Kategorie: Ökologie

Japan: Erdbeben, Tsunami und Super-GAU

Japan erleidet derzeit die schlimmste Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, seit den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Der dreifache Fluch eines Erdbebens der Stärke 9, eines Tsunamis und einer sich abzeichnenden nuklearen Katastrophe, erschüttert nun das Land in seinen Grundfesten. Und die Konsequenzen dieser vielschichtigen Katastrophe werden von Tag zu Tag größer.



Mehr als 10.000 Menschen sind wie vom Erdboden verschluckt, Hunderttausende haben ihre Häuser verloren, während unzählige Menschen verletzt oder vermisst sind. Die medizinischen Vorräte neigen sich ebenso wie die Lebensmittelvorräte dem Ende zu, insbesondere in den am meisten betroffenen Regionen im Nordosten von Japan. Krankheit und Hunger grassieren zunehmend, das Land befindet sich in einer unvorstellbaren humanitären Krise. Die Zerstörung wird massive Auswirkungen haben, die noch in Wochen, Monaten und wahrscheinlich in Jahren zu spüren sein werden - in Japan und über die Landesgrenzen hinaus.
Trotz der Versuche den Ernst der Lage in Fukushima herunterzuspielen, kann der Schaden dort nur als katastrophal bezeichnet werden. Es besteht sogar die Gefahr einer nuklearen Kernschmelze mit all ihren zerstörerischen Auswirkungen.
Die Härte der Krise offenbart nun die Widersprüche in der japanischen Gesellschaft selbst, dessen Establishment die Zukunft des Landes auf Atomenergie gebaut hatte. Japans korrupte Atomindustrie war entschlossen, ihre wirtschaftliche Vorherrschaft um jeden Preis zu erhalten, was auch immer die Gefahren waren. Mit dem Versuch ihre Abhängigkeit von Kohle und Öl zu reduzieren, errichteten die Bürgerlichen 55 Kernkraftwerke. Doch die japanischen Inseln zählen zu den Gebieten der Welt, die am häufigsten von Erdbeben erschüttert werden. In anderen Worten, die jetzige nukleare Katastrophe ist selbstgemacht und war nur eine Frage der Zeit.

Japans Elite kümmerte sich nicht um das Leben der Allgemeinheit. Alles worüber sie sich Sorgen machte, waren ihre Macht und ihr Prestige. Sie gab trotz der offensichtlichen Risiken grünes Licht für den Bau von Kernkraftwerken. Sie dachte, sie könne die Reaktoren mit "neuer Technologie" sicherer machen. Doch wie sollte das möglich sein? Wie kann man das Unplanbare planen? "Was mir die Ereignisse gezeigt haben", bemerkte Stephanie Cooke, Redakteurin des Magazins Nuclear Intelligence Weekly, "ist das ein Atomreaktor so enorm komplex ist, das es schlicht unmöglich ist, alle Ereignisse vorauszusehen, die zu einen Unfall führen könnten. Jedes Mal wenn ein Unfall passiert, ist es eine andere Abfolge von Ereignissen, die zu ihm geführt hat."

Als das Erdbeben Fukushima erschütterte, schalteten drei Reaktoren wie geplant ab, doch niemand konnte damit rechnen, dass die Sicherheitskühlsysteme von einem Tsunami außer Gefecht gesetzt werden würden. Niemand konnte voraussehen, dass sich spektakuläre Explosionen ereignen würden, die die Gebäude um die Reaktoren zerstören. Niemand konnte die Gefahren der abgebrannten Brennstäbe voraussehen, die in den Kühlbecken überhitzen würden. Es besteht kein Zweifel, dass es weitere Überraschungen in dieser instabilen und gefährlichen Situation geben wird.

