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Perspektiven sind keine Hellseherei, es gibt keine magischen Kristallkugeln. Marxistische Perspektiven sind grundsätzlich bedingt. Wir versuchen die wesentlichen Entwicklungslinien der kapitalistischen Krise und des Klassenkampfes herauszuarbeiten. Dabei gehen wir von den Gegebenheiten aus und versuchen die Prozesse aufzudecken, die sich unter der Oberfläche abspielen. Das gibt uns die Möglichkeit einen bedingten Blick in die Zukunft zu richten. Perspektiven sind kein Plan, was genau passieren wird, sondern Arbeitshypothesen, die sich mit allgemeinen Prozessen beschäftigen. Sie müssen ständig weiterentwickelt, konkretisiert und anhand der Fakten und der tatsächlichen Entwicklungen überprüft werden. Dann sind sie unserer Bewegung ein Kompass, der dabei hilft, in dieser chaotischen Welt einen klaren Blick auf die vielen Ereignisse zu haben, sie im Kontext zu verstehen und uns im Aufbau der revolutionären Kräfte zurechtzufinden.
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Nationale Perspektiven können immer nur im Kontext der weltweiten Entwicklung des Kapitalismus verstanden und herausgearbeitet werden. Der Kapitalismus ist ein weltweites System und seine allgemeine Entwicklung spiegelt sich in der spezifischen Entwicklung jedes Landes wider. Genauso haben die Entwicklungen in und zwischen verschiedenen Staaten und Machtzentren enormen Einfluss auf die Entwicklung anderer Länder, mit denen sie verwoben sind. Das sticht in den Perspektiven der Krise des deutschen Kapitalismus besonders hervor. Deshalb starten wir mit der internationalen Entwicklung und arbeiten uns dann über die Entwicklungen in Deutschland bis hin zur Rolle von uns Marxisten vor.
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Das Schlagwort für das Jahr 2022 und den neuen historischen Wendepunkt lieferte der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung vom 27. Februar 2022: „Zeitenwende“. Die Eskalation im Ukrainekonflikt läutete dramatische Umwälzungen für den deutschen Kapitalismus ein. Seitdem versuchen die herrschende Klasse und ihre Regierung, die Kontrolle über ihr System zu behalten. Sie stehen vor der unlösbaren Aufgabe das ökonomische, politische und soziale Gleichgewicht in Deutschland vor dem Kollaps zu retten und gleichzeitig die Stellung des deutschen Imperialismus in der Weltarena zu sichern. Eine neue Normalität permanenter und zunehmender Krise wird das Bewusstsein aller Klassen und Schichten der Gesellschaft erschüttern. Die tatsächliche Zeitenwende -wird sich in der kommenden Periode als explosiver Eintritt der Arbeiterklasse in den Klassenkampf entpuppen, der in Deutschland mit Notwendigkeit Einzug finden wird.
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Krise des Kapitalismus
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Das Wesen der gegenwärtigen Epoche auf Weltebene zeichnet sich aus durch Krisen, Kriege, Revolutionen und Konterrevolutionen. Sie sind die Konsequenz der tiefen Widersprüche des Kapitalismus. Die Produktivkräfte können im Rahmen des Privateigentums an Produktionsmitteln und des Nationalstaates nicht mehr weiterentwickelt werden. Mit dem inneren Fäulnisprozess des Kapitalismus treten ständig üblere Krisensymptome auf, die wiederum auf den allgemeinen Krisenprozess zurückwirken und ihn vertiefen. Das System steckt in einer organischen Krise.
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Ein neuer Krisenzyklus setzte bereits 2019 ein. Eine Rezession bahnten sich in der Industrie an. Die tiefe Überproduktion in diesem Sektor sollte sich offenbaren. Doch die Wirtschaftskrise bekam durch die Coronapandemie und die Pandemiepolitik der kapitalistischen Regierungen einen besonderen Impuls und Ausdruck. Die Tendenzen des wirtschaftlichen Nationalismus (Protektionismus), die Abschottung sowie die Neuaufteilung der Welt unter den Imperialisten nahmen Fahrt auf und beschleunigten den Niedergang der „Globalisierung“, d.h. des globalen Freihandels und der über Jahrzehnte herausgearbeiteten internationalen Arbeitsteilung.
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Die Alleingänge der Regierungen und jedes einzelnen Unternehmens haben das Chaos der Anarchie des Marktes potenziert. Das ökonomische Gleichgewicht, das bereits durch die Krise von 2008 schwer erschüttert und von den Regierungen und Zentralbanken mit „Quantitative Easing“ und Niedrigzinsen nur oberflächlich zusammengehalten wurde, brach zusammen. Die Produktions- und Lieferketten, die On-Demand-Produktion, die Verteilung von Arbeitskraft auf die verschiedenen Sektoren usw. wurden weltweit unterbrochen, zerrissen und durcheinandergebracht.
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Eine Kernschmelze des Systems wurde nur durch den Eingriff der Staaten in die Wirtschaft verhindert, indem sie enorme Geldfluten an Banken und Konzerne freisetzten. Aber auch an die Arbeiterklasse wurden nicht unerhebliche Geldbeträge herausgegeben, um einer sozialen Explosion in den entwickelten Ländern vorzubeugen, denn dies hätte den Herrschenden noch gewaltiger Probleme bereitet, ihre Kontrolle über ihr System zu retten. Das hat die ohnehin gewaltige Schuldenblase zusätzlich aufgebläht, wie auch die Masse von Zombieunternehmen vergrößert. Die „kreative Zerstörung“ – d.h. die „erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften“ – blieb erneut weitestgehend aus, womit nur noch schlimmere Krisen in der Zukunft vorbeireitet wurden. Vor allem blähten diese Maßnahmen den inflationären Druck bis zum Bersten auf.
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Nach dem tiefen Wirtschaftseinbruch in der ersten Jahreshälfte von 2020 setzte ein Aufschwung ein, der für die Massen keine Erholung bracht, aber die kapitalistischen Widersprüche noch stärker zuspitze. Beschädigte Liefer- und Produktionsketten trafen auf eine enorme Nachfrage. Unternehmen begannen zu horten; Lockdowns behinderten die Produktion; Container fehlten; in den Häfen stauten sich die Frachter; gewaltige Mengen an Arbeitern fehlen in allen Sektoren usw. In dieser Phase setzte die Inflation als Produkt von Quantitative Easing, Niedrigzinsen und massiver Staatsverschuldung ein und wurde durch die genannten Phänomene verstärkt.
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Der trügerische Aufschwung wurde am 24. Februar 2022 mit dem reaktionären imperialistischen Ukrainekrieg abrupt unterbrochen. Die USA und EU setzten auf Sanktionen und Handelskrieg gegen Russland, das wiederum mit Einschränkungen und sogar der Abstellung von Energielieferungen nach Deutschland und andere EU-Länder reagierte. Die Konfliktaustragung mittels Handelspolitik wurde auf eine neue Ebene gehoben. Sanktionen und Umlenkung der russischen Energieexporte von Europa nach China und Indien brachten am Kontinent eine Vervielfachung der Preise für Energie und auch für Lebensmittel. Die Inflation begann sich zuzuspitzen. Die explodierenden Energiepreise trieben die Kosten für alle weiteren Produktionsschritte in die Höhe.
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Die Zentralbanken (Fed, Bank of England, EZB) reagierten mit Zinsanhebungen und haben einen bewussten Kurs in Richtung Rezession eingeschlagen, in der Hoffnung, damit der Inflation beizukommen. Vor allem in der EU kann die Rezession enorme Ausmaße annehmen, da dort in Folge der extrem gestiegenen Energiepreise, die Produktionskosten insbesondere in den industriellen Zulieferunternehmen und anderen energieintensiven Produktionen (z.B. Bäckereien) explodieren und viele dieser Unternehmen unrentabel machen.
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Bisher hat die Krise den großen Konzernen und Banken jedoch nicht geschadet. Sie machten 2021 Rekordgewinne (Mercedes-Benz Konzern 23,4 Milliarden Euro, Volkswagen 15,4 Milliarden, BMW 16,1 Milliarden, Allianz 13 Milliarden, Hapag-Lloyd 9,4 Milliarden). Viele Unternehmen in Deutschland haben laut dem ifo-Institut außerdem Ende letzten Jahres (2022) ihre Verkaufspreise deutlich stärker erhöht, als es durch die Entwicklung der Einkaufspreise gerechtfertigt gewesen wäre. Steigende Preise begehrter Komponenten in der Produktion, Lieferschwierigkeiten, Spekulationen, Staatsgelder und Nachfragesprünge haben vielen Konzernen steigende Gewinne beschert, obwohl die Verkaufszahlen sinken.
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Gleichzeitig macht die Deutsche Bank in dieser Krise, beflügelt durch die hohen Zinsraten, die höchsten Profite seit 15 Jahren. Diese Gewinne bedeuten eine weitere Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in den Händen des Kapitals und damit eine noch stärkere Klassenpolarisierung der Gesellschaft. Die Kapitalisten sind in einer Todesspirale gefangen, schließlich basieren die hohen Profite der Monopolkapitalisten vor allem auf der verstärkten Ausbeutung der Arbeiterklasse, deren Konsumtionsfähigkeit weiter sinkt. Die Widersprüche der Überproduktionskrise werden dadurch stetig vorangetrieben.
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Der Staat hilft ihnen dabei tatkräftig. Hunderte Milliarden Euro fließen seit 2020 als „Rettungspakete“ an Konzerne und Banken. Die Bundesregierung garantiert Unternehmen und Banken das Recht auf Profit, während die Arbeiterklasse die Zeche bezahlt. Früher oder später werden dramatische Staatsschuldenberge von der Arbeiterklasse durch Sparpolitik zurückgezahlt. Der Profit der Kapitalisten frisst unser Gehalt.
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Krise des deutschen Imperialismus
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Der imperialistische Konflikt um die Ukraine ist ein neuer Wendepunkt der gesamten Weltsituation, der besonders Europa tief und langfristig trifft. Er umfasst die zwei größten Länder und Armeen Europas, zwei ausdifferenzierte moderne Gesellschaften mit einer großen Arbeiterklasse und technischem Know-how. Russland mobilisiert alle Ressourcen, um seine Interessen in der Ukraine durchzusetzen und zählt dabei mindestens auf die wohlwollende Neutralität Chinas und anderer Staaten. Die Ukraine wird durch massive finanzielle und militärische Hilfen des Westens gehalten und wurde insb. durch die USA in diesen Krieg hineingeworfen. Entscheidend für die Dauer und den Ausgang des Konfliktes ist die Fähigkeit der Ressourcenaufbringung (Militärische Güter, Menschenmaterial, Kapital) und das Stillhalten der Arbeiterklasse, auch in den imperialistischen Ländern des Westens: dieser Krieg wird bis zur Erschöpfung eines oder beider Lager geführt werden. Vor allem für die USA hat dieser Krieg den Zweck, Russland nachhaltig auf allen Ebenen (militärisch, ökonomisch und politisch) zu schwächen.
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Der Krieg ist selbst ein Ausdruck für die großen politischen und wirtschaftlichen Umwälzungen zwischen den imperialistischen Zentren USA, und China sowie den europäischen imperialistischen Mächten (insb. Deutschland und Frankreich) und regionalen imperialistischen Mächten wie Russland. Der Krieg wirkt auf diese Umwälzungen ebenso zurück und vertieft sie. Schon vor dem Krieg hatte der Rückgang der Globalisierung und der damit verbundene Anstieg des wirtschaftlichen Nationalismus zu einer Verschärfung der Konflikte zwischen den verschiedenen Mächten geführt. Aber der Ukraine-Konflikt hat alle Spannungen enorm zugespitzt und alle Widersprüche vertieft. Deshalb sind wir Zeugen eines tiefgreifenden Wandels in den Weltbeziehungen.
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Die deutsche herrschende Klasse hat mehrheitlich diese Eskalation des Ukrainekonflikts nicht gewollt. Gleichzeitig war sie unfähig, den US-Imperialismus in ihrer eignen Einflusssphäre in die Schranken zu weisen. Zu gering ist das Gewicht des deutschen Kapitals, um der größten imperialistischen Macht, den Willen zu diktieren. Zwar haben die deutschen Kapitalisten die Expansion der EU nach Osten federführend angetrieben und von ihr am stärksten profitiert, aber gleichzeitig haben sie versucht vorteilhafte wirtschaftliche und politische Beziehungen zu Russland zu entwickeln. Diese Beziehungen, insb. die billige Energie (Erdgas und Erdöl), waren ein wichtiger Eckpfeiler, um der Dominanz des US-Imperialismus wirtschaftlich und politisch etwas entgegenhalten zu können. Die bereits unter Willy Brandt in den 1970er Jahren einsetzende „Entspannung nach Osten“ hatte das unterliegende Ziel, Deutschland wieder zu einer führenden und weitgehend eigenständigen wirtschaftlichen und politischen Macht auf Weltebene zu machen. Die deutsche herrschende Klasse, mit ihren gewaltigen Produktionsmitteln, war stets auf Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt angewiesen. Sie musste die USA zwar als militärische Schutzmacht akzeptieren, stand zu ihnen wirtschaftlich aber immer in Konkurrenz. An diesem Verhältnis hat sich bis heute nichts geändert – nur das Kräftegleichgewicht hat sich jetzt dramatisch zugunsten der USA verschoben.
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Aus dieser Warte heraus ist das zögerliche und kleinschrittige Agieren der herrschenden Klasse mit Beginn des Ukrainekrieges nachvollziehbar. Die Hoffnung auf eine schnelle diplomatische Beilegung des Konflikts, nach welcher die beschädigten Beziehungen zu Russland wieder gerichtet werden könnten, war das zentrale Maß für jeden Schritt. Dieses Vorgehen drückte sich konzentriert in der SPD und allem voran im Bundeskanzler Olaf Scholz aus. Er versuchte die gesamthaften Interessen der deutschen Kapitalistenklasse zu waren. Eine notwendigerweise unmögliche Aufgabe. Dieses Interessengebäude mit seinem Gewebe an wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und militärischen Beziehungen war ein Produkt der Vergangenheit, die nicht mehr existiert, weil sie mit dem Ukrainekrieg ein abruptes und endgültiges Ende gefunden hat. Dieses alte Geflecht ist auf dem Nachkriegsaufschwung, der enormen Entwicklung des Welthandels und der Produktivkräfte sowie der Integration der ehemaligen stalinistischen Weltregion in den kapitalistischen Weltmarkt aufgebaut worden. Es war ein Produkt relativer Stabilität des Kapitalismus und seiner Expansion. Die organische Krise des Kapitalismus hat beides zerstört.
