Kategorie: Geschichte

1918-2018: Das Scheitern der Revolution als Wendepunkt und die kommende Revolution

Das Jahr 1918 markiert eine Zeitenwende. Der Verlauf des restlichen 20. Jahrhunderts sollte entscheidend vom Ausgang der Novemberrevolution geprägt sein. Die revolutionäre Situation, die sich 1918 in Deutschland auftat und potentiell bis 1923 bestand, stellte die Menschheit konkret vor die Frage: Sozialismus oder Barbarei?


Vorausgegangen war der Novemberrevolution und dem 1. Weltkrieg eine lange Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs, der Mitte der 1890er begann und das deutsche Kaiserreich zu einem der wirtschaftlich stärksten Industrienationen der Erde machte. Die Industrialisierung, die sich seit 1871 mit großer Kraft Bahn brach, schuf nicht nur immer größeren Reichtum und eine stärkere Konzentration des Kapitals in den Händen der Kapitalistenklasse, sondern auch ein immer größer werdendes Proletariat. Die noch junge Sozialdemokratie wuchs in bemerkenswerter Geschwindigkeit und die Arbeiterbewegung errang Sozialreformen, die den Lebensstandard des deutschen Proletariats spürbar anhoben. Der wirtschaftliche Aufschwung bot der Kapitalistenklasse einen gewissen Spielraum, um Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zu machen.

Diese vergleichsweise lange Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs führte dazu, dass sich ein Flügel in der SPD bildete, der die Auffassung annahm, der Kapitalismus habe seine Krisen überwunden. Daher mache es auch keinen Sinn mehr für eine Revolution zu agitieren, viel effizienter sei es, für soziale Reformen und Zugeständnisse der Kapitalisten zu kämpfen. Vor allem Bürokraten und Karrieristen, die es in und durch die Arbeiterbewegung zu etwas gebracht hatten, wollten nicht mit dem Kapitalismus brechen. Sie hatten sich auf ihren Posten gut eingerichtet und ihre Kompromisse und Absprachen mit der herrschenden Klasse getroffen.

Kriegsausbruch 1914

Rosa Luxemburg war von Anfang an erbitterte Gegnerin dieser Tendenzen. Sie ließ sich nicht oberflächlich von den Jahrzehnten des Aufschwungs beirren und war sich als Marxistin bewusst, dass der Kapitalismus immer wieder, auf kurz oder lang, in organischen Überproduktionskrisen mündet, die mit einem Angriff auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse einhergehen. In ihrer Broschüre „Sozialreform oder Revolution?“, die Der Funke demnächst neu veröffentlichen wird, widerlegte sie mit Fakten, Zahlen und Argumenten den Revisionismus Eduard Bernsteins.

Und die Geschichte bewies die Korrektheit der Luxemburg‘schen Analyse. In den Jahren vor dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 endete der Wirtschaftsaufschwung. Die Überproduktionskrise griff um sich, ließ das Wirtschaftswachstum stagnieren, verkleinerte den Spielraum für soziale Reformen massiv und spitzte den Wettbewerb unter den imperialistischen Mächten gefährlich zu. Während Rosa Luxemburg mit ihrer revolutionären Perspektive recht behielt und dazu aufforderte, den Krieg durch die proletarische Revolution in den Ländern Europas zu verhindern, zog der reformistische Flügel der SPD die logische Konsequenz aus seiner vorherigen Politik und schlug sich mit der Zustimmung zu den Kriegskrediten vollends auf die Seite des deutschen Großkapitals.

Der Krieg spitzte die kapitalistische Krise in allen Ländern noch weiter zu und die Masse der Arbeiterklasse begann mehr und mehr sich zu radikalisieren. Streikbewegungen erschütterten Europa. Einer dieser Streiks, der Streik der Petrograder Textilarbeiterinnen im März 1917, wurde der Funke der ersten sozialistischen Revolution. Die russische Revolution, vom Sturz des Zaren im März über die Niederschlagung des Kornilow-Putsches bis hin zum Sturz der Übergangsregierung und der Machtübernahme der Arbeiter-, Bauern-, und Soldatenräte im Oktober 1917, war der Paukenschlag, der die Arbeiterklasse in ganz Europa wachrüttelte. Die Oktoberrevolution und die Politik der bolschewistischen Partei unter Lenin und Trotzki machte großen Eindruck auf die Arbeitermassen der anderen europäischen Länder. Brot und Frieden! Diese Losung war nicht nur in Russland die brennendste der Forderungen der unterdrückten Massen, sondern auch im Rest Europas. Und das russische Proletariat hatte gezeigt, dass die Ziele zu erreichen waren, wenn die Arbeiterklasse die Macht in ihre eigenen Hände nimmt!

