Kategorie: DIE LINKE

Sozialistische Politik statt kapitalistischer Sachzwänge

Wie stehen Marxisten zur Europawahl, zu einer möglichen neuen Linkspartei und zur Krise der PDS? Wir befragten Christoph Mürdter, Mitglied im Sprecherrat der PDS-Jugend Hessen und Redakteur unserer Zeitschrift "Der Funke". 


Bundesweit formiert sich eine neue Wahlalternative, die auch mit Kritik an der PDS-Praxis nicht spart. Weshalb machst du immer noch für die PDS Wahlkampf?

Die PDS ist für mich immer noch die Partei, in der ich sozialistische Alternativen diskutieren kann. Ich möchte antikapitalistische Positionen in der Partei verankern und diese auch glaubwürdig in die außerparlamentarische Arbeit hineintragen. Ich halte nichts davon, jetzt aus der PDS auszutreten, denn dann überlässt man dem "sozialdemokratischen" Flügel das Feld. Wir müssen weiterhin innerhalb der PDS für radikale Gesellschaftskritik kämpfen, auch wenn einem die derzeitige Entwicklung der Partei nicht passt. Aber auch konkret habe ich einen Bezugspunkt, weshalb ich PDS-Wahlkampf mache. Viele reden von einer Wahlalternative und der Notwendigkeit, Sprecher sozialer Bewegungen in die Parlamente zu wählen. Am 13. Juni bietet sich bei der Europawahl die Wahlalternative ganz konkret: wenn die PDS die 5 Prozent schafft, sind Tobias Pflüger und Sahra Wagenknecht im Europaparlament und linke Gewerkschafter, Friedensaktivisten und andere hätten hier endlich zwei Ansprechpartner. Bei aller berechtigten Kritik an der Regierungspraxis der PDS dürfen sich alle, die von "Wahlalternative" reden, nicht um diese konkrete Frage herummogeln.

Wäre es jenseits der Europawahl angesichts der Schwäche der PDS insbesondere im Westen und der Schwierigkeiten nicht besser, sich gleich in der neuen Wahlalternative aufzulösen?

Was ich bisher von der Wahlalternative und ASG gehört habe, ist vor allem der gemeinsame Nenner: Nein zu Schröders Politik. Programmatisch sehe ich da gegenüber der PDS bisher keinen Fortschritt. Ein verzweifelter Sozialdemokrat ist noch kein Revolutionär. So wie manche Wortführer der Wahlalternative/ASG heute reden, haben diejenigen, die heute für die PDS in Landesregierungen sitzen, vor 5 oder 10 Jahren auch geredet. Die Bewegung kommt keinen Millimeter weiter, wenn sich neben der SPD und PDS nun noch neue Partei formiert, die im Endeffekt nur eine "dritte Sozialdemokratie" wäre. Mit einer haben wir schon genug Ärger. Anders als manche Initiatoren der Wahlalternative bin ich der Überzeugung: wir brauchen eine linkssozialistische Partei mit klarer antikapitalistischer Programmatik. Immerhin haben sich mit Tobias Pflüger und Sahra Wagebnknecht zwei linke Kandidaten auf der Europaliste gegen den Willen der Parteiführung durchgesetzt. Dies zeigt doch, dass nach wie vor linke Ansätze in der PDS mehrheitsfähig sein können. Es besteht die Gefahr, dass bei der nächsten Bundestagswahl PDS und Wahlalternative gegeneinander konkurrieren und beide an der 5-Prozent-Hürde scheitern. Daher wäre wie schon 1990 eine bundesweite gemeinsame linke Liste unter Einschluss der PDS sinnvoll.

In Berlin haben es die PDS-Wahlkämpfer besonders schwer. Hier formiert sich eine Abwahlinitiative gegen den SPD-PDS-Senat. Wie stehst du als PDS-Aktivist dazu?

Wer eine wirklich starke Massenbewegung hinter sich hat und eine qualitativ bessere Regierung stellen kann, der kann natürlich - wie Lenin und die Bolschewiki im Oktober 1917 in Russland - zum Sturm auf das Winterpalais bzw. "Rote Rathaus" blasen. Ich bezweifle aber, ob die Initiatoren die "Volksmassen" hinter sich haben und ob etwa die Berliner Polizeigewerkschaft über ihre Wut gegen Kürzungen hinaus sich hier und heute einer revolutionären Massenbewegung anschließen würde. Wem soll damit gedient sein, wenn sich auch noch CDU, FDP und Grüne für eine Abwahl des Senats engagieren und dies sogar erreichen würden?

Was wäre dann deine Alternative?

