Kategorie: Kultur

Vor 400 Jahren starb William Shakespeare: Ein revolutionärer Literat (Teil 2)

England befand sich zu Shakespeares Zeiten, wie Spanien zu Cervantes‘ Zeiten, mitten in einer großen sozialen und ökonomischen Revolution.


Es handelte sich hierbei um eine turbulente und schmerzhafte Veränderung, die eine große Anzahl von Menschen in die Armut trieb und eine große Klasse besitzloser Lumpenproletarier schuf: Bettler, Diebe, Huren, Deserteure u. a., die sich zu den Söhnen der verarmten Adeligen und Aristokraten sowie den amtsenthobenen Priestern gesellten, um eine endlose Reserve von Charakteren für Shakespeares Theaterstücke zu bilden.

Religion

Die protestantische Religion, die mit der Revolte von Martin Luther begann, stürzte ganz Europa in einen blutigen Konflikt, in dem, unter dem Banner der neuen Religion, die aufsteigende Bourgeoisie ihre Kräfte bündelte. Eine zentrale Aussage in der protestantischen Glaubenslehre war, dass das Wort Gottes im Besitz jedes Mannes und jeder Frau sein sollte ohne die Notwendigkeit jeglicher Vermittlung durch Priester. Die Übersetzung der Bibel in die Landessprache wurde deshalb zur Speerspitze der neuen Bewegung.

Selbst bevor Luther die Vorherrschaft des Vatikans offen infrage stellte, hatte der englische Reformer John Wycliffe die Bibel ins Englische übersetzt. Seine Anhänger, die Lollarden, hatten an den revolutionären Bewegungen, die zu der Bauernrevolte von 1381 führten, teilgenommen. Diese Revolte endete mit einer Niederlage, aber im 16. Jahrhundert schuf die Protestantische Revolution in England eine neue und brillante Übersetzung der Bibel durch William Tyndale. Tyndale wurde wegen des Verbrechens, die Bibel ins Englische übersetzt zu haben, durch Königin Elisabeths Vater Heinrich VIII. wegen Ketzerei und Verrat für schuldig erklärt, zum Tode durch den Strick verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt

England blieb bis zur Regentschaft Heinrich VIII. ein katholisches Land. Die Rolle der Religion war eine andere als heutzutage. Die Menschen waren sehr religiös und die Kirche besaß eine enorme Macht. Männer und Frauen waren bereit für ihren Glauben zu sterben. Und unter den Tudors hatten sie unendliche Möglichkeiten, dies zu tun.

Heinrich war ursprünglich ein überzeugter Verteidiger des Katholizismus und ein Gegner der neuen religiösen Strömungen. Für seinen Dienst an der alten Religion hatte der Papst ihm erlaubt, den Titel Fidei Defensor (Verteidiger des Glaubens) zu tragen, der noch Jahrhunderte, nachdem er seine ursprüngliche Bedeutung verloren hatte, auf den Münzen des Königreichs erschien: Verteidiger des katholischen Glaubens.

Als Heinrich VIII. aus dynastischen Gründen mit Rom brach und sich selbst zum Oberhaupt der englischen Staatskirche (Suprematsakte) erklärte, bedeutete das den Beginn jahrhundertelanger religiöser Unruhen in Britannien. Heinrich musste die Macht der Kirche in England brechen und er entdeckte bald, dass dies ein ausgezeichneter Weg war, um Geld zu verdienen.

1535 befahl Heinrich die Schließung der römisch-katholischen Abteien, Klöster und Konvente in England, Wales und Irland. Die Auflösung der Klöster machte ihn augenblicklich zum Besitzer großer Reichtümer in Form von Gebäuden, Land, Geld und anderen Dingen, die der Kirche gehört hatten. Durch den Verkauf der Erlöse an reiche Adelige und die aufstrebende Bourgeoisie, beschaffte er sich das Geld, das er zur Finanzierung seiner sinnlosen und teuren Kriege gegen Frankreich und Schottland brauchte. Damit gab er dem Prozess der ursprünglichen Akkumulation des Kapitals enorme Impulse.

Der Bruch mit Rom war ein bedeutender historischer Wendepunkt. Aber aus der Sicht der Glaubenslehre bedeutete er nicht eine derart radikale Veränderung wie die Protestantische Revolution auf dem europäischen Kontinent. Heinrich war ebenso wie seine Tochter Elisabeth kein Freund des Puritanismus, den er als Bedrohung der bestehenden Ordnung ansah. Deshalb ließ er viele alte katholische Rituale unverändert.

Das änderte sich radikal unter der kurzen Herrschaft seines Sohnes Edward VI. (1547-1553), der ein frommer Protestant war. Zum ersten Mal wurde England eine wirklich protestantische Nation. Edward führte ein neues Gebetbuch ein und alle Gottesdienste wurden auf Englisch abgehalten. Die Katholiken wurden unterdrückt und Bischöfe, die sich weigerten sich anzupassen, wurden eingesperrt. Aber Edward starb sehr früh und wurde durch seine ältere Schwester Mary, einer fanatischen Katholikin, ersetzt.

