Kategorie: Kapital und Arbeit

Poststreik: Fauler Kompromiss

Nach vier Wochen Streik hat die Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag mit der Deutschen Post AG abgeschlossen und den Arbeitskampf beendet. »Ohne die Rückführung der Delivery GmbH unter das Dach der Post und den Haustarif wird es keinen Frieden geben«, hatte der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske am 18. Juni 2015 mehreren tausend streikenden Postbeschäftigten bei einer Kundgebung vor dem Bonner Post-Tower zugerufen und dafür tobenden Applaus erhalten.


Aus gutem Grund. Schließlich liegt der einzige Zweck der zu Jahresanfang gegründeten Delivery GmbH darin, als Niedriglohntochter der Post AG zu fungieren und die Belegschaft zu spalten. Für die Delivery GmbH mit ihren Töchtern bestimmte der Postvorstand den deutlich schlechteren Tarifvertrag für die Logistikbranche. Und diese Provokation war der Auslöser für den größten Arbeitskampf bei der Post seit Jahrzehnten, an dem sich seit 8. Juni bundesweit über 30.000 Beschäftigte beteiligt hatten.

Doch dieses hochheilige Versprechen hielten Bsirske und die ver.di-Spitze nicht lange. Am 5. Juli 2015 knickte die gewerkschaftliche Verhandungsführung ein und kapitulierte in dieser Frage vor dem Konzernvorstand “Die Post AG war nicht bereit, über die Rückführung der Delivery GmbHs unter das Dach der Deutschen Post AG zu verhandeln”, heißt es in einem Info, das den Streikenden bundesweit am letzten Tag des gut vierwöchigen unbefristeten Arbeitskampfes ausgehändigt wurde.

Dabei bestand kein vernünftiger Grund und kein Sachzwang, den Arbeitskampf und Druck auf den Konzernvorstand abrupt zu beenden. Die Streikfront stand, die Motivation war hoch, von Ermüdung oder Ermattung keine Spur. Allmählich hatte der Streik ein breiteres Echo gefunden und war sogar Thema Aktueller Stunden in Bundestag und Landtagen. Eine Mehrheit der Bevölkerung sieht die vor 20 Jahren eingeleitete Postprivatisierung inzwischen sehr kritisch und hatte Sympathien für den Streik. Streiken ist kein Zuckerschlecken. Viele hatten erstmals in ihrem Leben mitgestreikt und waren kurz zuvor in die Gewerkschaft eingetreten.

Um so mehr machte sich bei vielen Streikenden spontan Enttäuschung breit, als sie am Abend des 5. Juli vom Tarifabschluss erfuhren. In sozialen Netzwerken und vor Ort fanden wir Kommentare wie:

  • Die wollten bestimmt ins Freibad, oder haben zuviel PeP TV geschaut.
  • Dieser Abschluss ist ein fauler Kompromiss und Schlag in das Gesicht aller Beschäftigten.
  • Für diesen Abschluss war es nicht wert, vier Wochen zu streiken.
  • Für einen gescheiten Abschluss hätte ich noch weiter gestreikt.
  • Für DIESEN Abschluss haben wir nicht gekämpft!!!!!!
  • Ganz ganz viele sind sehr enttäuscht.
  • Viele fühlen sich verraten und verkauft – auch von ihrer Gewerkschaft.
  • Das hätten wir auch ohne vier Wochen Streik kriegen können.

Sicher enthält das abgeschlossene Tarifwerk einige Passagen, die der Stammbelegschaft der Post AG eine gewisse Absicherung bringen. So der Schutz für alle Post-Beschäftigten vor betriebsbedingten Kündigungen und Änderungskündigungen bis Ende 2019. Zumindest in der Brief- und Verbundzustellung soll eine Fremdvergabe an Vertragspartner und damit eine lange Kette von Subunternehmern bis Ende 2018 ausgeschlossen werden. Auszubildende des Prüfungsjahrgangs 2015 sollen unbefristete Vollzeitjobs erhalten. Die derzeit über 7600 Paketzusteller der Post AG bleiben bei ihrem bisherigen Arbeitgeber und müssen nicht damit rechnen, in die neue Billigtochterfirma Delivery GmbH abgeschoben zu werden. Es bleibt indes abzuwarten, ob und inwieweit das Management tatsächlich vertragstreu ist oder den seit Jahren anhaltenden Kleinkrieg gegen Beschäftigte, Betriebsräte und Gewerkschaft munter fortsetzt und damit weiter die Gerichte beschäftigt. Die meisten Errungenschaften im Tarifvertrag gelten allerdings nicht für die künftigen Delivery-Beschäftigten und noch weniger für die rechtlosen Prekären, die über Subunternehmen von der Hand in den Mund leben.

Zentrale Ziele nicht erreicht

Gemessen an der Stimmung unter den Streikenden, den ver.di-Forderungen und Reden der ver.di-Spitze ist das Ergebnis allerdings alles andere als zufriedenstellend. So haben die ver.di-Unterhändler in Bad Neuenahr in zwei zentralen Anliegen kampflos kapituliert: bei der Forderung nach Arbeitszeitverkürzung von 38,5 auf 36 Wochenstunden. Und bei dem Ziel, durch Druck von unten die vom Postvorstand betriebene Ausgründung von 49 regionalen Delivery GmbHs rückgängig zu machen bzw. in ihnen den Haustarif der Deutschen Post durchzusetzen.

