Kategorie: Kultur

Cannabis – mit oder ohne?

Cannabis ist die weltweit am häufigsten konsumierte, illegale Droge. Dabei lässt sich in den letzten Jahren ein enormer Anstieg des Konsums vor allem unter Jugendlichen feststellen. Über die schädlichen Auswirkungen des Cannabiskonsums ist unter den Konsumenten meist wenig bekannt oder sie werden bewusst beiseite geschoben. Mit diesem längeren Artikel, in dem wir zunächst auf medizinische Aspekte eingehen, wollen wir eine wissenschaftliche, marxistische Position zum Thema entwickeln.



Was ist Cannabis?

Hanf, Cannabis sativa, enthält als psychoaktive Substanz vor allem D9-Tetrahydrocannbinol (THC), welches maßgeblich verantwortlich ist für seine berauschende Wirkung. In Konsumform wird Cannabis meist als Harz weiblicher Hanfpflanzen (Haschisch), als getrocknete Mischung der Blüten und Blätter (Marihuana) oder als Öl verwendet. In Deutschland wird von Konsumenten meist Haschisch geraucht.
THC wirkt im Zentralnervensystem des Menschen über spezifische Cannabinoid-Rezeptoren (v.a. CB1R), die besondere Verbreitung in Hirnstrukturen wie den Basalganglien, dem Kleinhirn und der Hippocampusformation haben. Diese Rezeptoren dienen dort der Wechselwirkung mit speziellen, vom menschlichen Organismus selbst produzierten Überträgerstoffen, so genannten endogenen Cannabinoiden wie dem Anandamid, und sind beteiligt an Prozessen der Hirnentwicklung, Motivation, des Gedächtnisses, des Appetits, der Bewegungskoordination und der Schmerzempfindung.
Beim Rauchen von Marihuana und Haschisch gelangen rund 20% des THC ins Blut, verteilen sich von dort aus schnell im Organismus und sind erst nach über einem Monat wieder vollständig ausgeschieden. Seine psychoaktive Wirkung erklärt sich vor allem über eine Freisetzung des Überträgerstoffes Dopamin im Nucleus accumbens, dem sogenannten „mesolimbischen Belohnungszentrum“, welches auch bei anderen Suchtstoffen, aber auch motivierenden Handlungen – etwa Sport, Essen, Sexualität – eine zentrale Rolle spielt und für das „Wieder-haben-wollen“ verantwortlich ist. Das Rauchen eines Joints aus gewöhnlich angebautem Hanf deutscher oder orientalischer Herkunft entspricht in seiner akuten Beeinträchtigung geistiger Leistungsfähigkeit einem Blutalkoholspiegel von 0,6 Promille. Auch wenn die erwünschte Wirkung für den „Kiffer“ und die THC-Konzentration im Blut nach Inhalation nach rund 2-3 Stunden abgeklungen sein mag, besteht eine nachweisliche, direkte psychische Beeinträchtigung für bis zu weitere 5 Stunden nach. (4)

Die vom Cannabiskonsumenten erwünschte Wirkung besteht zumeist in Entspannung, ruhiger Teilnahmslosigkeit, Heiterkeit, einer Intensivierung von Sinneseindrücken und Sinnesreizen wie z.B. optischen Eindrücken auf Klänge und Musik sowie einer Überwertung der eigenen Bedeutsamkeit in seinem Umfeld. Diese Effekte gehen unmittelbar einher mit vegetativen Symptomen wie Mundtrockenheit, Blutdruck- und Herzfrequenzanstieg, Übelkeit, Heißhunger, geröteten Augen, Unterkühlung, aber auch Denk- und Konzentrationsstörungen bis hin zu Verwirrtheitszuständen, innerer Unruhe, Angst, Wahnvorstellungen, Nervosität und Panikattacken. Die unmittelbaren Wirkungen von Cannabis sind abhängig von der Art der Zufuhr, dem THC-Gehalt, früheren Erfahrungen und persönlichen Erwartungen, und so können bei einer Steigerung der Dosis von normalerweise 2,5-7mg auf 15mg anstelle der beruhigen Wirkung Erregungszustände auftreten. Cannabis nimmt eine Mittelstellung ein zwischen in erster Linie dämpfend, beruhigend wirkenden Drogen wie Opioiden, Benzodiazepinen (z.B. bestimmte Schlafmittel) oder Alkohol und in erster Linie „bewusstseinserweiternden“, halluzinogenen Drogen wie LSD und Psilocybin („magic mushrooms“).

