Kategorie: Amerika

Revolution in Bolivien: Alle Macht den Volksversammlungen

Die Bolivianische Revolution ist für ArbeiterInnen und Jugendliche weltweit eine riesige Inspiration. In den letzten paar Tagen hat sie einen entscheidenden Punkt erreicht. Die ArbeiterInnen und Bauern haben die Straßen und zentralen Plätze in La Paz und El Alto besetzt. BergarbeiterInnen marschieren mit Dynamitstangen in ihren Fäusten auf. Die Armee und die Polizei erweisen sich außerstande die Lage unter Kontrolle zu bringen. Der verhasste Präsident Carlos Mesa wurde zum Rücktritt gezwungen. Das Parlament kann in der Hauptstadt nicht mehr tagen. Die Macht liegt auf den Straßen.

Angesichts dieser machtvollen Massenbewegung wirkt die herrschende Klasse des Landes wie gelähmt und ohnmächtig. Die Verzweiflung der herrschenden Klasse kommt nicht zuletzt dadurch zum Ausdruck, dass Teile der Oligarchie eine Spaltung des Landes anstreben. Ihr Ziel ist es die wohlhabenderen Provinzen im Osten rund um Santa Cruz von den revolutionären Hochburgen im Westen rund um La Paz und El Alto abzuspalten. Allein schon durch dieses Vorgehen gesteht die völlig degenerierte Oligarchie in Wirklichkeit schon ihre Niederlage ein bevor der Kampf noch richtig begonnen hat. Sie haben nämlich verstanden, dass sie der Massenbewegung in einem direkten Aufeinandertreffen keine entscheidende Niederlage zufügen können.

Die Tatsache, dass sich Teile der herrschenden Klasse von Bolivien separieren wollen, legt ihren völligen Bankrott offen. Es geht ihnen nur noch um die Verteidigung ihrer Macht und ihrer Privilegien. Und dafür sind sie auch bereit Bolivien zu zerstören. So viel ist also vom „Patriotismus“ der Herrschenden zu halten. Wie jede andere Oligarchie in Lateinamerika haben wir es hier mit Blutsaugern am Gängelband des Imperialismus zu tun. Die Krise in Bolivien liegt ausschließlich in der Verantwortung der Oligarchie und des Imperialismus, die das Land bis auf den letzten Blutstropfen aussaugen. Die ganze Situation ist ein Zeichen dafür, dass der bolivianische Kapitalismus in einer absoluten Sackgasse steckt und unfähig ist, die grundlegendsten Bedürfnisse der Menschen zu befriedigen. Die Großgrundbesitzer und Kapitalisten haben Bolivien ruiniert. Ein potentiell wohlhabendes Land haben sie bettelarm gemacht. Solange der Reichtum dieser Nation in den Händen dieser Banditen verbleibt, ist auch kein Fortschritt möglich.

Diese Krise ist viel mehr als nur eine Episode. Sie kann nicht durch einen Regierungswechsel, einen neuen Präsidenten, eine Kabinettsumwandlung und auch nicht durch Neuwahlen oder eine Verfassungsgebende Versammlung gelöst werden. Es handelt sich um eine Krise des gesamten Systems, und wird nur durch einen grundlegenden Wandel der Gesellschaft zu lösen sein. Deshalb richten sich die Forderungen der bolivianischen ArbeiterInnen und Bauern auch gegen das bankrotte bürgerlich-parlamentarische System. Die Losung nach ArbeiterInnen- und Volksmacht gewinnt immer mehr an Einfluss.

Die Hauptkraft in der bolivianischen Revolution ist die ArbeiterInnenklasse und ihre traditionellen Verbündeten, die Bauernschaft und die armen Massen in den Städten. Über mehr als 18 Monate des Kampfes (seit dem Herbst 2003) haben die bolivianischen Massen einen unvorstellbaren Kampfgeist, Mut und Klassenbewusstsein an den Tag gelegt. Darin liegt die schlussendliche Antwort auf all jene halbherzigen, skeptischen und zynischen Elemente in der Linken, welche der ArbeiterInnenklasse die Fähigkeit zur Veränderung der Gesellschaft absprechen! Das ist die eigentliche Antwort an all jene, die meinten, die sozialistische Revolution stehe im 21. Jahrhundert nicht mehr auf der Tagesordnung!

Generalstreik stellt die Machtfrage

Die ArbeiterInnenklasse ist in Bewegung und geht dabei den Weg ihrer traditionellen Massenorganisationen, den Gewerkschaften, der COB, welche den Generalstreik organisiert hat. Der Generalstreik ist das Instrument, das die Menschen mobilisiert hat. Millionen folgten diesem Aufruf. Der Generalstreik gab den unterschiedlichsten Gruppen ein gemeinsames Ziel. Alle Kräfte konzentrierten sich darauf, und aus dem Generalstreik gewannen alle neue Inspiration, neuen Mut. Gleichzeitig beschleunigte er die Auflösungserscheinungen im Lager der herrschenden Klasse, und er lähmte die Organe der staatlichen Repression.