Diese leichtfertige Strategie, in Erdbebengebieten auf Atomenergie zu vertrauen, ist nicht nur ein Problem Japans. Laut World Nuclear Association (WNA) sind mehr als 400 Reaktoren weltweit in Betrieb, darunter 90 in Gebieten mit erheblicher seismischer Aktivität. Und es werden mehr und mehr gebaut. Sechs Reaktoren sind im indischen Jaitapur geplant, an der Küste von Mumbai. Diese Gegend gilt als eine Zone 3 (mittleres Risiko) für seismologische Aktivitäten. Aber Kernkraftwerke sind ein großes Geschäft, finanziert von den größten internationalen Banken und in diesem Fall werden sie von dem französischen Energiegiganten Areva gebaut.

Die Firma, dem das AKW Fukushima Daiichi gehört, ist die "Toyko Electric Power Company", kurz TEPCO. TEPCO ist berüchtigt für seine Geheimnistuerei und war in der Vergangenheit mehrfach der Korruption verdächtigt worden. Im Jahr 1995 war die Firma in die Vertuschung eines Unfalls in einem Reaktor der Bauart "Schneller Brüter" in Monju verwickelt. 4 Jahre später wurden 4 Arbeiter im Reaktor Tokaimura höheren Dosen an Strahlung ausgesetzt, als versucht wurde, die Sicherheitsbestimmungen zu umgehen. 2003 wurde TEPCO dabei erwischt, wie es Sicherheitsdaten fälschte; die Stilllegung ihrer Reaktoren für einen Monat wurde erzwungen. 2007 gab TEPCO nach einem Erdbeben zu, dass ein Kraftwerk, aus dem Radioaktivität entwichen ist, nicht nach den erforderlichen Sicherheitsbestimmungen gebaut wurde.

"Sie haben kein Krisenmanagement, weil sie nie bereit für so eine Krise waren", erklärt Michael Cucek, ein politischer Analyst, der in Tokio lebt. "Die Angst ist, dass TEPCO nicht die ganze Wahrheit erzählt. Sie sind es nicht gewohnt, die ganze Wahrheit zu sagen."

Solch eine Geheimhaltung ist charakteristisch für diese Milliarden-Dollar-Industrie, die sehr gute Verbindungen zur Regierung und den verantwortlichen Inspektoren hat. Die Atomindustrie wurde schon als "Japans Nuklearenergiemafia" beschrieben. Selbst der Ministerpräsident Naoto Kan musste verärgert zugeben, dass er mehr als eine Stunde lang über die dritte Explosion im Unklaren gelassen wurde.
Nun kamen all diese faulen Beziehungen zwischen der Industrie und der Regierung ans Licht. Das verursacht eine zunehmende Verärgerung in der Bevölkerung, die unter den Fehlinformationen, der Angst vor der Strahlung und der zunehmenden Not mehr und mehr leidet. Während ausländische Regierungen ihre Staatsangehörigen in Tokio dazu aufrufen, die Stadt zu verlassen, werden die Einheimischen ihrem Schicksal überlassen. Während die Bank von Japan und die G7 Milliarden dafür ausgeben, um den Yen zu stützen, sind Hunderttausende ohne warme Notquartiere, ohne medizinische Versorgung und Brot. Yuhei Sato, der Gouverneur von Fukushima, gab zu, dass die Bevölkerung "unruhig und zornig" sei.
In den kommenden Wochen, die vor uns liegen, werden TEPCO und die Regierung dazu gezwungen sein, Rechenschaft über die Krise und das Versagen der Atomindustrie abzulegen. Ein schwaches, korruptes System wird unter Druck geraten und weiter erodieren. "Die Enttäuschung ist nun komplett", merkte die Financial Times an (19-20/3/11).

