Kategorie: Kultur

Gegen die totale Überwachung und die Heuchelei der Herrschenden

In den letzten Wochen und Monate reißen die Enthüllungen über die sogenannte Bespitzelungsaffäre des US-Geheimdienstes NSA nicht ab. Diesmal ist es nicht nur das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel, das abgehört wurde. Der Whistleblower Edward Snowden hat mal wieder mit erschreckenden Details offen gelegt, wie versteckte Seilschaften der US-Administration private und sensible Daten weltweit abgreifen und für die eigenen nationalen Interessen verfügbar machen.


Schockiert geben sich nun die Medien und Politiker aller Parteien, die Merkel-Regierung ist sichtlich betroffen und getroffen. Dabei scheint die Ausspähung von Spitzenpolitikern nur die Spitze des Eisbergs zu sein. Die US-amerikanischen schwarzen Kassen zur Finanzierung von Datenerfassung, -analyse, und -verarbeitung im Jahr 2013 werden auf 52,6 Milliarden US Dollar geschätzt. Mehr als die gesamten Ausgaben für die deutsche Bundeswehr. Mit 107.035 Mitarbeitern haben sie sich ein gigantisches Heer für die totale Überwachung aufgebaut.

 

Eine heuchlerische Diskussion

 

Monatelang hat die amtierende Regierung abgewiegelt: Alles nur Gerüchte, reine Behauptungen, es gebe keine Beweise. Jetzt dringen täglich scheibchenweise neue Details an die Öffentlichkeit. Unter den Druck der bürgerlichen Presse ist nun das kalte Pokerface der Bundesregierung zusammengebrochen. Nicht wirklich, weil man die ganze Zeit nicht gewusst hatte, was wirklich hinter den Kulissen ausspioniert wurde, sondern weil mit Merkels Handyleck so peinliche Details publik geworden sind, dass sich die Regierung geradezu lächerlich manchen würde, wenn sie die Verdächtigungen weiterhin leugnen würden. Die Aufregung ist und bleibt aber heuchlerisch.

Es sind aber nicht die abermaligen Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen, die vor allem die Grundgesetz-Artikel 5 und 10 (freie Meinungsäußerung, Briefgeheimnis) übergehen, und auch nicht das Rechtsliegenlassen der US-amerikanischen Verfassung und der vielseitig gelobten „Freedom of Speech“, welche Obama oder die Bundeskanzlerin dazu zwingen, sich jetzt öffentlich zu Wort zu melden. Natürlich spielt schon der Vertrauensbruch eine gewisse Rolle. Die US-Amerikaner haben ihre "Freunde" nicht wirklich ausgiebig darüber informiert, was an den Gerüchten Wahres dran ist. Noch darüber, was sie zu erwarten haben, was noch enthüllt werden wird. Die Merkel-Regierung ist zu schnell und zu früh auf Ausreden eingegangen und hat sich für ihre angeblichen Freunde verbürgt. Sie hat dadurch an Gesicht verloren.

Jetzt, wo das wahre Ausmaß der geheimdienstlichen Überwachung greifbar wird, ist die herrschende Klasse alarmiert. Abermals sind es nicht die Bürgerrechte, um die sie fürchtet. Es sind knallharte Interessen, die für sie auf dem Spiel stehen. Die NSA hört nicht nur das Handy der Kanzlerin ab, sondern andere einflussreiche Politiker und Oppositionelle wurden angeblich beschattet, ganz zu schweigen von der massiven Industriespionage. Dass Meta-Daten mitgeschnitten worden sind, ist nun amtlich bestätigt. Sie besagen, wer wann mit wem telefoniert hat. Diese Informationen in Form der Vorratsdatenspeicherung hätte genauso gerne die deutsche Exekutive angeblich zur Terrorbekämpfung gehabt, aber dies ließ sich leider hierzulande erstmal nicht durchsetzen. Längst glauben die meisten nicht mehr, dass nur reine Meta-Daten gespeichert werden. Viele Spezialisten und IT-Professoren haben bestätigt, dass es technisch kein Problem darstellt, gesprochene Sprache in Text umzuwandeln und dann mit entsprechenden IT-Werkzeugen zu analysieren. So können noch deutlich effizienter als zu Zeiten der Stasi flächendeckend Telefonate abgehört und geheimdienstlich verarbeitet werden. Aber was bedeutet diese Überwachung für die herrschende Klasse hierzulande? Warum ist sie so erschrocken und erzürnt?