England kehrte erneut zum Katholizismus zurück. Der Papst wurde zum Oberhaupt der Kirche und die Gottesdienste wurden wieder in lateinischer Sprache gehalten. Jetzt richtete sich die Unterdrückung gegen die Protestanten. Über 300 führende Protestanten, die den katholischen Glauben nicht annehmen wollten, wurden auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Unter ihnen waren die Bischöfe Latimer und Ridley. Es wird behauptet, dass Latimer Ridley beim Aufstieg der Flammen ermutigte: „Spielt den Mann, Meister Ridley; an diesem Tag werden wir mit Gottes Gnade eine solche Kerze in England anzünden, die niemals ausgehen möge!“

Zudem hatte Mary König Philip II. von Spanien geheiratet. All dies führte dazu, dass sie den Spitznamen „Bloody Mary“ erhielt, obwohl sie viel weniger Menschen pro Jahr ermorden ließ als ihr blutrünstiger Vater. Trotzdem erzeugten diese Taten heftige Reaktionen gegen sie.

Nach ihrem Tod schwenkte England drastisch in Richtung Protestantismus, der sich zusätzlich in einem Hass gegen Spanien äußerte, das zum Hauptfeind avancierte. Die Thronfolge von Elisabeth am 17. November 1558, die der katholischen Reaktion unter Mary folgte, wurde allgemein mit Jubel begrüßt. Die Glocken läuteten und Freudenfeuer erhellten den Himmel. Von diesem Tag an mussten die katholischen Priester entweder ins Gefängnis oder in den Untergrund gehen. Viele Kirchen wurden geschlossen.

Elisabeth versuchte einen Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Kräften zu finden und Kompromisse zwischen Protestanten und Katholiken zu erreichen. Im elisabethanischen England war es für Katholiken verboten, eine Messe abzuhalten oder daran teilzunehmen. Die Reichen und Mächtigen konnten aber einer Bestrafung für ihre Religionsausübung entgehen. Reiche katholische Familien bauten private Kapellen in ihre Häuser, was vom Gesetz geduldet wurde, solange dies in ihren eigenen Häusern geschah und die Katholiken sich nicht an subversiven Aktionen gegen die Krone beteiligten.

Aber dieser ungute Balanceakt war zum Scheitern verurteilt. Die Spannungen nahmen zu und erreichten einen Höhepunkt als die Nachrichten über neue Massaker auf dem europäischen Festland bekannt wurden. In der Bartholomäus Nacht 1572 kam es zu einem Massenmord an französische Calvinisten (Hugenotten) in Paris. Diese Nachricht verursachte in England öffentliche Entrüstung und führte zu einem weiteren Rückschlag für die Katholiken. Die Ermordung des niederländischen Protestantenführers Willem von Oranien goss zusätzliches Öl ins Feuer. 1580 gab der Papst bekannt, dass es keine Todsünde sei, die englische Königin zu ermorden. Diese Ankündigung bedeutete automatisch, dass alle Katholiken unter dem Verdacht des Vaterlandsverrats standen.

Eine Armee von jesuitischen Agenten wurde nach England geschickt, um dort im Untergrund zu wirken, in Zusammenarbeit mit katholischen Adeligen Komplotte zu organisieren und den Boden für einen katholischen Aufstand zu bereiten. 18 Jahre lang wurde die katholische Königin von Schottland, Mary, von ihrer Kusine Elisabeth gefangen gehalten, die sie als nützliches Faustpfand bei ihren Verhandlungen mit Frankreich und Spanien betrachtete. Es bestand der begründete Verdacht, dass Mary im Blickpunkt eines katholischen Umsturzes stand. Elisabeths Berater, Mitglieder der protestantischen Partei, entschieden, diese potenzielle Bedrohung loszuwerden.

Das königliche Spionagenetzwerk, welches sich über das gesamte Land ausdehnte, wurde von Francis Walsingham geleitet. Walsingham beschuldigte Mary, dass sie an einem Attentatsplan beteiligt wäre, der den Sturz von Elisabeth und die Amtsübernahme durch Mary selbst vorsah. Er behauptete kompromittierende Briefe entdeckt zu haben, die ihre Schuld bewiesen. Wir werden nie erfahren, ob diese Briefe echt waren oder von ihm erfunden wurden. Sie hatten auf jeden Fall die gewünschte Wirkung. Im Februar 1587 unterschrieb Elisabeth das Todesurteil und Mary wurde geköpft.

Die Religion in Shakespeares Theaterstücken

Die religiöse Revolution, die zur damaligen Zeit wie ein Lauffeuer durch Europa gefegt war, hatte direkte Auswirkungen auf die Literatur. Als Elisabeths protestantische Regierung Mysterienspiele verbot, war der Weg frei für den Aufstieg eines neuen säkularen Theaters. Bis dahin war das einzig existente Theater eng mit der Kirche verknüpft. Das machte Shakespeares Erfolg möglich.

