Kategorie: Afrika

Simbabwe: ZANU-PF bricht mit Mugabe und verstärkt Krise des Regimes

Am Montag morgen stand Simbabwe auf Messers Schneide, nachdem Robert Mugabe am Vorabend seinen Rücktritt als Staatspräsident verkündet hatte. Sein Rücktritt wurde allgemein erwartet, nachdem er am Wochenende die Kontrolle über seine Partei verloren hatte.

Robert Mugabe


Hinweis: Dieser Artikel wurde auf In Defence of Marxism veröffentlicht, kurz bevor Mugabe seinen Rücktritt mit sofortiger Wirkung am 21. November 2017 gegen 16:00 Uhr (UTC) ankündigte.

Die Vorfreude erreichte ihren Höhepunkt am Sonntagabend, als bekannt wurde, dass er während einer Live-Fernsehübertragung eine Erklärung abgeben würde. Aber in seiner bizarren und weitschweifenden Rede wurde kein Wort darüber verloren. Die Rede endete mit völliger Verwirrung und hinterließ mehr Fragen als Antworten. Mugabe entschuldigte sich anschließend bei den Generälen. Es war nicht ganz klar, wofür er sich eigentlich entschuldigte, während der eindeutig senile 93-Jährige sehr inkohärent in seinen Papieren herum fummelte. Manche haben behauptet, dass er unerklärlicherweise und unwissentlich zwei Seiten seiner Rede übersprungen habe, die seinen Rücktritt enthielten. Ein anderer Grund wäre, dass ZANU-PF (Zimbabwe African National Union – Popular Front, Anm. des Übersetzers) intervenierte, um eine Situation zu verhindern, in der Mugabe vor dem Militär zurücktrat – wodurch der Eindruck hätte enstehen können, dass Robert Mugabe unter Zwang zurücktreten würde.

Was auch immer die Wahrheit sein mag: direkt nach seiner Rede verdunkelte sich die Stimmung in der Hauptstadt Harare. Jugendgruppen, die im vergangenen Juli an der nationalen Stillegung und am Generalstreik teilgenommen hatten, riefen zu einem Generalstreik während der Parlamentssitzung am darauffolgenden Mittwoch auf. Die einflussreiche Zimbabwe War Veterans Association, die mit Robert Mugabe gebrochen hat, nachdem seine Frau Grace Mugabe die Säuberung gegen ihren Führer Chris Mutsvangwa anführte, rief am Mittwoch ebenfalls zu Massenprotesten auf. Dies war ein klarer Versuch, eine unabhängige Massenbewegung zu vermeiden und die Situation unter Kontrolle zu halten. Am Montag mittag stellte der Wortführer der ZANU-PF im Parlament, Lovemore Matuke, eine Frist für Robert Mugabe aus, bis Dienstag zurückzutreten oder sich einer Amtsenthebung zu stellen.

Am Sonntag wurde Mugabe als Präsident und Erster Sekretär der ZANU-PF durch eine Sondersitzung des Zentralkomitees zurückgerufen. Dies folgte den Ereignissen am Freitag, als alle 10 Provinzstrukturen der ZANU-PF Resolutionen verabschiedeten, um Mugabe als Parteivorsitzenden abzusetzen. Seine Frau Grace Mugabe wurde von ihrer Position als Führerin der Frauenliga der ZANU-PF entfernt. Sie und mehrere führende Mitglieder der "G40"-Fraktion wurden ebenfalls aus der Partei ausgeschlossen. Ihre Entfernung ist eine Fortsetzung der Säuberungen der "G40" -Mitglieder, die durch die militärische Machtübernahme am Mittwochabend begonnen wurde.

Massenproteste

Am Samstag gab es die größten Demonstrationen seit Simbabwe vor 37 Jahren die formale Unabhängigkeit von Großbritannien erlangt hatte. Zehntausende von Menschen marschierten durch die Straßen von Harare, Bulawayo und mehreren Städten im ganzen Land, um den Rücktritt von Robert Mugabe zu fordern. Das war wie eine massive Straßenfeier. Es herrschte eine Karnevalsatmosphäre und überall herrschte Massengewalt. Die Militärs wurde wie Helden behandelt, Leute machten gemeinsame Fotos mit Truppen auf der Straße. Die Massen übernahmen die Straßen, um ihre jahrelang aufgestaute Wut und Frustration gegen das Mugabe-Regime auszudrücken.