Medizinischen Einsatz besitzen Cannabinoide heute nur bei sehr speziellen Fragestellungen wie beispielsweise zur Appetitstimulierung bei schwerem Gewichtsverlust (Kachexie) AIDS-Kranker oder anderweitig nicht zu bewältigendem Erbrechen im Zuge von Tumorchemotherapie. Darüber hinaus zeigen sich die Bronchien erweiternde, antiepileptische und analgetische Wirkungen wie auch eine Senkung des Augeninnendrucks. D9-THC (Dronabinol) kann in Deutschland über ein Betäubungsmittelrezept verordnet werden. Erfolgsaussichten in den Einsatzgebieten sind gering und über den medizinischen Einsatz gibt es weiterhin Diskussion und Skepsis.

Zahlen und Fakten über Cannabiskonsum

In den letzten Jahren gab es eine steigende Zahl an groß angelegten medizinischen und epidemiologischen Untersuchungen zum Cannabiskonsum. Viele Studien, vor allem solche, die sich mit Langzeitfolgen auseinandersetzen, basieren auf Untersuchungen des Konsums von herkömmlich angebautem Hanf deutscher oder orientalischer Herkunft – Hanfsorten, die vor einigen Jahren noch „marktführend“ waren, mit einem durchschnittlichen THC-Gehalt von 1-5%. Seit einigen Jahren wird der Markt jedoch zunehmend dominiert von speziellen Züchtungen aus „Kellerplantagen“ oder Treibhäusern, z.B. „BC-Bud“, die unter ausgefeilten Anbaubedingungen (Wasserkultur ohne Erde, Ozongeneratoren, 1000-Watt-Strahler, Ventilatorsysteme) professionell angebaut werden und deren THC-Gehalt inzwischen weit über 12% bis zu >30% beträgt. Dies ist mit einer der Gründe, weshalb in Zukunft von vermehrten Folgeschäden nach Cannabiskonsum ausgegangen werden muss. (2)

Europaweit haben mindestens 65 Mio. Menschen oder jeder fünfte Erwachsene schon einmal in ihrem Leben Cannabis konsumiert. Dabei taten dies während der letzten 30 Tage rund 12 Mio. Europäer und etwa 1,6 Mio. Deutsche (sog. 30-Tages-Prävalenz). 1% der Europäer – das sind 3 Mio. Menschen – konsumiert täglich oder fast täglich Cannabis. In Deutschland haben rund 400000 Menschen sehr häufig (mindestens 200mal) im letzten Jahr Cannabis konsumiert. Einer aktuellen repräsentativen Erhebung zufolge hat sich die 12-Monatsprävalenz unter 18-29-Jährigen (d.h. welcher Anteil in den letzten 12 Monaten Cannabis konsumiert hat) von 1997 bis 2000 in Deutschland etwa verdoppelt und steigt seitdem weiter an. Das Einstiegsalter fiel von 1993 bis 2000 von 17,5 auf 16,7 Jahre und liegt heute voraussichtlich unter 16 Jahren.(2) Die Schweizerische „Fachstelle für Alkohol- und andere Drogenprobleme“ hat im Jahr 2002 ermittelt, dass etwa ein Drittel der Lehrkräfte der achten und neunten Jahrgangsstufen Erfahrungen mit Schülerinnen und Schülern, die im Unterricht unter Einfluss von Cannabiskonsum standen, gemacht hat. (1,3)

Mit einer der Gründe, weshalb Cannabismissbrauch besonders auch Jugendliche betrifft, ist darin zu sehen, dass die Preise im Straßenhandel mit Cannabis in Europa in den letzten Jahren deutlich gefallen sind. Mit Cannabisverkauf lassen sich Profite machen. So wird der Drogenmarkt zusehends maßgeschneidert für seine Zielgruppe: Das sind heute vor allem Jugendliche und Lohnabhängige mit niedrigeren Einkommen.
Auffallend ist außerdem, dass junge und frühe Kiffer (Beginn meist vor dem 15. Lebensjahr) Drogenberatungs- und Anlaufstellen in wachsender Zahl aufsuchen. Der Anteil der speziell in Verbindung mit dem Konsum von Cannabis beantragten Behandlungen liegt bei 13-16% der Gesamtzahl aller Personen, die eine Drogentherapie beantragen. (1)