Die Krise hat auch die Angst vor einem globalen radioaktivem Niederschlag (Fallout), der von Japan ausgehen könnte, bestärkt. Binnen Tagen gab die Bundesregierung bekannt, dass es 7sieben veraltete AKWs abschalten würde. In der Bevölkerung nimmt die Wut über die jahrelange Propaganda der Atomindustrie weiter zu. Am letzten Wochenende haben 250.000 Menschen gegen die die herrschende Atompolitik demonstriert. Auch in anderen Ländern nehmen die kritischen Stimmen zu und die Regierungen haben angekündigt, ihre Einstellungen und Vorhaben in Sachen Kernenergie zu überdenken, um so dem zunehmenden Widerstand gegen Atomkraftwerke den Wind aus den Segeln zu nehmen. Dies trifft auch auf England zu, welches eines der ehrgeizigsten Programme zum Neubau von Atomkraftwerken hat. In den nächsten 15 Jahren sollen dort 10 neue Reaktoren gebaut werden.

Abseits der politischen Auswirkungen gibt es auch wirtschaftliche Folgen, die mit den Ereignissen in Fukushima zusammenhängen. Die Weltwirtschaft stellt ein sehr labiles Gleichgewicht dar. Japan, zum jetzigen Zeitpunkt die drittgrößte Ökonomie der Welt, ist von elementarer Bedeutung für die Gesundung des Weltkapitalismus. Doch der japanische Kapitalismus ist von einem ökonomischen Rückfall bedroht. Der Wert des Yen droht durch Spekulation in die Höhe getrieben zu werden. Die japanische Industrie ist nun von Energieengpässen und Lieferschwierigkeiten betroffen. Die G7 und die Bank von Japan haben umgehend Maßnahmen ergriffen, um den Wert des Yen niedrig zu halten. Ein starker Yen würde die Exporte, von denen die japanische Wirtschaft extrem abhängig ist, verteuern und damit weniger wettbewerbsfähig machen. Die Nettoexporte sind zu drei Viertel für das Wachstum der japanischen Wirtschaft in den letzten zwei Jahren verantwortlich. Ein Rückgang der Wirtschaftsleistung in Japan hätte Auswirkungen auf die Weltlage. Japans BIP ist schon im letzten Quartal gesunken. Ein weiterer Fall in diesem Quartal erscheint sehr wahrscheinlich und könnte eine Rezession auslösen.

Die globale Produktionskette wurde im Zuge dieser Krise ebenfalls getroffen, dies gilt vor allem für die Automobilindustrie. Der Nordosten Japans ist im Laufe der Zeit ein Zentrum der Autoproduktion geworden. Toyota, Honda, Nissan und andere Firmen haben in dieser Region Werke errichtet. Das internationale Kapital hat gezielt die "lean production"-Techniken von Japan übernommen, um die Nachschublinien so kurz wie möglich zu halten. Die Lager wurden bis auf das absolute Minimum geleert. Dies kann funktionieren, solange es keine Störung gibt. Nun sehen sie die Auswirkungen dieser kurzsichtigen Politik. Dies offenbart ein weiteres Mal die Anarchie des kapitalistischen Systems, das immer versucht, das Maximum an Profit aus jeder Pore der Produktion herauszupressen, dadurch jedoch umso verwundbarer wird.

Japanische Firmen zeichnen verantwortlich für 40% der weltweiten Produktion von technologischen Hilfskomponenten. Japans Industrie fertigt 30% aller Speicherkarten der Welt, die in Smart Phones und digitalen Kameras Verwendung finden und 10 bis 15 Prozent der DRAM-Speicher, ein wichtiges Element in jedem Computer. Asahi, NH Techno und Nippon Electric Glass sind die drei Top-Produzenten der Welt für das Glas von Flachbildschirmen.

Die Produktionsketten wurden nicht zuletzt durch die Reduzierung der Kapazitäten der einzelnen Firmen auseinandergerissen, die stark von Energiemangel und Produktionstopps betroffen waren. Die Infrastruktur ist auch durch die Krise betroffen, speziell der Transport leidet unter dem Mangel an Treibstoffen. Auch der verheerende Zustand mehrerer japanischer Häfen bereitet den Unternehmen einiges an Kopfzerbrechen. Computerchips herstellende Firmen brauchen große Mengen an Elektrizität und Wasser, welche nun nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Angesichts des komplizierten Charakters des Produktionsprozesses können selbst kleine Störungen zu monatelangen Verzögerungen in der Produktion führen.