Allerdings wurden die Proteste von Kriegsveteranen ausgerufen, die selbst zu einem Teil des alten Regimes gehörten. Das Militär und die ihm nahestehende Fraktion haben diese Proteste "erlaubt", um sie als Rammbock gegen die "G40" -Fraktion zu nutzen, den Putsch zu legitimieren, um dem Putsch eine populäre Rechtfertigung zu liefern, die ZANU-PF neu zu legitimieren – deren Popularität zusammen mit der wirtschaftlichen Kernschmelze eingebrochen ist – und damit die Massen etwas Dampf ablassen können. Die militärische Machtübernahme erreichte ihr Hauptziel, nämlich die Säuberungen gegen Kriegsveteranen aus den Zeiten des nationalen Befreiuungskampfs zu stoppen und die gegnerische Fraktion zu entfernen. Aber nachdem sie die Säuberungen gestoppt hatten, versuchten sie, sich selbst eine legale und populäre Rechtfertigung für den Putsch zu geben.

Das aufstrebende neue Regime hat sicherlich seine eigenen Gründe, die Proteste zu erlauben, aber wie die Massen die Dinge durch ihre eigenen Augen sehen, ist eine andere Sache. Die Proteste sind eine sehr widersprüchliche Situation. Die Spaltungen an der Spitze des Regimes haben zu einer militärischen Machtübernahme geführt. Aber der bevorstehende Fall von Mugabe nach 37 Jahren im Amt hat die Hoffnung der Massen geweckt. Sie glauben, dass die Entfernung von Mugabe zu verbesserten Lebensbedingungen führen wird. Die Massen erwarten eine wirkliche Veränderung, die von dieser Protestbewegung ausgehen soll, um schließlich jene Armut und das Elend zu beenden, die sie ertragen müssen.

Aus der Sicht des Regimes, das jetzt auf einem sehr dünnem Seil balanciert, ist dies eine gefährliche Situation. Sie haben ein Ventil für den Massendruck von unten geschaffen und eine Situation geschaffen, in der die Massen ihre kollektive Kraft spüren können. Das ist seit Jahrzehnten nicht passiert. Die Gefahr für das Regime besteht darin, dass sie – indem sie der Bevölkerung einen begrenzten Boden für ihre aufgestaute Wut und Frustration zugestehen – eine unabhängige Bewegung der Massen auslösen könnten, insbesondere wenn die Massen erkennen, dass sich ihre tatsächlichen materiellen Bedingungen nicht ändern werden. Unter dem Alptraum der Wirtschaftskrise könnte dies eher früher als später geschehen.

Der Militärputsch am vergangenen Donnerstag hat alles auf den Kopf gestellt. Über einen Zeitraum von Jahren beobachtete die alte Garde den Aufstieg der aufstrebenden "Generation 40" -Fraktion um die ehrgeizige und abscheuliche Grace Mugabe, die fortfuhr, ein führendes Parteimitglied nach dem anderen zu entfernen. Joice Mujuru wurde als Vizepräsident entfernt. Zuvor starb ihr mächtiger Ehemann, General Solomon Mujuru, auf mysteriöse Weise bei einem Brand. Später wurde der Führer der mächtigen Military Veterans Association entfernt. Vor dem bevorstehenden ZANU-PF-Kongress im Dezember startete Mugabes Fraktion eine umfassende Säuberung von Veteranen der Partei, des Staates und des öffentlichen Dienstes. Emmerson Mnangagwa, der jahrzehntelang gepflegt wurde, wurde kurzerhand entlassen und floh aus dem Land. Es gingen Gerüchte um, dass die Säuberung auf das militärische Oberkommando ausgedehnt werden könnte und dass Generaloberst Chiwenga, der oberste Militärgeneral, bei seiner Wiederkehr von einer Reise nach China verhaftet würde. Das war der Auslöser für den Putsch.

Am Mittwoch rollten die Panzer nach Harare, versiegelten Regierungsgebäude und den staatlichen Rundfunk und setzten Mugabe unter Hausarrest. Führende Mitglieder von Mugabes Fraktion wurden verhaftet. Damit war das Schicksal von Grace Mugabe und der Fraktion "G40" besiegelt. Doch so weit gekommen, standen die Generäle nun vor dem Dilemma, den Putsch zu "legitimieren", zur Fassade der "zivilen Herrschaft" überzugehen und wieder in die Kaserne zurückzukehren.