Folgen des Cannabiskonsums

In der Diskussion um den Cannabiskonsum wird oft der Vergleich mit anderen Suchtstoffen wie Nikotin oder Alkohol, die gesellschaftliche akzeptiert seien, oder „harten“ Drogen, wie Opioiden, hervorgezogen, um von den schädlichen Auswirkungen des Kiffens selbst abzulenken oder diese zu relativieren. Dabei wird meist vergessen, dass Cannabis neben psychischer auch körperliche Abhängigkeit bedingt. Auch wenn etwa die Hälfte aller Konsumenten den Konsum spontan beendet, entwickelt rund jeder zehnte Cannabiskonsument eine Abhängigkeit mit einem Gipfel zwischen 17 und 25 Jahren. Vermutlich vier bis sieben Prozent aller Konsumenten in Deutschland sind nach ICD-10 (Internationale Klassifikation der Krankheiten) abhängig. Diese Abhängigkeit bedingt bei fehlender Zufuhr von Cannabis ein Entzugssyndrom mit starkem Verlangen nach Cannabis („Drogenhunger“, craving) Appetitminderung, Schlafstörungen, ausgeprägten Stimmungsschwankungen, Angst, vermehrter Schmerzempfindung, Schwitzen (vor allem nachts), allgemeiner Reizbarkeit, bisweilen Aggressivität, innerer Unruhe und merkwürdigen Träumen. (2)
Die vermeintlich „schädlichere“ Droge Nikotin findet sich außerdem in der Biographie der überwiegenden Mehrheit aller Kiffer und ist die eigentliche „Einstiegsdroge“ in eine „Drogenkarriere“. Gut 95% aller Kiffer sind selbst Konsumenten von Nikotin und/oder Alkohol. Die Europäische Beobachtungstelle für Drogen und Drogensucht (EBDD) stuft alle Konsumenten illegaler Drogen als potentiell polykonsumptiv, d.h. als Konsumenten gleich mehrerer illegaler Drogen, ein.

Die Auswirkungen von chronischem Cannabiskonsum sind umfangreich. So finden sich neben Störungen des Kurz- und Langzeitgedächtnisses, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom, Schwächungen des Immunsystems und der Tumorabwehr, verringerte Spermienbeweglichkeit und damit reduzierte Fruchtbarkeit, Antriebsminderung bis hin zum so genannten „amotivationalen Syndrom“, das mit Lustlosigkeit („kein Bock“) und Leistungsminderungen einhergeht. Konsum in der Schwangerschaft verursacht Schädigungen des Ungeborenen wie reduziertes Geburtsgewicht oder gestörte intellektuelle Entwicklung des Neugeborenen und bedingt ein deutlich erhöhtes Risiko für kindliche Krebserkrankungen, wie z.B. Leukämie. Cannabis selbst enthält auch ohne Nikotinzusatz eine große Breite an krebserregenden Stoffen. Unter seinen rund 480 Inhaltsstoffen befinden sich mehr Teerstoffe als im Tabak. Das Rauchen von Marihuana oder Haschisch ist aufgrund seiner Inhaltsstoffe und der tiefen Inhalation schädlicher für Lunge und Bronchien als Nikotin. Im Tierversuch verursacht THC einen Untergang von Nervenzellen im Hippocampus, einer zentralen Hirnstruktur z.B. für Gedächtnisfunktionen. (5)

Besondere Problematik besitzt der chronische Cannabiskonsum als Ursache so genannter drogeninduzierter Psychosen. Hierbei handelt es sich um bleibende, von der Drogenzufuhr unabhängige schizophrene Störungen, die psychiatrischer Therapie bedürfen. Hierbei steht Cannabis Suchtstoffen wie LSD oder MDMA (Ecstasy) in nichts nach. Rund 70% aller Cannabisabhängigen zeigen eine psychische Komorbidität, also zusätzliche Erkrankungen wie Persönlichkeitsstörungen, affektive Störungen, Verhaltensstörungen, usw. Eine schlechte Prognose in Bezug auf Abhängigkeit und Folgeerkrankungen haben vor allem Menschen mit einem frühen Einstiegsalter, einem hohen Konsum und – epidemiologisch nachgewiesen – einer schlechteren sozialen Stellung sowie sozialen Probleme. Somit sind es vor allem wieder Menschen mit geringerem Einkommen, fehlender sozialer Absicherung, familiären Problemen usw., die am schlechtesten beim Cannabiskonsum davonkommen.