In der Folge der Hungersnot und angesichts der Revolution in Russland kam es in ganz Europa zu großen Bewegungen der Arbeiterklasse. Der „Jännerstreik“ Anfang 1918 in Österreich erschütterte die K.u.K.-Monarchie und breitete sich auch auf das Deutsche Reich aus. Die revolutionäre Sowjetregierung in Russland richtete sich direkt an die Arbeiterklasse der anderen Länder und forderte sie auf den Krieg zu beenden. So heißt es im Dekret über den Frieden:

„Die Provisorische Arbeiter- und Bauernregierung Russlands, die dieses Friedensangebot an die Regierungen und an die Völker aller kriegführenden Länder richtet, wendet sich gleichzeitig insbesondere an die klassenbewussten Arbeiter der drei fortgeschrittensten Nationen der Menschheit und der größten am gegenwärtigen Kriege beteiligten Staaten: Englands, Frankreichs und Deutschlands. Die Arbeiter dieser Länder haben der Sache des Fortschritts und des Sozialismus die größten Dienste erwiesen (...) Alle diese Vorbilder proletarischen Heldentums und geschichtlicher Schöpferkraft sind für uns eine Bürgschaft, dass die Arbeiter der genannten Länder die ihnen jetzt gestellte Aufgabe der Befreiung der Menschheit von den Schrecken des Krieges und seinen Folgen begreifen werden; diese Arbeiter werden uns durch ihre allseitige, entschiedene, grenzenlos energische Tätigkeit helfen, die Sache des Friedens und zugleich damit die Sache der Befreiung der werktätigen und ausgebeuteten Volksmassen von jeder Sklaverei und jeder Ausbeutung erfolgreich zu Ende zu führen.“

Als dann im November 1918, die deutsche Marine ein letztes Mal zu einem aussichtslosen Gefecht ausrücken sollte, meuterten die Matrosen und bildeten Arbeiterräte. Der Funke der Revolution breitete sich schnell über das ganze deutsche Reich aus. In vielen großen und kleinen Städten bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, etwa in Kiel, Bremen, Berlin, München u.v.a. In wichtigen Gebieten hatte das Proletariat die politische Macht in seinen Händen und doch werden all diese revolutionären Räte bloß ein halbes Jahr später von der Reichswehr und den faschistischen Freikorps niedergeschlagen. Wie war das möglich?

Der subjektive Faktor

Schon in den Jahren und Jahrzehnten vor der Revolution bildete sich in der SPD ein linker Flügel von Parteimitgliedern, die sich dem Reformismus Bernsteins, Kautskys und Eberts entgegenstellten. Zum einen waren dies Persönlichkeiten wie Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und Karl Liebknecht, die sich zum revolutionären Marxismus bekannten. Aber auch der niederländische Anarchist Anton Pannekok und die Bremer Linksradikalen. Diese revolutionären Kräfte in der SPD blieben jedoch unorganisiert und verzettelt. Sie bildeten keine eigene, gut organisierte und disziplinierte Strömung in der Sozialdemokratie.

Als ein Teil der russischen Sozialdemokratie Anfang des 20. Jahrhunderts mehr und mehr zum Reformismus degenerierte, zog Lenin die Schlussfolgerung, dass es notwendig war, eine straff organisierte, klar revolutionäre Strömung aufzubauen, die theoretisch fest auf dem Boden des Marxismus stand. Nur eine disziplinierte, revolutionäre Partei konnte in einer revolutionären Situation den Kampf mit den reformistischen Führern aufnehmen und eine revolutionäre Führung stellen, um die Arbeiterklasse zum Sieg zu führen.

Rosa Luxemburg hingegen zog aus dem Bürokratismus und der fortschreitenden reformistischen Degeneration der SPD die Schlussfolgerung, dass eine zentralisierte Organisation automatisch zu bürokratischer Degeneration führen musste. Sie stellte den versteinerten Parteibürokraten die „Spontanität der Massen“ entgegen.

