Kategorie: Deutschland

Die beschlossene „Gesundheitsreform“ führt weg vom Solidarprinzip und hin zur Privatisierung

Interview mit Hannes Breitner, Vorsitzender der Fachgruppe Gesetzliche Krankenversicherung im Fachbereich Sozialversicherung beim verdi-Bezirk Mittelfranken und Mitglied der SPD Nürnberg.



Wie kommentierst Du den aktuellen Bundestagesbeschluss zur „Gesundheitsreform“?


Ich bin stinksauer auf unsere örtlichen SPD-Bundestagsabgeordneten, weil diese Anfang Februar im Bundestag für die Gesundheitsereform gestimmt haben, obwohl die Nürnberger SPD einen klaren Beschluss gefasst hat, der zentrale Eckpunkte dieser „Reform“ kritisiert. Andere gewerkschaftlich engagierte Abgeordnete oder Gesundheitsexperten haben immerhin dagegen gestimmt und dies in einer persönlichen Erklärung begründet. Es ist eine bittere Enttäuschung, dass ausgerechnet die SPD-Abgeordneten, die von Fraktionschef Struck unter starken Druck gesetzt werden und ihnen Konsequenzen angedroht werden.
Was da beschlossen wurde, sieht vielleicht auf den ersten Blick harmlos aus. Jeder Teil der „Reform“ für sich gesehen scheint noch keine Gefahr für das Solidarprinzip darzustellen. In der Verkettung dieser Punkte allerdings liegt eine Gefahr für das Solidarprinzip, nachdem jeder Mensch unabhängig vom Einkommen den gleichen Anspruch auf die notweodnige medizinische Versorgung hat und der Mensch mit höherem Einkommen mehr in die Sozialversicherung einzahlt als derjenigen mit geringem Einkommen. Wenn man sich künftig in seiner Krankenversicherung bestimmte Wahlleistungen aussuchen kann und unter Umständen bei regelmäßiger Vorsorge oder Nichtanspruchnahme eine Beitragsrückzahlung bekommt, dann wird das Solidarprinzip verletzt.

Was ist der Hauptkritikpunkt am so genannten Gesundheitsfond?

Der Staat bestimmt die Beitragshöhe und teilt die Gelder den Kassen pro Kopf zu. Dies bewirkt, dass große Ersatzkassen oder die AOK, in denen die Massen der Normal- und Kleinverdiener drin ist, von ihren Versicherten eine Zusatzprämie erheben nehmen müssen, weil die Mittel aus dem Fond mit Sicherheit zu gering bemessen sein werden. Junge und noch gesunde Menschen suchen sich dann eine Kasse, in der sie keinen Zusatzbeitrag zahlen müssen

… und untergraben somit die Basis der AOK und anderen großen Kassen.

Speziell die großen Kassen mit ihren vielen alten und kranken Mitgliedern kommen so unter massiven Druck, vorhandene knappe Budgets restriktiv einzusetzen und im Rahmen des gesetzlichen Ermessensspielraums das Leistungsniveau zu senken. Das bedeutet eine schlechtere Versorgung der Kranken. Krankenhäuser müssen zwangsläufig bei Kassenpatienten einsparen. Wenn die Fallpauschale für das Krankenhaus gesenkt wird, müssen die Patienten nach einer Operation unter Umständen noch früher nach Hause und werden Nachsorge oder die Betreuung chronisch Kranker heruntergefahren. Und die Kasse könnte dann dazu übergehen, bestimmte teure Medikamente einfach nicht mehr zu bezahlen. Kurzum: Leistungskürzungen auf breiter Front, um einen Zusatzbeitrag zu vermeiden.
Kassenpatienten könnten zunehmend dazu getrieben werden, eine private Zusatzversicherung etwa für ein volles Leistungspaket beim Krankenhausaufenthalt abzuschließen. Wer das nötige Geld nicht aufbringt, hat Pech gehabt. So kommen wir von der bestehenden Zweiklassenmedizin – Privatpatienten und Kassenpatienten – zur Dreiklassenmedizin.
Zunehmend wird die gesetzliche Einheitskasse nur eine Minimalversorgung abdecken und wie etwa eine Auto-Haftpflichtversicherung im Gegenzug für billigere Tarife den Versicherten Selbstbehalttarife anbieten. Wer Vollkasko will, muss viel mehr drauflegen. Wir werden also immer mehr gezwungen, alles „Zusätzliche“ privat zu versichern. Die Zusatzbeitrage werden natürlich nicht von der Arbeitgeberseite aufgebracht, so dass die frühere paritätische Finanzierung immer mehr zu Lasten der abhängig Beschäftigten untergraben wird. Dahinter steckt das Interesse der Unternehmer an einer Senkung der „Lohnnebenkosten“ und das Interesse der Versicherungskonzerne an neuen Einnahmequellen. Das ist schleichende Privatisierung.