„Recht auf Rausch“ – wirklich eine Systemalternative?

In der eingefleischten Kifferszene findet man oft viel Mystisches und einen nahezu „befreierischen“ Kult um Cannabis. BefürworterInnen einer Freigabe von Cannabis führen unter anderem des Öfteren ins Feld, dass hiermit die „freie Entscheidung des Einzelnen“, Cannabis zu konsumieren, gewahrt bleibe und somit der „Bevormundung von oben“ eine „emanzipatorische Antwort“ entgegengesetzt würde. Andere bezeichnen den „Rausch“ als „Grundbedürfnis“ des Menschen, so dass neben legaler Berauschung an unter anderem „Sexualität, Geschwindigkeit, Alkohol“, auch eine Berauschung an Cannabis (und anderen Suchtstoffen) legal ermöglicht werden müssten. Dabei wird behauptet, vor allem die restriktive Drogenpolitik von Regierungen verursache Probleme wie Kriminalität, Prostitution, Zunahme des Missbrauchs, Verunreinigung durch Beimischung, etc. Diese Positionen lassen meist nicht nur medizinische Aspekte außer Acht. Was aus marxistischer Sicht entscheidender ist, sie vernachlässigen die Frage, vor welchen Aufgaben Jugend und Arbeiterbewegung heute stehen und wie sich sozialistische Ziele erreichen lassen.

Grundbedürfnis Rausch?

Berauschung ist alles andere als ein Grundbedürfnis des Menschen. Jedoch gibt es im Kapitalismus eine regelrechte Sozialisation mit Drogen, die weite Bereiche des alltäglichen Lebens umfasst. Die herrschende Klasse versucht uns über die bürgerlichen Medien und im Alltag immer und immer wieder vorzumachen, dass Wein, Bier und Zigaretten so selbstverständlich zu unserem Lebensalltag gehörten wie der Punkt auf dem i. Dahinter steckt mehr als das direkte Profitinteresse der – nebenbei bemerkt – besonders mächtigen deutschen Getränke- und Tabakindustrie. Es sind nicht allein die schädlichen Auswirkungen des Saufens und des Rauchens auf unsere Gesundheit, weshalb wir Reemtsma, Philip Morris und Konsorten, aber auch die Produzenten und Vertreiber von Cannabis, unserer Kritik unterziehen müssen. Denn am liebsten wäre den Herren Suchtstoffkapitalisten aller Richtungen eine Droge vom Typ „Soma“, das Aldous Huxley in seinem Meisterwerk „Schöne neue Welt“ beschreibt: berauschend, erfüllend, überall erhältlich, in jeder Tasche und frei von Nebenwirkungen.
Natürlich kann niemandem mit erhobenem Zeigefinger und dem Verweis auf Leber, Lunge und Gehirn, sein Glas Bier, seine Kippe oder auch sein Joint verübelt oder verboten werden, zumal wenn derjenige nach Überstunden im mies bezahlten Job oder nach unzähligen vergeblichen Bemühungen um einen Arbeitsplatz ein wenig Stimmungsaufhellung sucht. Berauschung ist immer auch ein Versuch des Umgangs mit nüchternen Problemen im Alltag der Klassengesellschaft – Krisen, Arbeitslosigkeit, Armut, Krieg –, auf die scheinbar keine rationale Antwort gefunden werden kann, ein Versuch also, aus dem Alltag, der einem keine Chancen gewährt, zu flüchten und das Leben ein wenig „lebenswerter“ zu machen.

