Kategorie: DIE LINKE

„Lieber eine gute Opposition als eine schlechte Regierung“

Gut drei Monate vor der Bundestagswahl hat DIE LINKE bei ihrem Bundesparteitag in Hannover ein ausgiebiges, 136 Seiten dickes Wahlprogramm beschlossen und die Mitglieder auf den Wahlkampf eingestimmt.


Die Programmdebatte zog sich über drei Tage hin und zeigte, dass sich diese Partei wie keine andere nach wie vor ausgiebig Zeit für eine gründliche Programmdebatte nimmt und die vielen Vorstöße der Basis zumindest teilweise den Text ergänzt und verbessert haben. Man vergleiche dies mit dem eintägigen Parteitag der SPD am 25. Juni in Dortmund, bei dem das Wahlprogramm in wenigen Stunden verabschiedet werden soll – offenbar ohne große Diskussion und Rederecht für Delegierte der Basis.

Das beschlossene Programm enthält eine Reihe wichtiger und richtiger Reformforderungen und Aussagen. Auf dieser Basis lohnt es sich auch für eine starke Linksfraktion im nächsten Bundestag zu kämpfen. Dazu gehören:

  • Ein gesetzlicher Mindestlohn von 12 Euro.

  • Abschaffung des Hartz IV-Systems und eine bedarfsdeckende Mindestsicherung in Höhe von 1.050 Euro ohne Sanktionen und Kürzungsmöglichkeiten.

  • Wiederanhebung des Rentenniveaus auf 53 Prozent und eine solidarische Mindestrente von 1.050 Euro.

  • Rente ab 65 oder nach mindestens 40 Beitragsjahren schon ab 60 Jahren.

  • Arbeitszeitverkürzung und 30 Stunden-Woche.

  • Starke Besteuerung von Vermögenden und steuerliche Entlastung von Gering- und Normalverdienern.

  • Privatisierungsstopp statt Schuldenbremse. Unternehmen der Daseinsvorsorge, Banken und Versicherungen, Energiekonzerne, Unternehmen der Pharma- und medizinischen Industrie, der Post, der Telekommunikationsinfrastruktur sowie weitere Schlüsselindustrien sollen in öffentliche Hand und gesellschaftliche Eigentumsformen überführt werden.

  • Beendigung der Bundeswehreinsätze im Ausland.

  • Für ein Europa der Menschen statt der Banken und Konzerne.

Ganz zaghafte Bezüge über die vielen Reformforderungen und das kapitalistische System hinaus und die Begriffe Revolution und Sozialismus finden sich in Sätzen wie:

  • Gegen die geballte Macht von Unternehmen, Reichen und ihren politischen Parteien brauchen wir eine Revolution der sozialen Gerechtigkeit.

  • Der globale Kapitalismus führt zu immer mehr Verwerfungen und Krisen. Dieses System im Interesse einer Klasse von Kapitaleigentümern und Superreichen steht den Interessen der Mehrheit der Menschen entgegen. DIE LINKE kämpft daher für Alternativen zum Kapitalismus. Wir wollen einen neuen Sozialismus […].

Viele Sätze aus dem dicken Antragspaket wurden von Antragskommission und Vorstand übernommen. Bei anderen Begehren hatten sie es sich zur Verwunderung etlicher Delegierter jedoch in den Kopf gesetzt, Ergänzungen grundsätzlich abzulehnen, die eigentlich aus linker Sicht eine Selbstverständlichkeit sein sollten. So scheiterte der Versuch, im Zusammenhang mit Bedingungen für eine mögliche Regierungsbeteiligung nicht nur Kampfeinsätze der Bundeswehr, sondern Auslandseinsätze insgesamt abzulehnen. Obwohl die Partei stets die Mehrwertsteuererhöhung durch Union und SPD vor über zehn Jahren kritisiert hatte, wurde ein Antrag pro Senkung der Mehrwertsteuer auf Empfehlung von Vorstand und Antragskommission abgelehnt. Ebenso fand die Forderung, private Schulen nur in Ausnahmefällen staatlich zu bezuschussen, keine Mehrheit. Gegen die Forderung nach Verbot von Massenentlassungen auch bei nicht profitablen Unternehmen wandte Vorstandsmitglied Sabine Leidig ein, man wolle doch die Rüstungsindustrie auch durch Entlassungen abbauen – als ob die Forderung nach Konversion der Rüstungsindustrie, d.h. Umgestaltung in Richtung zivile Produktion, nicht im Programm stünde.

Als sich der Parteitag zu später Stunde am Samstagabend mit klarer Mehrheit dafür aussprach, die Staatsverträge mit den Großkirchen aufzukündigen, wurden die Delegierten gleich am anderen Morgen massiv unter Druck gesetzt, diesen Beschluss wieder zurückzunehmen. Damit wurde die innerparteiliche Demokratie ein Stück weit ad absurdum geführt. Fragwürdig dabei war, dass der Thüringer Staatskanzleichef Benjamin Hoff als maßgeblicher Befürworter der Rückholung an die Zerschlagung der jüdischen Gemeinden durch die Nazis erinnerte. Ein absolut unangemessener Vergleich, zumal alle radikaldemokratischen und linken Forderungen nach einem Ende der Privilegierung der großen Kirchen und konsequenter Trennung von Kirche und Staat absolut nichts mit Kirchen- oder Religionsbashing zu tun haben. Solche Episoden werfen die Frage auf, wie standhaft die Partei künftig bei stärkerem politischem Gegenwind aus den Mainstreammedien bleiben wird oder ob sie unter diesem Druck völlig einknicken wird.