In der Folge fehlte in Deutschland 1918, was in Russland 1917 ausschlaggebender Faktor zum Sieg des Proletariats war: eine bolschewistische Partei. Als am 9. November die Revolution ausbrach und immer größere Teile der Soldaten und Arbeiter radikalisierte, stand keine revolutionäre Partei bereit, die mutig die nächsten Schritte der Revolution aufzeigen konnte.

Auch die USPD war nicht in der Lage, eine revolutionäre Rolle zu spielen. In der USPD fanden sich alle möglichen SPD Mitglieder zusammen, die gegen den Krieg waren, inklusive Eduard Bernstein. Sie hatte keine klare und erst recht keine revolutionäre Haltung zur revolutionären Bewegung der Massen.

Die KPD gründete sich an Silvester 1918/19. In ihr fanden sich alle zusammen, die sich im weitesten Sinne als revolutionär betrachteten. Von dem von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gegründeten Spartakusbund über die Bremer Linksradikalen bis hin zu ultra-linken, dem Anarchismus nahestehenden Kräften. Von ihrer Gründung an fehlte es der KPD an politischer Klarheit und einer ausführlichen, inhaltlichen Diskussion über wichtige politische und taktische Fragen. Was mit der Gründung der russischen Bolschewistischen Organisation 1903 begann, hatte in Deutschland in diesem Maße nie stattgefunden: die systematische Gewinnung und Ausbildung von Kadern, die, geschult in den Ideen von Marx und Engels, in der Lage waren den revolutionären Massen Orientierung zu bieten. Die mangelnde theoretische und organisatorische Klarheit der KPD führte zu einer Reihe fataler taktischer Fehler, durch die mehr als eine revolutionäre Chance ungenutzt blieb.

Die Folgen des Scheiterns der Revolution

Und so blieb die Deutsche Revolution trotz der hohen Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse erfolglos. Das Scheitern der Deutschen Revolution stellte einen Wendepunkt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts dar und sollte schwere Auswirkungen auf die kommenden Ereignisse haben: Die Sowjetunion blieb als einziger Arbeiterstaat isoliert. In diesem wirtschaftlich rückschrittlichen, von Weltkrieg und Bürgerkrieg verwüsteten Land, fehlten die wichtigsten materiellen Voraussetzungen für den Sozialismus: Ein technologischer Entwicklungsstand der Produktivkräfte, der es ermöglichte, für alle Mitglieder der Gesellschaft genügend zu produzieren. So lange der technische Entwicklungsstand der Produktivkräfte so gering ist, dass der Großteil der Menschen in einer Gesellschaft das Meiste seiner Lebenszeit mit Arbeiten verbringen muss, kann es keine klassenlose Gesellschaft geben. Erst durch eine hoch entwickelte Industrie wie in den fortschrittlichen kapitalistischen Ländern und eine rational geplante Wirtschaft ist es möglich, die Arbeitszeit für alle bedeutend zu kürzen, so dass jeder und jede gleichermaßen am politischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Lebend er Gesellschaft teilhaben kann.

Lenin und Trotzki waren sich dessen bewusst. Ihre Perspektive lautete: Die kapitalistische Kette wird am schwächsten Glied, in Russland, brechen. Aber die russische Revolution wäre nur der Anstoß der Revolution in den fortschrittlicheren Ländern. Lenin schrieb im Jahre 1918:

"Wir sind weit davon entfernt auch nur die Übergangsperiode vom Kapitalismus zum Sozialismus durchschritten zu haben. Wir haben uns nie der Hoffnung hingegeben, dass wir sie ohne die Hilfe des internationalen Proletariats beenden könnten. Wir hatten nie Illusionen über diesen Punkt. Der Sieg des Sozialismus in einem einzigen Land ist klarerweise unmöglich. Unser Kontingent aus Arbeitern und Bauern, das die Sowjetmacht aufrechterhält, ist nur ein Kontingent einer großen Weltarmee, die zurzeit durch den Weltkrieg gespalten wird, die aber nach Einheit strebt. Wir können heute schon klar sehen wie weit die Entwicklung der Revolution gehen wird. Die Russen begannen sie – die Deutschen, die Franzosen und die Engländer werden sie beenden, und der Sozialismus wird siegreich sein." (LCW (1966, [9], Bd. 26, S.465 –472, übersetzt aus dem Englischen, J.F.)