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Jetzt entfaltet sich Chaos im Weltgefüge und ein neues relatives Gleichgewicht muss sich noch herausbilden. Doch wie dieses aussehen wird, das hängt einerseits davon ab, wie sich die Marktkräfte konkret durchsetzen werden und zum anderen, wie die verschiedenen imperialistischen Kontrahenten handeln werden.
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Das Mächtegleichgewicht in der Welt verändert sich. China ist zur Weltmacht aufgestiegen, wodurch es in einen wachsenden Konflikt mit den USA hineingerät. Die USA, die noch immer bei weitem die stärkste und reaktionärste Weltmacht bleiben, mussten in den letzten Jahrzehnten relative Einschränkungen ihrer Macht hinnehmen. Das eröffnet auch zweitrangigen Mächten die Möglichkeit in ihrem Einflussbereich Initiativen in ihrem Interesse zu ergreifen (Russland, Türkei, usw.). Dazu trägt auch der Niedergang der der europäischen imperialistischen Mächte (Deutschland, Frankreich, Großbritannien) sowie die Krise der EU bei. Jetzt wird der Kampf um ein neues Mächtegleichgewicht ausgefochten. Neben dem Rennen um die Dominanz auf dem Weltmarkt erstarken Prozesse der Entkopplung, der Handelsschranken und Wirtschaftskriege. Wo vorher „Partner“ waren, finden sich heute „Wettbewerber“ und „systemische Rivalen“. Für Deutschland und die EU gilt das nicht nur in Bezug auf Russland und China, sondern auch auf die USA, wobei das letztere meist noch hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird. Die Widersprüche im weltweiten kapitalistischen Geflecht zwingen die imperialistischen Mächte in Konfrontationen. Sie sind gezwungen, ihre Interessen auf Kosten der jeweils anderen durchzusetzen.
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Der US-Imperialismus nutzt den Ukrainekrieg, um die Beziehungen zwischen der EU und Russland, insbesondere zwischen Deutschland und Russland nachhaltig zu durchbrechen. Das ist ihm insb. im Hinblick auf die Energieversorgung aus Russland gelungen. Deutschland hat offiziell den Import von Erdöl aus Russland eingestellt, zudem hat die EU Sanktionen gegen Erdölprodukte aus Russland eingesetzt und einen Ölpreisdeckel eingeführt. Das wird wiederum von Russland durch Exportverbote vergolten. Zwar werden diese Maßnahmen noch auf verschiedenen Wegen umgangen, jedoch wird der Wegfall des billigen russischen Erdöles nachhaltig die Produktions- und Lebenshaltungskosten in die Höhe treiben. In viel größerem Ausmaß geschieht dies durch den Wegfall der russischen Erdgaslieferungen. Zudem hat die starke Beschädigung der Nord-Stream-Pipelines I und II im Zuge des Ukrainekriegs auf unabsehbare Zeit sichergestellt, dass durch sie kein Gas mehr geliefert werden wird. Die Bundesregierung versucht nun diese verlorengegangenen Energiequellen zu ersetzen. Inwieweit es gelingen wird, den tatsächlichen Bedarf zu decken ist unklar, jedoch ist bereits sicher, dass der Preis für diese Energieimporte deutlich höher liegen wird als bisher. Dadurch ist eine wichtige Grundlage für die deutsche herrschende Klasse beschädigt, die ihren Spielraum gegenüber den USA und die bisherigen Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt ermöglichte.
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Daneben hat ein weiterer imperialistischer Konflikt enormes Potenzial, die Stellung des deutschen Imperialismus nachhaltig zu zerrütten. Die Konfrontation der zwei Giganten USA und China zerreibt die EU und allem voran den deutschen Imperialismus. Die beiden Rivalen USA und China sind die zwei wichtigsten Einzelstaaten, mit denen Deutschland handelt. Gleichzeitig halten deutsche Unternehmen enorme Direktinvestitionen in den USA und in einem deutlich kleineren, aber dennoch bedeutendem Umfang in China. Der chinesische Markt ist für viele der DAX-Konzerne von herausragender Bedeutung, weil sie dort große Anteile ihres Umsatzes und Gewinns machen. Der US-Markt ist aber insgesamt gewichtiger.
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Dazu kommt, dass Deutschland keine von der EU unabhängige Rolle spielen kann. Die EU ist das zentrale Werkzeug der deutschen Kapitalistenklasse, um in der Weltpolitik mitspielen zu können. Sie war ein weiteres Mittel der deutschen Kapitalistenklasse, um eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den USA zu erzielen. Dieser Machtblock dient ihr als Mittel, die eigenen Ziele und Interessen in der Welt durchzusetzen und die Vormacht in Europa auszubauen. Die EU ist zudem Deutschlands wichtigste Handelspartnerin.
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Doch diese Abhängigkeit hat auch eine andere Seite, welche die Probleme des deutschen Kapitals und seiner Bundesregierung vergrößern. China hat eine zentrale Stellung für den EU-Handel, in etwa gleichauf mit den USA. Der Handelskonflikt zwischen USA und China wird ein bestimmendes Moment in der Entwicklung der Krise der EU und Deutschlands sein. Die USA drängen beide, sich auf ihre Seite zu stellen und den aufsteigenden chinesischen Imperialismus einzudämmen. Für die EU und Deutschland ist das nur zu dramatischen Kosten möglich, die extreme soziale und politische Konsequenzen, d.h. revolutionären Klassenkampf, nach sich ziehen würden.
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Deshalb wird aktuell ein Kampf zwischen verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse und des Establishments in Deutschland über die Ausrichtung des deutschen Imperialismus ausgefochten. Dieser Kampf läuft zudem auf der EU-Ebene zwischen den verschiedenen Fraktionen der nationalen Bourgeoisien. Die vielen Spaltungen und Differenzen, machen eine gemeinsame Strategie unmöglich. Nationale Alleingänge und diplomatische Krisen sind vorprogrammiert (siehe unten). Insgesamt verläuft diese Krise im Interesse der USA, die am stärksten davon profitiert. In Wirklichkeit besteht keine Einheit des Westens. Im Gegenteil, die EU ist gespalten und ordnet sich dem Willen und den Interessen der USA unter.
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Die Grünen und die FDP drücken in konzentrierter Form den Unterwerfungskurs gegenüber den USA aus. Sie pochen am lautesten auf eine Stärkung der transatlantischen Beziehungen, eine stärkere Beteiligung am Ukrainekrieg durch Waffenlieferungen, Geld und Sanktionen sowie eine neue „Chinastrategie“. Im Mittelpunkt ihrer China-Agenda stehen Entkopplung und Protektionismus gegen chinesische Waren und Unternehmen in Europa. Sie wollen sich unmittelbar an der Eindämmungsstrategie der USA gegen China beteiligen. Sehr zum Missfallen wichtiger Teile der herrschenden Klasse.
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Wiederum die SPD, deren Führungspersonal sich über Jahrzehnte der Kapitalistenklasse zuverlässig angedient hat, versucht, in der Bundesregierung die gegensätzlichen Interessen des deutschen Kapitalismus in dieser Gemengelage auszugleichen. Sie versuchen weitere abrupte Brüche wie im Zuge der Pandemie und des Ukrainekriegs zu vermeiden. Die Angst vor einer Deindustrialisierung, „Wohlstandsverlust“ und enormen Klassenkämpfen treiben sie an. Jedoch beugt sich auch die SPD schrittweise, wenn auch widerstrebend, in Richtung USA, wie an den Waffenlieferungen und Sanktionen ersichtlich ist. Die Bundesregierung steht dabei insbesondere durch die osteuropäischen Bellizisten (Polen und Baltikum) unter Druck.
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Doch in derselben Zeit nehmen die Kollisionen mit dem US-Imperialismus zu. Die US-Regierung demonstriert ihre Macht und blickt nur auf die Interessen des US-Kapitalismus. Mit dem milliardenschweren Klimagesetz „Inflation Reduction Act“ (IRA), verspricht die US-Regierung enorme Subventionen für Unternehmen aus der Energie-, Verkehrs- oder Wasserstoffbranche. Der IRA hat strenge „Made in America“-Vorgaben auf so gut wie alle Herstellungsstufen, vom Abbau und der Aufbereitung der Rohstoffe über die Montage von Vor- und Zwischenprodukten bis zum Recycling.
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Das US-Kapital will industrielle Produktion aus der ganzen Welt in die USA verlagert sehen. Neue produktivere Anlagen, Kontrolle über Liefer- und Produktionsketten sowie Rohstoffquellen und vor allem Profite, sollen die Dominanz der USA weltweit wieder stärken. Die enormen Subventionen locken aber auch VW, Audi, Siemens und Co., die deutsche Industrie will sich diese lukrativen Investitionen in den USA nicht entgehen lassen, was wiederum in Fragen China die Widersprüche vertieft.
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Mit diesem Subventionsprogramm und den protektionistischen Vorgaben will die USA ihre Arbeitslosigkeit exportieren und die USA reindustrialisieren. Alles auf Kosten auch ihres „strategischen Verbündeten“ Europa sowie der ganzen restlichen Welt. „America First“ gilt unverändert auch in der Biden-Regierung. Die EU kündigt nun ein eigenes vergleichbares Programm an (wobei noch abzusehen ist, wie umfangreich dieses tatsächlich werden kann, weil es auf weitere Verschuldung der EU hinausläuft). Der Kampf um die Stärkung des jeweils eigenen Wirtschaftsstandortes, angetrieben durch ökonomischen Nationalismus und Protektionismus, wird die scheinbare Einheit zwischen den europäischen Mächten und den USA auf Dauer zerbrechen. Die Zuspitzung von Handelskriegen zwischen allen imperialistischen Mächten kann, die jetzt schon stark angeschlagene Weltwirtschaft in eine tiefe und langanhaltende Depression stürzen.
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Diese Gemengelage zeigt wie verschachtelt das Abhängigkeitsgefüge ist. Deutschland kann auf keine Seite verzichten, baut sogar die Investitionen nach China aus. Aber ausschlaggebend sind: a) die wirtschaftlichen, politischen, diplomatischen und militärischen Beziehungen der EU-Mitgliedsländer zu den USA gehen historisch tiefer als zu China; b) die Abhängigkeit vom US-Markt und die Dominanz des US-Kapitals in Europa sind größer als zu China; c) die Konkurrenz Deutschlands und der EU mit China und Russland ist nur mit Hilfe der USA haltbar. Dadurch ist die Richtung bereits festgelegt, dass die deutsche herrschende Klasse sich mindestens vorübergehend den USA unterordnen muss. Das wird die EU und Deutschland einen hohen Preis kosten. Sie versuchen sich zwar zu behaupten aber die Möglichkeiten dafür sind sehr beschränkt und schmelzen dahin – insbesondere, weil sich die Zentrifugalkräfte in der EU selbst enorm zuspitzen werden.
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Die Krise des deutschen Imperialismus zwingt die herrschende Klasse und die Regierung eine neue Strategie zu entwickeln, jedoch gelingt ihnen das kaum, weil die herrschende Klasse selbst gespalten ist, insb. entlang ihrer jeweiligen Profitinteressen, sowie auch die Regierungsparteien in verschiedene Richtungen drängen. Tatsächlich wird mehr oder minder ein Kampf in der Öffentlichkeit zwischen diesen verschiedenen Flügeln ausgefochten, welcher Teil in der Zukunft den Ton angeben wird. Diese Spaltungen sind ein wichtiger Indikator, dass die Krise sehr tief geht. Sie sind wichtiger ein Hinweis darauf, dass auch Deutschland auf eine revolutionäre Krise in der Zukunft zusteuert.
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Krise der EU
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Europa ist im 3. Quartal letzten Jahres wieder in eine Rezession bei gleichzeitig hoher Inflation (10 % im Jahresvergleich) gerutscht. Die Prognosen der EZB gehen für die nächsten Jahre von niedrigem Wachstum und weiterhin hoher Inflation aus. Doch die Repräsentanten der EZB und alle anderen Forschungsinstitute lagen in ihren Prognosen schon in den letzten Jahren ständig falsch und verneinten die Gefahr von Inflation noch laut, als sie schon begonnen hatte abzuheben. Jetzt weisen die Ökonomen der EZB darauf hin, dass diese Krise nicht auf ökonomische Einzelfaktoren zurückzuführen ist, und dass die Macht der Zentralbanken in der Inflationsbekämpfung sehr reduziert ist: durch eine Reduktion der aufgeblähten Geldmenge kann sie eine Wirtschaftskrise befördern, indem sie die Kreditnachfrage reduziert. Dies geschieht durch die Erhöhung der Leitzinsen und die Reduktion ihrer Bilanz (Die EZB kündigte an, ihren Bestand an Unternehmensanleihen ab März 2023 monatlich um 15 Mrd. zu reduzieren).
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„Die eingegangenen Daten bestätigen, dass die Risiken für die Wachstumsaussichten eindeutig abwärtsgerichtet sind. Das gilt insbesondere auf kurze Sicht. Ein lang andauernder Krieg in der Ukraine stellt nach wie vor ein erhebliches Abwärtsrisiko dar. Das Vertrauen könnte weiter schwinden, und angebotsseitige Engpässe könnten sich erneut verstärken. Auch könnten die Energie- und Nahrungsmittelkosten dauerhaft höher bleiben als erwartet. Eine Abschwächung der Weltwirtschaft könnte das Wachstum im Euroraum zusätzlich belasten. In Bezug auf die Inflationsaussichten überwiegen die Aufwärtsrisiken. Auf kurze Sicht stellt ein weiterer Anstieg der Endkundenpreise für Energie das größte Risiko dar. Mittelfristig könnte die Inflation höher als erwartet ausfallen, falls die Preise für Energie- und Nahrungsmittelrohstoffe anziehen und diese Entwicklung stärker auf die Verbraucherpreise durchschlägt, die Produktionskapazität im Euroraum dauerhaft beeinträchtigt wird, die Inflationserwartungen anhaltend auf ein Niveau oberhalb des Zielwerts des EZB-Rats steigen oder es zu unerwartet kräftigen Lohnzuwächsen kommt. Sinkende Energiekosten und eine weiter abnehmende Nachfrage würden indessen den Preisdruck mindern.“ (EZB, Wirtschaftsbericht 2022/7.)