Die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung war eine Reaktion auf die Erkenntnis, dass ver.di in früheren Tarifrunden der Post mit Zugeständnissen weit entgegen gekommen ist, das Management dafür aber die im Gegenzug versprochene Begrenzung der Fremdvergabe an externe Subunternehmen nicht eingehalten hat und somit vertragsbrüchig geworden ist.

Viele Gewerkschafter sind überzeugt, dass eine Fortsetzung des Streiks in den kommenden Wochen noch viel mehr Druck auf den Postvorstand und den Bund als nach wie vor größten Einzelaktionär erzeugt hätte, um ein Nachgeben der Arbeitgeberseite zu erzwingen. Diese Chance wurde vertan bzw. war offensichtlich von der Streikleitung nicht ernsthaft beabsichtigt.

Postchef Frank Appell, der mit 9,6 Millionen Euro Jahreseinkommen 264 mal so viel bezieht wie ein Post-Briefzusteller, kann aufatmen. Seinen Kurs auf eine Zerschlagung des Konzerns kann er nun fortsetzen. Die ver.di-Führung nahm die Delivery-Ausgründung hin und bestand am Ende nicht einmal mehr auf einer Minute Arbeitszeitverkürzung. Dabei hatten die Aktivitäten der Streikenden in den letzten Wochen bei der Bevölkerung und politischen Parteien ein Echo gefunden. So ist allmählich auch ins Blickfeld gerückt, dass der Staat mit 21 Prozent immer noch größter und einflussreichster Einzelaktionär der Deutschen Post ist und Scharen rechtsloser Tagelöhner im Laufe der Jahre die Arbeit übernommen haben, die früher Beamte, Angestellte und Arbeiter mit sicherer beruflicher Perspektive verrichteten. Dabei konnte die alte Bundespost jährlich 5 Milliarden DM an den Bundeshaushalt abführen. Unter dem Druck der Großaktionäre setzt das Management zunehmend auf eine Reduzierung der Stammbelegschaft, Spaltung der Beschäftigten und Lohnsenkung.

Viele Streikende sind unzufrieden mit dem Abbruch und Abschluss und sehen sich überrumpelt und vor vollendete Tatsachen gestellt Eine Urabstimmung über Annahme oder Ablehnung des Ergebnisses ist nicht vorgesehen, weil es vor dem unbefristeten Streik auch keine Urabstimmung über die Bereitschaft zum Arbeitskampf gegeben hat. Warum sträubt sich der ver.di-Vorstand gegen eine Mitgliederbefragung in den Streikbetrieben, wie sie jetzt bei den Sozial- und Erziehungsdiensten läuft.

Betrüblich ist der jähe Streikabbruch auch wegen der davon ausgehenden Signalwirkung. Er war keine “normale Lohnrunde”, sondern ein hochpolitischer Arbeitskampf und Stellvertreterkampf für die gesamte Republik. Dabei fing das spektakuläre Streikfrühjahr so hoffnungsvoll an und war die Chance für eine Bündelung der Kräfte, für eine breite Kampagne zur Verteidigung und Wiederherstellung der öffentlichen Daseinsvorsorge, gegen Privatisierung, Lohndumping, Prekarisierung und Abbau von Gewerkschaftsrechten gegeben. Stattdessen kam es zu einer fast beispiellosen Verzettelung der Kräfte, wobei jeder Bereich mehr oder weniger im eigenen Saft schmorte. Zuerst streikten die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen vier Wochen lang. Ausgerechnet am 8. Juni 2015, als dieser eindrucksvolle Streik mit Hinweis auf die Schlichtungsgespräche jäh abgebrochen wurde, begann der unbefristete Poststreik, der auch nur vier Wochen dauern durfte. Und ausgerechnet an dem Sonntag, 5. Juli 2015, an dem die griechische Bevölkerung im Referendum ein Zeichen gegen kapitalistische Spardiktate setzte und damit das Kapital und die Bundesregierung kalt erwischte, stabilisiert der Postabschluss den Konzernvorstand und die in Erklärungsnöte geratene Bundesregierung. Was für eine riesige Verschwendung von Ressourcen. Um wieviel größer wäre die Durchschlagskraft bei einer Bündelung gewesen?

Die Reaktion aktiver und enttäuschter KollegInnen darf nicht darin liegen, sich in die Passivität zurück zu ziehen und der Gewerkschaft den Rücken zu kehren. Mehr denn je brauchen wir demokratische, schlagkräftige und kämpferische Gewerkschaften, die nicht Sozialpartnerschaftsträumen vergangener Jahrzehnte hängen oder sich von gut bezahlten Aufsichtsratsmandaten für abgehobene Funktionäre blenden und auf ein Co-Management einstimmen lassen. Und die Streiks nicht nur als isolierte Einzelaktion ansehen, sondern für eine größtmögliche Aktionseinheit eintreten. Das geht nur mit einer selbstbewussten Basis, die sich besser vernetzt, klare Resolutionen an den Vorstand verfasst und jetzt für eine Mitgliederbefragung stark macht.

 

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