Sie entschieden sich nicht für eine direkte Militärherrschaft, weil sie dann eine dezimierte Wirtschaft geerbt hätten. Sie können die Wirtschaftskrise nicht lösen, weil sie selbst Nutznießer von Mugabes Politik sind. Dies sind im Grunde die Gründe, warum sie 48 Stunden lang mit Mugabe "verhandeln" wollten, bevor er unter den Protesten am Samstag "freiwillig" zurücktreten sollte. Wenn die Generäle, die zur herrschenden Klasse gehören, in ihrer Position bleiben und eine Militärdiktatur errichten würden, dann stünde dieses Regime auf sehr wackeligem Boden. Sie müssten sich gegen die auferstandenen Massen richten, die Veränderungen verlangen. Das ist natürlich nicht die Hauptsorge der Armeegeneräle. Sie handeln ausschließlich, um ihre eigenen unmittelbaren Interessen zu schützen. Wenn sie direkt die Macht übernommen hätten, hätte die tiefe Krise sie gezwungen, die Erwartungen der Massen mit Gewalt zu zerquetschen. Dieser offene Verrat könnte eine Revolution oder einen Bürgerkrieg auslösen.

Imperialismus

Inzwischen kreisen die verschiedenen Weltmächte wie Geier um Simbabwe und suchen nach einer Möglichkeit, zu intervenieren und ihre eigenen Interessen zu verfolgen. Die britischen Medien wie die BBC, der Telegraph und der Guardian peitschen bereits anti-chinesische Propaganda aus und behaupten, China stehe hinter dem Putsch. Es stimmt natürlich, dass Peking nach wirtschaftlichen Reformen für die Öffnung ausländischer Investitionen gesucht hat und Mugabe zunehmend misstrauisch wurde. Es ist durchaus möglich, daß die Chinesen die Pläne von Teilen der Armee stillschweigend gebilligt haben.

Aber der westliche Imperialismus hat sich seit Jahrzehnten in Simbabwe eingemischt, zuletzt durch brutale Sanktionen, die die simbabwische Wirtschaft durchbrochen haben und die Menschen in Simbabwe in eine verzweifelte Lage gebracht haben. Während er den Finger auf China richtet, manövriert der Westen und sucht nach einem Haltepunkt, um in der Krise von Simbabwe neuen Boden zu gewinnen. Dabei werden die Großmächte nicht zögern, Simbabwe als Pfand einzusetzen, um ihre Interessen zu vertreten.

Während der Proteste am Samstag äußerten die Demonstranten auch die Meinung, dass die südafrikanische Regierung und das regionale Organ SADC (Southern African Development Community, eine wirtschaftliche und politische Interessenvertretung für den südlichen Teil des afrikanischen Kontinents, Anm. des Übersetzers) sich nicht in die Krise einmischen sollten. Eine Petition, die in Bulawayo gestartet wurde, um gegen die Einmischung der SADC vorzugehen, hat binnen weniger Tage Zehntausende von Unterschriften erreicht. Dieses Gefühl ist richtig. Die SADC ist ein regionaler kapitalistischer Block unter der Herrschaft der südafrikanischen Hauptstadt. Sie repräsentiert nicht die Interessen der einfachen Leute im südlichen Afrika.

Die Arbeiter und Armen in Simbabwe stützen sich auf die Erfahrungen der SADC-Einmischung in diesem Land in den Jahren 2002 und 2008. Bei den Wahlen 2002 entsandte der ehemalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki zwei Richter als Beobachter für die Präsidentschaftswahlen in Simbabwe. Die Wahlen waren geprägt von Gewalt und Einschüchterung durch den Jugendflügel der ZANU-PF. Mehr als 100 Menschen wurden dabei getötet, meist Anhänger der Opposition. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass die Wahlen "nicht als frei und fair angesehen werden können". Aber Mbeki gab den Bericht der Richter nicht frei. Der Inhalt wurde erst im Jahr 2014 veröffentlicht, nachdem die Zeitungen Mail und Guardian einen langwierigen Gerichtsprozess gewonnen hatten, um den Inhalt offenlegen zu können.