Der Erfolg des Generalstreiks, der jeden Tag in neue Gebiet sich ausbreitet und neue Schichten der Klasse erfasst, ist der wohl wichtigste Faktor in der revolutionären Gleichung. Er zeigt den ArbeiterInnen welche Macht sie eigentlich in ihren Händen halten. Es zeigt, dass ohne die ArbeiterInnenklasse keine Glühlampe brennt, kein Rad sich dreht und kein Telefon klingelt. Es beweist sich in so einem Streik, dass die Gesellschaft ohne die ArbeiterInnenklasse nicht funktionieren kann. Umgekehrt kann die Gesellschaft aber hervorragend funktionieren ohne die alten „Eliten“, die das Land in den Abgrund geführt haben.

Ja, der Generalstreik ist ein mächtiger Hebel zur Mobilisierung der ArbeiterInnenklasse. Selbst vormals völlig passive Schichten der Klasse werden plötzlich zur revolutionären Aktivität erweckt und entwickeln auf der Grundlage erstmals ein Klassenbewusstsein. Der Generalstreik stellt die Frage der Macht, aber für sich allein kann er diese Frage nicht beantworten. Wer regiert die Gesellschaft? Wer ist der Herr im Haus? Diese Frage muss aber beantwortet werden, und sie muss ohne langes Zweifeln und den Anschein der Gleichgültigkeit beantwortet werden.

Keine Gesellschaft kann unendlich lange in einem Zustand der Gärung und der Instabilität existieren. Die herrschende Klasse klagt über das „Chaos“ und die Instabilität. Sie fordert Ordnung. In gewissem Sinne haben sie damit auch Recht. Die bolivianische Gesellschaft ist in einem Zustand des Chaos. Verursacht durch die Herrschaft einer unverantwortlichen und korrupten Clique von Bankern, Kapitalisten und Großgrundbesitzern und deren politischer Lakaien.

Die revolutionäre Bewegung der Massen ist nicht die Ursache des Chaos, sondern ein Versuch dieses Chaos zu beseitigen und eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten. Es ist offensichtlich, dass diese neue Ordnung, die von den Massen gefordert wird, nur durch einen radikalen und vollständigen Bruch mit dem alten Regime erreicht werden kann. Um diesen Bruch vollziehen zu können, müssen wir über die Grenzen des Generalstreiks hinausgehen. Es ist notwendig, dass der Generalstreik zu einem Aufstand wird.

Um diese Aufgabe erfüllen zu können, muss die ArbeiterInnenklasse aber organisiert sein. Jeder Teil der Klasse muss in diese Organisierung miteinbezogen werden. Nicht nur das Industrieproletariat, die Bergarbeiter und die Erdölarbeiter, sondern auch die Angestellten, die Lehrer, die Bankangestellten, die öffentliche Bediensteten. Auch die unorganisierten Schichten – die Arbeitslosen, die kleinen Straßenhändler, die Hausfrauen, die Studenten, die kleinen Kaufleute und die Bauernschaft – müssen Teil dieser Organisation werden.

Für diese gewaltige Aufgabe sind die traditionellen Strukturen der COB unzureichend. Es braucht daher neue Organisationsformen – Aktionskomitees und revolutionäre cabildos – die möglichst breit angelegt und flexibel sind, um größtmögliche Teile der Massen in die revolutionäre Bewegung integrieren zu können. Die aufständischen ArbeiterInnen haben selbst Schritte in diese Richtung gesetzt – revolutionäre Versammlungen, Streikkomitees, offene cabildos usw. Diesen Weg gilt es auch weiterhin zu verfolgen! Die neue Gesellschaftsordnung kann nur von unten aufgebaut werden. Ihre erste Aufgabe liegt im Kampf gegen die herrschende Macht, darin diese zu stürzen und zu entwaffnen. Das ist die zentrale Aufgabe im gegenwärtigen Moment.
Die Komitees und cabildos müssen organisiert und dann auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene miteinander vernetzt werden. Ihre ursprüngliche Funktion wird die von Organen des Massenkampfes sein. Ihre dringlichsten Aufgaben werden durch die unmittelbaren Forderungen der Bewegung bestimmt werden: Organisierung und Zentralisierung der Kämpfe der Massen, wie Streiks, Demos, Straßenblockaden, Boykotte usw., Sie müssen Selbstverteidigungskomitees organisieren, um die Ordnung aufrechterhalten und die ArbeiterInnendemonstrationen und Streikposten gegen faschistische Aggressionen beschützen zu können. Sie müssen die Versorgung der Bevölkerung organisieren und Spekulation und die Entwicklung eines Schwarzmarkts verhindern. Sie müssen die Preise kontrollieren und das Funktionieren der öffentlichen Dienste sicherstellen.

Je mehr es den ArbeiterInnenorganisationen gelingt diese Aufgaben zu erfüllen, werden sie auch Schritt für Schritt die Rolle einer alternativen Macht – einer ArbeiterInnenregierung – einnehmen. Sie werden die alten Autoritäten herausfordern und diese in wachsendem Ausmaße auch ersetzen. Die alten korrupten Funktionäre und Bürokraten werden auf die Seite geschoben sobald die Massen die Verwaltung der Gesellschaft selbst angehen.

Elemente der Doppelherrschaft

In Wirklichkeit existieren bereits Elemente der Doppelherrschaft in Bolivien, wie eine ganze Reihe von Augenzeugenberichten zeigen. Die Entscheidungen, die auf dem Gründungstreffen der Nationalen Volksversammlung gefasst wurden, sind Ausdruck für den haarscharfen revolutionären Instinkt der Massen.