 

Furcht um das „nationale Interesse“

 

Es ist die Angst, dass wirtschaftliche, betriebliche und politische Geheimnisse in die falschen Hände geraten. Es waren vereinzelte Ausspäh-Aktionen, die in der Vergangenheit auf der Tagesordnung standen. So konnte durch ein abgefangenes Faksimile der TGV den ICE unterbieten. Bei Deals, an denen Airbus und Boeing beteiligt waren, haben US-Geheimdienste reingepfuscht. Nun geht die Angst um, dass Transaktionen in Vergangenheit nicht ganz so privat und – wie angenommen – mit rechten Dingen abgelaufen sind. Wirtschaftliche Geheimnisse in den Händen einer ausländischen Bourgeoisie außerhalb der eigenen Kontrolle sind eine direkte Bedrohung. Deswegen steigt der Druck im Inland, dass nun gegengesteuert werden soll und die Souveränität Deutschlands in Sachen IT-Infrastruktur angegangen werden muss.

Politische Geheimnisse sind ein weiterer Faktor. Was wissen die US-Amerikaner? Wie setzen sie dieses Wissen um und verschaffen sich damit etwa auf internationalen Gipfeln einen Vorteil? Obama musste sich zwar bei Merkel wie ein kleiner Junge bei seiner Mutter entschuldigen, ansonsten geben sich die Offiziellen, wie z.B. der neu eingesetzte US- Botschafter in Deutschland, John B. Emerson, ganz cool: Wir haben nichts getan, was nicht andere auch tun ... und verstoßen dabei unseres Wissens nicht gegen Gesetze. Offenbar wissen sie mehr als die Öffentlichkeit darüber, was deutsche Geheimdienste tun und wozu sie gewonnene Informationen einsetzen? War es bisher ein Mysterium, wie Angela Merkel auf europäischen Gipfeln mit knallharten Verhandlungsgeschick glänzte, um deutsche Interessen durchzudrücken, so drängt sich der Verdacht auf, dass deutsche Ausspäh-Aktionen zweifelsohne in geringerem Umfang, aber ähnlich gewitzt ablaufen. Vielleicht bewegt der vermeintliche Ruhm sogar bald zu einer deutschen Reinkarnation von Snowden.

All die jetzigen und wohl auch kommenden Enthüllungen werden wohl nicht zu einem Nichtausspäh-Abkommen zwischen den USA und Deutschland führen, noch werden sie einer Kehrtwende der NSA-Strategie einleiten. Vielleicht wird die NSA die eine oder andere Aktion abblasen, wenn das Risiko einer Enthüllung zur groß ist. Die NSA wird eventuell die Effizienz jeder Aktion in Zukunft besser abwägen. Die neue Wachsamkeit wird eher zu noch besserer und noch schwerer aufspürbarer Technik führen? Wir werden eher eine gegenseitige Aufrüstung erleben, indem westliche Parlamente nun noch mehr Gelder für die Geheimdienste und Abschirmdienste bewilligen. Ein gegenseitiges Wettrüsten für den virtuellen Krieg um die digitalen Daten wird wohl unvermeidbar, um noch global mitmischen zu können.