Im Jahr 1919 mahnt Lenin:

"Unter allen Umständen, unter allen denkbaren Umständen, wenn die deutsche Revolution nicht kommt, sind wir verloren." (LCW, (1966, [9] Bd. 27. S.98, übersetzt aus dem Englischen, J.F.) 
"Unsere Rückständigkeit hat uns an die Frontlinie gestellt, und wir werden zu Grunde gehen, wenn es uns nicht gelingt auszuhalten bis wir von den Arbeitern, die sich in anderen Ländern zum Aufstand erheben, machtvolle Hilfe bekommen." (Ebenda, S.232)

Lenin selbst war auch die Gefahr der russischen Bürokratie im Falle einer Isolation der Revolution bewusst. Er bezeichnete den "typischen russischen Bürokraten" des Sowjetstaates im Jahre 1922 als Schurken, Gewalttäter und großrussischen Chauvinisten und zwar in einem Artikel, der sich gegen Stalin richtete. Lenin schrieb weiter die prophetischen Worte:

"Kein Zweifel, dass der verschwindende Prozentsatz der sowjetischen und sowjetisierten Arbeiter in diesem Meer des chauvinistischen Packs ertrinken wird wie die Fliege in der Milch." (LENIN (1988, S.21)

Der Sieg der sozialistischen Revolution in den Industriemächten Großbritannien, Frankreich und Deutschland hätte der sozialistischen Wirtschaft die notwendigen Produktivkräfte erschlossen. Die Isolation der Sowjetunion legte hingegen die Grundlage, auf der die stalinistische Bürokratie aufsteigen konnte und die Arbeiterklasse von der politischen Macht verdrängte. Die stalinistische Degeneration der Sowjetunion verwandelte den demokratischsten Staat der Welt in eine bürokratische Diktatur und die Kommunistische Internationale vom Werkzeug der proletarischen Revolution zum Bremsklotz am Bein des Weltproletariats. Um das Projekt vom „Sozialismus in einem Lande“, also namentlich die Machtstellung der Sowjetbürokratie, nicht zu gefährden, versuchte die Bürokratie unter Stalin die kapitalistischen Westmächte zu beschwichtigen. Stalin wollte sich als zuverlässigen Partner inszenieren und so sorgte die Komintern mit ihrer Politik aktiv für die Niederlage der proletarischen Revolutionen, so etwa in , China 1927 oder Frankreich und Spanien 1936.

Das Scheitern der Revolution und der Aufstieg des Hitlerfaschismus

Das Scheitern der deutschen Revolution hatte also den Aufstieg des Stalinismus zur Folge. Aber zudem erhielt das Scheitern der deutschen Revolution die Saat, aus der die bestialischsten Schrecken der Reaktion emporsteigen sollten. Nach der revolutionären Periode, die von 1918 bis 1923 andauerte, setzte eine vermeintlich stabile Phase ein. Die bürgerliche Republik und der Kapitalismus waren gesichert, die revolutionäre Gefahr vorerst gebannt. Doch unter dem Feigenblatt der liberalen Demokratie stand weiterhin die brutalste, nationaldeutsche Reaktion bereit, die nur darauf wartete, vom Großkapital für seine Zwecke eingesetzt zu werden, wenn es nötig würde. Die Offiziere, Richter, Staatsanwälte, Beamten und Polizisten die im Kaiserreich im Interesse des deutschen Großkapitals die Arbeiterbewegung unterdrückt und den imperialistischen Krieg rücksichtslos geführt hatten, waren dieselben, die in der Reichswehr oder den Freikorps die revolutionären Arbeiter niedermetzelten und Luxemburg und Liebknecht ermordeten. Es waren diese Elemente, mit denen Ebert und Noske „Kompromisse“ schließen und die sie in den neuen Staat mit einbeziehen wollten. Und es waren dieselben, die in der Weimarer Republik erbarmungslos den linken Flügel der Arbeiterbewegung terrorisierten, während sie die Völkischen und Faschisten gewähren ließen. Und nach der Machtübernahme der Nazis fanden sie im faschistischen Staat reichlich Posten und machten, endlich ungehemmt, dasselbe, was sie vorher schon getan hatten: Die brutale und kompromisslose Zerschlagung der Arbeiterbewegung und die Rüstung zum Vernichtungskrieg.