Dabei haben die Herrschenden, Kapitalisten und Bankiers, die alle Fäden der Gesellschaft in ihren Händen halten, ein Interesse daran, dass der einfache Arbeiter und die pubertierende Arbeitertochter mit grün gefärbten Haaren ihren Frust über Ungleichheit und Ausbeutung lieber mit der Flasche oder dem Joint ersticken, als zu hinterfragen, warum eine Handvoll superreicher Parasiten ein himmlisches Dasein auf Erden führt, während die Arbeiterklasse, die alle Reichtümer produziert, sich mit einem Leben nach dem Tod begnügen soll. Wie auch die Religion dient schon seit Urzeiten der Gebrauch von Drogen der geistigen Verneblung ausgebeuteter Klassen und der Stabilisierung der Herrschaft einiger weniger Privilegierter – vom Schamanen über den preußischen Junker bis zum modernen Großkapitalisten. Drogenkonsum wurde stets auch von oben organisiert und maßgeschneidert für die gemeine Masse, um diese von ihrer eigentlichen historischen Aufgabe abzuhalten: selbst die Kontrolle über Gesellschaft, Wissen und Reichtümer in die Hand zu nehmen.
MarxistInnen suchen keine individuellen Antworten auf gesellschaftliche Probleme. Mit Hilfe marxistischer Theorie gibt es keine prinzipiell unerklärlichen Phänomene und Heiligtümer in der modernen Gesellschaft. Arbeitslosigkeit, Krieg, Verelendung auf der einen, grotesker Reichtum auf der anderen Seite, das sind alles klipp und klare Folgen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung, die stets Ungleichheiten produziert und das Leben für einen großen Teil der Bevölkerung zum Jammertal auf Erden werden lässt. Um diese Probleme anzugehen, braucht es Massenbewusstein und kollektiven Einsatz für sozialistische Ideen. Anstatt den persönlichen „Kick“ des Einzelnen zu fordern, wollen wir die vollständige geistige und materielle Befreiung der Arbeiterklasse.
Hierfür brauchen wir geschulte und überzeugte Kämpfer, die auf der Höhe der Zeit und der Ereignisse stehen, mit theoretischer Schulung in Grundfragen der marxistischen Wissenschaft. Kurz gesagt, wir brauchen für die Sache des Sozialismus all das, was uns der Konsum von Drogen aller Art nimmt: Motivation, Engagement, intellektuelle Fähigkeiten, kritisches Denken, Überzeugung und Pflichtbewusstsein.

„Legalisierung“ und „freie Entscheidung“?

