Kategorie: Geschichte

Die sandinistische Revolution - Nicaragua, Juli 1979

Am 19. Juli 1979 zogen die Guerrilleros der FSLN (Frente Sandinista de Liberación Nacional/ Sandinistische Befreigungsfront) siegreich in die nicaraguanische Hauptstadt Managua ein. Zwei Tage davor, am 17. Juli, hatte der Diktator Anastasio Somoza Debayle mit der Staatskasse und dem Inhalt der Familiengruft das Land Richtung Miami verlassen.




Als 1961, angeregt vom Beispiel der kubanischen Revolution, eine Gruppe Studenten die FSLN gründeten, um die Diktatur Anastasio Somozas zu bekämpfen, schienen die Aussichten auf Erfolg eher gering. Die wirtschaftliche Modernisierung der Region in den 1950er und 1960er Jahren verschärfte jedoch kapitalistische und vorkapitalistische Ausbeutungsverhältnisse. Die Industrialisierung konzentrierte sich im wesentlichen auf die Pazifikregion, schuf nur wenige Arbeitsplätze und kam in erster Linie der Familie Somoza zugute.

Modernisierung und Polarisierung

Der Anbau von Baumwolle und Zuckerrohr führte zu neuerlicher Landkonzentration und verschärfter Ausbeutung der LandarbeiterInnen. In den traditionellen Kaffeeanbaugebieten verelendeten die Kleinbauern. Das verstärkte die Landflucht, und gegen Ende der 1970er Jahre lebte bereits die Hälfte der Bevölkerung in den Städten, vor allem in Managua. Die neu entstandenen "Barrios" (Stadteile ohne Infrastruktur) wurden zum Zentrum des Widerstandes gegen die Nationalgarde Somozas.

Zu Beginn des Jahres 1978 war die FSLN noch eine äußerst kleine Organisation mit vielleicht 1.000 Mitgliedern. Der spontane Massenaufstand nach der Ermordung des bürgerlichen Opposionspolitikers Pedro Joaquín Chamorro stärkte die SandinistInnen. Innerhalb eines Jahres wuchs die FSLN auf 3.000 Mitglieder an, ohne die unzähligen SympathisantInnen dazuzurechnen, die die KämpferInnen der FSLN unterstützten oder auf eigene Faust die Nationalgarde bekämpften, bis sie schließlich im Sommer 1979 die Diktatur zu Fall brachten.

Nicaragua libre

Das nicaraguanische Bürgertum setzte auch nach dem Sturz Somozas auf das Aufrechterhalten seiner Machtposition, was durch die ideologische Schwammigkeit und die soziale Zusammensetzung der FSLN (ein Teil der führenden Kader waren radikalisierte Söhne und Töchter der führenden konservativen Familien) begünstigt wurde.
Auf der anderen Seite waren im Zuge des Aufstandes von 1978 neue Organisationsformen der unterdrückten Klassen entstanden. Fabrik- und Landarbeiter übernahmen stillgelegte Unternehmen und verlassene Haciendas, in den Barrios wurden von den BewohnerInnen spontan Komitees gebildet, die mit den Guerrillatruppen Sicherheits- und Versorgungsfunktionen übernahmen. In diesem Konflikt zwischen widersprüchlichen Klasseninteressen nahm die FSLN eine Schiedsrichterposition ein, ermöglicht durch die im Kampf gegen Somoza errungenen politischen Autorität und dank ihrer Waffen. Daher konnte sie auch relativ schnell die Kontrolle über die neuen staatlichen Institutionen - v.a. Heer und Polizei, die aus den Guerrillatruppen geschaffen wurden - und über die Massenorganisationen ausbauen, die in der revolutionären Situation entstanden waren.

Landreform und soziale Rechte, Durchsetzung der demokratischen Rechte (Meinungsfreiheit, Organisationsfreiheit...), nationale Unabhängigkeit (v.a. gegenüber den USA) und die Konsolidierung des Nationalstaates durch Integration der Atlantikküste waren die dringendesten Aufgaben, die sich der nicaraguanischen Revolution stellten. Um diese Probleme zu lösen, entwarf die sandinistische Regierung ein Programm, das die politischen Ziele einer gemischten Wirtschaft mit starkem Staatsanteil, politischem Pluralismus mit Vormachtstellung der FSLN und einer unabhängigen Außenpolitik beinhaltete.
Statt durch Enteignungen in die Produktion einzugreifen, wollte der sandinistische Staat mit Verteilungsmechanismen im Konsumbereich und sozialpolitischen Maßnahmen eine Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums erreichen - was für die Unternehmer und die USA allerdings schon zu weitreichend war.