Wer Köpfe absetzen will, muss ihnen die politische Basis entziehen. In Berlin würden wenige tausend Linke, kritische Jugendliche und Gewerkschafter ausreichen, um etwa in die PDS (r)einzutreten, in organisierter Form eine andere Programmatik durchzusetzen und der unsozialen Senatspolitik den Boden zu entziehen. Dies könnte dann durchaus auch auf die Basis von SPD und Gewerkschaften ausstrahlen.
Die Politik der PDS muss sich klar von einer neoliberalen abgrenzen. Sozialistische Kommunalpolitik muss sich mit den Nöten und Bedürfnissen der arbeitenden Bevölkerung, der Jugend, der Erwerbslosen und der Armen auseinandersetzen. Das Handeln muss darauf ausgerichtet sein, deren Probleme zu lösen. Die PDS wurde nicht gewählt, um vermeintliche Sachzwänge zu akzeptieren.
Warum steckt Berlin wie andere Städte in der Verschuldungsfalle? Was steckt hinter der ganzen Staatsverschuldung und wer profitiert davon? Eine Aufgabe der PDS in Berlin müsste eine Aufklärungskampagne sein, in der dargestellt wird, warum die Städte finanziell ausbluten.

Aber sind dem nicht Grenzen gesetzt? Die PDS hat in Berlin eine schwere Hypothek übernommen. Hohe Erwerbslosigkeit, niedrige Steuereinnahmen, hohes Subventionsaufkommen in Ost und West sowie Korruption und Filz.

Berlin hat einen Schuldenberg von 50 Milliarden Euro aufgehäuft. Die Stadt befindet sich in der klassischen Schuldenfalle. Davon profitieren die Banken, die sich die Zinsen einverleiben. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Die Bundespolitik führt seit Jahren zu einer relativen Verarmung der Städte und Kommunen. Durch die Steuerrform verliert Berlin im Landeshaushalt rund 500 Millionen Euro jährlich. Würde die Vermögenssteuer wieder eingeführt werden, dann hätte die Stadt rund 400 Millionen mehr zur Verfügung. Nun will die Berliner PDS sparen, um jährlich 2,5 Milliarden Euro weniger auszugeben. Ziel ist es, 35 Milliarden Euro Schulden loszuwerden. Das ist der Ausgangspunkt für die politische Strategie der Berliner PDS. Aber hier ist man schon Gefangener der kapitalistischen Sachzwänge, aus denen man sich nicht mehr befreien kann, wenn man keine klare Strategie besitzt. In den PDS-Broschüren steht viel über Umverteilung, über eine gerechte Steuerpolitik und über Armut und Reichtum in Deutschland. Es gibt genug Geld, es ist nur falsch verteilt. Das müsste auch in der Berliner PDS-Spitze angekommen sein. Nur sagt Stefan Liebich (Landes- und Fraktionsvorsitzender der PDS in Berlin) "Stimmt! Leider hilft beides mit Blick auf den Landeshaushalt wenig. Beide `Stellschrauben, wie es finanzdeutsch heißt - Einnahmen und Umsteuern - entziehen sich weit gehend dem Zugriff der Landespolitik, sie werden vor allem auf Bundesebene gedreht" (DISPUT, 10/03, S. 3). Die Konsequenz daraus ist die Verwaltung des Mangels und nicht das Beheben des Problems, das in der Logik des Wirtschaftssystems besteht. Aber wenn man nur mathematische Zahlen eines Haushaltes vor sich hat, gerät man sehr schnell in die Fänge der betriebswirtschaftlichen Rentabilität. Wie kann ich den Schuldenberg abbauen und neue Gelder für die Stadtkasse beziehen? Dann wird z.B. beim Sozialticket gespart, der Berliner Stromversorger Bewag an den schwedischen Konzern Vattenfall verscherbelt und die Berliner Wasserwerke teilprivatisiert. Im März 2003 kündigte der SPD/PDS-Senat während noch laufender Tarifverhandlungen die Mitgliedschaft im Verband öffentlicher Arbeitgeber und präsentierte sich als Vorreiter für eine bundesweite tarifpolitische Destabilisierung. Die Liste ließe sich fortsetzen. Die PDS wird in der öffentlichen Wahrnehmung als Mitverantwortliche des Sozialabbaus angesehen, weil sie nicht vehement gegen die Sparpolitik protestiert.

Aber was wäre in Berlin konkret zu machen?