Das religiöse Element kommt in seinen Stücken zum Vorschein. Im Prolog und im ersten Akt, zweite Szene in Shakespeares Heinrich V. unterhalten sich die Bischöfe von Cambridge und Ely, zwei mächtige englische (katholische) Kirchenmänner, miteinander. Sie sind von Shakespeare geschaffen worden, um zum Vergnügen des Publikums, lächerlich zu wirken. Sie werden als habsüchtige, gierige Intriganten dargestellt.

Die Bischöfe sind besorgt über eine Gesetzesvorlage, die König Heinrich V. unterbreitet wurde. Falls diese Vorlage Gesetz würde, könnte die Regierung Kirchenland und –geld beschlagnahmen, um damit die Armee zu unterhalten, die Armen zu unterstützen und die Finanzkasse des Königs zu vergrößern. Die Geistlichen, die durch dieses Land und dieses Geld reich und mächtig geworden sind, sind entschlossen, es für sich selbst zu behalten.

Zu diesem Zweck bewegt der Erzbischof von Canterbury den jungen Heinrich zu glauben, er habe einen Anspruch auf den Thron in Frankreich. Ein netter kleiner Krieg in Frankreich würde den König vom Gesetz über die Beschlagnahme von Kircheneigentum ablenken. Um Heinrich zu ermutigen, verspricht Canterbury dem König, er wolle eine großzügige Spende von der Kirche besorgen, um die Kriegsanstrengungen zu finanzieren.

Diese Szene richtet sich eindeutig gegen den römischen Katholizismus, der bei den Menschen in England sehr unbeliebt war, besonders auch, weil er mit einer feindlichen und bösartigen ausländischen Macht in Verbindung gebracht wurde. In diesem Theaterstück ist das Frankreich, Englands traditioneller Feind. Für ein elisabethanisches Publikum war das katholische Spanien der Hauptfeind.

Die Feindschaft gegenüber Spanien war teilweise religiös begründet. Der Aufstieg der Bourgeoisie wurde durch soziale, ökonomische und politische Erschütterungen, Revolution und Kriege begleitet. Die ersten entscheidenden Schlachten zwischen der aufstrebenden Bourgeoisie und der zerfallenden Feudalordnung wurden aus religiösen Gründen geführt. Die katholische Kirche hatte die Gesellschaft seit Generationen dominiert und eine absolute Diktatur über die Köpfe und Seelen der Männer und Frauen ausgeübt. In Shakespeares Stücken finden wir zahlreiche feindliche Bezüge zu Spanien und die Methoden der spanischen Inquisition.

Der Aufstieg Englands bedeutete für die spanische Hegemonie eine direkte Bedrohung. Spanien war damals die reichste und mächtigste Nation weltweit. Elisabeth war in religiösen, aber auch allen anderen Angelegenheiten, eine prinzipienlose und zynische Opportunistin. Sie flirtete mal mit König Philip, mal mit dessen Feind, dem König von Frankreich, prahlte mit einer Heirat, die zu jener Zeit gleichbedeutend mit einer politischen Allianz war, dabei hielt sie sich beide vom Leib, um Englands Macht systematisch aufzubauen.

Als Philip II. bemerkte, dass er die Kontrolle über England nicht durch den Bund der Ehe erlangen konnte, entschied er sich, andere, weniger subtilere, Mittel anzuwenden. 1588 bereitete das katholische Spanien die Invasion Englands vor. Allerdings lief nicht alles nach Plan. Die spanische Armada wurde von englischen Kriegsschiffen bedrängt und schließlich durch Stürme vernichtet. Ein altes Sprichwort aus der damaligen Zeit lautete: “Jehovah blies und sie wurden zerstreut.“

Dieser Sieg gab der protestantischen Partei in England Auftrieb. Die Königin war allerdings weniger begeistert über deren wachsenden Einfluss und Macht. Privat zog sie die Zeremonien und den Pomp der alten Gottesdienste sowie die hierarchischen Strukturen der alten Religion vor. Aber sie war gezwungen, die Protestanten zu unterstützen, denn die Hauptbedrohung für ihre Macht und ihr Leben kam von den Katholiken in Rom.

Sie musste sich in die Richtung der protestantischen Partei neigen, die am Hof von Burleigh, Walsingham und dem Earl of Leicester repräsentiert wurde. Die Königin betrachtete die extreme protestantische Partei (die Puritaner) jedoch mit Misstrauen und Verachtung. Die Gesellschaft wurde von einem politischen Fieber gepackt, das eine gefährliche politische Farbe annahm. Ein erschreckter Beobachter beschwerte sich: „Es sind viele dabei, die seit sieben Jahren keine Predigt mehr gehört haben, ich möchte fast sagen, seit siebzehn Jahren.“ Sir Francis Drake protestierte, dass die Reformation „so weit ging, dass sie fast das Ende der Religion bedeutet hätte“.

Die gleiche Abneigung widerspiegelt sich in Shakespeares Was Ihr wollt (Die Zwölfte Nacht), wo wir folgendes lesen können:

Er ist ein Teufel von einem Puritaner, ein Prinzipienreiter, ein Opportunist, ein affektierter Esel, der sich geschwollene Phrasen einpaukt und sie dann in blödsinnigen Ergüssen auskotzt. So wahnsinnig von sich eingenommen (weil er, wie er meint, vor Vorzügen nur so aus den Nähten platzt), dass er felsenfest davon überzeugt ist, alle, die ihn auch nur einmal gesehen haben, müssten sich in ihn verlieben. Und genau an diesem Laster wird meine Rache einhaken.”