 

Privatisierte Geheimdienste

 

Längst sind es nicht nur Nachrichtendienste von Nationen, die weltweit aktiv sind. Globale Konzerne unterhalten eigene kleine Abteilungen als Nachrichtendienste zur Sicherung ihrer Interessen. Selbst Google, das sich gerne als Opfer von NSA-Abhöraktionen darstellt, mischt kräftig mit. Wer schon einmal auf dem Google-Campus war, kennt die verdeckten Spitzel, die auf dem gesamten Gelände Schmiere stehen, um feindliche Agenten anderer Konzerne zu stellen und des Platzes zu verweisen. Die nationalen Geheimdienste werden immer mehr privatisiert und ausgelagert. Als Mitarbeiter bei der privaten Firma Booz Allen Hamilton, die teilweise hoheitliche Aufgaben übernommen hat und Zugriff auf Staatsgeheimnisse hat, konnte Edward Snowden die brisanten Informationen sammeln. Es stellt sich diesbezüglich die Frage, ob Snowden überhaupt Verrat vorgeworfen werden kann, wenn der Staat vorher solche brisanten Dokumente für private geheimdienstliche Vertragspartner angezapft hat.

In Zukunft müssen wir erwarten, dass private Geheimdienste nicht nur in den USA eine größere Rolle spielen werden. Private Partner bei geheimdienstlichen Tätigkeiten erleichtern es dem Staat, seine Beteiligung an illegalen Machenschaften zu verschleiern. Sie können außerhalb des direkten Verantwortungsbereich der offiziellen Administration Gelder aus Drogengeschäften waschen und so Programme und Projekte finanzieren, die unter bürgerlichen Gesetzen nie offiziell gefördert werden könnten. Sollte einmal etwas aus dem Ruder laufen, werden wir zu hören bekommen, das sei nur ein Problem in einem Unternehmen gewesen und keines der offiziellen Linie.

 

Wie können wir uns schützen?

 

Bewusste Linken und Marxisten überrascht es wenig, was Edward Snowden über die US-Geheimdienste verlautet. Nur zu sagen "Wir haben es immer schon gewusst" wird uns genauso wenig nutzen, wie den vielen Verschwörungstheoretikern, noch wird es etwas am Status Quo ändern. Natürlich muss man bei jeder Zeile, die man per E-Mail verfasst, die man in Facebook postet oder die man einfach nur liest, sich mehr oder weniger sicher sein, dass diese analysiert werden. Auch kann man nicht nur aus historischer Erfahrung davon ausgehen, dass die Geheimdienste nicht nur dazu eingesetzt werden, um Terroristen zu jagen. Die jüngsten Erkenntnisse bestätigen vielmehr den Verdacht einer systematischen Beschattung von Oppositionellen.

Marxisten lehnen Geheimdienste und andere Geheimorganisationen im In- und Ausland ab. In einer demokratischen Republik haben sie nichts verloren. Sie können keine legitimen Institutionen einer Republik sein. Geheimdienste sind zudem teuer, ineffizient und verleiten zu Missbrauch. Gerade die US-Geheimdienste, die nun den Terror bekämpfen sollen, haben viele Terrororganisationen erst aufgebaut, wie z.B. die Taliban als Gegengewicht zu den Truppen der UdSSR in Afghanistan.

Deutsche Geheimdienste stehen der NSA und CIA keinen Deut nach. Der sogenannte Verfassungsschutz beschäftige eine nicht gerade unbedeutende Anzahl von leitenden Kameraden in der NPD und hielt die Terrorgruppe NSU am Leben. Bei der vermeintlichen Aufklärung der NSU-Morde wurde kräftig herumgepfuscht, um Dinge zu vertuschen, die die Öffentlichkeit über "unsere" Polizei nie erfahren soll. BND-Fehlinformationen über angebliche Massenvernichtungswaffen im Irak lieferten den USA einen angeblich legitimen Grund für einen Angriffskrieg. Der BND beteiligte sich vermeintlich an Waffenschiebereien und dem illegalen Uran-Handel. Private Sicherheitsfirmen in Deutschland lieferten Diktatoren in Arabien Technologie, um ihre Kritiker zu überwachen und zu enttarnen. Solchen Organisationen, an deren Fingern Blut klebt, die sich verselbstständigt haben und die mit ihrem Wirken in der Vergangenheit mehr Unheil als Erlösung brachten und zurzeit noch bringen, können wir unser Bedürfnis nach Sicherheit nicht anvertrauen.