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Die ökonomische Perspektive ist eine mehrjährige stagnierende Ökonomie, ohne dass die herrschende Klasse sich sicher sein kann, dass die hohe Inflation in dieser Zeit eingedämmt werden kann – besonders in Europa. So droht eine „Stagflation“ mit hoher Inflation und viel Potential für neue, tiefe Einbrüche. Die Situation ist besonders in Europa extrem komplex. Für die EU stehen einerseits Energieunsicherheit und anhaltend hohe Preise für Energie sowie massive Kosten für die Energiekonversion in Europa an. Für das kommende Jahr hat EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen ein Fehlvolumen für 30 Mrd. m3 Erdgas angegeben, das entspricht 7,5% des (bereits reduzierten) Jahresbedarfs von 2021 von 400 Mrd. m3 der EU-Staaten. Gleichzeitig haben sich die Energiepreise in Europa durch die Abkoppelung von Russland vervielfacht, der deutsche Importpreis ist 2021 um 700 % höher als im Durchschnitt der Jahre 2010-2020. Bloomberg beziffert die budgetären Mehrkosten für die Subvention und Teuerungsausgleiche für Energiekosten in Europa mit 1000 Mrd. € pro Jahr, eine Summe, die sich die Herrschenden, angefangen mit den schwächeren Ökonomien, nicht lange leisten können.
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Die herrschende Klasse befürchtet eine „Deindustrialisierung“ Europas. Wegen der Energieknappheit und gleichzeitig gesetzten protektionistischen Maßnahmen der USA („inflation reduction act“ vom August 2022) drohen wichtige industrielle Kapazitäten und Investitionen von Europa an die USA verloren zu gehen.
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Dieser Krisenkomplex wird zentrifugale Kräfte innerhalb der EU und der Euro-Zone wieder akut werden lassen; die Konflikte zwischen den nationalen Bourgeoisien in der EU werden weiter zunehmen. Die deutsche Bourgeoisie war gezwungen, im Ukraine-Krieg gegen ihre eigenen unmittelbaren wirtschaftlichen Interessen zu handeln. Während Deutschland kein m3 russisches Pipelinegas mehr erreicht, hat Frankreich gleichzeitig seine Uraneinkäufe in Russland verdreifacht und auch der belgischen Diamantschleifer-Lobby ist es gelungen, russische Diamanten aus jedem der nunmehr neun Sanktionspakete der EU herauszuverhandeln. Unter diesen neuen politisch durchgesetzten – Gegebenheiten ist das deutsche Kapital bei Strafe seines Untergangs auf dem Weltmarkt gezwungen, seine Interessen auch innerhalb Europas deutlicher und unilateraler als bisher zu vertreten.
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Das muss einen Konflikt mit Interessen anderer europäischer nationaler Bourgeoisien erzeugen, angefangen mit Frankreich, gefolgt von den südeuropäischen Bourgeoisien Spaniens und Italiens. Eine zentrale Konfliktlinie wird hier sein, dass letztgenannte Länder den in der COVID-Krise eingeschlagenen Weg der EU-Gelder (Stichwort: das 750 Mrd. € Hilfspaket „next generation EU“) weiterführen und ausbauen möchte. Dies bedeutet im Wesentlichen eine Subventionierung von EU-Ländern durch die mächtigste Wirtschaft, Deutschland. Die Regierung Scholz hat indessen den deutschen „Doppel-Wumms“ von 200 Mrd. € Hilfszahlungen für das eigene Kapital beschlossen, also eine „Germany first“ Politik nach dem Motto „deutsches Geld für die deutsche Wirtschaft“. Andere Bourgeoisien sehen darin den Bruch von EU-Wettbewerbsregeln durch Deutschland. Sie wollen sich derartige Hilfszahlungen nicht leisten. Ein weiterer Konflikt wird das Ausmaß und das Tempo der Geldmengenreduktion und der Zinsanhebungen der Zentralbank sein. Diese Maßnahmen führen zur Verteuerung von Krediten, was die Staatsfinanzierung hochverschuldeter Nationen wie z.B. Italien (180 % des BIP) verteuert und die weniger wettbewerbsfähigen Betriebe zusätzlich unter Stress setzen wird.
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Gleichzeitig bildet sich mit Polen und Schweden und dem Baltikum (hinter denen die USA stehen) erstmals politische Gegenspieler Deutschlands im Nord-Osten des Kontinents. Diese Länder stehen (aus unterschiedlichen Gründen!) für eine harte Linie im Ukraine-Konflikt und eine stärkere Unterordnung Europas unter die USA. Der Krieg in der Ukraine wird Europa nicht näher zusammenbringen, sondern im Gegenteil die Spannungen zwischen den Bourgeoisien auf Dauer erhöhen und das ideologische Gespenst des rabiaten Nationalismus wieder aus der Gruft herauslassen.
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Mitten in dieser Krise erschüttert der Korruptionsskandal um die abgesetzte Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments Eva Kaili, das ohnehin beschädigte Vertrauen der europäischen Arbeiter und Jugendlichen in die EU. Der Skandal legt nur die Spitze des Eisbergs offen. Doch er zeigt deutlich, was viele schon lange spüren: Die EU-Institutionen stehen nicht unter der demokratischen Kontrolle der Massen, sondern sind von diesen völlig entkoppelt.
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Ein weiterer schwelender Konflikt, der sich erneut entfachen wird, ist die Migrations- und Flüchtlingsfrage. Der Ukrainekrieg hat eine enorme Fluchtbewegung auch nach Europa in Gang gesetzt. Dabei wurde wieder das rassistische und gewalttätige Grenzregime der EU deutlich. Während für ukrainische Flüchtlinge Sonderregelungen im Handumdrehen umgesetzt wurden, werden Flüchtlinge aus anderen Regionen (insb. Afrika und Nahost) nach wie vor enorm unterdrückt.
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Das heißt nicht, dass die Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge aus gutem Willen heraus geschah, die EU-Staaten ziehen direkten Nutzen daraus (bspw. Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte). Auch die ukrainischen Flüchtlinge werden vermehrt mit Rassismus und Gewalt von Seiten der EU konfrontiert, sobald die Krise das erfordert und die Stimmung kippt.
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Mit wachsenden Krisenlasten wird die Frage nach Abschottung der EU-Grenzen, Verteilung von Flüchtlingen unter den EU-Mitgliedern usw. wieder hart gestellt werden. Es wird die Konfliktlinien zwischen allen nationalen Bourgeoisien zuspitzen. Dabei werden die rechten Parteien mit demagogischen, nationalistischen und fremdenfeindlichen Positionen gewissen Zulauf gewinnen können. Die Herrschenden und die Regierungen werden diese Parteien nutzen, um die Arbeiterklasse zu spalten und die Krisenlasten auf sie abzuwälzen. Dabei werden sie reaktionäre Gesetze durchsetzen, während sie sich als Verteidiger der Demokratie gegen rechte Demagogen inszenieren. Das wiederum wird die Versuche, nationale Einheit zu schaffen, torpedieren und harte Gegenreaktionen aus der Jugend und der Arbeiterklasse bringen.
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Die verschärfte kapitalistische Konkurrenz verlangt von dem Kapital eine stärkere Auspressung der Arbeiterklasse, um die Profite zu retten. Das gilt sowohl für Lohn- und Arbeitsbedingungen als auch für staatliche Ausgaben wie Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Pensionssystem. Gleichzeitig sind sich die Herrschenden der Gefahr von sozialen Explosionen bewusst, die sie im vergangenen Jahr in Ländern wie Kasachstan und Sri Lanka genau beobachteten. Auch die Gelbwestenbewegung in Frankreich, die an der Frage von Treibstoffpreisen ausbrach, haben sie nicht vergessen. Die Länder, die es sich leisten können, versuchen derzeit den sozialen Frieden zu wahren, indem große Einsparungspläne hintangestellt werden oder Einmalzahlungen wie Heizkostenzuschüsse ausgegeben werden. Doch diese Politik ist nicht langfristig finanzierbar, steht jetzt schon unter Druck und wird den Klassenkampf überall auf die Tagesordnung setzen. Schon jetzt sehen wir Anfänge davon im Westen, am deutlichsten in der größten Streikwelle Großbritanniens seit vier Jahrzehnten. Und auch der den Massenstreik in Frankreich gegen die Rentenreform ist ein Indikator.
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Rezession in 2023: Was erwartet uns?
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Die deutsche herrschende Klasse hat in den letzten Jahrzehnten daraufgesetzt, die Krise durch den Export zu überwinden. Das war ihr eine Zeitlang gelungen, insb. nach der Krise von 2008 und vor allem auf Kosten ihrer europäischen Handelspartner. Aber der Krieg in der Ukraine, die Coronapandemie, die Krise in China und in den USA, die Handelskriege usw. – sprich die vorher beschriebene Krisenentwicklung – setzen dieser Strategie ein Ende. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf den Export, der vormals Deutschlands Stärke war, entpuppt sich durch diese Krisenentwicklung als dessen Achillesferse. Diese Entwicklung wird sich nicht mehr rückgängig machen lassen. Deutschland wird die Krise nicht wie in den Jahrzehnten zuvor exportieren können.
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Das Jahr hat noch mit einem leisen Aufatmen in der bürgerlichen Presse begonnen: im Jahr 2022 war die deutsche Wirtschaft trotz der Turbulenzen um 1,9 % gewachsen. Für das Jahr 2023 wird ein äußerst bescheidenes Wachstum von 0,2 % prognostiziert. Jedoch gehen diese Berechnungen davon aus, dass der Winter einen weiterhin sehr milden Verlauf nimmt, der Energieverbrauch der Haushalte auf niedrigem Niveau verbleibt und keine weiteren Einsparungen in der Industrie stattfinden müssen. Selbst wenn dieser Wert erreicht wird, handelt es sich nur empirisch um eine kleine Erholung. Tatsächlich steht ein solcher Wert sinnbildlich für die aktuelle Stagnation, in der die fundamentalen Widersprüche wie z.B. Inflation und Verelendung nach wie vor bestehen bleiben.
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Bisher scheinen die Gasspeicher noch gutgefüllt zu sein und der Gasverbrauch in der Industrie deutlich reduziert. Dabei scheint es den Unternehmen gelungen zu sein, die Einsparungen mit vergleichsweise niedrigen Produktionsminderungen durchzuführen. Am stärksten betroffen sind die energieintensiven Industriezweige. Die Produktion in den nicht-energieintensiven Bereichen, auf die etwa vier Fünftel der gesamten Bruttowertschöpfung in der Industrie entfallen, mussten scheinbar keine Produktionsminderungen durchführen. Als Gründe für die Einsparungen zieht die Bundesnetzagentur folgende heran: Brennstoffwechsel auf andere Energieträger (Erdöl, Kohle, Flüssiggas, Wasserstoff, Biofuels) oder Strom; Energieeffizienzmaßnahmen; Import statt Produktion energieintensive Güter und dadurch kurzfristiges intakt bleiben der Wertschöpfungsketten bei nachgelagerten Industrien; (zeitlich begrenzte) Einschränkung der Produktion. Weil aber die Daten nur grob sind, ist unklar, ob nicht einzelne Unternehmen oder Branchen fatal belastet sind. Zudem sind weitere Einsparungen bei vergleichsweise geringen Produktionseinbußen nur noch in beschränktem Rahmen möglich, laut Netzagentur.
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Die Einsparungen werden folglich noch weiter auf private Haushalte ausgelagert werden. Anders als die Industrie liegen dort jedoch nicht die technischen und finanziellen Mittel vor, um energieeffizienter zu wirtschaften und alle notwendigen Abläufe gleichermaßen aufrecht zu erhalten. Die Einsparungen werden daher direkt den Lebensstandard der Arbeiterklasse betreffen, um die Produktionskapazitäten der Konzerne unberührt zu lassen und die Profitquellen weiter intakt zu halten.
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Eine akute Gasmangellage könnte für das Jahr 2023 umgangen werden, aber spätestens im Herbst stünden die Bundesregierung und die Unternehmen erneut vor der Aufgabe, die Gasspeicher zu extrem hohen Preisen füllen zu müssen. Für die nächsten Jahre ist nicht klar, in welcher Form die Energieversorgung insb. mit Gas und Erdöl normalisiert werden kann. Außerdem ist es klar, dass die dauerhafte Teuerung der Energie, nachhaltig die Produktionskosten treiben und die Industrie dauerhaft unter Druck bringen wird.
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Um die Energieversorgung kurzfristig unter Kontrolle zu behalten, musste die Bundesregierung den wichtigsten Energieversorger Uniper sowie einige Tochterfirmen russischer Energiekonzerne in Deutschland verstaatlichen. Zusätzlich werden diese Unternehmen mit Milliarden durch den Staat gestützt, um Kettenreaktionen von Pleiten bei den Stadtwerken und in der Industrie zu verhindern. Diese Stützungsmaßnahmen sind an EU-Vorgaben gebunden, wie Aufspaltungen und Ausgliederungen von Konzernbestandteilen usw. – vor allem soll die Bundesregierung, einen Plan zum erneuten Verkauf der Unternehmen vorlegen. Letztlich wird die Arbeiterklasse auch diese Rettungsaktion bezahlen.
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Gleichzeitig erhöhen die deutschen Unternehmen seit Jahren die ohnehin enorme Bargeldreserven, um sich in der Krise vor ausbleibenden Krediten und hohen Zinsen zu schützen und andererseits, um Übernahmen und Liquidierungen von Konkurrenten vornehmen zu können. So sollen die Bargeldreserven bei 765 Milliarden Euro liegen. Daneben drängen die „fünf Wirtschaftsweisen“ die Bundesregierung darauf, auf die Schwarze Null zu verzichten, um durch weitere Staatsverschuldung die Wirtschaft in der Rezession zu retten. Alles bereitet sich auf einen potenziell harten Crash vor.
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Entscheidende Faktoren für die tiefe der Rezession scheinen zudem außerhalb des Einflussbereichs der deutschen herrschenden Klasse zu liegen: Dauer des Ukrainekriegs, Rezession in der EU, Entwicklung der Krise in den USA und China… Das macht eine realistische Einschätzung sowohl für die bürgerlichen als auch für uns kaum möglich, weil die Widersprüche sehr tief gehen und vermeintlich kleine und unerwartete Ereignisse die Situation enorm umwerfen können.