(Was Ihr wollt, II. Akt, III. Szene)

Die Forderung nach der Demokratisierung der Kirche alarmierte auch diejenigen im Establishment, die wohlwollend zu den neuen Glaubensregeln tendierten. Elisabeth betrachtete die Puritaner als gefährliche Extremisten und als potenzielle Bedrohung ihrer monarchischen Macht. Die Presbyterianer forderten die Abschaffung der Bischöfe. Es wäre nicht so einfach gewesen eine reformierte Kirche zu kontrollieren, deshalb sah sie diese als Bedrohung an.

Edmund Grindal, der Erzbischof von Canterbury, einer der bedeutendsten Unterstützer der Presbyterianer, wurde von der Ausübung seines Amtes suspendiert und aus dem öffentlichen Leben verbannt. Der Presbyterianismus war faktisch die Partei der obersten Schicht der Bourgeoisie und ihrer Verbündeten im Adel. Weiter unten auf der sozialen Leiter wurden die religiösen Vorstellungen immer radikaler.

Auf dem linken Flügel des Protestantismus begannen sich radikalere Tendenzen herauszukristallisieren. Strömungen wie die Wiedertäufer bewegten sich in eine revolutionäre Richtung. Konnte dies alles nicht direkt zu der Forderung nach einer Demokratisierung des politischen Systems führen? Diese Frage wurde im folgenden Jahrhundert beantwortet, als es zum Bürgerkrieg und zur bürgerlichen Revolution kam.

Die Entwicklung des Nationalbewusstseins

Es war die Zeit der Bildung von Nationalstaaten in Europa und das englische Nationalgefühl ist in jeder Zeile von Shakespeares Theaterstücken lebendig. Das englische Nationalbewusstsein entwickelte sich im Lauf des Hundertjährigen Kriegs gegen Frankreich und das widerspiegelt sich in Shakespeares Historien, besonders in Heinrich V. Die Franzosen werden als Nationalfeinde Englands dargestellt und der englische Patriotismus wird mehr oder weniger als Gegnerschaft zu Frankreich definiert. Während der Regentschaft von Elisabeth schuf aber der Aufstieg der spanischen Macht einen neuen Nationalfeind.

Englands Lage als Insel spielte eine immense Rolle an dessen Schicksal. Das Meer stellte eine natürliche Grenze und eine Verteidigungslinie dar, die anderen europäischen Nationen fehlten. Es schuf auch einen Anreiz für den Handel und damit für die ursprüngliche Akkumulation. Während sich ein großer Teil des kontinentalen Europas in Kriege stürzte, in denen sich Katholiken und Protestanten gegenseitig abschlachteten, genoss diese Insel nach dem Ende des Bürgerkriegs, der unter dem Namen Rosenkriege in die Geschichte einging, Frieden und Wohlstand.

Die von Heinrich VIII. durchgeführte Teilreformation lieferte einen weiteren Anstoß für die Entwicklung des Kapitalismus in England, dessen Beginn schon vom 14. Jahrhundert an wahrgenommen werden konnte. Die englische Wollindustrie profitierte von der Textilindustrie in den Niederlanden und den Kämpfen auf dem Kontinent, welche die Möglichkeiten für einen lukrativen Handel mit den Kriegsbeteiligten auf allen Seiten schufen.

Das Tudor-Zeitalter war deshalb ein entscheidender Wendepunkt in der Entstehung Englands als Nation. Die Popularität der historischen Theaterstücke von Shakespeare und Marlowe bezeugen ein zunehmendes Nationalbewusstsein. Die Niederlage der spanischen Armada 1588 markierte eine qualitative Veränderung des nationalen Schicksal Englands.. Von diesem Zeitpunkt an hing der Erfolg des Landes von der Verdrängung Spaniens aus seiner vorherrschenden Stellung als Führungsmacht in Europa und der Welt ab. Eine neue Hoffnung regte sich im Land – „ein Geist des Vertrauens und des Optimismus in die Zukunft“. Die Engländer begannen, sich als ein ausgeprägtes Volk mit einem besonderen Schicksal zu fühlen. Der Nationalstolz des Engländers/der Engländerin schlug sich in der Rede von John of Gaunt in Richard II. nieder:

Dieser glorreiche Königs-Thron, diese bezepterte Insel, dieses majestätische Land, dieser Siz des Kriegs-Gottes, dieses andre Eden, dieses feste Castell, das die Natur für sich selbst aufgeworfen hat, um sich vor fremder Anstekung und feindseligem Anfall zu sichern, dieser edle Stamm von Menschen, dieser in die Silber-See eingefaßte Edelstein, dieser kleine Inbegriff der Welt, dem der umgebende Ocean für eine Mauer, oder für einen beschüzenden Graben gegen den Neid nicht so glükseliger Länder dient; diese Mutter und Sängerin königlicher Helden, welche ihr Vaterland furchtbar, ihre Geburt erlaucht, und ihre Thaten ruhmwürdig machen, wegen ihres christlichen Eifers und ihrer ritterlichen Tapferkeit so weit berühmt, als das Grab des Welt-Erlösers, in dem verstokten Judenlande von uns entfernt ist; dieses edle, würdige, theure Land …“