Anscheinend ist niemand so richtig mit dieser „Reform“ zufrieden. Denn es gab im Bundestag ja auch Gegenstimmen in der CDU/CSU von rechts.

Natürlich gibt es in der CDU/CSU auch ausgemachte Lobbyisten der Versicherungswirtschaft wie Friedrich Merz, denen die Privatisierung nicht schnell und weit genug geht. Uns geht es hier um die 90 Prozent der Bevölkerung, die abhängig Beschäftigte sind und langfristig wie auch schon kurzfristig in der gesundheitlichen Versorgung erhebliche Nachteile erleiden werden.

Wie könnte eine Alternative aussehen?

Wir als ver.di setzen uns für eine Bürgerversicherung für alle ein. Die derzeitig bestehende Beitragsbemessungsgrenze, ab der Besserverdienende von der GKV in die PKV überwechseln können, muss letztlich ganz abgeschafft werden, denn die Beiträge von Millionen gut verdienender Angestellter fehlen uns in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Jede Einkommensart – auch Dividenden, Zinsen, Mieteinnahmen etc. – muss zur Sozialversicherung herangezogen werden, um so die Einnahmeseite der GKV zu verbessern. Denn nicht die angebliche „Kostenexplosion“, sondern Massenarbeitslosigkeit, Lohndrückerei und Reallohnverlust bereiten der GKV, sondern riesige Einnahmeverluste. Die meisten Selbständigen zahlen nichts in die Sozialversicherung ein. So findet eine Umverteilung von der Arbeiterklasse zum Kapital statt. Die private Krankenversicherung (PKV) muss schrittweise in die GKV als Vollversicherung überführt werden. Es muss eine Versicherungspflicht für alle Bürger nach dem Solidarprinzip geben.



Aus einem aktuellen Beschluss der SPD Nürnberg:

Tür zur 3-Klassen-Medizin geöffnet

Wahlleistungstarife bedeuten eine Weichenstellung in ein anderes Krankenversicherungssystem, weg von der solidarischen Finanzierung hin zur Privatisierung der Krankheitskosten. Das ist ein Fremdkörper in einer solidarischen Krankenversicherung. Nur Junge und Gesunde werden Wahlleistungstarife wählen können! Mit der vorgesehenen Neuregelung der Kostenerstattung, anstatt des bewährten Sachleistungssystems, besteht die Gefahr, dass das Wartezimmer zum Honorarverhandlungszimmer wird.
Wird der vorliegende Entwurf Gesetz, wird die Tür von der heute schon existierenden, wenn auch geleugneten 2-Klassen-Medizin, zur 3-Klassen-Medizin geöffnet. Die gesetzliche Krankenversicherung wird unsolidarischer und teurer. In Anbetracht der Wahlversprechen, mit denen wir 2005 in den Wahlkampf gezogen sind, und unserer Grundwerten von Gerechtigkeit und Solidarität können wir den derzeitigen Reformvorschlägen nicht zustimmen.
Wir fordern deshalb unsere Bundestagsabgeordneten und die gesamte Bundestagsfraktion auf, dem Gesetzesentwurf im Bundestag die Zustimmung zu verweigern. Eine solidarische Bürgerversicherung, in die alle nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit einbezahlen, bleibt unser erklärtes Ziel.

So am 25.1.2007 mit breiter Mehrheit beschlossen

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