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Unabhängig von der tiefe der unmittelbar anstehenden Rezession: Das entscheidende an der gesamten Situation ist, dass der oben beschriebene Krisenkomplex die zentralen Pfeiler des deutschen Imperialismus – die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt, die Exportüberschüsse sowie den Kapitalexport – notwendigerweise untergraben wird. Das wird wichtige Folgen haben: Zum einen wird es Betriebsschließungen und damit Entlassungen insb. in der Industrie in Deutschland geben; außerdem werden Betriebe im Ausland aufgegeben werden müssen (aktuell insb. in Russland, potenziell auch in China); der Exportüberschuss wird schmelzen und damit die Profite, weshalb die Ausbeutung der Arbeiterklasse im Landesinneren erneut verstärkt werden wird; die Sparpolitik wird zunehmen. Zusammengefasst: Die herrschende Klasse wird einen Teil ihrer Extraprofite verlieren, die die hauptsächliche Grundlage für die soziale Stabilität der gesamten Zeit seit dem Ende des zweiten Weltkriegs sind. Das wird das ohnehin bröckelnde soziale und politische Gleichgewicht besonders hart untergraben.
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Krise des bürgerlichen Regimes
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Krise der sogenannten „Mitte“
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Neben der ökonomischen Krise und durch sie, findet fast schon unter Laborbedingungen die Krise des bürgerlichen Regimes in Deutschland statt. In den letzten Jahrzehnten und besonders ab den 2000er Jahren, beschleunigt sich diese hauptsächlich graduelle Zerrüttung der politischen Stabilität.
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Alle Parteien liegen auf Bundesebene bei Wahlumfragen unter 30 %. Selbst auf Landesebene sind bis auf wenige Ausnahmen, die Zustimmungswerte unter dieser Marke. Parallel dazu ist der allgemeine Trend bei der Wahlbeteiligung auf Bundes- und besonders auf Landesebene nach unten gerichtet. Bei den Landtagswahlen (LTW) 2022 in Saarland (61,4 %), Schleswig-Holstein (60,3 %), Nordrhein-Westfalen (55,5 %) und Niedersachsen (60,3 %) waren Wahlbeteiligungen durchweg niedrig – ein Trend, der seit den 2000er Jahren verfestigt ist und in Wellen weiter sinkt. Nur das Aufkommen der AfD konnte kurzzeitig für einen Anstieg der Wahlbeteiligung sorgen, sowohl in Richtung AfD (insb. Protestwahl) als auch zu den anderen Parteien (Stimme gegen die AfD). Dieser Effekt ist bei den Landtagswahlen seit 2020 wieder stark abgeschwächt: die Beteiligung sank teils wieder stark; auch mit Verlusten in absoluten Zahlen bei der AfD.
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Auf Bundesebene liegt lediglich die CDU/CSU gegenwärtig an der 30 % Marke. Dass die hohen Umfragewerte der Konservativen keine stabile Wählerbasis bedeuten, hat die letzte Bundestagswahl (BTW) gezeigt, als sie ihr schlechtestes Ergebnis (2021: 24,1 %) bei einer Bundestagswahl einfuhr. Im Vorfeld hatten sie einen enormen Höhenflug in den Umfragen (2020: knapp 40 %). Auch das jetzige Umfragehoch zeugt nicht von der Stärke der konservativen Partei, sondern liegt daran, dass sie in der Opposition ist und die Fehler und Versäumnisse der Ampelkoalition relativ klug demagogisch ausnutzt.
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Auch der „Wahlerfolg“ der SPD bei der BTW war, wie wir beschrieben hatten, das Produkt der Fehler der CDU und der Grünen im Wahlkampf. Mittlerweile bewegt sich die SPD in Wahlumfragen wieder unter 20 %, wo sie im Vorfeld des letzten Wahlkampfes bereits über mehrere Jahre lag. Bei den restlichen Parteien – Grüne, FDP, LINKE und AfD – zeigt sich, ein nicht weniger wildes auf und ab in den Wahlumfragen. Alle liegen unter 20 % bzw. unter 10 %. Keine dieser Parteien kann sich auf eine breite und feste Stammwählerschaft stützen.
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Besonders deutlich wird das an den Wahlergebnissen der Berlinwahl vom 12. Februar. Hierbei konnte sich die CDU mit 28,2% als klarer Wahlsieger hervortun. Die SPD, die seit 22 Jahren den Bürgermeister stellt, erlitt eine historische Wahlniederlage und wurde mit nur 53 Stimmen Vorsprung vor den Grünen zweitstärkste Kraft. Insgesamt verloren alle Parteien, die an der Bundes- oder Landesregierung beteiligt sind, stark. Die FDP konnte nicht einmal ins Abgeordnetenhaus einziehen. Diese Ergebnisse verdeutlichen die politische Situation, in der wir uns befinden.
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Die gegenwärtige Krisenentwicklung zeigt, dass die Parteien CDU und SPD ihre zwischen den 1950er und 1990er Jahren herausgebildete Stammwählerschaft verlieren und es immer stärker von Zufällen abhängt, dass im Vergleich zu den anderen Parteien mehr Wählerstimmen erhalten. Für die anderen Parteien besteht auf Grund der Krisendynamik des Kapitalismus in Deutschland kein Raum eine breite Stammwählerschaft zu erhalten, denn sie haben den Massen keine Lösung ihrer drängenden Probleme zu bieten. Mit dem sinkenden Vertrauen in die bestehenden Parteien sinkt auch das Vertrauen in die Institutionen der bürgerlichen Demokratie insgesamt. Damit einher geht, dass die Regierungen (Bund/Länder) sich auf einen sinkenden Rückhalt in der Bevölkerung stützen, immer häufiger aus Drei-Parteien-Koalitionen bestehen und damit insgesamt instabil werden.
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Diese Krise der sogenannten „Mitte“ ist das Ergebnis der sozialen und politischen Polarisierung, die durch die Krise des Kapitalismus erzeugt wird. Sie drückt sich durch Pendelausschläge in der öffentlichen Meinung aus, weil die Massen nach Antworten und Lösungen für die wachsenden und drängenden Probleme ihres Lebens suchen. Sie testen die Parteien, die sie zur Verfügung haben aus und binden sich nicht mehr an sie – es reicht eine falsche Aussage eines Politikers und schon schlägt das Pendel von dessen Partei zu anderen Parteien aus. Das aber macht den Parlamentarismus anfällig für starke Krisen, weil er auf ruhige Zeiten des Klassenkampfes und stabile kapitalistische Verhältnisse ausgelegt ist – d.h. auf Zeiten, in denen die herrschende Klasse einen Klassenkompromiss erkaufen kann. Wenn für letzteres die Basis (Extraprofite) erodiert, dann beginnt auch die bürgerliche Demokratie zu bröckeln. Die Arbeiterklasse wird gezwungen sein für ihre Interessen einzutreten, d.h. den Klassenkampf wieder aufzunehmen. Die Pendelausschläge in der öffentlichen Meinung kündigen diese „Zeitenwende“ an.
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Krisenregierung
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Befeuert wird diese Dynamik durch die Regierungspolitik der letzten Jahre (Coronamaßnahmen, Klimapolitik, Kriegsunterstützung, Energiekrise usw.). Das Handeln der Regierungen wird zusehends orientierungslos, unbeständig und von ständigen Richtungswechseln durchzogen. Die Funktion der Regierung besteht darin, die Krise des Systems im Interesse der herrschenden Klasse zu managen. Doch in Zeiten der Krise erodiert das scheinbar einheitliche Klasseninteresse der Bourgeoisie. Der Kampf um Extraprofite und Konkurrenzfähigkeit einzelner Kapitalisten gerät in Widerspruch mit den Interessen der restlichen Kapitalfraktionen. In der Folge erweist sich die Regierung als instabil. Sie ist nichtmehr in der Lage, die verschiedenen Interessen zu vereinigen und Stabilität zu schaffen. Weil die Regierung aber keinen übergeordneten Plan hat und gespalten ist, kann sie stets nur auf neue Entwicklungen reagieren. Sie kann nicht vorhersehen, wie sich die Krise entwickelt, weil sie ihre Ursachen nicht begreifen und nur im Interesse der Herrschenden handeln kann. Zudem läuft ihre Politik auf Angriff gegen die Arbeiterklasse hinaus, eine andere Herangehensweise vom Standpunkt des Kapitals gibt es unter den gegebenen Bedingungen nicht. Doch dieses Vorgehen schafft den Boden für soziale Unruhen. Deshalb tritt bei einer wachsenden Masse der Bevölkerung, das Gefühl ein, die da oben sind verrückt, inkompetent, abgehoben, schamlos und haben jede Bindung zum Volk verloren („frieren für den Frieden“, usw.). Wir haben die Ampelregierung als Krisenregierung charakterisiert, die den Prozess der Krise der bürgerlichen Demokratie nicht aufhalten können wird – und damit haben wir völlig rechtbekommen.
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Die Ampelregierung hat genauso widersprüchlich gehandelt wie die GroKo vor ihr in der Coronapandemie. Der Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diskreditierte sich sehr schnell als es um die Booster-Impfungen ging und die Diskussion um die (schließlich fallengelassene) Impfpflicht entflammte. Auf große Ankündigungen folgten ebenso große 180-Grad-Wenden. So kündigte Lauterbach im April 2022 an, dass die Maskenpflicht fällt und zog das nach enormer Kritik wieder zurück. Dann warnte er vor einer potenziellen „Killervariante“ des Virus im Herbst und im Juni verkündete er wiederum das Ende der kostenlosen Corona-Tests. Diese Widersprüche nährten das Misstrauen in die Regierung in immer weiteren Schichten der Bevölkerung.
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Wiederum in Fragen Klimaschutz, haben die Regierung und vor allem die Grünen, ihr Programm vollständig aus dem Fenster geworfen. Die Grünen profitierten insbesondere von der Umweltfrage und durch ihre Inszenierung als weltoffene, anti-rechte und friedliebende Partei. Jetzt aber haben sie Kohlekraftwerke für die Stromerzeugung reaktiviert, die Laufzeit noch aktiver Kernkraftwerke verlängert und vor allem den Deal über Lützerath mit RWE abgeschlossen und die Proteste mit Polizeigewalt auflösen lassen. Diese Entscheidungen tragen maßgeblich dazu bei, dass die Grünen einen wichtigen Teil ihrer jungen Wählerschaft von sich abstoßen. Parallel haben die Grünen im Zuge des Ukrainekrieges wieder mal eine 180-Grad Wendung in militärischen Fragen vollzogen – keine andere Partei verkörpert Kriegshysterie wie sie. Sie haben es dadurch geschafft einen relevanten Teil der anti-russisch und anti-chinesisch gestimmten Liberalen auf sich ziehen – vor allem aus akademischen und kleinbürgerlichen Schichten. Für den transatlantischen Flügel der herrschenden Klasse haben sich die Grünen als verlässliche Hardliner profiliert, die – neben der CDU/CSU – diese Interessen durchzuboxen verstehen. Entsprechend ist in dieser Hinsicht mir einer noch tieferen Verzahnung zwischen relevanten Teilen des Kapitals und den Grünen zu rechnen. Aber auch das geht nur auf Kosten der Schichten, die die Grünen aufgrund der Klimakrise gewählt hatten. Sowohl der weitere Verlauf des Ukrainekrieges wie auch die weiteren Entscheidungen in der Klimapolitik werden in erster Linie die Illusionen in die Grünen als Klima-Partei pulverisieren. Nicht wenige hatten sie schon bei der BTW 2021 als kleineres Übel gewählt.
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Die FDP profitierte bei der BTW 2021 davon, dass sie insb. die Themen Digitalisierung, Bildung, Investitionen und Aufstiegschancen in den Vordergrund gestellt hat. Themen, denen weite Schichten der Jugend nach den Corona-Lockdowns große Bedeutung beigemessen haben. Liefern wird die FDP in diesen Fragen nicht. Christian Lindner, als Finanzminister hauptverantwortlich für die Bundeshaushalte, hat für diese Resorts keine (relevanten) Budgetanhebungen bereitgestellt. Dass es in diesen Fragen keine positive Entwicklung geben wird, hat vor allem die junge Wählerschaft von der FDP abgestoßen.
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Am stärksten büßt die Bundesregierung und generell viele Politiker aber durch die Maßnahmen und Aussagen zur Energiekrise ein. Die Unterstützungsmaßnahmen (Anhebung Grundfreibetrag, Arbeitnehmerpauschbetrag und Pendlerpauschale; 3 Monate lang abgesenkte Energiesteuer für Kraftstoffe; abgeschaffte Energieumlage; verschiedene Einmalzahlungen usw.) hatten zwar ihre Wirkungen – insgesamt aber trägt die Arbeiterklasse die Lasten der Inflation und entsprechend gärt die Wut in breiten Schichten der Arbeiterklasse. Unterstützt wurde diese Stimmung mit lächerlichen Praxisbeispielen reicher Politiker zum Kostensparen im Alltag. Auch die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro und die Umbenennung von Hartz 4 in Bürgergeld sind nur Bonbons, um kurzfristig von den Problemen abzulenken.
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Das entscheidende an dieser Entwicklung ist, dass die Parteien in den Regierungen und die Regierungen selbst, ihre Programme und Versprechen nicht deshalb aufgeben, weil sie korrupt und unehrlich sind – was sie natürlich sind. Das passiert deshalb, weil die Politiker und Parteien sich in einer bürgerlichen Regierung den Zwängen und Notwendigkeiten des Systems, den Interessen der herrschenden Klasse und den tonangebenden Fraktionen dieser Klasse unterordnen müssen. Das zeigt sich auch daran, dass die SPD gerade jetzt eine Neuausrichtung ihrer Positionen in der internationalen Politik durchführt (siehe SPD-Kommissionspapier: „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“). Dort beugt sie sich dem Druck der Kriegstreiber aus dem liberalen und transatlantischen Lager der herrschenden Klasse und des Establishments, sowie dem Druck der USA und der Kriegstreiber in Polen, dem Baltikum und Schweden. Diese Anpassung wird durch die objektiven Prozesse diktiert und hat den Zweck, die Kontrolle der deutschen Kapitalistenklasse über (Ost)Europa zu retten.
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Demagogie und Kontrollverlust
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Ein weiteres immer bedeutsameres Mittel des Establishments ist blanke Demagogie. Die bürgerlichen Parteien können nicht mehr weiterregieren wie bisher. Sie können kaum mehr Zugeständnisse machen, die Lebensverhältnisse der Massen stagnieren seit den 90er-Jahren und mit der hohen Inflation fallen sie sogar in starkem Ausmaß. Deshalb müssen die Bürgerlichen versuchen die Stimmungen der Massen demagogisch einzufangen, um die eigene Popularität und die der Regierung zu sichern. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise erreicht werden, zum Beispiel durch die Umlenkung der Aufmerksamkeit der Bevölkerung auf „unliebsame“ Minderheiten, politische Gegner oder auch äußere Feinde. Ohne Demagogie werden die etablierten bürgerlichen Parteien und die neuen Regierungen nicht mehr auskommen, denn wenn keine Verbesserung der materiellen Lebenslage der Massen möglich ist, dann müssen die Massen ideologisch beherrscht werden.