(Gaunt in Richard II., II. Akt, I. Szene)

Der Aufstieg des Theaters

Im elisabethanischen Zeitalter erfuhr das Drama eine vollständige Veränderung. In dieser Zeit tauchte das organisierte Theater in England erstmals auf und erfuhr einen enormen Erfolg. Bis zu dieser Zeit wurde eine ähnliche Unterhaltungsform durch Gruppen fahrender Schauspieler geboten, die auf Jahrmärkten, auf den Innenhöfen von Gaststätten und an Markttagen Stücke aufführten. Die einzigen Theaterstücke, die in den englischen Städten gezeigt wurden, waren die „Mysterienspiele“ mit religiösem Inhalt. Aber die protestantische Revolution versetzte dieser Art Unterhaltung den Todesstoß.

So wurde das Theater vom Einfluss der Kirche befreit und der Weg für ein neues, säkulares Theater geebnet. Schauspieltruppen bildeten sich, um unter der Schirmherrschaft von Adeligen Werke zur Unterhaltung der Öffentlichkeit aufzuführen. Diese neue Kunstform wurde schnell sehr beliebt. Die neuen professionellen Theater, die in England gebaut wurden, zogen wöchentlich 15.000 ThaterbesucherInnen in London an, eine Stadt mit 150.000 bis 250.000 Einwohnern.

Zu Shakespeares Lebzeiten entstanden zum ersten Mal feste Theater, besonders in London. The Red Lion und James Burbages Schauspielhaus The Theatre waren die ersten öffentlichen Theater in England. Londons South Bank war der natürliche Standort für Theater wie The Rose oder The Globe.

Der Theaterbesuch wurde damals nicht als besonders respektabel angesehen. Die ungebändigten Massen von Ungebildeten dufteten nicht nach Rosen. Die sanitären Bedingungen im England der Tudorzeit waren in jeder Beziehung primitiv und das widerliche Gesindel, das sich die Schauspiele ansah, wusch sich selten. Sie rochen nach Schweiß und Bier und fluchten. Das Theater stellte eine potenzielle Bedrohung der öffentlichen Ordnung dar.

Seit dem Mittelalter war der Londoner Bezirk Southwark eine Gegend, in der Kneipen, Tollhäuser und Bordelle ansässig waren. Dem Bischof von Winchester gehörten einige der profitablen Bordelle hier und die dortigen Prostituierten waren allgemein als „Winchester Geese“ bekannt. Hier verbrachten Falstaff und seine Kumpane viel Zeit beim Trinken und Zechen.

In der elisabethanischen Zeit begann die South Bank ein neues und seriöseres Publikum anzuziehen. Trotzdem kritisierten gottesfürchtige Menschen Theater als gottlose Orte, als „Domänen des Satans“. Einige Puritaner, wie William Prynne, hätten es lieber gesehen, wenn alle Theater geschlossen worden wären. Die Theater erfreuten sich jedoch der Unterstützung durch mächtige Mäzene und überlebten nicht nur, sondern florierten, besonders mit dem Aufkommen eines neuen und respektableren bürgerlichen Publikums.

Die elisabethanische Mittelklasse war in der Lage Geld auszugeben und es wurde modern auf Tuchfühlung mit den Adeligen zu kommen, die auch regelmäßige Theaterbesucher waren. Der Oberhofmeister von England selbst war Förderer von Shakespeares Schauspieltruppe. Der Theaterbesuch beschränkte sich aber nicht nur auf die wohlhabenden BürgerInnen der Stadt. Die Armen konnten einen Penny bezahlen, um im Parkett vor der Bühne zu stehen. Reichere Mäzene zahlten bis zu einer halben Krone, um unter einem Vordach zu sitzen und waren so vor dem rauen Londoner Wetter geschützt.

Frühe Erfolge

Das Theater war ein aufregendes neues Phänomen. Es war aber auch ein äußerst profitables

Geschäft, für diejenigen, die wussten, wie man daraus Nutzen ziehen konnte. Und der junge Shakespeare wusste sicherlich genau, wie man das machte. Die nächsten bekannten Aufzeichnungen über Shakespeare tauchen über seine Zeit als junger Theaterautor in London auf, der zu einer Truppe gehörte, die unter dem Namen Lord Chamberlain’s Men bekannt war. Seine frühen Erfolge erzeugten bei den weniger erfolgreichen Schreibern bittere Ressentiments.

Zwischen 1590 und 1592 brachte Shakespeare seine Stücke Heinrich VI, Richard III. und die Komödie der Irrungen auf die Londoner Bühnen. Sie waren ein voller Erfolg. Dieser Erfolg und diese Popularität führten zu einer wachsenden Zuversicht. Das zeigt sich an der Tatsache, dass er 1596 den von seinem Vater zurückgezogenen Antrag auf ein Familienwappen neu stellte. 1602 musste er seinen Titel gegen Anschuldigungen, dass „Shakespeare ye player“ nicht berechtigt wäre, ein ehrenvolles Wappen zu führen, verteidigen.