Bei diesem Treffen hat sich El Alto selbst zum Generalstab dieser Revolution ausgerufen. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass die am meisten bewussten Teile der bolivianischen ArbeiterInnenklasse dazu bereit sind sich an die Spitze der gesamten Nation zu stellen und den Volksmassen die nötige Führung zu geben.

Zweitens, wurde dabei beschlossen eine vereinte Führung der Nationalen Volksversammlung im Sinne eines Organs (“Instruments” der Macht aufzubauen. Diese Führung soll die Vereinigung der Stadtteilräte („juntas vecinales“) mit dem Gewerkschaftsbund COB, der Bergarbeitergewerkschaft und anderen ArbeiterInnen- und Bauernvereinigungen im ganzen Land miteinander vernetzen und ihnen eine Stimme geben.

Es ist absolute notwendig, dass sich eine zentralisierte revolutionäre Führung herausbildet. Ohne eine solche Führung wäre es unmöglich die zentralisierte Macht des bürgerlichen Staates zu schlagen. Die neue Macht hat sich bereits eine Reihe von Aufgaben gesteckt: Selbstverteidigung der Bewegung, die Versorgung der Bevölkerung, die Kontrolle der Medien und auch politische Fragen.

Der letzte Punkt ist von besonderer Bedeutung. Die Bewegung ist nämlich bereits weit über die Grenzen eines „normalen“ gewerkschaftlichen Kampfes gegangen. Selbst die Forderung nach der Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölindustrie, auch wenn sie noch immer richtig und wichtig ist – ist für sich allein genommen nicht mehr ausreichend.

Das ist keine Frage der Verstaatlichung dieses oder jenes Sektors, sondern eine Frage wer die Gesellschaft führt. Der Kampf über einzelne Themen (wie die Kontrolle über Boliviens natürliche Ressourcen) wurde längst zu einem Kampf um die Macht. Wer das nicht versteht und deshalb die Bewegung in „sichere“ Bahnen umlenken und auf Verfassungsreformen oder die Einberufung einer Verfassungsgebenden Versammlung o.ä. orientieren will, spielt in letzter Konsequenz eine konterrevolutionäre Rolle.

Die Nationale Volksversammlung hat sich die Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölwirtschaft auf ihre Fahnen geschrieben. Die Frage die sich dabei stellt lautet aber: wer wird diese Forderung realisieren? Es ist durchaus vorstellbar, dass die Bourgeoisie angesichts der Bedrohung alles zu verlieren das Angebot einer Art von „Verstaatlichung“ macht, um die Bewegung wieder zu zerstreuen. Schon jetzt machten sie Angebote bezüglich Neuwahlen und einer Verfassungsgebenden Versammlung (für irgendwann in der Zukunft). All diese politischen Vorstöße haben nur einen Zweck: sie sollen die Massen verwirren und wieder demobilisieren.

Die ArbeiterInnen werden sich aber nicht so leicht austricksen lassen. Sie sind bereits durch die Erfahrung der Ereignisse von 2003 gegangen, als die revolutionäre Bewegung Präsident Lozada stürzte und nur durch ein parlamentarisches Manöver, das zur Machtübergabe an Präsident Mesa führte, von der Machtübernahme abgehalten wurde. Im Grunde hat sich an der objektiven Situation seither aber nichts geändert. Die Massen haben sehr wohl erkannt, dass das reine Austauschen von ein paar Köpfen an der Spitze des Staates nichts bringt, und sie werden sich in Zukunft daher auch nicht so leicht mehr abspeisen lassen.

Die Versammlung in El Alto hat deshalb auch „alle Manöver der herrschenden Klasse“ zurückgewiesen und ruft im Gegenzug zum Aufbau von Volksversammlungen in allen Bezirken unter der Kontrolle der COB und von gewählten Vertretern von Massenversammlungen (“elegidos en asambleas y cabildos”) auf.

Die Frage der Partei

Die Rolle der COB in diesem Prozess ist von ganz besonderer Bedeutung. Die COB ist die traditionelle Massenorganisation der bolivianischen ArbeiterInnenklasse. Sie spielte eine außergewöhnliche Rolle in der Organisation und Ausdehnung des Generalstreiks. An dieser Stelle ist jedoch eine warnende Anmerkung von Nöten. Die Führer der COB dürfen sich nicht länger darauf beschränken radikale Reden zu halten. Den Worten müssen endlich Taten folgen.

Die Führer der COB haben erklärt, dass es ein Fehler war im Herbst 2003 nicht die Macht zu erobern. Das stimmt! Die COB hätte damals die Macht ergreifen können und müssen. Diese Option lag im Rahmen des Möglichen. Stattdessen haben die Führer der COB herumlaviert und gezögert. Wertvolle Zeit ging damals verloren, was in der Folge die Machtübergabe an Mesa ermöglichte. In der Natur gibt es kein Vakuum, und diese Regel lässt sich auch auf die Politik anwenden. Natürlich, Fehler zu begehen ist zu tiefst menschlich. Es wäre jedoch fatal den gleichen Fehler zweimal zu machen.