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Dabei kann diese Demagogie verschiedene Formen annehmen, wie etwa gegenwärtig im Zuge des Kriegs in der Ukraine, unter dem Deckmantel von „Menschenrechten“, „Demokratie“ und „Freiheit“. Oder auf der anderen Seite, wenn die CDU nun auf soziale Demagogie setzt und die Ampelregierung z. B. dafür kritisiert, dass diese die Spritpreise nicht senkt oder keine Abhilfe für hohe Heizkosten schafft. Aber wie ein Abraham Lincoln zugewiesener Ausspruch besagt: „Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen und das ganze Volk einen Teil der Zeit. Aber man kann nicht das gesamte Volk die ganze Zeit täuschen.“ Der Rückgriff auf Demagogie wird gleichzeitig die wahren Klasseninteressen hinter den Aussagen zu Tage locken, denn die Heuchelei kann nicht die wirklichen Taten übertünchen. Das wird das Vertrauen in die Regierungen, Parteien und Institutionen des bürgerlichen Staates weiter erschüttern. Bereits jetzt zeigt sich das an den Umfragen zu den Beliebtheitswerten der Regierungsparteien und Minister.
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Zusammengenommen sind diese Entwicklungen wiederum Faktoren, die auf die Krise des Regimes zurückwirken und sie vertiefen. Ein Prozess, der auf Grund der organischen Krise des Kapitalismus nicht mehr umgekehrt werden kann. Das bedeutet wir steuern auch in Deutschland auf Phänomene wie Boris Johnson, Sebastian Kurz, Donald Trump und Emanuel Macron zu. Markus Söder war vor und während des Wahlkampfs der letzten BTW ein erster Vorgeschmack darauf.
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Die Krise des bürgerlichen Regimes läuft darauf hinaus, dass die Konflikte innerhalb der herrschenden Klasse an die Oberfläche treten. Die Interessen der einzelnen Kapitalfraktionen geraten in einen starken Widerspruch zueinander. Das wiederum hat Folgen auf ihre Parteien, denn die Interessenkonflikte werden dort durch die verschiedenen Parteiflügel ausgetragen. Parallel versuchen die Parteien ihre Wählerbasis zu sichern, was zu weiteren internen Konflikten um die Ausrichtung der Parteien führt. Je mehr sich diese Prozesse zu spitzen, desto größere Schwierigkeiten hat die herrschende Klasse ihre Parteien zu kontrollieren und auch das Parlament wird zu einem Hindernis ihre gesamthaften Interessen durchzusetzen. Das zeigt sich bereits an den starken Konflikten in der Bundesregierung in Fragen von „Sicherheitsstrategie“, Waffenlieferungen an die Ukraine, „China-Strategie“ usw. Am Beispiel der Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke, die Scholz unter Berufung auf seine Richtlinienkompetenz als Bundeskanzler durchgesetzt hat, lässt sich vorwegnehmen, dass die Regierung in der Person des Kanzlers zunehmend auf Regieren per „Dekret“ angewiesen sein wird, je tiefer die Spaltung in der herrschenden Klasse geht und je tiefer die Krise des Kapitalismus reicht. Ein Beispiel für das Regieren per Dekret ist Emanuel Macron, oder die österreichische Regierung unter Sebastian Kurz, die zeitweilig quasi über Pressekonferenzen Regierungsmaßnahmen angekündigt und somit das Parlament umgegangen hat.
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Aber auch mit anderen Mitteln versucht die herrschende Klasse Wege zu finden, die Kontrolle über die Regierung aufrechtzuerhalten. Die zunehmende Fragmentierung des Parlaments, aufgrund der politischen Polarisierung, soll durch eine Wahlrechtsreform aufgehalten werden. Die Bundesregierung soll durch eine stärkere Konzentration der Macht stabilisiert werden, um Regierungskrisen entgegenzuwirken und den demokratischen Schein des Parlaments zu wahren. Ob so eine Wahlrechtsreform überhaupt gelingt, ist nicht klar. Seit Jahren wird sie diskutiert. Der wachsende Kontrollverlust der Herrschenden über einzelne Politiker – wenn auch noch nicht sehr ausgeprägt in Deutschland – wird dafür sorgen, dass letztere zunehmend ihre eigenen wahlpolitischen Interessen in den Vordergrund stellen und in Zuge dessen selbst die Legitimität der bürgerlichen Demokratie untergraben. Solche und andere Reformen werden die eigentliche Ursache des Krisenprozess der bürgerlichen Demokratie nicht aufhalten können: die Polarisierung der Gesellschaft und der Klassenkampf. Die herrschende Klasse in Italien hat seit Jahrzehnten mit solchen formalen Tricks versucht den Krisenprozess aufzuhalten – ohne Erfolg.
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Letztendlich werden die in diesem Abschnitt beschriebenen Prozesse die bürgerlichen Institutionen in den Augen der Massen noch weiter diskreditieren. Denn sie werden die tatsächliche Funktionsweise der bürgerlichen Demokratie und ihrer Institutionen an die Oberfläche bringen. Sie werden die wirklichen Klasseninteressen für die Massen sichtbar machen.
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Konservative und Rechte in der Opposition
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Die Ampelregierung als Ganzes, die einzelnen Regierungsparteien und vor allem die Minister geben sehr viel Spielraum für Opposition. Nach einem Jahr Ampelregierung ist eingetreten, was wir vorausgesagt haben: Von „Aufbruch und Fortschritt“ ist nichts mehr übrig. Die Regierung liefert fast nichts von dem, was sie versprochen hat. Das wird von der AfD und im besonderen Maße von der CDU/CSU genutzt – die LINKE fällt als Opposition kaum mehr auf.
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Die CDU/CSU hingegen versucht sich zumindest in Worten vom Merkel-Erbe zu lösen und sich in der Opposition zu revitalisieren. In erster Linie tritt die Partei demagogisch auf. Beispielsweise inszeniert sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), als Vorkämpfer der Klimapolitik, während das stets CSU-geführte Bayern in diesen Fragen sehr weit hinterherhinkt. Friedrich Merz wiederum prescht in Fragen Waffenlieferungen enorm voran. Gleichzeitig versucht die CDU einen Kulturkampf (Klimafrage, Sexualität, Gendern, usw.) zwischen den Generationen zu forcieren und vor allem die Gunst der älteren Wählerschaft – die den Großteil der Wähler stellt – zu sichern, weil die CDU bei der Jugend keine Begeisterung entfachen kann. Sie wirkt hier bewusst auf eine Spaltung der Arbeiterklasse hin.
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Auch die rechte AfD schafft es wieder in den Umfragen zuzulegen. Sie profitiert insbesondere durch ihre laute Fundamentalopposition zur Regierung. Auf der einen Seite versucht sie wieder islamfeindlichen Rassismus hochzukochen; daneben nutzte sie ihre Kritik an den Coronamaßnahmen, um von den Corona-Protesten zu profitieren; insbesondere ist sie die einzig hörbare Fraktion im Bundestag, die gegen Waffenlieferungen und Sanktionen und für eine diplomatische Lösung des Ukrainekriegs eintritt. Auch konnte sie von den Protesten im Herbst in Ostdeutschland profitieren, weil diese von der bürgerlichen Presse grundsätzlich ins rechte Lager gerückt wurden und es zudem keine erfolgreichen Versuche der LINKEN, geschweige denn der DGB-Gewerkschaften gab, diesen Protesten Programm und Führung zu geben. Diese Situation lässt die AfD zumindest in den Umfragen wieder besser abschneiden. Die diesjährigen LTWn in Bremen, Hessen und Bayern werden zeigen, wie stark die Wahlergebnisse tatsächlich ausfallen – in relativen Zahlen werden sie hinzugewinnen können; ob auch in absoluten Zahlen, ist nach den Ergebnissen der vorangegangenen LTWn nicht klar. Gleichzeitig ist die Krise der AfD, die sich als harte Flügelkämpfe und Resignationen vor allem aus dem neoliberal-konservativen Flügel (Meuten) offenbart, nicht überwunden. Das Umfragehoch kaschiert diese Spaltungen, die zu einem anderen Zeitpunkt wieder hochkochen werden und den Wählerrückhalt schmälern werden. Nach wie vor verwehren sich alle anderen Parteien gegen Koalitionen in Bundes- und Landesregierungen, was die AfD davor bewahrt, sich an der Regierung zu deskreditieren.
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Indem die bestehenden Führungen der Arbeiterorganisationen den bürgerlichen und rechten Demagogen das Feld überlassen, können letztere den Unmut über die Politik der herrschenden Klasse in ihre Richtung kanalisieren. Dies ist nicht auf eine tatsächliche fremdenfeindliche und nationalistische Ausrichtung der Massen zurückzuführen, wie manche Liberale es erklären werden („Der dumme Pöbel ist rechts und nicht fähig, die richtigen Werte zu erkennen.“). Solche Pendelausschläge der öffentlichen Meinung nach rechts drücken die Tatsache aus, dass der gerechtfertigte Zorn auf das Establishment, die Bundesregierung und das EU-Parlament, nicht von linken Kräften ausgenutzt und in eine klassenkämpferische Richtung kanalisiert wird.
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Die Krise des deutschen Kapitalismus wird tiefgreifende und dauerhafte Reformen nicht ermöglichen, sondern weitere Sparpolitik und Angriffe auf die Arbeiterklasse für die Kapitalistenklasse notwendig machen. Deshalb werden alle bürgerlichen und reformistischen Parteien ihrerseits durch Demagogie ihre Konterreformen rechtfertigen. Dieses Auseinanderklaffen von Worten und Taten wird solange die Führungen der Massenorganisationen der Arbeiterklasse keinen Klassenkampf organisieren, immer wieder den reaktionären Demagogen der AfD Spielraum geben, mit ihrem spalterischen Gift die bestehenden Spaltungen vorläufig zu verstärken und Zuspruch zu bekommen.
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So erscheint es jetzt für oberflächliche Beobachter, als ob ein Rechtsruck in der Gesellschaft stattfindet. Aber das ist eine falsche Schlussfolgerung. Die scheinbar fortschrittliche Ampelregierung bereitet mit ihrer Politik den Boden für eine kommende konservativ geführt Regierung. Aber das ist kein Automatismus. Maßgeblich für das Ergebnis ist die Politik der LINKEN und der DGB-Gewerkschaften. Solange sie die Arbeiterklasse passiv halten und den Unmut der Massen nicht in Klassenkampf lenken, wird die Polarisierung nach links in der Gesellschaft nicht deutlich sichtbar. Die Rechten erscheinen als stark, weil die Arbeiterorganisationen durch ihre Führung stillstehen und die Massen passiv verbleiben.
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Doch die Passivität der Massen wird nicht ewig aufrecht erhalten bleiben. Irgendwann bahnen sich Schichten der Arbeiterklasse ihren eigenen Weg, sei es durch Kämpfe an der wirtschaftlichen Front (Streiks), durch Massenproteste oder Bewegungen in die reformistischen Massenparteien. Dann werden sowohl die reformistischen Führungen unter Druck geraten als auch rechte Demagogen und spalterische Ideologien zur Seite gedrängt werden. Stattdessen werden Klassenpositionen ins Bewusstsein breiter Schichten rücken.
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Stärkung der Repressionsmittel des bürgerlichen Staates
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Die herrschende Klasse ist sich bewusst, dass das soziale Gleichgewicht bereits zu kippen begonnen hat. In der ersten Jahreshälfte 2022 wurde regelmäßig über die Möglichkeit einer Art Gelbwestenbewegung in der bürgerlichen Presse diskutiert. Maßgeblich für diese Ansicht waren die Corona-Proteste. Dann waren die Sorgen der Herrschenden auf einen möglichen heißen Herbst gerichtet, der durch die Energiekrise angeheizt werden könnt. Beides blieb bisher aus, insbesondere deshalb, weil die Führungen der DGB-Gewerkschaften eine solche Bewegung verhindert haben.
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Ein zentrales Ereignis um die Jahreswende ließ durchblicken, dass der Staat sich auf harte Repression gegen unliebsame Gegner vorbereitet: die Razzia gegen die Reichsbürger-Gruppe um „Prinz Reuss“, die einen Putsch der Regierung mit Pistolen, Schwertern und Armbrüsten geplant haben soll. Dass diese Gruppe für die Regierung ungefährlich war, steht außer Frage. Möglicherweise hätten sie einzelnen Politikern gefährlich werden können, wie die geplante Entführung des Gesundheitsministers Karl Lauterbach zeigt. Bezeichnend ist die Zusammensetzung der Gruppe, die sich insbesondere aus (ehemaligen) Angehörigen von Spezialeinheiten der Polizei und Bundeswehr gespeist hat. Diese Razzia war sicherlich auch ein Signal an rechtsradikale/faschistische Strömungen, die Füße stillzuhalten.
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Vor allem aber konnte an dieser Razzia die Einsatzbereitschaft der Sicherheitsapparate ausgetestet werden. Eine bundesweite Spezialoperation, an der mehrere Tausend Beamte aus verschiedenen Abteilungen der Sicherheitskräfte beteiligt waren. Mag es vielleicht ein Warnschuss gegen zu aufmüpfige rechtsradikale Gruppierungen gewesen sein, ist klar, dass solche Einsätze in Zukunft auch gegen linke Bewegungen und Organisationen durchgeführt werden, wenn der Staat diese aufbrechen möchte. Die Razzia war mit Sicherheit eine Übung in realer Umgebung.
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Dafür spricht auch die Berichterstattung. Die Medien waren offenbar im Vorfeld reichlich informiert und konnten umgehend umfangreiche Reportagen über die Gruppe und den Einsatz veröffentlichen. Die Berichterstattung war zudem ganz im Tonfall der Propaganda zum Ukrainekrieg, dass die „Demokratie“ geschützt und „wehrhaft“ gemacht werden muss. Ein Ziel war nationale Einheit zu schüren und nach wie vor möglichen Protesten auf Grund der Energiekrise und Inflation entgegenzuwirken. Schließlich wurden solche Proteste über das Jahr hinweg medial ins rechte Lager gedrängt und die Teilnahme und Wortführerschaft rechter Gruppierungen wie z.B. der Reichsbürger in den Mittelpunkt gestellt.