Sein Schriftstellerkollege und Rivale Robert Greene schrieb eine wenig schmeichelhafte Mitteilung, in der er Shakespeare als „emporgekommene Krähe“ beschrieb. Diese beleidigende Äußerung widerspiegelt die Feindseligkeit des literarischen Establishments, das eine Ausbildung an einer Universität erfahren hatte, gegenüber dem Neuen, dessen Erfolg sie als Bedrohung sahen. Offensichtlich waren ihre Befürchtungen wohlbegründet.

Shakespeare wurde zu einem berühmten und reichen Mann und einem Teilhaber der Lord Chamberlain’s Men. Die Truppe hatte ihr eigenes Theater mit dem Namen The Globe und Shakespeare, der ein kluger Geschäftsmann war, hielt 12,5% der Anteile. Er hatte genügend Kapital, das er in Immobilien in Stratford und London investierte. 1597 kaufte er das zweitgrößte Haus in Stratford, obwohl er weiterhin in London lebte.

Als seine Theater 1593 wegen der Pest geschlossen wurden, schrieb der Theaterautor zwei erzählerische Gedichte, Venus und Adonis und Die geschändete Lukretia, und er begann mit dem Schreiben seiner reich strukturierten Sonette. Einhundertvierundfünfzig dieser Sonette haben überlebt und gewährleisten seinen Ruf als begabter Dichter. Bis 1594 hatte er auch Der Widerspenstigen Zähmung, Die edlen Veroneser und Liebes Leid und Lust geschrieben.

1598 hob ihn der Autor Francis Meres als den “ausgezeichnetsten” englischen Schreiber sowohl von Komödien als von auch Tragödien heraus. Seine Arbeit erregte die Aufmerksamkeit des Hofes und er spielte in verschiedenen Vorstellungen vor den Augen von Königin Elisabeth. Später allerdings bekam er große Schwierigkeiten als der Earl of Essex, kurz vor Elisabeths Tod, einen schlecht vorbreiteten Komplott organisierte, in dem Shakespeare indirekt verwickelt war.

Eine Übergangsperiode

Marx zeigte auf, dass es genau diese Perioden des sozialen Übergangs sind, die in Hülle und Fülle solche farbenfrohen Charaktere produzieren, wie sie in Shakespeares Theaterstücken auftreten. Aber ganz abgesehen von dem klamaukartigen Humor, der das elisabethanische Publikum so faszinierte, ist Sir John Falstaff die markante Personifizierung eines Aspekts dieser Zeit – „ ihre plebejische Schattenseite“ – die tieferen Regionen der elisabethanischen Gesellschaft, welche unter dem glamourösen Spektakel des Hoflebens liegen, Ritterlichkeit und Ehre. Er repräsentiert das genaue Gegenteil dieses höfischen Lebens.

In einer seiner berühmtesten Reden übermittelt Falstaff genau diesen Übergangscharakter einer Gesellschaft, welche die Fesseln des Feudalismus und die alte feudale Moral, die auf Vorstellungen wie Treue gegenüber den Vorgesetzten, Ehre etc. zugunsten praktischer Überlegungen, besonders die der monetären Art, abstreift. Sir Johns Schmährede auf die Ehre liefert ihm eine geeignete Entschuldigung, um sich vom Schlachtfeld zu entfernen.

Was brauch' ich so voreilig zu seyn, da er mich nicht anfordert? Gut, was thut das zur Sache, die Ehre fordert mich auf - - Ganz recht, und wenn mich also die Ehre auffordert und ich komme um, wie dann? Kan die Ehre mir ein Bein ansezen? Nein: Oder einen Arm? Nein: Oder kan sie mir den Schmerz einer Wunde wegnehmen? Nein: Die Ehre versteht sich also nicht auf die Chirurgie? Nein: Was ist dann die Ehre? Ein Wort: Was ist das Wort Ehre? Luft. Wer hat sie? Der arme Jak, der an einer Mittwoche starb. Fühlt er sie dann? Nein. Hört er sie? Nein. Sie fällt also nicht in die Sinnen? Nicht in die Sinnen eines Todten. Aber lebt sie etwann mit den Lebenden? Nein, das läßt ihr der Neid nicht zu. Ich verlange also nichts davon; die Ehre ist nichts mehr als ein gemahlter Wappenschilt an einem Sarge, und hier endet sich mein Catechismus.“

(Heinrich IV, Teil 1,V. Akt, II. Szene)

Und Sir John verlässt das Schlachtfeld so schnell wie seine fetten Beine ihn tragen. Diese Rede stellt eine scharfe Kritik an der veralteten Moral dar, die in Einklang mit der in Cervantes‘ Don Quijote steht. Diese Zeit war in Spanien ein brodelnder Kessel der sozialen Veränderung, in der die alten Klassen schneller zusammenschmolzen als die neuen sie ersetzen konnten. Der Zerfall des Feudalismus hatte zusammen mit der Entdeckung Amerikas eine verheerende Auswirkung auf die spanische Landwirtschaft. Anstatt mit einer produktiven Bauernschaft, die ihr Brot im Schweiße ihres Angesichts verdient, werden wir mit einer Armee von Bettlern und Parasiten, verarmten Aristokraten und Räubern, königlichen Bedienstete und Trunkenbolden konfrontiert, die alle danach streben, ihren Lebensunterhalt ohne Arbeit zu verdienen.