Die Führer der COB haben ihr abwartendes Verhalten im Herbst 2003 damit begründet, dass es in Bolivien keine revolutionäre Partei gibt. Diese Schlussfolgerung aus dem Mund von Gewerkschaftsführern ist natürlich außergewöhnlich. Es stimmt, dass die zentrale Voraussetzung des Sieges der Oktoberrevolution 1917 in Russland die Existenz der Bolschewistischen Partei unter der Führung von Lenin und Trotzki war. Es ist jedoch auch richtig, dass im Februar 1917 die Bolschewiki in der ArbeiterInnenklasse und den Sowjets nur eine kleine Minderheit repräsentierten. In Bolivien gibt es heute keine Bolschewistische Partei – obwohl es eine starke bolschewistische (trotzkistische) Tradition in der ArbeiterInnenbewegung gibt und Tausende AktivistInnen in dieser Tradition politisch geformt wurden. Ausdruck dafür sind die von der Bergarbeitergewerkschaft verfassten und später von der COB angenommenen Thesen von Pulacayo aus dem Jahr 1946.

Würde heute in Bolivien eine Bolschewistische Partei existieren, dann wäre die Frage der Machteroberung um vieles einfacher. Jedoch auch ohne die Existenz einer solchen Partei bleibt diese Aufgabenstellung noch immer aktuell und kann nicht einfach auf später verschoben werden. Die ArbeiterInnenklasse ist kein Wasserhahn, den man ganz nach Belieben der revolutionären Partei, der COB usw. auf- und abdrehen kann. Die ArbeiterInnen und Bauern fordern jetzt, dass die Macht in ihre Hände übergehen soll. Die objektiven Voraussetzungen dafür sind mehr als günstig. In Wirklichkeit kann man sich kaum bessere Bedingungen vorstellen für einen revolutionären Sturz des Kapitalismus. Lässt man diese Gelegenheit einfach verstreichen, dann kann es Jahre dauern bis wieder eine ähnliche Gelegenheit eintritt.

In solch einer Situation ist es eine unzureichende Entschuldigung zu sagen, man könne nicht die Macht erobern weil es keine revolutionäre Partei gibt. Es gab in der Geschichte bereits Situationen, wo die ArbeiterInnen auch ohne die Hilfe einer revolutionären Partei die Macht erobert haben. Man denke nur an den Fall der Pariser Kommune 1871. Marx nannte die Kommunarden damals „Himmelsstürmer“. Sie haben den alten bürgerlichen Staat gestürzt und gingen daran eine neue Form der Staatsmacht – oder um es mit Engels etwas genauer zu sagen – einen Halbstaat aufzubauen. Eine neue Macht, die nach absolut demokratischen Kriterien organisiert wurde und die Mehrheit der Gesellschaft gegen eine winzige Minderheit von Ausbeutern repräsentierte.
Lenin legte unzählige Male die vier Grundprinzipien der Pariser Kommune als Grundlage für die Sowjetmacht in Russland dar:

1.Freie und demokratische Wahlen mit dem Recht auf jederzeitige Abwählbarkeit aller Delegierten. 2.Fachabeiterlohn für Funktionäre. 3.Volksbewaffnung statt einer stehenden Armee. 4.Schritt für Schritt Einführung eines Rotationsprinzips bei der Verwaltung der Gesellschaft (“wenn jeder einmal ein Bürokrat ist, dann ist niemand ein Bürokrat“)

Dieses einfache Programm könnte auch die Grundlage für einen ArbeiterInnenstaat in Bolivien sein. Jeder bolivianische ArbeiterInnen oder Bauern kann diese Prinzipien verstehen. Die bolivianischen ArbeiterInnen und Bauern wissen vielleicht nicht genau welche neue Gesellschaft sie wollen, aber sie wissen genau was sie nicht wollen. Sie wollen auf keinen Fall Mesa oder irgendeinen anderen bürgerlichen Kandidaten. Sie wollen keine Herrschaft der bolivianischen Banker, Großgrundbesitzer und Kapitalisten. Sie wollen nicht mehr länger dulden, dass ihr Land den Interessen des Imperialismus untergeordnet wird. Sie wollen kein Scheinparlament oder eine „Verfassungsgebende Versammlung“, die ebenfalls nichts zu sagen hat. Sie wollen selbst die Macht ausüben.

Im Februar 1917 haben die russischen ArbeiterInnen und Soldaten, die sich in Sowjets organisiert hatten, das tausend Jahre alte Regime des Zarismus gestürzt. Wie im Fall der Pariser Kommune stand an der Spitze dieser Bewegung keine Partei. Das hinderte sie aber nicht daran den Zaren zu stürzen. Ohne einer revolutionären Partei konnten sie aber die Revolution nicht zu Ende führen. Dadurch kam es zur Herausbildung einer „Doppelherrschaft“ zwischen bürgerlicher Regierung und den Sowjets. Letzten Endes gelang es Lenin und Trotzki aber die Mehrheit der ArbeiterInnen in den Sowjets durch eine Kombination aus Prinzipienfestigkeit und taktischer Flexibilität für eine sozialistische Strategie zu gewinnen.