Weder in einer bürgerlichen noch in einer sozialistischen Demokratie können wir den Schutz von Machtstrukturen in die Hände einiger weniger geben, die von niemanden kontrolliert werden können. Die Antwort auf geheime Terrororganisationen, innenpolitische Verschwörung und außenpolitische Fremdherrschaft können nicht ähnliche verdeckte Strukturen, Mittel und Methoden sein. Man kann nicht „den Teufel mit dem Beelzebub austreiben".

Geheimorganisationen werden allgemein überschätzt. Sie entsprechen kaum dem Epos von James Bond-Filmen. Eine totale Überwachung gibt es nicht und kann es nie geben. Pauschale Aussagen wie „Die Wissen alles“ sind falsch. Aber wir müssen wieder unterbinden, dass empfindliche Informationen über jeden und einzelne pauschal gesammelt werden. Trotzdem sei im Hinblick auf geschichtliche Erfahrungen mit etwas Gelassenheit auch gesagt: Auch Geheimdienste können von Revolutionen hinweggefegt werden. Sie können gesellschaftliche Prozesse zwar ausbremsen, aber letztlich nicht verhindern. Weder hat die Stasi den Staatsapparat der DDR gerettet, noch ist die Berliner Mauer als Folge westdeutscher BND-Propaganda gefallen. Geheimdienste sind nichts als gefährliche Spielzeuge in den Händen der Machthabern, die ihnen weggenommen werden müssen.

 

Nur eine demokratisch-sozialistische Neuorganisationen unseres Lebens mit internationaler, solidarischer Vernetzung kann dauerhaft Sicherheit für alle Menschen bringen. Statt auf Computer-Viren gegen iranische Atomfabriken setzen wir auf den Aufbau iranischer Gewerkschaften und Gegenmacht von unten. Statt Stammesfürsten in Afghanistan einzusetzen, könnten Kopierer und Druckmaschinen an ansässige linke und proletarische Organisationen geliefert werden. Mit dem Geld, das Deutschland und USA für den Krieg bisher ausgegeben haben, könnte Afghanistan mit Flugblättern „bombardiert“ werden, könnten kostenlos Aufklärungsbücher verteilt sowie Radiosendungen und Filme für Analphabeten produziert werden.

Bisher hat sich die bürgerliche Demokratie darauf berufen und damit gerechtfertigt, dass sie im Gegensatz zu totalitären Systemen unsere persönliche Freiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und Beschwerderecht gegen über dem Staat garantiert. All diese erkämpften Rechte wurden heimlich auf den Prüfstand gestellt und werden nun auch bei uns offenbar einfach so abgebaut. Was unterscheidet dann noch die totale Überwachung im Kapitalismus von den Diktaturen? Das fragen sich immer mehr arbeitende Menschen auf der ganzen Welt.

Edward Snowden hat bewiesen, dass ein einziger aufrichtiger und mutiger Spezialist genügt, um eine ganze Hegemonie zum Wanken zu bringen. Was könnten wir dann erst zusammen bewirken? Wenn in unserer Gesellschaft die Kommunikation mit Staat und Konzernen nicht mehr geheim ist, dann stellt sich die Frage: Warum sollten diese noch Geheimnisse vor der Gesellschaft haben? Also lasst uns für öffentliche Steuererklärungen und offene Geschäftsbücher in jedem Unternehmen kämpfen. Lasst uns jegliche „Schweinerei“, die im Verdeckten geschieht, „leaken“ und aufdecken. Und wenn unsere traditionellen Arbeiterorganisationen sich derzeit hierzu als zu schwach und zu unfähig erweisen sollten, dann haben wir mittlerweile genug Vorbilder und Phantasie, wie dies auf anderem Wege und mit ein paar Klicks doch noch möglich werden kann.

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