Die spanische Gesellschaft der damaligen Zeit bietet uns das gleiche reiche Mosaik an Schuften, Dieben und Betrügern, das wir auch in Shakespeares Theaterstücken wiederfinden. Die Philosophie dieser Schicht kann mit einem Wort zusammengefasst werden: „Überleben“. Das Leben ist ein verrückter Wettlauf, um sich die Mittel zum Leben mit allen möglichen Methoden zu sichern. Ihr Motto ist: „Jeder ist sich selbst der Nächste.” Die Philosophie des bürgerlichen Egoismus wird in den Worten von Sancho Panza, der wie Falstaff die Werte und die Moral der neuen Welt personifiziert, zusammengefasst, während Don Quijote sich an eine Welt klammert, die lange vorher aufgehört hat zu existieren. Der daraus resultierende Widerspruch zwischen dem was sein sollte und dem was ist, kann mit einem Wort ausgemacht werden: „Wahnsinn“. Genau in diesem Widerspruch und dessen offensichtlicher Absurdität liegt der Humor, der Cervantes‘ Meisterstück innewohnt.

Die derben Szenen des Kneipengesindels in Don Quijote geben dem Roman Leben und Farbe und beleuchten den Hauptwiderspruch des historischen Zeitalters. Die einfachen SpanierInnen sind lebendig und lebensfroh, während der Adel tot und irrwitzig ist. Das zentrale Thema in Don Quijote enthält eine grundlegende historische Wahrheit über Spanien zur Zeit der feudalen Dekadenz. Die Ideale von der Ritterlichkeit erscheinen jetzt als lächerliche und veraltete Macken im Kontext einer aufkommenden kapitalistischen Wirtschaft, in der alle sozialen Beziehungen, die Ethik und die Moral von kaltem, barem Geld bestimmt werden.

Shakespeares England befand sich, wie das Spanien von Cervantes, mitten in einer großen sozialen und wirtschaftlichen Revolution. Es handelte sich um eine turbulente und schmerzhafte Veränderung, welche eine große Anzahl Menschen in die Armut stürzte und eine große Klasse besitzloser lumpenproletarischer Elemente in den Städten schuf: Bettler, Diebe, Huren, Deserteure u. ä., die mit den Söhnen von Aristokraten und amtsenthobenen Priestern zusammenkamen, um eine endlose Reserve an Charakteren wie Sir John Falstaff zu kreieren.

Sir John Falstaff

Sir John Falstaff ist vermutlich der beliebteste von allen Shakespeare-Figuren. Er ist der typische „liebenswerte Schuft“, ein Trunkenbold, Lügner, Angeber und Dieb. Sein Hauptbetätigungsort ist Southwark, eine Londoner Gegend, die außerhalb der alten Stadtmauern, südlich der Themse, liegt. Hier waren Kriminelle und Prostituierte zu Hause. Und hierhin gingen die Menschen damals, um sich in den Kneipen, Bordellen und Theatern zu vergnügen. Hier ist auch der Standort von Shakespeares Globe Theatre, das jetzt wiederaufgebaut worden ist und weiterhin Shakespeares Theaterstücke zeigt.

Falstaffs Kumpane sind Verbrecher, Trunkenbolde, Diebe und Halsabschneider wie er selbst, aber auch der Prince of Wales, der spätere Heinrich V., der sich in den Stücken Heinrich IV. (Teil 1 und 2) mit Begeisterung an ihren unmoralischen und illegalen Eskapaden beteiligt. Unter seinen Spießgesellen im Boar’s Head Tavern befinden sich Pistol, ein alter Soldat, ein Schaumschläger, Feigling und Angeber sowie Poins und Bardolph, ein Dieb, dessen lange rote Nase und sein gerötetes und von Pickeln übersätes Gesicht darauf hinweisen, dass er sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Alkoholismus befindet.

Diese Lumpenproletarier sind ziemlich typische Beispiele für das Leben der untersten sozialen Schichten Londons, das Shakespeare scheinbar gut gekannt hat. Dieses soziale Strandgut ist das Produkt der Auflösung der alten feudalen Ordnung zu einem Zeitpunkt, an dem sich der Kapitalismus noch nicht etabliert hat. Es ist das getreue Spiegelbild der sozialen Zusammensetzung eines großen Teils der Londoner Bevölkerung zu Shakespeares Zeiten.

Sir John Falstaff selbst personifiziert, wenn auch oberflächlich verändert durch die Intelligenz und das Benehmen eines elisabethanischen Gentlemans, der in Not geraten ist, diese gesellschaftliche Schicht. Alles, was er sagt und tut, findet in einem großen Umfang statt, von Fresserei und Trinkerei bis zu den Lügen, die er zu einer Kunstform erhebt, indem er seine Schurkerei mit einer dicken Lage Übertreibung, verlogener Nacherzählungen der Ereignisse und die fantasievollsten und farbenfreudigsten Erfindungen verkleidet.