Der wichtigste Slogan der Bolschewiki nach dem Februar 1917 war „Alle Macht den Sowjets“ (und nicht die „Verfassungsgebende Versammlung“, wie manche TrotzkistInnen in Lateinamerika zu glauben scheinen). Es sollte dabei aber nicht vergessen werden, dass die Sowjets in Russland damals unter der Führung linker ReformistInnen und ZentristInnen (den Menschewiki und den Sozialrevolutionären) stand und die Bolschewiki nur eine kleine Minderheit repräsentierten. Als Lenin die Losung „Alle Macht den Sowjets“ vorbrachte, sagte er somit den Führern der Sowjets: „Übernehmt die Macht. Ihr habt die Unterstützung der Mehrheit. Wenn Ihr die Macht übernehmt, werden wir Bolschewiki Euch dabei unterstützen, und dann wird der Kampf um die Macht auf eine friedliche Debatte in den Sowjets reduziert.“

Lenin hielt nach dem Februar eine Unzahl von Reden genau entlang dieser politischen Linien. Er forderte immer und immer wieder, dass die Führer der Sowjets die Macht erobern und eine Politik im Interesse der ArbeiterInnen und Bauern umsetzen sollten. Die bolivianischen MarxistInnen sollten heute dasselbe tun. Diejenigen, die heute an der Spitze der COB und der Volksversammlungen stehen, haben die Pflicht die Bewegung vorwärts zu führen. Wenn man „A“ sagt, dann muss man „B“, „C“ und „D“ sagen. Die Führer der Bewegung haben durch ihr bisheriges Handeln die bürgerliche Gesellschaft in eine tiefe Krise gestürzt. Nachdem sie die Bewegung so weit geführt haben, ist es nun unmöglich einfach wieder zurückzukehren zum Ausgangspunkt. Die Bewegung ist an einem Punkt angekommen, wo die Eroberung der Macht die einzige Möglichkeit darstellt.

Im Prinzip könnten die ArbeiterInnen Boliviens ohne großen Aufwand mittels ihrer demokratischen Organe – den Volksversammlungen, Streikkomitees, den revolutionären Cabildos und Stadtteilräten – die Macht erobern, und dann dazu übergehen eine Partei aufzubauen. Oder besser gesagt, ihre Parteien aufzubauen, den alle Strömungen mit Ausnahme jeder, die die Konterrevolution unterstützen, sollen sich frei organisieren können. Die Voraussetzung dafür ist aber, dass die Bewegung die Macht erobert solange die Bedingungen dafür noch gegeben sind.

Reformismus und die Machtfrage

Für die ReformistInnen egal welcher Spielart ist das ein absolutes Horrorszenario. Sie werden mit allen Mitteln versuchen, diese Entwicklung zu verhindern. Sie werden die ArbeiterInnen einschüchtern und nicht müde werden, Argumente zu finden, warum man gerade jetzt die Macht nicht erobern dürfe. Ihr Hauptargument ist dabei in der Regel in der Warnung vor dem Risiko eines Bürgerkriegs, schrecklichem Blutvergießen und Gewaltexzessen verpackt. Würde dieses Argument stimmen, dann hätte es natürlich noch nie in der Menschheitsgeschichte eine Revolution geben können, und die Menschheit würde noch in den Ketten der Sklaverei liegen. Die Geschichte lehrt uns aber etwas anderes.

Auf dem Papier verfügt die herrschende Klasse in Bolivien über einen beachtlichen Gewaltapparat. Sie hat eine Armee und die Polizei. Das sollte theoretisch genügen, um die „Ordnung“, d.h. um die herrschende Ordnung, aufrechtzuerhalten. Doch aus der Sicht der herrschenden Klasse gibt es ein Problem, das darin begründet ist, dass die Armee und die Polizei sich aus ganz normalen Menschen zusammensetzen. Und diese Menschen stehen unter dem Einfluss der generellen Stimmung in der Gesellschaft. Große Teile der Basis der Armee und der Polizei sympathisieren im Normalfall mit den ArbeiterInnen und Bauern, auch wenn sie unter normalen Umständen durch die militärische Disziplin und die Angst vor den Offizieren nicht aufbegehren. In einer derart tiefen Krise, wie wir sie in Bolivien vorfinden, kann es selbst an der Spitze der Armee zu Spaltungen kommen. Die Spannungen in der Armee können dann leicht einen Punkt erreichen, wo die Disziplin nicht länger aufrechtzuerhalten ist.

Ein bedeutender Teil der Armeeoffiziere in Bolivien halt die gesamte Situation für nicht länger tragbar. Sie erleben täglich die Korruption und Degeneration der Oligarchie. Durch den Ausverkauf der natürlichen Ressourcen des Landes an multinationale Konzerne ist ihr Nationalstolz schwer verletzt worden. Einige von diesen Offizieren haben bereits öffentlich die Forderung nach Verstaatlichung der Erdgas- und Erdölvorkommen unterstützt. Auch die Autonomiebestrebungen von Teilen der reaktionären Oligarchie, die zu einer Spaltung des Landes führen könnten, hat in den Offizierskorps große Besorgnis ausgelöst.