Trotzdem konnten vor allem in den ersten Jahren der Revolution erstaunliche Erfolge, vor allem im Gesundheits- und Erziehungsbereich, verzeichnet werden: Mit Hilfe einer massiven Alphabetisierungskampagne wurde die Analphabetenrate der über 15-jährigen von 72% auf 12% gesenkt. Diese Erfolge waren möglich, weil die FSLN mit den Massenorganisationen und dem Staatsapparat zu einem "Mobilisierungsministerium" für die unzähligen Kampagnen umfunktioniert wurde.

Revolution...

Das nicaraguanische Bürgertum distanzierte sich relativ schnell von der sandinistischen Regierung und begann die sandinistische Wirtschaftspolitik mit Kapitalflucht und Fabrikstilllegungen zu sabotieren. Ungefähr ab 1982 begann auch die US-Regierung unter Ronald Reagan ihre Maßnahmen gegen Nicaragua. Die Wirtschafsblockade und der "Krieg niedriger Intensität" - Militärhilfe für die paramilitärischen Contras, verdeckte CIA-Operationen wie die Verminung der wichtigsten nicaraguanischen Häfen sowie Finanzierung und Unterstützung der "zivilen" Opposition - waren darauf ausgerichtet, der FSLN über kurz oder lang die Unterstützung der Bevölkerung zu entziehen und damit die Regierung zu Fall zu bringen.
Obwohl die Contras militärisch bald unter Kontrolle gebracht werden konnten, terrorisierten sie doch während der gesamten 1980er Jahre die nicaraguanische Landbevölkerung im Norden und an der Atlantikküste. Die Wirtschaft kam praktisch zum Erliegen und die Militärausgaben dominierten den Staatshaushalt, was zu einer entscheidenden Reduzierung der Sozialausgaben führte. Anfang 1989 betrug die Inflation 100% im Monat, und die Versorgungslage der Bevölkerung wurde immer katastrophaler. Um die Inflation in den Griff zu bekommen, führten die SandinistInnen eine Reihe von rigiden Sparmassnahmen durch (Einfrieren von Löhnen und Streichung von Subventionen), die auf Kosten der ArbeiterInnen und Staatsangestellten gingen.

Auf der anderen Seite wurde den sogenannten "patriotischen Produzenten" (als "productores patrióticos" wurden Unternehmer bezeichnet, die mit der FSLN sympathisierten und das Land nicht verlassen hatten) Vergünstigungen gewährt, wie etwa der bevorzugte Zugang zu Krediten und Ersatzteilen. Das Streikrecht war aufgrund des Krieges eingeschränkt worden und die sandinistischen GewerkschafterInnen hatten die Aufgabe, die ArbeiterInnen zu kontrollieren und von Arbeitsniederlegungen abzubringen.

...und Konterrevolution

Während die "patriotischen Unternehmer" ihre wehrpflichtfähigen Söhne ins Ausland zum Studieren schickten oder ihnen einen Schreibposten im sandinistischen Militär besorgen konnten, wurden Tausende Jugendliche aus Arbeiter- und Bauernfamilien, die dem Militärdienst an der Grenze nicht entkommen konnten, ermordet oder zu Invaliden. Die so ungleich verteilten Folgen von Krieg und Wirtschaftskrise verminderten die Unterstützung der Bevölkerung für die FSLN und führten schließlich auch zur Wahlniederlage im Februar 1990. Mit der Regierung von Violeta Barrios de Charmorro begann die Zerstörung des sandinistischen Staatsmodells. Zwar konnten die SandinistInnen einige politische Enklaven halten, wie die Kontrolle über das Heer und die Präsenz im Parlament und in den Gemeinden, doch die wesentlichen sozialen Errungenschaften wurden zurückgenommen.

Warum scheiterte das sandinistische Projekt? Mit der Unterstützung für die Contras hatte die USA der sandinistischen Regierung ein politisches, vom Krieg bestimmtes, Umfeld aufgezwungen. Die Beendigung des Krieges wurde zum Hauptziel der Außen- und Innenpolitik der FSLN, dem alle anderen Ziele untergeordnet waren. Anstatt also die Arbeiterkontrolle auszuweiten, wurde der Konflikt mit der Bourgeoisie zugunsten einer prekären Burgfriedenspolitik aufgeschoben. Und die Strategie der regionalen Ausweitung der Revolution (v.a. auf El Salvador) wurde aufgegeben, um die nationale Machtposition zu konsolidieren. Es gehört zu den größten strategischen Fehlern der SandinistInnen, geglaubt zu haben, man könnte die Transformation der Gesellschaft einfach auf später verschieben, anstatt einzusehen, dass die Vertiefung und Ausweitung der Revolution auch im Krieg notwendig gewesen wäre. Durch diese Fehleinschätzung wurde nicht nur eine Wahl verloren, sondern auch die Revolution.

Erstveröffentlichung 13.7.2004

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