Die Parteitagsregie war sichtlich bemüht, alle Anträge abzuwehren, die sich klar für oder gegen eine Regierungsbeteiligung aussprachen. Somit sollte eine Polarisierung vermieden werden. Stattdessen gibt es die bekannten Standardaussagen, wonach sich die Partei nicht an einer Regierung beteiligen will, die Aufrüstung und Militarisierung vorantreibt, die Kriege führt oder Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, die öffentliche Betriebe und Einrichtungen privatisiert und das Hartz IV-System weiterführt. Anträge des gemäßigten Flügels um das Forum Demokratischer Sozialismus (FDS), die eine Aufweichung der Kritik an der EU vorsahen, fanden keine Mehrheit. Abgesehen von anderen Fragen ist es faktisch sehr unwahrscheinlich, dass es in diesem Herbst zu einer „rot-rot-grünen“ Bundesregierung kommen wird, auch wenn bei manchen der Wunsch mitzuregieren nicht zu überhören war.

Autobahnprivatisierung und Bundesrat

Wie schädlich und nachteilig linke Regierungsbeteiligungen im bürgerlichen Staat für die Partei und die auf sie hoffenden Millionen Menschen sein können, wurde gleich in den ersten Stunden des Parteitags deutlich. So machte sich der Unmut vieler Delegierter an der Tatsache fest, dass die drei Landesregierungen mit LINKE-Beteiligung (Thüringen, Brandenburg und Berlin) erst zwei Wochen zuvor im Bundesrat einem umfangreichen Gesetzespaket zur Neuregelung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen zugestimmt hatten, das u.a. die Tür für eine Privatisierung der Bundesautobahnen und Bundesstraßen im Interesse von Banken und Versicherungen öffnet. Brandenburgs Finanzminister Christian Görke verteidigte als Delegierter dieses Verhalten mit dem Hinweis, dass die Länder von Bundesfinanzminister Schäuble (CDU) erpresst worden seien und im Gegenzug immerhin mehr Geld für Infrastruktur, Kitas und andere Einrichtungen bekämen. „Zur Erpressung gehören immer zwei. Einer, der erpresst, und einer, der sich erpressen lässt“, mit diesen Worten griff der Verfasser dieses Artikels in seinem Redebeitrag als Delegierter dieses Argument auf und fand damit ein starkes Echo. „Wenn wir jetzt zurecht viel über Sanders und Corbyn und Mélenchon reden, müssen wir auch darüber reden, was in Griechenland schief gelaufen ist und was wir daraus lernen auch für uns, wenn wir hier mal stärker sind.“

Ein Dringlichkeitsantrag, der das Abstimmungsverhalten der drei Landesregierungen im Bundesrat missbilligt, fand in der elektronischen Auszählung bei Stimmengleichheit (168 zu 168) denkbar knapp keine Mehrheit. Angenommen wurde dann ein Antrag des Vorstands, der den Regierungen von Thüringen, Brandenburg und Berlin ein „Dilemma“ bescheinigt und gleichzeitig ihr Abstimmungsverhalten als „falsch“ bezeichnet.

Unter den kämpferisch vorgetragenen Reden des Spitzenpersonals fand offensichtlich der Beitrag der Fraktionsvorsitzenden und Spitzenkandidatin Sahra Wagenknecht das stärkste Echo im Saal. „Lieber eine gute Opposition als eine schlechte Regierung“, erklärte sie unter Beifall. „Ja, einen deutschen Jeremy Corbyn würde die Linke zum Kanzler wählen und zwar mit Vergnügen! Es steht nur leider nicht in unserer Macht aus Martin Schulz einen deutschen Jeremy Corbyn zu machen“, erklärte sie. „Martin Schulz hat die Hoffnungen auf eine gerechtere Politik enttäuscht. Wer an Niedriglöhnen, Rentenkürzungen und Hartz IV nichts ändern will, der soll auch aufhören von sozialer Gerechtigkeit zu sprechen!“

Zehn Jahre nach der formalen Gründung und nach manchen Wechselbädern ist die Partei DIE LINKE nach wie vor Hoffnungsträgerin für Millionen Erwerbstätige, RenterInnen, Erwerbslose und Jugendliche. Aber das genügt nicht. Linke Schwesterparteien wie die kommunistischen Parteien in Italien, Spanien und Frankreich haben dieses Vertrauen in den letzten Jahrzehnten durch Anpassung und Regierungsbeteiligungen weitgehend verspielt und sich selbst faktisch überflüssig gemacht. Das muss uns eine Warnung sein.

Wer es mit einer wirklichen und nachhaltigen Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Masse der Bevölkerung ernst meint, muss sich auf die große Auseinandersetzung mit dem Kapital, mit den Banken, Versicherungen und Großkonzernen vorbereiten. Kein ängstliches, reformistisches Zurückschrecken vor den Herrschenden, sondern eine sozialistische Offensive muss unsere zentrale Botschaft sein – auch und gerade in diesem Wahlkampf. Das eine linke Regierung bei allen Schwierigkeiten und Widrigkeiten sich den massiven Erpressungsversuchen der wirtschaftlich Mächtigen und Imperialisten entgegen stellen kann, zeigen die Erfahrungen in den letzten 100 Jahren – allen voran im revolutionären Russland vor 100 Jahren und in Kuba unmittelbar nach 1959. Wir stehen am Beginn einer neuen stürmischen Epoche, in der die Welt aus den Fugen geraten ist und in der Rosa Luxemburgs Aussage „Sozialismus oder Barbarei“ höchst aktuell ist. Lernen wir aus den Siegen und Niederlagen der Geschichte unserer Bewegung!

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