In der Armee wie auch bei der Polizei kam es zu einem internen Differenzierungsprozess. Dies beweist, dass wir es hier mit einer Krise des gesamten Systems zu tun haben. Der Parlamentarismus hängt in Bolivien nur noch an einem seidenen Faden. Alle bürgerlichen Politiker und Parteien sind diskreditiert. Die Institutionen der bürgerlichen Macht haben keine wirkliche Autorität mehr. Die alte Staatsmacht siecht dahin. Es wird aber einen gezielten Schlag brauchen, um diesen Apparat zusammenbrechen zu lassen.
Einige Führer der COB haben aus der Existenz einer radikalen Strömung unter den Armeeoffizieren leider die falschen Schlüsse gezogen. Es scheint als habe Jaime Solares Illusionen in die Möglichkeit, dass ein linker Armeeoffizier die Bewegung anführen könnte. Er denk dabei wohl an eine Analogie zur Entwicklung in Venezuela. Diese Analogie ist aber völlig falsch. In Venezuela trat die Bewegung rund um Hugo Chavez nach der Niederlage des Aufstands im Februar 1989 (dem Caracazo) erstmals auf. Das war damals eine zweifelsohne fortschrittliche Entwicklung, weil es den Massen eine Möglichkeit gab sich nach einer verheerenden Niederlage neu zu gruppieren, um in weiterer Folge wieder zuerst auf der Ebene parlamentarischer Wahlen und dann in Form von direkten Massenaktionen in die Offensive zu gehen. Das ist der Grund warum die sozialistische Revolution heute in Venezuela wieder auf der Tagesordnung steht.

Die Situation in Bolivien ist heute nicht mit jener in Venezuela in den Jahren 1989.90 zu vergleichen. Ja, wir haben es mit dem exakten Gegenteil zu tun. Die ArbeiterInnenklasse wurde nicht besiegt. Im Gegenteil, sie ist in der Offensive und treibt alles vor sich her. Sie baut neue Organe der Macht auf und fordert die bürgerliche Ordnung direkt heraus. Wir haben es hier mit einer viel fortgeschritteneren Form einer Bewegung zu tun als es ein spontaner Massenaufstand wie der Caracazo je sein kann. Das Bewusstsein der bolivianischen ArbeiterInnen ebenfalls weit fortgeschrittener. Das spiegelt die revolutionären Traditionen von 1952 wider, als die ArbeiterInnenbewegung die Kräfte des bürgerlichen Staates erschütterten. Es ist auch das Ergebnis jahrzehntelanger Aktivität und Propaganda im Sinne des Bolschewismus (Trotzkismus), was zumindest die fortgeschrittensten Teile der Bewegung nachhaltig geprägt hat.

Die Befreiung der ArbeiterInnenklasse kann nur das Werk der ArbeiterInnen selbst sein. Revolutionäre dürfen diese Aufgabe nie und nimmer an jemand anderen delegieren. Wir dürfen unser Schicksal auf keinen Fall den Vertretern einer anderen Klasse überlassen, auch wenn diese noch so ehrlich und fortschrittlich sein mögen. MarxistInnen müssen die ArbeiterInnen immer darin bestärken in die eigenen Kräfte, die eigenen Organisationen und das eigene Bewusstsein zu vertrauen. In den Worten des ArbeiterInnenliedes „Die Internationale“:

„Kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun – uns aus dem Elend zu erlösen, können wir nur selber tun.“

Die Losung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung

Gegenwärtig existieren alle Voraussetzungen für eine friedliche Machtübernahme durch die bolivianische ArbeiterInnenklasse. Es fehlt nur eine Führung. Früher oder später werden die Massen, beginnend mit der proletarischen Avantgarde, auf der Basis der eigenen Erfahrungen die nötigen Schlussfolgerungen ziehen und die Macht fordern. Wenn zuviel Zeit verloren geht, die Führung herumlaviert und den Worten keine Taten folgen lassen, kann die beste Gelegenheit ungenützt verstreichen, wie es schon im Herbst 2003 der Fall war.

Die herrschende Klasse hat in Bolivien eine Reihe von heftigen Rückschlägen erleiden müssen. Sie liegt am Boden, aber sie ist noch nicht am Ende. Sie wird wieder in den Ring zurücksteigen, und sie kann den Kampf gewinnen. Ihre wichtigste Waffe wird gegenwärtig nicht die pure Gewalt sein, weil sie sich nicht in genügendem Maße auf den Staatsapparat verlassen kann. Deshalb wird sie auf Manöver im Rahmen des parlamentarischen Systems setzen. Sie ist zumindest im Moment nicht stark genug um die Revolution im Blut zu ersticken. Ein Einsatz der geballten Faust würde das Land in einen Bürgerkrieg stürzen, wobei nicht sicher ist, wer diese Auseinandersetzung gewinnen würde. Damit wird sie es vorerst bei einer Verzögerungstaktik belassen. Die Massen sollen dabei mit heuchlerischen Versprechen besänftigt werden.

