Kategorie: Amerika

“Die Kapitalisten wollen nicht einmal einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus.“

Wir sprachen mit William Sanabria. Er ist Aktiver unserer venezolanischen Schwesterorganisation Corriente Marxista Revolucionaria (CMR) und engagiert sich in der Solidaritätsbewegung mit besetzten Betrieben sowie in der weltweiten Kampagne „Hände weg von Venezuela!“.

 


Vor einem Jahr erreichte die Solidaritätsbewegung mit der besetzten Papierfabrik Venepal die Enteignung und Verstaatlichung des Betriebs und die Weiterführung der Produktion mit einer Art Selbstverwaltung. Hat sich dieser Durchbruch über den Betrieb hinaus ausgewirkt?

Venepal, heute Invepal, hat in der Tat die Tür geöffnet und ein neues Kapitel im revolutionären Prozess eingeleitet. Drei Monate später folgte die Verstaatlichung der Metallfabrik CNV, heute Inveval. Dies hat vielen Belegschaften gezeigt, dass ein erfolgreicher Kampf gegen Betriebsschließungen möglich ist. Die Idee von Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle hat damit starken Auftrieb im Lande bekommen.

Bei der feierlichen Unterzeichnung des Dekrets über die Verstaatlichung von Venepal im Januar 2005 erklärte Präsident Hugo Chávez noch, daß Venepal eine Ausnahme bleibe. Wenig später sprach er vom „Sozialismus im 21. Jahrhundert“. Mitte 2005 verwies der Präsident auf eine Liste von 1000 stillgelegten Betrieben, deren Verstaatlichung er für den Fall ankündigte, dass die bisherigen Eigentümer die Produktion nicht wieder aufnähmen.

Was ist aus dieser Ankündigung geworden?

Jetzt geht es darum, diese Ankündigung umzusetzen. Zwar gibt es in verschiedenen Betrieben unterschiedliche Formen von Mitbestimmung und Arbeiterkontrolle. Aber nicht überall ist diese Entwicklung so weit fortgeschritten wie bei Invepal oder Inveval. So hat eine Delegation von Invepal-Kollegen kürzlich die wieder in Betrieb genommene Textilfabrik Invetex in Tinaquillo besucht und festgestellt, dass dieser Betrieb derzeit zu 49% den bisherigen Eigentümern und zu 51% dem Staat gehört. Dort haben Beamte aus dem Arbeitsministerium den Arbeitern versprochen, in drei oder vier Jahren würden sie die staatlichen Aktien schrittweise der Belegschaft übergeben. Die Belegschaft wird damit hingehalten und auf eine bessere Zukunft getröstet. Auch anderswo sind noch Ideen verbreitet, die aus den Arbeitern Belegschaftsaktionäre machen, also quasi den Kapitalismus schrittweise „aufkaufen“ wollen. Wir fordern, dass die Gewerkschaft UNT eine koordinierte Kampagne für die Ausweitung von Betriebsbesetzungen und Arbeiterkontrolle startet und Anwohner und Arbeitslose in die Solidaritätsbewegung einbezieht. Damit kann auch die Regierung unter Druck gebracht werden, um den Prozess der Verstaatlichung und demokratischen Kontrolle der Betriebe voranzutreiben. Solche Fragen werden auch auf dem kommenden UNT-Kongreß Mitte Februar diskutiert werden.

Steht die Regierung nicht zu den Belegschaften besetzter Betriebe?

In der Regierung gibt es linke Kräfte wie den Staatspräsidenten und die Arbeitsministerin María Cristina Iglesias, die den Prozess Richtung Sozialismus vorantreiben wollen. Die Ministerin trat im Oktober auf einer Konferenz von Vertretern besetzter Betriebe aus mehreren lateinamerikanischen Ländern als Gastgeberin auf und stellte dabei fest, die Betriebsbesetzungen seien kein Problem, sondern die Problemlösung. Betriebe stillzulegen sei ein Verbrechen, solange es Arbeitslosigkeit gebe, so Iglesias. Doch die Linke weiß nicht immer, was die Rechte tut. Invetex-Kollegen berichteten, daß sie in der Hauptstadt Caracas im Ministerium ihre betrieblichen Probleme besprechen wollten und der zuständige Sachbarbeiter sie einen Tag lang sitzen ließ, ohne sie zu empfangen. Offenbar gibt es im Staatsapparat noch Kräfte, die die Erwartungen der Arbeiterklasse und den revolutionären Prozess bremsen und die auch nicht wollen, dass der Präsident über alle Probleme und Schwierigkeiten unterrichtet wird. Der Druck feindlicher gesellschaftlicher Klassen kommt im Parlament, in den politischen Parteien, in der Regierung und im Staatsapparat zum Vorschein.