Der Kapitalismus in der Krise war die direkte materielle Ursache für den Hitlerfaschismus. Die Großbourgeoisie, den Schrecken von 1917 und 1918 noch in den Knochen, fürchtete sich nach dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise vor einer erneuten revolutionären Welle. War doch die Sowjetunion, entgegen der Erwartungen der Bürgerlichen, nicht nach wenigen Wochen oder Monaten in „bolschewistischem Chaos“ zusammengebrochen. Die Sowjetunion war der lebendige Beweis dafür, dass es möglich war, eine Wirtschaft ohne Kapitalisten, Banker und Großgrundbesitzer zu organisieren. Die Angst der Kapitalistenklasse vor der Arbeiterklasse wuchs. Und die NSDAP bot sich bereitwillig als Vollstrecker der kapitalistischen Reaktion an. In einem Rundschreiben an Industrielle von 1927, in dem die Partei um Spenden warb, heißt es:

„Die Nationalsozialistische Arbeiterpartei hat auch den Schutz des rechtmäßig erworbenen Eigentums auf ihr Programm geschrieben. Durch die Begeisterung ihrer Anhänger und durch ihre straffe Organisation ist sie allein in der Lage, dem Terror von links wirksam entgegenzutreten. Leider ist das ohne bedeutende Geldmittel nicht zu machen. Es bleibt uns daher nichts anderes übrig, als uns an die deutsch und deutsch-völkisch gesinnten Kreise aus Industrie und Handel mit der Bitte um Unterstützung zu wenden […] Für eine gute Verwendung der Gelder bietet Ihnen die Ehrlichkeit unserer Bewegung volle Gewähr.“

Und Heinrich Brüning, Reichskanzler von 1930 bis 1932 und Mitglied der konservativen Zentrums-Partei, schrieb 1937 in einem Brief an den britischen Konservativen Winston Churchill:

„Hitlers wirklicher Aufstieg begann erst 1929, als die deutschen Großindustriellen und andere es ablehnten, weiterhin Gelder an eine Menge patriotischer Organisationen auszuschütten, die bis dahin die ganze Arbeit für das deutsche ‚Risorgimento’ geleistet hatten. Ihrer Ansicht nach waren diese Organisationen in ihren sozialen Gedanken zu fortschrittlich. Sie waren froh, dass Hitler die Arbeiter radikal entrechten wollte. Die Geldspenden, die sie anderen Organisationen vorenthielten, flossen Hitlers Organisation zu. Das ist natürlich allerorts der übliche Beginn des Faschismus.“

Die 1929 hereinbrechende Wirtschaftskrise sorgte dafür, dass weite Teile des Kleinbürgertums ihre Existenzgrundlage verloren und trieb so diese kleinbürgerlichen Elemente, zusammen mit einer Schicht des Lumpenproletariats, in die Arme der NSDAP, wodurch diese zur Massenpartei wurde. In einem Papier des preußischen Innenministeriums vom Mai 1930 heißt es:

„Es ist bezeichnend, dass grade die unter der herrschenden wirtschaftlichen Not am meisten leidenden Bevölkerungskreise, der durch die Not der Landwirtschaft auf der einen Seite, durch die teuren Kredite und das Übergewicht der Großbetriebe auf der anderen Seite allmählich verelendende Mittelstand in den kleinen Städten, die kleinen Handel- und Gewerbetreibenden, ferner die von der Arbeitslosigkeit betroffenen oder bedrohten Angestellten und schließlich die bei dieser Wirtschaftslage jeder Aussicht auf späteren Broterwerb baren Kreise des akademischen Nachwuchses, die Studenten und Hochschüler, das Gros der nationalsozialistischen Anhängerschaft bilden. […] Im Gegensatz zum Arbeiter, der in dieser Lage eher den Parolen des Kommunismus zuneigt, wollen jene Kreise sich mit allen Mitteln vor dem Absinken in das „Proletariat“ retten und sehen ihr Heil daher in dem anderen, „nicht marxistischen“ Radikalismus, wie er sich im Nationalsozialismus verkörpert.“