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Aber auch weiterer Aufrüstung der Polizei und Ausweitung ihrer Befugnisse, konnte mit dieser Razzia ein Vorwand geliefert werden. Die Razzia bei den Reichsbürgern kam dabei zur rechten Zeit, weil vorher eine intensive Debatte über die Verhältnismäßigkeit von Sicherungshaft für die Klimakleber der „Letzten Generation“ geführt wurde. Die Kritik daran konnte mit der Razzia schnell in den Hintergrund gedrängt werden, da die Bürgerlichen ein Beispiel liefern konnten, dass weitreichende Befugnisse der Polizei notwendig sein: „Freiheit hätte ihren Preis.“
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Direkt im Anschluss an die Reichsbürger Razzia folgten Razzien gegen Aktivisten der „Letzten Generation“, die demagogisch mit den Terroristen der RAF verglichen wurden. Zu dem tauchten in der Berichtserstattung um Lützerath plötzlich Schlagzeilen auf, dass auch Linke sich auf einen „Tag X“ vorbereiten würden – ein Begriff, der sonst nur im Zusammenhang mit rechtsradikalen Gruppierungen gebraucht wurde. Entsprechend hart ging die Polizei gegen den Protest in Lützerath vor.
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Die Stärkung der Repressionsmittel des bürgerlichen Staates, geschehen nie im Interesse der Arbeiterklasse, sondern gehen immer auf ihre Kosten und werden letztendlich gegen sie gerichtet. Das wird sich bei kommenden Protestbewegungen zeigen, insb. wenn sie tatsächlich einen Massencharakter wie die Gelbwestenbewegung in Frankreich oder Bewegungen wie Black Lives Matter in den USA haben werden.
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Jedem Zusammenbruch einer Gesellschaftsordnung geht eine Krise der offiziellen Moral und Ideologie voraus. Hier erleben wir die Krise der bürgerlichen Moral und Ideologie. Die Arbeiterklasse kommt verstärkt in Konflikt mit dem bürgerlichen Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln und der bürgerlichen Demokratie. Ihre Legitimationsbasis wird Stück für Stück aufgezehrt. Das macht es notwendig für die herrschende Klasse mit immer härteren Bandagen zu kämpfen auf ideologischer und materieller Ebene. Doch diese Entwicklung untergräbt die Illusionen in die herrschende Gesellschaftsordnung nur noch weiter.
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Aufrüstung und Militarismus
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Ein weiteres wichtiges Mittel, die nationale Einheit zumindest vorläufig zu binden, ist die Aufrüstungskampagne der Herrschenden und der damit einsetzende Militarismus. Doch diese Politik stößt vor allem relevante Schichten der Jugend ab und entfremdet sie von der Regierung. Je mehr Geld in die Bundeswehr fließen wird und je mehr militaristische Propaganda durch die Bürgerlichen verbreitet wird, desto breitere Schichten der jüngeren Jahrgänge werden sie von sich entfremden. Insbesondere die Scheindebatte über eine mögliche Wiedereinführung der Wehrpflicht hat das Ziel, einen Teil der Jugend für den Kriegsdienst zu begeistern und den Mangel an Rekruten bei der Bundeswehr zu überwinden. Vor allem aber deutet sich hier eine Tendenz an: Solche sich in der Zukunft wohlmöglich vermehrenden Vorstöße zeigen, dass die Freiheit und die freie Entfaltung der Jugend zur Not offen angegriffen werden. Vor allem, weil die Diskussion mit einem möglichen allgemeinen Pflichtdienst gekoppelt wird. Beide Maßnahmen sollen junge Menschen an den Staat binden und billige Arbeitskräfte für den öffentlichen Sektor schaffen, um den Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Die Jugend, welche in den letzten Jahren durch Corona bereits massiv eingeschränkt war, entfremdet sich bereits vom Staat und seinem System. Mögliche zunehmende und offene Überlegungen hinsichtlich eines Pflichtdienstes würden zu einer neuen Stufe der Radikalisierung führen.
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Der Ukrainekrieg war die perfekte Vorlage für die Herrschenden eine Aufrüstungsoffensive der Bundeswehr zu starten und eine lang ersehnte Reformierung und Umrüstung der Bundeswehr zu forcieren. Diese kann den Bürgerlichen nicht schnell genug gehen, weshalb sie die Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) nach etwas mehr als einem Jahr aus dem Amt gedrängt haben. Jetzt übernimmt mit Boris Pistorius (SPD) ein konservativer Hardliner in Sicherheitsfragen das Amt, der die ambitionierte Strukturreform der Bundeswehr durchsetzen soll.
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Dafür wurden bereits ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro festgesetzt, Änderungen am Grundgesetz vorgenommen, und beschlossen, dass die jährlichen Militärausgaben im Staatshaushalt das 2-%-Ziel der NATO erfüllen sollen. Entsprechend ist der Haushaltsentwurf für 2023 so gelagert, dass die Rüstungsausgaben an Platz zwei stehen. Außerdem drängen Kapitalfraktionen, insb. die Rüstungsindustrie darauf, das Sondervermögen zu erhöhen. Eva Högel, Wehrbeauftragte des Bundestages, sprach von zusätzlichen 200 Milliarden Euro, um insb. der Rüstungsindustrie Investitionsgarantien zuzusichern und die Produktionskapazitäten (Munition, Panzer, usw.) enorm zu erhöhen. Es gibt sogar Forderungen nach einer Kriegswirtschaft auf EU-Ebene.
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Das Ziel der herrschenden Klasse ist es dabei, die eigene militärische Abhängigkeit von den USA zu lockern und ihren Einfluss insb. in Osteuropa zurückzudrängen. Diese strategische Überlegung spiegelt sich auch darin wider, dass die Bundesregierung Schritte auf Frankreich zu zumachen scheint, in der Frage nach einer Europaarmee. Es spiegelt sich auch im Plan einen deutschen Luftraumabwehrschirm aufzubauen, der die osteuropäischen Staaten einschließt. Bisher wird dies hauptsächlich durch die USA geleistet.
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Lars Klingbeil, Parteivorsitzender der SPD, äußerte sich bereits im Juni in einer Grundsatzrede zur „Zeitenwende“, dass Deutschland „Anspruch einer Führungsmacht haben“ müsse. Das bedeutet aus der Perspektive des deutschen Imperialismus, dass die EU mit Deutschland an der Spitze ein militärisches Machtzentrum werden soll. Im imperialistischen Kräftemessen um Einflusszonen, Ressourcen, Absatzmärkte, Technologien und Arbeitskräfte wollen sie sich gegen China, Russland aber auch die USA behaupten können.
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Zudem zeigt das Vorgehen der Bundesregierung bei Waffenlieferungen an die Ukraine, dass ein relevanter Teil der herrschende Klasse zum einen eine diplomatische Beilegung des Konflikts bevorzugt (man müsse im Blick behalten, dass es ein Russland nach dem Ukrainekrieg und nach Putin geben wird, mit dem Handelsbeziehungen wieder aufgenommen werden müssten). Aber sie steht enorm unter Druck durch die USA und insbesondere durch die polnische und die Regierungen der baltischen Staaten, so wie durch die transatlantischen Kriegstreiber der Parteien Grüne, FDP und CDU. Diese setzen darauf, den Krieg durch Waffenlieferung in die Länge zu ziehen. Mittlerweile hat die Regierung sogar die Lieferung von Leopard Kampfpanzern genehmigt. Die Lieferung dieser Panzer bezeugt die Zeitenwende in der deutschen Rüstungs-, Militär- und Außenpolitik und kaum ist diese genehmigt, wird bereits eifrig über die nächste Stufe der Eskalation, die Lieferung von Kampfjets, debattiert. Vor allem den Rüstungskonzernen blühen gewaltige Profite, die ihnen die Bundesregierung durch den Staatshaushalt garantiert. Z.B. in etwa verdoppelte sich der Aktienwert des Rüstungsunternehmens Rheinmetall seit Beginn des Krieges in der Ukraine.
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Im Kapitalismus keine Lösung
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Jede Krise, die von den Herrschenden aufgefangen oder abgedämpft werden kann, ist nur eine verschobene Krise, die weitere noch tiefere Krisen vorbereitet. Die organische Krise des Kapitalismus ist zu tief, die Widersprüche sind zu groß, um auf kapitalistischer Basis gelöst zu werden. Die herrschende Klasse kann die die Maßnahmen, die sie seit der Krise 2008 genutzt hat, nicht wiederholen. Die Kapitalisten werden von einer Krise in die nächste stolpern, ohne die notwendigen Mittel zu haben, um sie zu bewältigen.
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In den entwickelten Ländern so auch in Deutschland setzen die Regierungen und Kapitalisten auf einen inkonsistenten, sich konterkarierenden und toxischen Mix aus Maßnahmen: a) keynesianische Maßnahmen (Investitionshilfen, Rettungspakete, Aufrüstung…), d.h. enorm steigende staatliche und private Verschuldung; b) Protektionismus (Export von Arbeitslosigkeit & Versuche von Inlandsverlagerung); c) Austerität (Sparpolitik bei Medizin, Bildung, Soziales, Kultur, usw.); d) Angriffe auf die Arbeiterklasse (sinkende Löhne, Aushöhlen der Tarifverträge, Inflation, Lebensarbeitszeit verlängern, …); e) Restriktive Geldpolitik (Zinsanhebungen) und Einschränkung der Aufkäufe von Staatsanleihen; f) Verteidigung und Ausweitung von Einflusssphären, Märkten und Zugriff auf Ressourcen und Arbeitskraft.
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Diese Politik stellt den verzweifelten Versuch dar, das ökonomische, politische und soziale Gleichgewicht gleichzeitig wiederherzustellen bzw. zumindest vor dem Kollaps zu bewahren. Der Niedergang dieser Gleichgewichte findet in jedem Land statt und hat selbst die imperialistischen Mächte fest im Griff.
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Doch diese Maßnahmen werden nicht reichen. Sie werden die Widersprüche nicht lösen, im Gegenteil zuspitzen. Der Schuldenberg wird wachsen und muss irgendwann zurückgezahlt werden. Auch in Deutschland wird die herrschende Klasse zu enormen direkten Angriffen auf die Arbeiterklasse und ihre noch bestehenden Errungenschaften übergehen, sobald sie wieder relative Kontrolle über die Situation gewinnt. Die herrschende Klasse in Deutschland drängt darauf, das Rentenalter erneut anzuheben, die Rente zu privatisieren, die tägliche Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden anzugheben und generell die Arbeitszeitrichtlinien aufzuweichen, usw.
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Für die Arbeiterklasse steht eine weitere Periode wirtschaftlicher Stagnation und dramatisch fallender Lebensstandards bevor. Sie folgt auf Jahrzehnte von Sparmaßnahmen und Prekarisierung. Die Aufrüstung wird einhergehen mit weiterer Inflation sowie enormer Sparpolitik. Wenn der Anteil für Rüstung am Staatshaushalt wächst, dann muss zwangsläufig in anderen Bereichen Geld wegfallen. Das wird die Krise der Infrastruktur und des Gesundheitswesens vertiefen, den Personalmangel in Kitas, Schulen, Kliniken und Behörden vergrößern, kulturelle und andere staatlich finanzierte Einrichtungen heruntersparen.
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Die Klassengegensätze in Deutschland werden sich weiter zuspitzen und explosive soziale und politische Folgen haben. Die Herrschenden werden mit ihren Maßnahmen heftigen Widerstand hervorrufen. Der Niedergang des Lebensstandards, die kommenden Einbrüche und Turbulenzen, die Wechselbäder der Krise, werden Gegenreaktionen der Arbeiterklasse provozieren und den Klassenkampf nach Deutschland zurückbringen.
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Wichtiger Stützpfeiler des Regimes: Sozialpartnerschaft
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Der Krise des Kapitalismus folgt auch die Krise des Reformismus. Die Führungen der DGB-Gewerkschaften ist ganz im Sinne der Sozialpartnerschaft gefügig und verhindert provokante Kämpfe. Alle Ansätze und Möglichkeiten, eine unabhängige Position der Arbeiterklasse zur Krise und zum Krieg zu beziehen wurden verhindert. Auch wenn das System der Sozialpartnerschaft ein Netz mit wachsenden Löchern ist, verbleibt es nach wie vor eine zentrale Stütze des bürgerlichen Regimes in Deutschland. Die herrschende Klasse untergräbt dieses System und wird es irgendwann zerbrechen müssen, aber jetzt ist es für sei eine überlebenswichtige Stütze.
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Nur noch 26 % der Betriebe haben eine Tarifbindung, wobei nur noch 51 % der Beschäftigten in einem Betrieb mit Tarifbindung arbeiten. Zudem haben nur noch 7 % der Betriebe einen Betrieb-/ Personalratsrat, die wiederum 44 Prozent aller Beschäftigten vertreten. Das zeigt eine enorme Konzentration der Betriebsräte und der Tarifverträge auf vor allem große Konzerne. Die Gewerkschaftsführungen und viele der Betriebsräte sind mit dem Großkapital verbunden und arbeiten mit diesem zusammen – wobei sie sich als Co-Manager verstehen. Daraus resultiert auch die generelle Zurückhaltung vor ernsthaft geführten Arbeitskämpfen, was wiederum die Masse der Arbeiter in eine passive und orientierungslose Lage versetzt.
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Für die DGB-Gewerkschaften wäre die aktuelle Krisenentwicklung die beste Möglichkeit, in die Offensive zu gehen und der Wut der Massen eine Richtung zu geben, die es ihnen erlaubt, ihre Interessen durchzusetzen und die Profite der Kapitalisten direkt anzugreifen. Doch sie machen das Gegenteil. Wie schon in den Jahren zuvor versucht die DGB-Spitze, den Deckel fest auf den kochenden Topf zu drücken. Arbeitskämpfe, Streiks und Tarifrunden bleiben isoliert. Es gibt keine Bemühungen, die Kämpfe bundesweit zu bündeln, um die wahre Stärke der Arbeiterklasse zu demonstrieren. Stattdessen setzt die Gewerkschaftsspitze auf Verhandlungen im Hinterzimmer mit den Bossen sowie moderate Forderungen bei den Tarifrunden, um der „Wirtschaft nicht zu schaden“. Dieses Vorgehen der Führung der Gewerkschaften entspricht einem völligen Unterordnen unter die Interessen der herrschenden Klasse.