Nicht nur bei Venepal hat es kontroverse Diskussionen über die Ausgestaltung der Arbeiterkontrolle und die Notwendigkeit von Gewerkschaften nach der Verstaatlichung gegeben. Welchen Standpunkt vertritt El Topo Obrero?

Verstaatlichung und Arbeiterkontrolle bedeuten nicht, daß eine Gewerkschaft im Betrieb überflüssig wäre. Wenn der Betrieb dem Staat gehört, ist ein solches Gegengewicht immer wichtig. Eine Gewerkschaft ist stets auch ein Bindeglied zur gesamten Arbeiterklasse. Auch ein Arbeiterstaat, der die Kapitalisten schon enteignet hat, braucht selbstbewußte Gewerkschaften, die notfalls auch gegen Auswüchse des eigenen Staates einschreiten können. Dies gilt umso mehr in Venezuela, wo der Staat immer noch ein bürgerlicher ist. Die bolivarische Bewegung, Regierung und Parlament hätten es jetzt in der Hand, die Schalthebel der wirtschaftlichen Macht, also Banken, Monopole und Großgrundbesitz, zu übernehmen und demokratisch-sozialistische Maßnahmen einzuleiten. Die bisher besetzten und verstaatlichten Betriebe müssen aus ihrer Inselsituation herauskommen. Eine nationale Versammlung von Delegierten aller verstaatlichen Betriebe könnte ein zentraler Bezugspunkt für die Bewegung werden und eine neue legitimierte Rätestruktur von unten aufbauen.

Aber manche wenden ein, die Lage sei noch nicht reif für den Sozialismus und ein zu schnelles Tempo der Revolution könnte die Reaktion auf den Plan rufen ?

Die Kapitalisten wollen nicht einmal einen „dritten Weg“ zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Sie fühlen sich derzeit schwach, werden aber wieder versuchen, die Lage unter ihre Kontrolle zu bekommen und würden dazu auch – wie in den 1970er Jahren in Chile oder Argentinien – ein Blutbad anrichten. Wir müssen daher wachsam bleiben. Präsident Chávez selbst hat die Sozialismus-Debatte losgetreten, die jetzt landesweit geführt wird. Sozialismus erfordert die Enteignung der Produktionsmittel, der Monopole, Banken und Großgrundbesitzer und demokratische Kontrolle durch die arbeitende Bevölkerung. Damit kann der Reaktion ihre materielle Basis entzogen werden. Sonst kann das Pendel wieder nach rechts zurückschlagen. Denn wenn die drängenden sozialen Probleme der Massen nicht nachhaltig gelöst werden, führt dies zu Demoralisierung, Enttäuschung, Passivität und Fatalismus nach dem Motto „Man kann eh nichts machen“. Unter solchen Umständen könnte dann die Reaktion dann wieder ihr Haupt erheben. Daher müssen wir heute von unten her in den Betrieben und Stadtvierteln eine demokratische Rätestruktur schaffen, quasi als Embrio eines künftigen Arbeiterstaates.

Welche Rolle spielt die Kommunistische Partei in Venezuela?

Die KP war von Anfang an am bolivarischen Prozess beteiligt. Sie hat auch zum Parlament kandidiert und stellt mehrere Abgeordnete. Obwohl die KP-Führung anfangs die Revolution in künstliche Etappen zwängen und die sozialistischen Maßnahmen in eine fernere Zukunft verweisen wollte, gibt es in dieser Partei auch Kräfte, die in unsere Richtung diskutieren. Diese Kräfte müssen noch stärker werden.

Für uns ist zentral, dass wir ein eigenes Übergangsprogramm vertreten und dafür die Mehrheit in der bolivarischen Bewegung gewinnen. Mit einer Einheitsfront-Politik geht es immer darum, das Positive und Verbindende zuerst in den Vordergrund zu rücken und nicht das Trennende. So können wir in einen Dialog eintreten und bessere Alternativen verbreiten.

Wir haben durch eine breite Kampagne zur Verstaatlichung von Venepal beigetragen, also hat der Druck auf den Staatsapparat eine fortschrittliche Wirkung gezeigt. Wenn wir den Präsidenten und einzelne Minister beeinflussen können, dann ist das auch gut so. Chávez ist ein ehrlicher Massenführer und entwickelt seinen politischen Standpunkt auch weiter. Wir nehmen uns aber natürlich auch das Recht heraus, kritikwürdige Dinge zu kritisieren.

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