Einmal zur Macht gelangt musste der Nationalsozialismus seine Massenbasis, das verarmte Kleinbürgertum und Teile des Lumpenproletariats, notwendigerweise verraten, weil deren Interessen den Interessen des Großkapitals, das dem Faschismus zur Macht verholfen hatte, entgegenstanden. Um diesen Fakt zu verwischen und die Arbeiterklasse zu spalten, beschwor der Hitlerfaschismus den Antisemitismus herauf. Die NS-Arbeiterorganisationen veröffentlichten Pamphlete in denen das Judentum als Reinform des Kapitalismus schlechthin hingestellt wurde. Anstatt gegen die Bourgeoisie zu kämpfen, sollte sich der Zorn des deutschen Arbeiters jetzt gegen die jüdische Bevölkerung richten. Diese Taktik war jedoch nur von sehr mäßigem Erfolg gekrönt. Dass die Arbeiterschaft gegenüber dem Faschismus weitgehend immun war, zeigten die noch im März und April 1933 - trotz faschistischen Terrors - durchgeführten Betriebsrätewahlen in landesweit fast 1400 Betrieben. Hierbei errangen die Nazi-Betriebszellen (NSBO) einen Stimmenanteil von lediglich 11,7 Prozent, während die Listen des SPD-orientierten ADGB auf 73,4 Prozent kamen, die Christlichen Gewerkschaften auf 7,6 und die kommunistische RGO auf 4,9%. Bis zum Kriegsausbruch wurde in Deutschland eine Viertelmillion Menschen wegen oppositioneller Aktivitäten verurteilt. 90 Prozent davon entstammten der Arbeiterschaft. Doch während in den Anfangsjahren der Diktatur viele der späteren Verschwörer des 20. Juli 1944 wie Goerdeler, von Hassell, Graf von der Schulenburg und Graf Stauffenberg noch begeisterte Nazis waren und steile Karrieren machten, saßen Angehörige linker Organisationen und Gewerkschafter wie auch andere konsequente Hitlergegner der ersten Stunde schon 1933 und 1934 im Zuchthaus oder KZ.

Durch die Zwangsarisierung jüdischer Geschäfte konnten sich Schichten des Kleinbürgertums bereichern und wurden Teile ihrer Konkurrenz los. Und die institutionalisierte Diskriminierung und Verfolgung der jüdischen Bevölkerung gab dem verarmten Kleinbürger oder Lumpenproleten das Gefühl immer noch über dem Juden zu stehen und bot die Möglichkeit seinen Frust an der jüdischen Bevölkerung auszulassen.

Der Faschismus hätte verhindert werden können!

Hätte die Deutsche Revolution 1918 gesiegt, dann wäre nicht nur die Isolation der Sowjetunion durchbrochen, sondern auch die materielle Basis, auf der der Hitlerfaschismus gedeihen konnte, zerschlagen worden. In ihrem Programm aus dem Jahre 1918 forderte die KPD die konsequente Verurteilung aller reaktionären Elemente im Staat, die für den imperialistischen Eroberungskrieg mit verantwortlich gewesen waren. Die personelle Kontinuität, die sich vom Kaiserreich bis ins dritte Reich zieht, wäre unterbrochen worden. Aber noch viel wichtiger wäre die materielle Grundlage zerstört worden, auf der der Faschismus gedeihen konnte: Nämlich die kapitalistische Krise und die historische Niederlage der proletarischen Revolution. Darüber hinaus wäre der Sieg der deutschen Revolution ein noch viel größerer Weckruf für die Proletarier aller Länder gewesen, als es die Oktoberrevolution schon war. Die Niederlage der deutschen Revolution war nicht nur eine historische Niederlage der deutschen und internationalen Arbeiterklasse, sondern Wegbereiter der großen Tragödien des 20. Jahrhunderts. Sozialismus oder Barbarei? Das ist die Wahl, vor der die Menschheit bei jeder revolutionären Situation erneut steht.