Honda hat 113 Zuliefererbetriebe im Katastrophengebiet. Dies wird die Produktion auf die eine oder andere Weise sicherlich beeinflussen. Die Produktionsunterbrechungen werden auch außerhalb Japans immer weitere Auswirkungen haben. Es gab schon Nachschubprobleme in Swindon, Hondas Hauptwerk in Europa. Japan ist nicht nur eine Exportökonomie, sondern besitzt auch einen wichtigen internen Automarkt, der drittgrößte nach China und den USA, welcher wiederum nun auch von der Krise betroffen ist.

Die instabile ökonomische Situation wird noch zusätzlich verschärft durch den steigenden Erdölpreis angesichts der politischen Instabilität im Mittleren Osten.

Japans Produktivität liegt immer noch ein gutes Stück unterhalb der Zahlen vor der globalen Wirtschaftskrise von 2008/2009. Die neue Krise wird ihren ökonomischen Preis haben. Der Versuch die Situation damit zu stabilisieren, dass man mehr Geld in das System pumpt, wird die Staatschulden zum Ansteigen bringen, die jetzt schon bei 200 Prozent des BIP liegen - die größte Staatsverschuldung der industrialisierten Länder. Wenn das Wachstum sich für die nächsten Quartale ebenso verlangsamt, wird sich Japans Staatsschuldenquote noch extremer gestalten. Aber es gibt kaum etwas anderes, was sie tun könnten. Die Zinsen wurden jahrelang bei beinahe Null eingefroren.
Unter diesen Umständen kann Japan zur Achillesferse des Weltkapitalismus werden. Die Kraftwerke in Fukushima müssen stillgelegt und womöglich verstaatlicht werden. Die Krise wird dazu führen, dass die Atomindustrie wie die Regierung unter den Druck einer zornigen Öffentlichkeit gerät, die ein Umdenken der zukünftigen Energiestrategie fordert. Dies wird in diesen turbulenten Zeiten zu einer verstärkten Nachfrage von Kohle und Öl führen.
Es beweist nur ein weiteres Mal, dass der Kapitalismus und seine „freie Marktwirtschaft“ nicht in der Lage sind, die Gesellschaft harmonisch zu entwickeln. Die Jagd nach Profiten führt unabwendbar zu Sicherheitsmängeln und Korruption. Atomenergie plus profitgierige Firmen ist eine gefährliche Kombination. Das ist eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus der japanischen Katastrophe.

Die Ressourcen können und dürfen nicht unter der Verfügungsgewalt der großen Konzerne bleiben. Die Anarchie des kapitalistischen Marktes, basierend auf der Profitmaximierung, stellt tagtäglich für das Leben von Millionen Menschen ein unvorstellbares Risiko dar. Die Ressourcen des Planeten müssen bewusst und geplant eingesetzt werden und dürfen nicht rücksichtslos in der Jagd nach privatem Profit verschwendet werden. Die Widersprüche dieses Systems haben uns in eine Sackgasse geführt. Wenn der Kapitalismus weiterhin so fortfährt, wird es auch weiterhin Katastrophen wie die jetzige in Japan geben. Diese Katastrophe schreit förmlich nach einer rationellen Planung der Wirtschaft. Erst wenn wir demokratisch die Nutzung unserer Ressourcen planen, wenn die Bedürfnisse der Menschen schwerer wiegen als die unersättliche Gier multinationaler Unternehmen, nur dann wird die Wissenschaft die Dienerin des menschlichen Fortschritts und der Entwicklung werden und nicht die Sklavin des Kapitals bleiben.

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