Suchtstoffe lassen kaum Raum für freie Entscheidungen. Cannabiskonsum findet sich, auch im Vergleich unterschiedlicher europäischer Länder mit unterschiedlichen gesetzlichen Regelungen, gehäuft unter sozial schwächer Gestellten.(1) Die „Freiheit, sich gegen Drogen zu entscheiden“ setzt also zu einem Teil eine ausreichend gute materielle Situation voraus und Drogenkonsum ist somit vor allem eine Folge der ungleichen kapitalistischen Klassengesellschaft.
Im Kampf gegen Cannabis und Drogenkonsum können wir uns nicht auf den bürgerlichen Staatsapparat oder das Gesundheitsministerium verlassen. Abhängige und Dauerkonsumenten sind im Grunde Patienten, die einer umfassenden, staatlich garantierten medizinischen Versorgung zugeführt werden müssen und denen mit einer bloßen Kriminalisierung nicht geholfen ist. Aber auch ohne „Legalisierung“ ist Cannabiskonsum heute so verbreitet wie nie. Auch die herrschende Drogenpolitik dient in erster Linie materiellen Interessen der herrschenden Klasse und der Aufrechterhaltung bestehender „Suchtstoffmonopole“. Aus Sicht der Herrschenden scheinen Nikotin und Alkohol zusammen mit dem Rest der bürgerlichen „Unterhaltungsmaschinerie“ augenscheinlich den kapitalistischen Betrieb heute besser am Laufen zu halten als durch Cannabis und andere Drogen. Alle Beteuerungen aus dem Gesundheitsministerium, man wolle runter mit dem Alkohol- und Drogenmissbrauch, sind von uns als heuchlerisch und untauglich zu kritisieren.
Dennoch erschwert die heutige Gesetzeslage trotz all ihrer Unzulänglichkeiten den Zugang und die ungehemmte Verbreitung des Cannabiskonsums und fordert zumindest in Teilen vor der Öffentlichkeit ein Vorgehen staatlicher Stellen gegen Drogenmafia und kriminelle Zirkel. Wer meint, eine effektive Antidrogenpolitik könne erst nach der Legalisierung von Haschisch beginnen, der schaue sich die Farce der Antitabakpolitik der europäischen Union an, die hilflos vor den Tabakmonopolen kapituliert und mit ihren Halbheiten nicht ein Problem des Nikotinkonsums in den Griff bekommt. Einer weiteren Verbreitung von Cannabis und einer Verharmlosung im Umgang mit Drogen müssen Marxisten mit Entschiedenheit entgegentreten. Bei genauerer Betrachtung sind allerdings gerade auch die Positionen „linker Kiffer“ politisch äußerst beschränkt und gehen nicht über ein paar zahnlose Reformansätze, wie z.B. Werbeverbote, hinaus.
Als Marxisten stehen wir nicht nur für das Verbot jeglicher Werbung für Suchtstoffe, sondern für ein gesellschaftliches Zurückdrängen von „Alltagsdrogen“ aus dem Alltag. Das lässt sich jedoch nicht allein durch höhere Steuereinnahmen o.ä. erreichen. Wer die Legalisierung von Cannabis fordert, muss damit rechnen, dass Cannabis zu einem günstigen, weiter verbreiteten Problem anwächst. Man hängt einem Irrglauben an, wenn man davon ausgeht, dass sich Haschisch nach einer Legalisierung unter kapitalistischen Bedingungen besser kontrollieren ließe. Letztlich kann die Gesellschaft nicht wirklich kontrollieren, was sie nicht besitzt. Wer eine Lösung auf die Probleme Nikotin, Alkohol, Cannabis, etc. finden will, der kommt nicht umhin, die Frage des Eigentums an den Produktionsmitteln der Drogen zu stellen und sozialistische Positionen der Vergesellschaftung der Tabak-, Alkohol-, Drogenindustrie zu vertreten. Nur in einer sozialistisch und demokratisch geplanten Wirtschaftsordnung, in der Industrie und Staatsführung vergesellschaftet in den Händen der Arbeiterklasse liegen, lassen sich gezielt Konzepte zur Entwöhnung von Drogen, Ausstiegsmittel mit reduziertem Wirkstoffgehalt, Gesundheits- und Präventionsprogramme, Werbefreiheit usw. entwickeln. In einer sozialistischen Gesellschaft, die den Menschen elementare Existenz- und Zukunftsängste nimmt, wäre – nebenbei bemerkt – dem Tabak-, Alkohol- und Drogenkonsum vieler Menschen zu einem Gutteil der Nährboden entzogen. Hierdurch freigestellte Arbeitskräfte, z.B. in der Zigarettenproduktion, könnten für die Produktion und Verbreitung gesellschaftlich sinnvoller Güter herangezogen werden.

Es ist an sich nichts „Emanzipatorisches“ o.ä. daran, Drogen zu konsumieren. Auch Revolutionäre wie Rosa Luxemburg oder Leo Trotzki haben stets Wert auf körperliche Gesundheit und einen klaren Geist gelegt, denn ihnen war klar, welche – auch geistigen – Anforderungen die sozialistische Revolution und der Klassenkampf im Kapitalismus ihnen allen abverlangen würden. Anstatt uns selbst aufzugeben und in eine scheinbar erlösende, persönliche Berauschung abzusteigen, sollte unser Einsatz den Zielen der sozialistischen Revolution gelten– der einzigen Möglichkeit, das Leben für alle wirklich lebenswert zu machen.

Literatur (Zahlenangaben im Text):
1. Europäische Beratungsstelle für Drogen und Drogensucht, Jahresbericht 2006
2. Evidenzbasierte Behandlung der Cannabis-Abhängigkeit, Dtsch Arztebl 2005; 102:A 3334–3341 [Heft 48]
3. WHO Expert Committee on Drug Dependence, Thirty-third Report, 2003
4. Aktories, K et al., Allgemeine und Spezielle Pharmakologie und Toxikologie, Elsevier, 9. Aufl., 2005
5. www.pubmed.gov

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