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Doch damit lässt sich der Reallohnverlust nicht aufhalten und kein Arbeitsplatz dauerhaft sichern. Deshalb verlieren die reformistischen Führungen an Autorität und ihre Bindekraft gegenüber weiten Teilen der Arbeiterklasse schwindet. Sie können ihre Kontrolle über die Klasse vor allem durch die noch bessergestellten Schichten (Stammbelegschaften) sichern. Doch diese Basis wird auf Dauer durch die permanenten Angriffe der herrschenden Klasse dezimiert. Deshalb waren die Gewerkschaftsführungen im letzten Jahr zumindest in Worten gezwungen hohe Lohnforderungen in den Tarifrunden zu stellen. Die Abschlüsse blieben jedoch stets deutlich unter der Inflation, wobei bereits seit Jahren Reallohnverluste verzeichnet werden.
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In der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie zwischen der IG Metall und den im Dachverband Gesamtmetall zusammengeschlossenen Landesarbeitgeberverbände waren fast eine Millionen Arbeiter an den Warnstreiks beteiligt. Die Streiks wurden in beeindruckenden Bildern festgehalten. Die Kampfbereitschaft war groß. Die IG Metall drohte sogar mit 24-Stunden-Streiks. Ein Hauch von Klassenkampf wehte durch Deutschland. Es schien, dass der „Heiße Herbst“ ins Rollen kommt, jedoch wurde kurz nach den Warnstreiks noch bevor ein Erzwingungsstreik erfolgte, schon unterhalb der Inflation abgeschlossen. Das war wiederum ein Signal dafür, dass die ab Januar 2023 beginnende Tarifrunde im öffentlichen Dienst und anderen Sektoren auf erheblichen Widerstand bei den Bossen gestoßen ist.
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In den letzten Jahren mussten in vielen Fällen kämpferische Belegschaften, die ihre Arbeitsplätze verteidigen wollten (z. B. bei Voith, Continental, Lufthansa, Bosch, Binding-Brauerei usw.), die Gewerkschaftsführung vor sich hertreiben. Auch in den Tarifkämpfen gibt es vereinzelte Leuchtfeuer, die zeigen, dass unter der Oberfläche wichtige Prozesse der Politisierung in der Arbeiterklasse vorgehen, die große Klassenkämpfe in der Zukunft vorwegnehmen.
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Ein Beispiel dafür ist die Tarifrunde bei der Hamburger Hochbahn AG. Dort haben die Beschäftigten innerhalb der Belegschaft die Forderung nach 600 Euro Lohnerhöhung aufgestellt, nach dem ver.di zu Beginn versucht hatte, die Belegschaft darauf einzustimmen, wie im öffentlichen Dienst 10,5 % Lohnerhöhung zu fordern. Diese Forderung war insb. den Busfahrern zu gering. Bei einer hitzigen Debatte musste ver.di die Forderung der Belegschaft von bis zu 20 % Lohnerhöhung aufgreifen. Die Streikbereitschaft ist sehr groß. Im inneren der Gewerkschaftsbürokratie gibt es aber gezielte Bemühungen dorthin, so schnell wie möglich abzuschließen, um einen Streikkampf zu verhindern. Gleichzeitig verzeichnet die Gewerkschaft durch die angeheizte Stimmung im Betrieb einen enormen Mitgliederzuwachs. Wenn die Bürokratie einen schlechten Abschluss akzeptiert, wird es wiederum Prozesse der Desillusionierung und auch Abwendung von der Gewerkschaft auslösen, wie es z.B. bei den Streiks im Sozial und Erziehungsdienst im Jahr 2015 der Fall war.
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An solchen einzelnen Ereignissen zeigt sich, dass es unter der Oberfläche brodelt. Gleichzeitig werden die Ventile, die diese Wut in Klassenkampf lenken könnten, durch die Gewerkschaftsbürokratie noch fest verschlossen. Diese Situation führt seit Jahrzehnten bei der Masse der Mitglieder der DGB-Gewerkschaften zu wachsendem Frust. Die Mitgliederzahlen sinken seit Jahren und die Mehrheit ist passiv. Viele sehen keinen Sinn aktiv zu sein, wenn die Führung regelmäßig Niederlagen vorbereitet und Lohnverzicht vereinbart. Zudem sind für die Basis alle Wege tatsächlich Einfluss auf die Politik der Gewerkschaften zu nehmen verschlossen, weil die reformistischen Massenorganisationen die innere Demokratie bewusst vernichtet haben. Der sozialpartnerschaftliche Kurs der Gewerkschaftsspitzen demoralisiert und schwächt die eigene Basis. Doch statt zu kämpfen und damit die selbstverschuldete Erosion aufzuhalten, ändert die Führung der DGB-Gewerkschaften ihren Kurs nicht.
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Die DGB-Führung konzentriert sich vor allem darauf, die Krise im Interesse des Systems zu verwalten. So überlässt sie ihre Basis und die Massen sich selbst, statt ihnen ein klassenkämpferisches Programm und einen Kampfplan für den Erhalt ihres Lebensstandards vorzulegen. Der Reformismus und die Sozialpartnerschaft bringen in Krisenzeiten nur Einsparungen und Einschnitte für die Arbeiterklasse und machen sie dabei passiv.
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Wie bereits die Regierungen vorher stützt sich auch die Ampelregierung auf die DGB-Gewerkschaften und die Sozialpartnerschaft, um die Arbeiterklasse in Schach zu halten. Die Überschneidungen der Apparate von SPD und DGB-Gewerkschaften sind der Regierung dabei eine entscheidende Stütze. Die Gewerkschaften dienen sich im Gegenzug der SPD-geführten Regierung an und sind über diese Verbindung faktisch in die Staatspolitik integriert. Das raubt der Arbeiterklasse die Möglichkeit, über die Gewerkschaften einen Kampf gegen die Regierung und die herrschende Klasse zu führen. Das macht die Führung und die Apparate des DGB gegenwärtig zu entscheidenden Stützen der bürgerlichen Ordnung. Diese Klassenzusammenarbeit der Gewerkschaftsspitzen mit der herrschenden Klasse zeigt die Schwäche der herrschenden Klasse selbst an. Sie traut sich noch nicht, mit großangelegten Frontalangriffen auf die Sozialpartnerschaft zu beginnen, denn sie braucht die Gewerkschaften, damit diese die Arbeiterklasse kontrollieren und ihre Wut in geregelte Bahnen lenken.
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Welche Folgen diese Politik der DGB-Gewerkschaften hat, war eindrücklich am Aktionstag „Solidarischer Herbst“ am 22. Oktober zu sehen. Das Moto war bewusst gewählt, um sich vom „Heißen Herbst“ und echter Opposition zur Regierung zu distanzieren. In Berlin, Stuttgart, Dresden, Düsseldorf, Hannover und Frankfurt schafften es ver.di und die GEW gemeinsam mit einigen Sozialverbänden und NGOs, gerade mal zusammengenommen 24.000 Menschen auf die Straße zu bringen.
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In ihrem Aufruf machten sie allein Russland und Putin für die Energiekrise, Inflation und alle weiteren Auswirkungen der Krise verantwortlich. Kein Wort über die Rolle der westlichen Imperialisten. Keine Kritik am Wirtschaftskrieg der USA und EU gegen Russland, der genauso für die Energiekrise sorgt. Keine Kritik an den Waffenlieferungen für das reaktionäre Selenskyj-Regime in der Ukraine, das die Rechte der ukrainischen Arbeiter brutal beschneidet und oppositionelle Parteien reihenweise verboten hat. Keine Kritik an der Politik der deutschen Bundesregierung im Interesse der Banken und Konzerne. In ihrem Aufruf unterstützen ver.di und die GEW ausdrücklich die Politik der Bundesregierung, mit der Bitte, die Krisenlasten etwas gerechter aufzuteilen, damit auch „all jene beitragen, die es sich leisten können“.
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Mit diesem Unterwerfungskurs unter die Interessen der deutschen Kapitalisten und ihrer Regierung konnten diese Demonstrationen mit den blassen pastellfarbenen Plakaten wirklich niemanden begeistern. Die Aktion war in erster Linie eine Alibi-Veranstaltung. Gemessen an den Mobilisierungen der AfD und anderer rechter Gruppierungen (insb. in Ostdeutschland), war das ein Rohrkrepierer – wie die Stellvertretende Vorsitzende von ver.di (Christine Behle) es einschätzte.
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Das passiert, wenn die Gewerkschaften über Jahrzehnte nicht die Interessen der Arbeiterklasse ins Zentrum ihrer Politik stellen, sondern die Interessen des nationalen Wirtschaftsstandorts. Damit kann den Rechten das Wasser nicht abgegraben werden. Im Gegenteil können die rechten Demagogen die Krise ausschlachten und für manche wie eine echte Alternative wirken, auch wenn sie das nicht sind. Das ist in erster Linie der Grund, warum die AfD jetzt wieder an Zulauf gewinnt. Schließlich trägt die Sozialpartnerschaft selbst dazu bei, dass die Arbeiterklasse entlang von Herkunft, Geschlecht, Sexualität und anderer Unterschiede gespalten werden kann. Wenn es keine klassenkämpferische Führung gibt, die die verschiedenen Kämpfe entlang der gemeinsamen Interessen zusammenführt und voranbringt, dann kann die spalterische Propaganda der Regierung, der bürgerlichen Medien und der rechten Demagogen wirken.
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Gleichzeitig läuft mit der Unterordnung der Gewerkschaften unter die Interessen der herrschenden Klasse eine relative Schwächung des DGB einher. Das heißt, seine Verhandlungsmacht gegenüber den Unternehmerverbänden sinkt, da die Gewerkschaften insgesamt an Mobilisierungsfähigkeit und Kampfkraft verlieren. Diese Entwicklung und die Notwendigkeit für die herrschende Klasse, ab einem bestimmten Punkt die Sozialpartnerschaft tatsächlich anzugreifen, werden die Gewerkschaftsbosse und Apparate dazu zwingen, mit Streiks ihre Kampfkraft wieder zu stärken. Wenn sie dann solche Kämpfe gegen harte Angriffe der Herrschenden organisieren werden, wird sich am Charakter der reformistischen Führung und ihrer Apparate nichts ändern. Sie werden nur darauf ausgerichtet sein, ihre eigene Verhandlungsmacht zu stärken und die Sozialpartnerschaft aufrechtzuerhalten. Das heißt sie werden versuchen, ihre Position als Co-Manager zu retten. Aber solche Kämpfe werden den Raum für sozialistische Opposition in der Gewerkschaftsbewegung weit öffnen, wenn Marxisten diesen klug nutzen und sie bis dahin eine relevante Größe erreicht haben.
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Damit ein Bruch der Arbeiterklasse mit der Sozialpartnerschaft und der korrupten Führung der DGB-Gewerkschaften erfolgen kann, wird eine Folge von sozialen Explosionen notwendig sein, die die Gewerkschaftsapparate erschüttern und den Kampf um eine neue Ausrichtung der Gewerkschaften im Interesse der Arbeiterklasse und des Sozialismus eröffnen werden. Die Sozialpartnerschaft hat in der deutschen Gesellschaft tiefe, über Jahrzehnte gewachsene Wurzeln, die nicht so einfach herausgerissen werden können. Das kann nur im Zuge von schweren Klassenkämpfen geschehen. Aber das ist ein Prozess, der sich über einen langen Zeitraum vollziehen wird und nur erfolgreich sein kann, wenn im gleichen Zuge unsere marxistische Strömung in der Arbeiterbewegung deutlich an Kraft gewinnt. Alle anderen linken Strömungen und Parteien werden dafür keine Lösung anbieten können.
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DIE LINKE: Linksreformismus in der Krise
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Die Krise des Kapitalismus erfasst alle Bereiche der Gesellschaft und zerstört die politische und soziale Stabilität. Alle nach 1945 von der Arbeiterklasse erkämpften Errungenschaften werden von der herrschenden Klasse und ihren politischen Handlangern von CDU/CSU über Grüne bis hin zur SPD-Führung zerstört. In der Krise wird alles dem Profit geopfert.
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Diese Tatsache entzieht Reformismus und Sozialpartnerschaft den Boden. Die Krise des Kapitalismus hat die Krise des Reformismus – auch des Linksreformismus – zur Folge. Wer mit den Kapitalisten und den staatlichen Institutionen zusammenarbeitet, muss auch deren Angriffe mittragen. Statt Reformen setzen die Reformisten so Kürzungen durch und untergraben ihre eigene politische Basis.
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Das gilt insgesamt auch für die linksreformistische Partei DIE LINKE, die sich in den letzten Jahren nur noch auf rot-rot-grüne Regierungsbeteiligungen (Bund und Länder) orientiert hat. In den Landesregierungen in Bremen, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen, wo sich die LINKE in bürgerliche Regierungen begeben hat, trägt sie die allgemeine Sparpolitik, Abschiebungen, Privatisierungen usw. mit. Außerhalb von Regierungsbeteiligungen und Parlamenten zeigt sich die Partei genauso inkonsequent und vor allem ist sie in den letzten Jahren fast flächendeckend unsichtbar geworden. Ob bei Fridays for Future, Deutsche Wohnen und Co enteignen, Black Lives Matter oder den Demos zum „Heißen Herbst“ – die Partei schafft es kaum mehr ihre Mitglieder für den Kampf auf der Straße unter dem Banner der LINKEN zu führen.
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Die vorherrschende Fixierung auf das bürgerliche Parlament, das bürgerliche Recht, Diplomatie und Kompromisse mit den Bossen, der Eintritt in bürgerliche Regierungen – also die Verengung der Politik auf Klassenzusammenarbeit, oder anders gesagt, der Verzicht auf Klassenkampf – ist der Grund für die Krise der Partei. Alle anderen Probleme wie langfristiger Mitgliederschwund, “tote” Basisgruppen und Wahlniederlagen sind eine Folge davon.
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Sozialismus findet nur noch als Schmuckwort seinen Eingang in die Programmatik der Partei, wie die Leipziger Erklärung zum 15-jährigen Bestehen der LINKEN gezeigt hat. Dieses Dokument trägt die Handschrift der Verzweiflung – eine tief erschütterte und im Niedergang begriffene Partei versucht insb. ihren Apparat zusammenzuhalten.
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Vor einem Jahrzehnt waren die LINKE und die Linksjugend ein Anziehungspunkt für kämpferische Gewerkschafter und Arbeiter, linke Aktivisten und radikale Jugendliche. Viele der letzteren suchten in der Partei nach sozialistischen/antikapitalistischen Lösungen und die Möglichkeit sich zu organisieren und etwas zu verändern. Heute gibt es kaum mehr aktive Mitglieder, die meisten sind Karteileichen und die Basisgruppentreffen ausgestorben. Die Führung der Partei hat ihre Fähigkeit in weiten Teilen eingebüßt, ihre Mitgliedschaft zu begeistern und zu mobilisieren.