Der Nachkriegsaufschwung und die Krise von 2008

Das Scheitern der deutschen Revolution von 1918 endete im Inferno des 2. Weltkriegs mit all seinen Schrecken und der Zerstörung weiter Teile Europas. Damit legte der 2. Weltkrieg zynischer Weise nahezu ideale Wachstumsbedingungen für den Kapitalismus in der Nachkriegszeit. Wo vieles zerstört ist, muss neu aufgebaut werden, die Nachfrage steigt enorm. Besonders die USA nutzen diese Situation, um den Kapitalismus in Deutschland und Westeuropa zu sichern und vergaben mit dem Marshallplan das nötige Kleingeld, um die Kaufkraft zu steigern. Niedrige Löhne und hohe Produktivität in Westdeutschland zu Beginn der 1950er Jahre waren die Voraussetzungen, unter denen Westdeutschland eine starke Stellung auf dem Weltmarkt erobern konnte. In den 1950er Jahren stieg der Anteil Westdeutschlands an den verarbeiteten Exporten der Industrieländer von 7,3 % auf 19 %. Die Profitraten explodierten.

Ähnlich wie vor dem 1. Weltkrieg gab es eine jahrzehntelange Phase des rekordverdächtigen Wirtschaftsaufschwungs. Die Politik der kapitalistischen Staaten war vor allem darauf ausgerichtet „den Kommunismus einzudämmen“. Dazu war es eine absolute Notwendigkeit, die Arbeiterbewegungen und ihre Organisationen in den Staat mit einzubeziehen. Die hohen Profitraten ermöglichten es der deutschen Kapitalistenklasse, Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zu machen, die Führung der Arbeiterbewegung auf ihre Seite zu ziehen, Löhne zu erhöhen und eine gewisse soziale Sicherheit zu gewährleisten. Die Sozialpartnerschaft war geboren, der Reformismus erlebte einen Aufschwung. Der revolutionäre Marxismus wurde zu einer kleinen Minderheitsströmung.

Das Ende der DDR 1990 und der Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 bedeuteten einen schweren Rückschlag für die gesamte politische Linke. Die Apologeten der Kapitalistenklasse erklärten nicht nur das Ende des sogenannten „real existierenden Sozialismus“, sondern das Ende des Marxismus generell. Der Kapitalismus habe sich als überlegenes System durchgesetzt, Francis Fukuyama rief das Ende der Geschichte aus. Uns wurde eine Zeit des Wohlstands, des Friedens und der Demokratie versprochen. Die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus sei durchbrochen, die Theorie der „effizienten Märkte“ versprach, dass der Kapitalismus sich selbst reguliere.

Über 25 Jahre später bleibt nichts mehr von Träumereien der bürgerlichen Intellektuellen. Die Krise von 2008 hat den Kapitalismus weltweit schwer erschüttert und die Situation hat sich um 180° gedreht. Sie ist die schwerste wirtschaftliche Krise seit der Existenz des kapitalistischen Systems. Die Bürgerlichen haben diese Krise nicht kommen sehen und können sie nicht richtig erklären. Mit der Krise von 2008 ist die Welt wieder mehr oder minder im Normalzustand des Kapitalismus angekommen. Sozialdemokraten, die sich nostalgisch die 1970er Jahre zurückwünschen, müssen begreifen, dass der Nachkriegsaufschwung eine historische Ausnahme und nicht die Regel im Kapitalismus ist.

Als die Banken 2008 massenhaft pleite gingen, wurde das schwarze Loch im privaten Sektor zu einem schwarzen Loch in den Staatshaushalten. Der einzige Weg damit umzugehen war Austeritätspolitik. Kürzungen der Rente, der Sozialhilfe, der Löhne. Der Lebensstandard der Arbeiterklasse sank weltweit. Das Leben von Millionen von Menschen wurde unsicherer, die Angst vor der Zukunft nagt an Millionen Arbeitern in Deutschland und dem Rest der Welt.

Und kein Ausweg aus der Krise ist in Sicht. Heute, zehn Jahre nach 2008, ist das Verschuldungsniveau weltweit so hoch wie nie zuvor. Und das trotz zehn Jahren brutaler Austeritätspolitik. Die Investitionsraten in die Realwirtschaft und damit das Produktivitätswachstum stagnieren oder sinken sogar, während sich die Spekulation an den Börsen im Vergleich zu 2008 mehr als verdoppelt hat. Wenn der nächste Absturz kommt, wird auch Deutschland hart getroffen werden. Wie das „Handelsblatt“ richtig erkennt, sind bei der nächsten Rezession die Stammbelegschaften dran.