Eine sozialistische Partei, wenn sie Regierungsverantwortung übernimmt, muss sich den von oben verordneten "Sachzwängen" widersetzen. PDS-Senatoren und alle kommunalen Mandatsträger müssen sich weigern, die Sparpolitik umzusetzen. Die PDS muss sich in Berlin und anderswo weigern, auch nur eine "Sparmaßnahme" umzusetzen. Denn für die leeren Kassen ist die Umverteilungspolitik der "rot-grünen" Bundesregierung verantwortlich. Solange SPD/GRÜNE weiterhin die Unternehmen durch eine fatale Steuerpolitik entlasten, fehlen Gelder für die Stadt. Dies unmissverständlich in der Bevölkerung deutlich zu machen, ist Aufgabe der PDS. Nach dem Motto: Der Bund hat uns Mittel entzogen, die wollen wir wieder. Und für dieses Geld sanieren wir die Schulen, führen das Sozialticket wieder ein, schaffen kostenlose Kita-Plätze usw. Diese Vorgehensweise bedarf aber einer außerparlamentarischen Mobilisierung, d.h. vor allem bei den Gewerkschaften vor Ort und andere in gesellschaftlichen Gruppen wie Erwerbslosen und der Jugend. Die Partei muss die Bevölkerung zum Widerstand aufrufen und diesen auch organisieren. Ein Ausscheren aus dem neoliberalen Einheitsbrei und ein möglicher Rauswurf bzw. Austritt aus der Regierung würde der PDS viele Sympathien bringen. Um aber diesen Kurswechsel in der PDS zu erreichen, braucht man Leute, die sich dafür einsetzen.

Das klingt ziemlich abstrakt. Hat ein solches Vorgehen überhaupt schon einmal funktioniert?

Ich nenne ein Beispiel aus England: Als es im Liverpooler Stadtverband der Labour Party Anfang der 1980er eine solide marxistische Mehrheit gab und die Partei die absolute Mehrheit im Rathaus gewann, stellte sich die Frage: Was für eine Kommunalpolitik betreiben wir heute. Sie weigerten sich, die von oben verordnete "Sachzwänge" umzusetzen und der Arbeiterklasse weiter in die Tasche zu greifen und unsoziale Kürzungen vor Ort durchzuführen. In letzter Konsequenz bedeutete diese Strategie das Eingehen von hohem persönlichen Risiko (Bestrafung, Konfiszierung von Immobilieneigentum/Reihenhäuschen, Funktionsverbot für öffentliche Ämter u.a.). Es gibt auch in Deutschland eine Institution wie den Rechnungsprüfer beim Regierungspräsidium, der den Kommunen auf die Finger schaut und in die kommunale Selbstverwaltung eingreifen kann, wenn der Haushalt nicht im Rahmen der Gesetze aufgestellt wird. Dennoch waren die örtlichen Labour-Aktivisten in der Lage, die Gewerkschaften vor Ort und andere gesellschaftliche Gruppen (Jugend - viele arbeitslose Jugendliche - bis hin zur Kirche) zu mobilisieren. Mit einfachen Parolen und nachvollziehbaren Zahlen konnte man großen Einfluss in der Bevölkerung aufbauen.
Der Druck der Bevölkerung war so groß, dass man Zugeständnisse von der "Eisernen Lady" Margaret Thatcher herausholen konnte. Dies schlug sich konkret nieder in Jobs, Wohnungen, KiTas, dem Verzicht auf Gebührenerhöhungen etc. Reformen sind letztendlich Nebenprodukt eines Kampfes mit revolutionären Mitteln. Die Genossen in Liverpool waren sich aber auch der Grenzen dieses Kampfes bewusst. Es gib keinen "Sozialismus in einer Stadt". Eine Verallgemeinerung scheiterte an der Sabotage der Labour-Führer (Kinnock und die Gewerkschaftsbürokratie), die sich öffentlich distanzierten und PO-Verfahren gegen führende Genossen einleiteten. Aber eines hat dieser Kampf in Liverpool gezeigt: Es geht auch anders. Es gibt keine Ausrede ("Man kann eh nichts tun ...") und daher haben sie es getan. Dies hat das Selbstbewusstsein der arbeitenden Bevölkerung gesteigert. Dieser im Endeffekt nach zwei Jahren verlorene Kampf gegen Thatcher war aber ein gewonnener Kampf um Ansehen und Vertrauen. Die arbeitende Bevölkerung hat Erfahrungen gesammelt und konkrete Solidarität geübt. Labour hat in den 1980er Jahren mit dieser Politik in Liverpool überdurchschnittlich gute Wahlergebnisse erzielt - hochgerechnet auf das ganze Land hätte dieser Trend ausgereicht, um Thatcher schon 1987 abzuwählen.

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