Die Bourgeoisie wird aus dem Bewusstsein selbst schwach zu sein auf Zeit spielen. Sie wird mit allen Mitteln versuchen an der Macht festzuhalten. Ihre letzte Trumpfkarte diesbezüglich wird die Forderung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung sein. Eine Losung, die leider von nicht wenigen Linken in Lateinamerika ebenfalls propagiert wird. Unsere Meinung dazu ist klar und wir haben sie schon mehrfach zum Ausdruck gebracht. Die Losung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung ist unter den konkreten Umständen der Bolivianischen Revolution nicht mehr als eine Falle.
In einer Situation, wo sich die Massen in einer offenen Revolte gegen die bürgerliche Ordnung befinden, in welcher die bürgerlichen Parlamentspolitiker von der überwältigenden Mehrheit mit absolutem Misstrauen gesehen werden, in welcher die ArbeiterInnenklasse in einem Bündnis mit der städtischen Armut und der Bauernschaft Organe der revolutionären Macht in Opposition zum bürgerlichen Parlament aufbauen in solch einer Situation hat der Slogan nach einer Verfassungsgebenden Versammlung einen absolut konterrevolutionären Inhalt. Es ist die Losung der bürgerlichen Konterrevolution, die sich hinter einer demokratischen Maske versteckt.
Statt mit schwerbewaffneten Soldaten schicken die Herrschenden ihre zweite Verteidigungslinie in Aktion: die professionellen “demokratischen” und “linken” Politiker, die gescheiten Rechtsanwälte und Verfassungsexperten. Diese werden Milch und Honig versprechen – irgendwann in der Zukunft, nachdem die ArbeiterInnen und Bauern ihren Kampf abgeblasen haben und wieder nach Hause zurückgekehrt sind, um die Debatten bezüglich einer neuen Verfassung, die hinter verschlossenen Türen stattfinden werden, abzuwarten. „Wartet auf die Verfassung!“, „Wartet auf Neuwahlen!“,…und sobald die ArbeiterInnen wieder in die gewohnte Inaktivität zurückgefallen sind, werden die alten Ausbeuter in Ruhe wieder die Kontrolle über den Staat und die Gesellschaft ausüben.

Falls die ArbeiterInnenklasse die Macht nicht übernehmen kann, wird wahrscheinlich Evo Morales an die Macht kommen. Diese Regierung unter Morales wird vergleichbar sein mit der Regierung Kerenski in Russland 1917. Kerenskis Regierung überlebte nur wenige Monate, in Bolivien heute muss das aber nicht der Fall sein. Die Ursache für die kurze Dauer der Regierung Kerenski lag daran, dass es gleichzeitig zwei mächtige Alternativen gab: Bolschewismus und Faschismus. In Bolivien heute ist das anders, zumindest zum gegebenen Zeitpunkt. Angesichts der Schwäche der herrschenden Klasse in diesem Moment ist ein blutiger Militärputsch praktisch ausgeschlossen. Die Bourgeoisie wird sich auf andere Kräfte, auf ihren linken Fuß, stützen müssen. Bolivien wird somit höchstwahrscheinlich eine Phase des bürgerlichen Parlamentarismus durchlaufen, die durch enorme Instabilitäten und ständige Krisen gekennzeichnet sein wird. Theoretisch kann sich dieses System aber eine Zeit lang halten.
Die Trumpfkarte im Ärmel der herrschenden Klasse und ihrer Strategen (wahrscheinlich ihre einzige Karte) ist die Losung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung. Zum richtigen Zeitpunkt werden sie diese Losung nutzen, um die Massen einzulullen. Trotzdem unterstützen noch immer Teile der Linken diese Forderung. Offensichtlich stellen sie sich nicht die Frage warum auch die Bourgeoisie mit dieser Forderung leben kann. Um diese peinliche Frage nicht beantworten zu müssen, stürzen sie sich in eine sophistische Sicht der Dinge: „Ah, ob wir nun die Losung nach einer Verfassungsgebenden Versammlung unterstützen hängt davon ab, wer diese einberuft.“
Das bringt uns aber nicht weit und lost auch nicht den zentralen Widerspruch in dieser Frage auf. Denn falls die ArbeiterInnenklasse stark genug wäre die Verfassungsgebende Versammlung einzuberufen, dann wäre sie auch stark genug um die Macht selbst zu übernehmen. Unser Slogan ist daher nicht jener nach einer Verfassungsgebenden Versammlung sondern „Alle Macht den Volksversammlungen!“. Wir müssen die Gedanken der Massen und speziell der ArbeiterInnenklasse und ihrer Vorhut auf die Frage der Machteroberung orientieren.

Die ArbeiterInnenklasse muss die Macht übernehmen!

Wie in jeder Revolution bewegen sich die Ereignisse mit enormer Geschwindigkeit. Letzten Montag demonstrierten eine halbe Million Menschen in den Straßen von La Paz. Am gleichen Tag trat Präsident Mesa zurück. Die Masse der ArbeiterInnen, BergarbeiterInnen und Bauern ist auf den Beinen. Und das revolutionäre Bewusstsein der Massen macht gewaltige Sprünge vorwärts. Gestern stimmten die ArbeiterInnen- und Bauernvertreter in El Alto für ein Programm, das auf die Errichtung einer ArbeiterInnenmacht hinausläuft. Diese Nachricht muss im ganzen Land, in jeder Stadt und in jedem Dorf verbreitet werden.
Lenin erklärte vor langer Zeit, was die Bedingungen für eine revolutionäre Situation sind: die herrschende Klasse muss von Krisen geschüttelt, gespalten und handlungsunfähig sein. Die Mittelklassen müssen zwischen Revolution und ihrer Loyalität zur alten Ordnung hin und her gerissen sein. Die ArbeiterInnenklasse muss zu politischem leben erwacht sein und die größtmöglichen Anstrengungen zur Veränderung der Gesellschaft an den Tag legen. Und zu guter Letzt braucht es eine revolutionäre Partei und eine revolutionäre Führung. All diese Bedingungen existieren heute in Bolivien – mit Ausnahme der revolutionären Partei.