Bei den Präsidentschaftswahlen 2008 erhielt Morgan Tsvangirai von der Oppositionspartei MDC (Movement für Democratic Change) 48 Prozent gegenüber Robert Mugabe 43 Prozent. Die Stichwahl sollte 21 Tage später stattfinden, aber Mugabe entfesselte die Kriegsveteranen, um eine extrem gewalttätige Kampagne gegen die MDC zu führen. Mehr als 10.000 Menschen wurden bei der anschließenden Gewalt verletzt, 86 wurden ermordet und Hunderttausende wurden vertrieben. Mugabe bestellte eine Lieferung von Waffen aus China, die Mbeki sehr gerne durch die südafrikanische Hafenstadt Durban lieferte. Aber das Schiff konnte in Durban nicht entladen werden, weil die südafrikanischen Hafenarbeiter einen wilden Streik unternahmen und sich weigerten, die Ladung anzurühren. Das Schiff musste schließlich mit den Waffen an Bord nach China zurückkehren.

Instabilität

Die jüngsten Entwicklungen sind eine atemberaubende Wende für den 93-jährigen Mugabe. Nur in der Woche zuvor schien er die Situation vollständig unter Kontrolle zu haben. Er war so selbstsicher, dass er sich auf eine Säuberung seiner alten Kameraden einließ, um seiner Frau und der jüngeren Generation den Weg zu ebnen, welche später seinen Platz einnehmen sollten. Aber jetzt, nach 37 Jahren, ist sein Schicksal besiegelt, weil er nicht länger die Interessen der herrschenden Eliten vertritt.

Der Sturz von Robert Mugabe ist das größte politische Ereignis in Simbabwe, seit das Land 1980 seine Unabhängigkeit von Großbritannien erlangte. Das Regime befindet sich jetzt in einer tiefen Krise. Die Verwirrung und Inkompetenz, die die Ereignisse am Sonntagabend zeigen, verdeutlichen dies anschaulich. Die Spaltungen an der Spitze haben das Regime in eine offene Krise gestürzt, und je mehr es versucht, sich aus dem Treibsand herauszukämpfen, desto tiefer sinkt es. Es widerspiegelt die Krise des Systems und die Unfähigkeit des Regimes, diese Krise zu lösen.

Der neue Präsident der ZANU-PF, Mnangagwa, der gegen den Kolonialismus der Rhodesier gekämpft und sich einen hohen Rang erarbeitet hatte, ist ein rücksichtsloser und kluger Mann. Er war derjenige, der die Operation leitete, die zu der brutalen Unterdrückung des Aufstandes der Minderheit der Ndebele in Matabeleland zwischen 1983 und 1984 führte, wo mehr als 20.000 Menschen getötet wurden. Dies hat in Matabeleland tiefe Wunden hinterlassen, die bis heute nicht geheilt sind. Unter den gegenwärtigen Umständen könnten die Landfrage und die nationale Frage in diesen Gebieten neu entfacht werden und einen explosiven Charakter annehmen.

Die herrschende Elite, sei es der Flügel um Mugabe oder ein anderer Flügel, ist unfähig, die Probleme innerhalb der Gesellschaft zu lösen. Für die Arbeiter, Bauern und Armen von Simbabwe gibt es keinen anderen Weg, als sich auf ihre eigene Stärke zu verlassen. Sie müssen Mugabe und den Rest des Regimes durch Massenaktionen in den Straßen vertreiben. Wir haben bereits Elemente solcher Entwicklungen gesehen, als am Montag Proteste an der Universität von Harare ausbrachen. Gleichzeitig muss eine solche Bewegung auf dem ganzen Kontinent verbreitet werden, insbesondere im benachbarten Südafrika, wo die Massen ihre Bedingungen und die herrschende Klasse gleichermaßen satt haben.

Das Chaos und die Barbarei, die die simbabwische Gesellschaft heimgesucht haben, sind eine direkte Folge der Befreiungsbewegung der 1970er Jahre, die zwar erfolgreich gegen den britischen Imperialismus kämpfte, aber den Kapitalismus in Simbabwe nicht zu Fall brachte. Der einzige Ausweg aus dieser Sackgasse besteht darin, diese Aufgabe zu beenden und ein sozialistisches Programm zur Kollektivierung des Landes unter der Kontrolle der Landarbeiter und Bauern durchzuführen und die Industrien in den Städten zu enteignen. Das gegenwärtige Chaos und die Krise spiegeln die Sackgasse des Kapitalismus wider. Nur eine sozialistische Revolution, die von der Arbeiterklasse geführt wird, kann einen Ausweg aus dem Chaos und Elend bieten, dem die simbabwischen Massen ausgesetzt sind.

Übersetzung aus dem englischen Original: Kristof Sebastian Roloff

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