat Nawalny zu Demonstrationen mobilisiert. So sind viele Demonstranten mit dem Anliegen auf die Straße gegangen, um gezielt gegen Medwedew und die in Russland vorherrschende Korruption ein Zeichen zu setzten. In Interviews äußern sie sich deutlich mit Parolen wie „Die da oben gegen uns“, „Die da oben fürchten uns, seht nur das Polizeiaufgebot“, „Schande“ oder „Wenn wir so weitermachen, dann werden sie auf unsere Forderungen eingehen müssen“. Die Forderungen sind eine sichere Zukunft, Leben in Würde, Arbeit, freie Bildung, um nur einige zu nennen.

Die Jugend hat insbesondere über die sozialen Netzwerke zu den Demonstrationen mobilisiert. Das Internet stellt für sie eine wichtiges Informations- und Austauschmedium für politische Bildung und Diskussion dar, da eine starke Abneigung gegenüber dem gleichgeschalteten Fernsehen besteht.

In den Demonstrationen wurde eine große Bandbreite der Teilnehmer in Bezug auf ihre Vorstellungen, aber auch ihre soziale Stellung in der Gesellschaft deutlich. Sehr viele äußern einen starken Nationalismus und sehen das Vorgehen der Mächtigen als eine Schande und Verrat am Volk. Eins aber eint die meisten, nämlich dass sich etwas ändern muss. Für viele bedeutet dies, dass die Partei „Vereinigtes Russland“ und die Clique um Präsident Putin abdanken muss. Deswegen ist es notwendig, dass linke und insbesondere marxistische Kräfte diese allgemeine Wut, Unsicherheit und den Durst nach Veränderung in eine klare Richtung bewegen und in einem Kampf für die Befreiung der Menschen vom Schrecken des Kapitalismus vereinigen. Nur so kann verhindert werden, dass sich nationalistische und liberale Kräfte die Unzufriedenheit zunutze machen, um Ausbeutung und Elend der Massen zu erhalten und nur die Gesichter der Herrschenden auszutauschen.

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