Die kommende deutsche Revolution

Aber diese Krise, gerade weil es sich um eine organische Krise handelt, ist nicht nur eine Wirtschaftskrise. Sie ist zwangsläufig auch zu einer sozialen und politischen Krise geworden. Das einzige Mittel, mit dem die Kapitalistenklasse der Krise irgendwie beikommen konnte, ist Austeritätspolitik. Aber dieser Versuch der Bürgerlichen, das wirtschaftliche Gleichgewicht nach der Krise wieder herzustellen, hat nur das soziale und politische Gleichgewicht untergraben. Das Untergraben des Lebensstandards der Masse der Bevölkerung musste auf kurz oder lang einen politischen Ausdruck finden. Und die politischen Folgen haben das politische Establishment schwer erschüttert.
Bei vielen Menschen reift die Überzeugung heran, dass es so nicht weiter gehen kann. Das drückt sich zunächst durch eine politische Polarisierung nach Links und Rechts aus. Der Aufstieg von Wortführern wie Sanders, Corbyn oder Mélenchon, aber auch von Trump, Le Pen oder der AfD sind Beispiele dafür. Über kurz oder lang werden aber all diese Bewegungen ihre Unfähigkeit, die drängendsten Probleme und Forderungen der Arbeiterklasse zu lösen, demonstrieren, da sie sich scheuen, mit dem Kapitalismus zu brechen. In Zeiten der kapitalistischen Krise ist es utopisch zu hoffen, durch soziale Reformen die Lage der Arbeiterklasse bedeutend heben zu können.

Nur wenn wir mit dem Kapitalismus brechen, können wir den ungeheuren Reichtum der Gesellschaft zum Wohle aller, statt für das Profitstreben einiger weniger nutzen. Dazu müssen wir die Banken und Großkonzerne enteignen und die Produktionsmittel unter demokratische Arbeiterkontrolle stellen.

Die Geschichte hat jedoch gezeigt, dass keine herrschende Klasse jemals ihre Privilegien ohne Kampf aufgegeben hat. Die Kapitalistenklasse wird alles nutzen, was ihr zur Verfügung steht, um die Umsetzung eines solchen sozialistischen Programms zu verhindern. Dann braucht es eine revolutionäre Organisation, die dazu in der Lage ist, die Situation korrekt zu analysieren, die Kampfkraft unserer Klasse zu bündeln und mutig den Weg nach vorne zu weisen. Eine solche Organisation kann nicht im Eifer des Gefechts einer Revolution improvisiert werden, sie muss systematisch aufgebaut werden, bevor es so weit ist. Das hat die Geschichte der Deutschen Revolution von 1918 -1923 gezeigt. Der Funke arbeitet als Teil der Internationalen Marxistischen Tendenz an der Umsetzung dieser Aufgabe.

Und noch eines hat uns die Niederlage der deutschen Revolution vor Augen geführt. Die Niederlage des Proletariats legt die Grundlage für die schlimmsten Verbrechen und den Terror der blutigsten Reaktion. Noch droht keine faschistische Gefahr etwa von Seiten der AfD. Wenn sich die deutsche Arbeiterklasse erst bewegen wird, und das wird früher als später der Fall sein, wird die AfD zu Staub zerfallen. Sie kann im Moment allein von der Untätigkeit und dem Verrat der Führung der Arbeiterbewegung profitieren, in dem sie sich als einzige Alternative zum kapitalistischen Status Quo aufspielt. Erst die Niederlage der Arbeiterklasse, das Scheitern der Revolution und der Verrat der Arbeiterführer würden die Grundlage für einen neuen deutschen Faschismus legen. Das zu verhindern ist unsere Aufgabe, unsere antifaschistische Pflicht, die wir nur durch den Aufbau einer revolutionären Organisation erreichen können.

Marxistinnen und Marxisten ist klar: Der Kapitalismus befindet sich in der schwersten Krise seiner Existenz. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich auch in Deutschland eine revolutionäre Situation auftut. Dann wird die Menschheit wieder vor der Wahl stehen: Sozialismus oder Barbarei? Die Antwort auf diese Frage zu geben, liegt an uns.

Sonderseite Deutsche Revolution 1918-23

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