Die ArbeiterInnen haben mehrfach ihre Bereitschaft zu kämpfen und ihre eiserne Entschlossenheit unter Beweis gestellt. In dem Maße wie die ArbeiterInnen entschlossen für ihre Sache kämpfen wird es ihnen auch gelingen die Masse des Kleinbürgertums auf ihre Seite zu ziehen. Das Kleinbürgertum sucht ebenfalls einen Ausweg aus der Krise, die auf der gesamten Gesellschaft lastet. In Bolivien, zumindest in La Paz, unterstützt heute bereits die Mehrheit der Mittelschichten die revolutionäre Bewegung.
Bezüglich der Armee und der Polizei gibt es keine Anzeichen, dass diese bereit wären die Revolution wirklich zu unterdrücken. Berichten zufolge gelang es Bäuerinnen, die an der Spitze von Demos marschierten, erfolgreich Polizeieinheiten davon zu überzeugen nicht gegen die DemonstrantInnen vorzugehen. So gab es bisher auch relativ wenig ernsthafte Repression. Angesichts der Spaltungstendenzen in der Armee und der Polizei kann jeder gewaltsame Zwischenfall das Fass zum Überlaufen bringen und den Staatsapparat erschüttern.

Der alte Staatsapparat bricht vor unsere Augen auseinander. Die Stimmung der Massen läuft auf einen offenen Bruch mit der alten Ordnung hinaus. Nicht nur der Präsident Mesa sondern die gesamte soziale und politische Ordnung ist diskreditiert. Deshalb rufen die Massen: „Nieder mit dem bürgerlichen Parlament!“ Doch irgendetwas muss an die Stelle dieser Ordnung treten: das kann nur eine ArbeiterInnen- und Bauernregierung sein, die sich auf die Volksversammlungen stützt und denen sie auch rechenschaftspflichtig sein muss.

Das entscheidende Element nun ist die Bewegung der ArbeiterInnenklasse, welche von unten auf direkte Aktion setzt. Als die ErdölarbeiterInnen Ölfelder besetzten, stimmte ihre Gewerkschaft dafür, dass die Gaslieferungen wieder aufgenommen würden, dass die Transporte aber von einem ArbeiterInnenvertreter und einem Vertreter der Stadtteilräte (juntas vecinales) begleitet werden müssten, damit diese sicherstellen, dass die Transporter nicht in die Reichenvierteln oder gar für Spekulationsgeschäfte umgeleitet würden. Das ist ein konkreter Ansatz für ArbeiterInnenkontrolle von unten.
Die wichtigste Aufgabe wäre es nun, die bewusstesten Teile der ArbeiterInnenklasse auf der Grundlage eines revolutionären Programms zu vereinen. Die Zeit für revolutionäre Reden ist vorbei. Nun müssen Taten folgen. Die jetzt so günstigen Bedingungen werden nicht ewig andauern. Die Zeit läuft eher gegen uns. Deshalb braucht es jetzt ein entschlossenes Vorgehen. Die herrschende Klasse Boliviens erwies sich als schwach, korrupt, degeneriert und reaktionär. Sie muss gestürzt und durch eine ArbeiterInnenregierung ersetzt werden.

In der Vergangenheit gab es in Bolivien schon viele revolutionäre Bewegungen. Einige waren erfolgreich; einige nicht. Doch keine dieser Bewegungen hat es geschafft, die Gesellschaft grundlegend zu verändern. Die größten Probleme des Landes wurden deshalb auch nie gelöst. Diesmal ist jedoch vieles anders. Ganz Lateinamerika wird derzeit von einer revolutionären Welle erschüttert. Die reaktionären Kräfte sind überall in der Defensive. Überall sind die ArbeiterInnen und Bauern in der Offensive. Ein entscheidender Sieg in einem Land Lateinamerikas könnte die ganze Situation dramatisch verändern.

Die revolutionäre Bewegung in Venezuela stellt für Millionen von armen ArbeiterInnen und Bauern eine unvorstellbare Quelle der Inspiration dar. Die jüngsten Erhebungen in Ekuador, die noch lange nicht zu Ende sind, sind ein Ausdruck der generellen Instabilität mit all ihren revolutionären Implikationen. Nun steht in Bolivien die sozialistische Revolution auf der Tagesordnung. Die ArbeiterInnen und die Jugend in ganz Lateinamerika wenn nicht weltweit werden die Bolivianische Revolution mit großem Enthusiasmus begrüßen und sie mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen, unterstützen.

Es ist nicht so lange her, da wurde der Sozialismus für tot erklärt. Revolutionen seien demzufolge unmöglich geworden. Die beeindruckenden Ereignisse in Venezuela und Bolivien haben dieser pessimistischen Sichtweise den Boden unter den Füßen weggezogen. In welch wunderbarer Epoche der Menschheitsgeschichte sind wir doch geboren! Welche Inspiration stellen die Kämpfe der ArbeiterInnenklasse dar! Welch unvorstellbaren Möglichkeiten tun sich vor der Menschheit auf!

Alan Woods

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