Wie alle großen Lügner zeigt Falstaff einen beträchtlichen Erfindungsgeist und bestreitet schamlos, dass er überhaupt lügt. „Heinz, - wenn ich dir eine Lüge sage, so spei‘ mir ins Gesicht, nenne mich ein Pferd!“ In einer seiner ungeheuerlichsten Lügen behauptet Falstaff, er habe den Rebellenführer Percy Hotspur auf dem Schlachtfeld, von dem er selbst geflohen ist, ermordet. Als Prinz Heinrich ihn damit konfrontiert, folgt der folgende komische Schlagabtausch.

PRINZ HEINRICH

Ei, den Percy brachte ich selbst um und sah dich tot.

FALSTAFF So, wirklich? – Ach, großer Gott, wie die Welt dem Lügen ergeben ist! – Ich gebe Euch zu, ich war am Boden und außer Atem; das war er auch; aber wir standen beide in einem Augenblicke auf und fochten eine gute Stunde nach der Glocke von Shrewsbury. Will man mir glauben, gut; wo nicht, so fällt die Sünde auf deren Haupt, die die Tapferkeit belohnen sollten. Ich sterbe darauf, daß ich ihm diese Schenkelwunde versetzt habe; lebte der Mann noch und wollte es leugnen, so sollte er ein Stück von meinem Degen aufessen.“

(Heinrich IV, Teil 1,V. Akt, IV. Szene)

Während Falstaff auf dem Schlachtfeld nicht in Höchstform ist, ist er in der Kneipenatmosphäre in seinem Element. Während die Anderen um die Ehre kämpfen, frisst und säuft er sich während des gesamten Theaterstücks Heinrich IV. durch. Der Prinz entdeckt Falstaff als dieser im Boar’s Head Tavern, wo er gewaltige Menge Sack (mit Alkohol angereicherter spanischer Rotwein) konsumiert hat und seinen Rausch ausschläft. Er prüft Falstaffs Rechnung, die wie folgt lautet:

POINS

»Item, ein Kapaun 2 Schilling 2 Pfennig

»Item, Brühe – – – 4 Pf.

»Item, Sekt*, zwei Maß 5 Sch. 8 Pf.

»Item, Sardellen und Sekt nach dem Abendessen 2 Sch. 6 Pf.

»Item, Brot – – – 1/2 Pf.

PRINZ HEINRICH

Oh, ungeheuer! Nur für einen halben Pfennig Brot zu dieser unbilligen Menge Sekt! 

(Heinrich IV., Teil I, II. Akt, IV. Szene) (Anmerkung: sack wird hier mit Sekt) übersetzt.

Zwei Maß Sack ( im Originaltext: gallons/Gallonen) sind ungefähr neun Liter! Falstaff ist im wahrsten Sinne des Wortes ein kräftiger Mann. Seine große körperliche Masse wird in der folgenden Passage wunderbar vermittelt:

Falstaff schwitzt sich tot

Und spickt die magre Erde, wo er geht;

(Heinrich IV., Teil I, II. Akt, 2. Szene)

Falstaff und der Prinz befinden sich in einem Wortduell und beleidigen sich gegenseitig. Ihre Beleidigungen erreichen ein hohes Maß an Kunstsinn, so z. B.an der Stelle, an welcher der Prinz Falstaff folgendermaßen beschreibt:

Warum verkehrst du mit dem Kasten voll wüster Einfälle, dem Beuteltrog der Bestialität, dem aufgedunsenen Ballen Wassersucht, dem ungeheuren Fasse Sekt, dem vollgestopften Kaldaunensack, dem gebratnen Krönungs-Ochsen mit dem Pudding im Bauche, dem ehrwürdigen Laster, der grauen Ruchlosigkeit, dem Vater Kuppler, der Eitelkeit bei Jahren?“

(Heinrich IV., Teil I, II. Akt, 4. Szene)

Obwohl diese Beleidigungen gerechtfertigt sind, so haben sie doch beim Publikum, besonders beim Pöbel, die Popularität dieses Charakters in keiner Weise geschmälert. Dieser geniale Schurke war dermaßen beliebt, dass es einen Aufschrei beim Publikum gab, als Shakespeare seinen Tod in Heinrich V. darstellte, so dass der Dichter ein neues Stück, die Komödie Die lustigen Weiber von Windsor, schreiben musste, um ihn wieder einzusetzen.

Die berühmten Siege Heinrich IV. mögen an die nobleren patriotischen Gefühle von Shakespeares Publikum appelliert haben, aber dieses fühlte sich eher beim Kneipenleben und dem liebenswerten Schurken Sir John Falstaff heimisch, der wie es selbst, lachte, trank, fluchte und den „leichten Mädchen“ hinterherlief sowie das Ableben des aristokratischen Alters der Ritterlichkeit begrüßte, indem er diesem sein riesiges Hinterteil zuwandte.

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