Kategorie: Kapital und Arbeit

Deutsche Fleischindustrie: Zustände wie im Frühkapitalismus

Anfang Februar haben die Arbeitgeberverbände der deutschen Fleischwirtschaft und die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) einen neuen Tarifvertrag über die Mindestarbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft abgeschlossen.


Demnach erhalten die Beschäftigten der Branche nach NGG-Angaben künftig einen Stundenlohn von mindestens neun Euro. Das sind 16 Cent mehr als der gesetzliche Mindestlohn von derzeit 8,84 Euro. Überstunden können in einem Arbeitszeitkonto gutgeschrieben werden, falls die Beschäftigten einem Arbeitszeitkonto zugestimmt haben. Vereinbart wurde auch, dass pro Arbeitstag eine Umkleidezeit von 10 Minuten vergütet wird.

Dass Arbeiter mit neun Euro Stundenlohn nicht über die Runden kommen und Altersarmut droht, weiß auch der stellvertretende NGG-Vorsitzende Kollege Guido Zeitler: „Der Weg zu armutsfesten Mindestlöhnen und attraktiven Arbeitsbedingungen in der Fleischwirtschaft ist noch weit“, kommentierte er den Tarifvertrag und sprach von einem „kleinen Schritt in die richtige Richtung“.

Zur deutschen Fleischwirtschaft mit rund 165.000 Beschäftigten wird die Schlachtindustrie und die fleischverarbeitende Industrie gezählt, nicht aber das angestammte Fleischerhandwerk, das von den großen industriellen Schlachthöfen immer mehr verdrängt wird. Der neue Tarifvertrag gilt nach NGG-Angaben für alle Beschäftigten der Branche – auch für ausländische Kolleginnen und Kollegen, die im Auftrag von Subunternehmen in den deutschen Betrieben arbeiten.

Die deutsche Fleischwirtschaft setzte bereits seit den 1990er Jahren und damit noch vor der Agenda 2010 auf einen Abbau von Tarifstrukturen und eine enorme Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Heute findet in den Schlacht- und Fleischerzeugungsbetrieben ein massenhafter Missbrauch von Werkverträgen statt. Zentrale Arbeitsvorgänge wie das Schlachten und Zerlegen von Tieren werden ausgelagert, so dass in manchen Betrieben bis zu 80 Prozent dieser Arbeiten von Werkvertragsarbeitern erledigt werden.

Nach der Öffnung der EU konnten die Unternehmen ihre Stammbelegschaften durch Werkvertragsarbeiter überwiegend aus osteuropäischen Ländern austauschen. Diese werden mit undurchsichtigen Werkvertragskonstruktionen über Sub- und Subsubunternehmen angeheuert. Dabei werden diese Menschen, die aus Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit und niedrigsten Löhnen kommen, mit falschen Versprechungen in grausame Arbeitsverhältnisse gelockt.

Der seit 2016 in der Branche geltende tarifliche Mindestlohn wird in der Regel bei Werkvertragsarbeitern deutlich unterschritten. Das erfolgt auf unterschiedlichen Wegen. So werden bei Lohnabrechnungen geleistete Überstunden nicht oder nur teilweise erfasst. Dabei kommt es vor, dass Arbeitszeiten von bis zu 300 Stunden im Monat geleistet werden. Die Wuchermiete für Mehrbettzimmerwohnungen wird ebenso wie hohe Beträge für Schutzausrüstung und Messer vom Lohn abgezogen. Die Subunternehmen zahlen keine Sozialversicherungsabgaben.

Dazu kommen unter anderem Mängel beim Arbeitsschutz, Verbraucherschutz, Verstöße gegen Fleischhygienevorgaben und Tierschutz. Letztlich verdienen Werkvertragsarbeiter in dieser Branche maximal 1000 Euro pro Monat.

Exportoffensive

Diese Entwicklung hat dafür gesorgt, dass vor allem in Niedersachsen, Westfalen, Sachsen-Anhalt und Bayern in den letzten Jahren riesige industrielle Schlachtanlagen von Großunternehmen wie Tönnies, Westfleisch, Vion oder Danish Crown entstanden sind. 2016 wurden in Deutschland 60 Millionen Schweine, 3,6 Millionen Rinder, 1 Millionen Schafe und 9 Millionen Geflügel geschlachtet und zerlegt. Durch die Industrialisierung der Fleischerzeugung und –verarbeitung ist in Deutschland der Selbstversorgungsgrad zum Beispiel beim Schlachten von Schweinen mittlerweile auf 120 % gestiegen.

Das ermöglicht der deutschen Fleischwirtschaft auf dem Rücken der Lohnabhängigen eine Exportoffensive mit Fleisch- und Wurstwaren zu Dumpingpreisen. Auswirkungen hat das auch auf die Fleischwirtschaft in Belgien, Dänemark, Frankreich und Italien. Durch den Export von deutschem Fleisch in diese Länder erfolgt dort ein massiver Abbau von Arbeitsplätzen sowie eine ebenso dramatische Prekarisierung und Ausbeutung der Lohnabhängigen.

Ein im vergangenen Sommer vom Bundestag beschlossenes neues Gesetz, das von der NGG ausdrücklich begrüßt wird, verpflichtet die Unternehmen, Schutz- und Arbeitsausrüstung kostenlos zur Verfügung zu stellen. Ebenso wird die Dokumentationspflicht der Arbeitszeit verschärft. Subunternehmen werden verpflichtet, Sozialversicherungsbeiträge zu zahlen. Schließlich sollen Verstöße mit Bußgeldern zwischen 30.000 und 50.000 Euro geahndet werden. Jedoch – und das gesteht die NGG auch ein – kann dieses Gesetz nur eine Wirkung entfalten, wenn flächendeckend Kontrollen stattfinden. Dafür fehlt jedoch den zuständigen Behörden Geld und Personal.

Auch hat sich sofort Widerstand in den Unternehmerverbänden der Fleischwirtschaft breitgemacht. Das Geschäft mit den Werkverträgen wurde schon vor Jahren von Think-Tanks wie dem an der Münchner LMU-Universität angesiedelten Zaar-Institut (Zentrum für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht) konzipiert und entwickelt.

Die Lage schreit nach einer Verstaatlichung der Fleischindustrie und Planwirtschaft unter demokratischer Arbeiterkontrolle. Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit.

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