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Die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg waren harte Prüfungen, in denen sie weiter nach rechts gerückt ist. Dieser Kurs drückt sich besonders an der nach wie vor bestehenden Orientierung auf Rot-Rot-Grün in Bund und Ländern, also eine völlige Anbiederung an den rechten Reformismus und Liberalismus, sowie dem faktischen Burgfrieden mit dem Kapital aus. Während der Corona-Pandemie war die LINKE kaum wahrnehmbar und schaffte es auch nicht, eine klassenkämpferische und sozialistische Lösung für die Krise des Kapitalismus in die Arbeiterklasse und Jugend zu tragen. Und auch im Zuge des Ukraine-Krieges zeigt sich die LINKE unfähig, sich dem Druck der NATO und der EU zu widersetzen.
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Zudem wird die LINKE von Skandalen und extremen Flügelkämpfen erschüttert. Einerseits die #LInkeMeToo-Debatte, die von keiner Seite geführt wurde, um Opfern sexistischer Gewalt in der LINKEN zu helfen. Stattdessen erfolgte eine Schlammschlacht, in welche auch die bürgerlichen Presseorgane (insb. DER SPIEGEL) hineingezogen wurden. Während ein Teil insb. die führenden Riegen der Partei, keinen Beitrag zur Aufklärung geleistet haben, verfolgten die anderen eine Agenda, die darauf hinauslief, die LINKE zu diskreditieren.
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Überschattet wird dieser Skandal aber von einer noch tieferen Krise. Der Kampf in der Partei zwischen verschiedenen Flügeln, insb. zwischen Wagenknecht und anderen konservativen Reformisten (z.B. Dietmar Bartsch) im Apparat und der Bundestagsfraktion auf der einen Seite sowie dem liberalen Flügel der Partei auf der anderen. Beide Flügel können dabei als rechts eingestuft werden. Sie bieten keine Lösungen für die Probleme der Arbeiterklasse. Ihre Auseinandersetzung hat ihre Wurzel in der Frage, wer die Partei(gelder) kontrolliert.
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Wagenknecht orientiert sich mit ihrem Standortnationalismus in erster Linie auf den Teil der herrschenden Klasse, das kleine und mittlere Unternehmen besitzt. Für Arbeiter und Arme verfolgt sie lediglich paternalistische sozialdemokratische Politik: für sie sind Arbeiter (potenzielle) Empfänger von Leistungen des Sozialstaats und keine Subjekte, die als Klasse für ihre eigenen Interessen kämpfen können und dafür organisiert werden müssen. In der Corona-Pandemie schwankte sie regelmäßig ins Lager der Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker. Auch in der Flüchtlingsfrage nahm sie rechte Versatzstücke in ihre Programmatik auf. Zwar stellte sie sich in der Kriegsfrage gegen Waffenlieferungen und Sanktionen, doch statt einen unabhängigen Klassenstandpunkt zu vertreten, schürte sie Illusionen in eine unrealistische Verhandlungslösung.
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Der liberale Flügel unterscheidet sich in diesen Fragen meist nur darin, dass er das Vorzeichen umgekehrt hat. In der Kriegsfrage drängen sie auf Waffenlieferungen für die Ukraine und die Unterstützung der Sanktionen. In der Corona-Politik wurden die Maßnahmen der Regierung unkritisch unterstützt. Rot-rot-grüne Regierungen sind ihr Steckenpferd und während Sparpolitik, Abschiebungen usw. dort mitgetragen werden, fallen Lippenbekenntnisse zu offenen Grenzen und mehr „sozialer Wärme“ für die Armen.
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Keiner der beiden Flügel steht für ein unabhängiges sozialistisches Programm der Arbeiterklasse und geschweige denn dafür ein, dass die LINKE sich im Klassenkampf auf der Straße und als sozialistische Opposition in den Parlamenten, für eine unabhängige Bewegung der Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Herrschenden und gegen die Krise des Kapitalismus, einsetzt.
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Dieser Flügelkampf hat mittlerweile alle Ebenen erfasst und paralysiert die Partei. Noch scheint der Überlebensdrang der Bürokratie (finanzielle Abhängigkeit des Parteiapparats und der Rosa-Luxemburg-Stiftung von Mandaten) ein Auseinanderbrechen der Partei hinauszuzögern. Gleichzeitig beschleunigt diese Zerfahrenheit den Zerfallsprozess. Ob eine Wendung des Klassenkampfes revitalisierend auf die LINKE wirken wird, wird sich in Zukunft herausstellen, in der Zwischenzeit wird sie im Niedergang verhaftet bleiben.
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Diese Situation in der Linkspartei schafft ein gewisses Vakuum für linke Positionen und mögliche Kandidaten, die solche hervorbringen und damit die noch immer Großteils überzeugte, wenn auch geschrumpfte Basis hinter sich vereinen können. Weniger in den obersten als möglicherweise in den mittleren und unteren Reihen an Parteifunktionären gibt es die Möglichkeit für ideologisch motivierte (oder durch karrieristische Motive bewegte) Personen, die (noch) bestehenden Strukturen zu nutzen, die falsche Programmatik der Parteiführung aufzugreifen und so ein gewisses Momentum in der Partei im Zusammenspiel mit dem äußeren Druck durch die sich politisierende Gesellschaft, vor allem der Jugend, zu schaffen, das eine neue Dynamik hervorrufen könnte. Wir sollten die Linkspartei noch nicht totsprechen, auch wenn die derzeitige Führung keine andere Perspektive bietet.
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Es ist unklar, ob Wagenknecht eine Abspaltung vollziehen wird. Ihr erster Versuch in so eine Richtung („Aufstehen“) war unmittelbar kläglich gescheitert. Ob ein neues auf ihre Person zentriertes Projekt, vielleicht vergleichbar mit Jean-Luc Mélenchons „La France insoumise“, Erfolg haben kann, sei dahingestellt – aus Umfragen allein lässt sich das nicht ableiten. Wenn es ins Leben treten sollte, werden Marxisten genau hinsehen, welche Rolle es im Klassenkampf spielen wird und sich entsprechend dazu positionieren.
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Für Marxisten gilt es den Prozess des Zerfalls weiter zu beobachten, Stellung zu nehmen und denjenigen in und um die LINKE und Linksjugend, die nach echten Lösungen suchen, auf den Marxismus zu stoßen und am Aufbau der marxistischen Strömung in der Arbeiterbewegung und Jugend voranzutreiben. Dabei liegt die Lösung für die Probleme der Arbeiterbewegung und insbesondere für den Aufbau der revolutionären Strömung nicht darin, das Parteibuch hinzuschmeißen. Das zaubert keine sozialistische Partei hervor.
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Als Marxisten ist es unsere Aufgabe, der Arbeiterklasse in diesem Prozess dabei zu helfen, mit dem reformistischen und sozialpartnerschaftlichen Programm der Arbeitermassenorganisationen zu brechen. Das können wir nur, indem wir sie in ihren realen Kämpfen (auf der Straße, in den Betrieben, in den Massenorganisationen) begleiten. Dabei entwickeln wir eine flexible Herangehensweise an den Linksreformismus. Wir unterstützen die Linksreformisten insofern, als sie bereit sind, gegen den Rechtsreformismus einen politischen Kampf zu führen und Reformen im Interesse der Arbeiterklasse durchzusetzen. Wir kritisieren sie überall dort, wo sie schwanken, inakzeptable Kompromisse schließen und vor dem Druck der bürgerlichen Kräfte und rechten Reformisten kapitulieren. Dabei vertreten wir stets unser unabhängiges revolutionäres marxistisches Programm und machen keine Zugeständnisse an den Linksreformismus. In diesem Prozess werden wir wachsende Teile der Arbeiterklasse davon überzeugen, dass nur die sozialistische Revolution die Krise des Kapitalismus im Interesse der Arbeiterklasse lösen kann. Damit wir das erfolgreich schaffen können, müssen wir jetzt schon unbedingt quantitativ und qualitativ wachsen.
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Molekularprozess der Revolution und subjektiver Faktor
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Die bremsende und desorientierende Rolle des (linken) Reformismus und der Sozialpartnerschaft sind ausschlaggebend für die trügerische Ruhe im Klassenkampf. Sie demobilisieren die Arbeiterklasse und geben den Kapitalisten und Regierungen breite Angriffsflächen. Aber unter der Oberfläche geht ein Prozess vor sich, den Trotzki als „Molekularprozess der Revolution“ bezeichnete. Die Arbeiterklasse und Jugend machen täglich ihre Erfahrungen, dass das kapitalistische System ihnen nichts mehr zu bieten hat. Irgendwann wird sich ihre Wut und Entrüstung entladen und die vereinzelten sozialen Kämpfe werden in eine große Welle von massenhaften Klassenkämpfen übergehen. Alles läuft auf eine plötzliche soziale Explosion zu, die scheinbar aus dem nichts kommen und sich an irgendeinem Punkt entbrennen wird. Ein Zufall wird die Notwendigkeit offenbaren.
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Die Bewegung(en) werden dabei verschiedene Formen annehmen. Aus anderen Ländern lassen sich Beispiele heranziehen, die uns helfen das zu begreifen: die Gelbwestenbewegung in Frankreich; die Black Lives Matter Bewegung in den USA; die Frauenbewegungen in Spanien, Polen oder Irland; oder Streikbewegungen wie in Großbritannien, USA, Frankreich und Italien. Wir führen so verschiedene Beispiele an, weil es faktisch unmöglich ist zusagen, was genau passieren wird, weil die Kanäle, die der Bewegung eine klar vorhersehbare Form geben könnten, durch die reformistischen Parteien und die sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften noch versperrt sind.
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Damit die zukünftigen Massenbewegungen die kapitalistische Ordnung in Bedrängnis bringen und in eine erfolgreiche sozialistische Revolution münden können, braucht es eine politische Kraft in der Arbeiterbewegung und der Jugend, die sie hinter dem Banner des Marxismus vereint. Es braucht den subjektiven Faktor, die revolutionäre marxistische Partei. Unsere Aufgabe ist es, diesen Faktor aufzubauen.
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Eine Sache ist dabei von größter Bedeutung: Wir sind jetzt und auf absehbare Zeit zu klein, um in solchen Bewegungen und in Kämpfen um eine Neuausrichtung der Gewerkschaften usw. eine zentrale Rolle spielen zu können. Dafür braucht es in Deutschland eine organisierte marxistische Strömung von zehntausenden in der marxistischen Theorie und revolutionärer Strategie und Taktik ausgebildeten Revolutionären. Die dringlichste Aufgabe besteht darin, diese Strömung in den nächsten Jahren zu schaffen.
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Die schwierigste Aufgabe besteht darin, von der ersten kleinen Handvoll zu den ersten Hundert zu gelangen. Diese Etappe haben wir erfolgreich genommen. Jetzt geht es darum, von den ersten Hundert zu den ersten Tausend zu gelangen. Um einen Satz aus der Physik zu gebrauchen, wir müssen die kritische Masse erreichen – den Punkt, an dem der Funke wirklich als entscheidender Faktor in die Situation eintreten kann. Wir müssen vor allem auf die Ausbildung der Kader achten. Wir beginnen mit der Qualität, die sich an einem bestimmten Punkt in Quantität verwandelt, die wiederum zu Qualität wird Das ist die Aufgabe, die vor uns liegt. Nur wenn wir das erreichen, wird es möglich sein, dem Alptraum des Kapitalismus ein Ende zu setzen und den Weg zu einer neuen und besseren Welt im Sozialismus zu öffnen.
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Die Politisierung und Radikalisierung passieren gegenwärtig außerhalb der Arbeitermassenorganisationen und werden sich vorerst in erster Linie außerhalb dieser ausdrücken. Deshalb muss unsere Orientierung als revolutionäre marxistische Strömung auf die Schichten liegen, wo wir bereits tiefe Radikalisierungen feststellen können und die wir jetzt schon erreichen können, d.h. diejenigen wir auch ohne Bewegung erreichen können. Das ist in erster Linie die Jugend. Wir müssen es schaffen die revolutionären Schichten der Jugend zu organisieren, im Marxismus auszubilden und dann auf die organisierte Arbeiterbewegung zu lenken, wenn die Krise auch diese Sektoren in Bewegung setzt.
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Die Generation der 2000er ist die politisch aktivste Generation seit Jahrzehnten. Auffällig stark ist die Politisierung unter jungen Frauen, so waren sie z. B. in der FFF-Bewegung die tonangebende Kraft. Generell suchen viele Jugendliche nach einer Möglichkeit, aktiv zu werden und für eine bessere Zukunft zu kämpfen. Auf der einen Seite entstehen immer wieder neue Gruppen, die sich z. B. den Kampf für Klimagerechtigkeit auf die Fahnen schreiben, aber es bilden sich auch überall Lesekreise und Diskussionsgruppen, in denen sich Jugendliche eigenständig mit antikapitalistischen Ideen auseinandersetzen. Wir können in den letzten Jahren eine deutliche Öffnung und Hinwendung in der Jugend zu Marxismus, Sozialismus und Kommunismus feststellen. Diese Schichten müssen wir in unserer Strömung organisieren, um sie in der marxistischen Theorie auszubilden, Perspektiven zu entwickeln und für ein sozialistisches Programm zu streiten. Das wird dem revolutionären Marxismus die Basis geben, sich wieder mit der Arbeiterbewegung zu verbinden und dort effektiv das sozialistische Programm zu verankern.
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Während wir uns in erster Linie auf die Organisierung der revolutionären Schichten der Jugend fokussieren werden, wird der Kampf zwischen Arbeiterklasse und Kapitalistenklasse offener zu Tage treten. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Arbeiterklasse und die Jugend werden sich kontinuierlich verschlechtern. Die Sparpolitik, schwache Tarifabschlüsse und Tarifflucht, Vernichtung von hunderttausenden Arbeitsplätzen und die Inflation werden immer breitere Schichten der Lohnabhängigen zur Gegenwehr zwingen. Der kämpferische Hamburger Hafenarbeiterstreik, die wilden Streiks bei Gorillas in Berlin oder die Bewegung „Deutsche Wohnen & Co. Enteignen“ sind Beispiele für diese Entwicklung. Gleichzeitig zeigen sie der Arbeiterklasse exemplarisch auf, auf wessen Seite der bürgerliche Staat steht, und erzwingen somit zunehmend auch einen politischen Bewusstseinswandel in dieser. Die genannten Streiks wurden mit Einschüchterungsversuchen und teils auch Gewalt seitens der Polizei beantwortet, der Mietendeckel in Berlin wurde durch das Bundesverfassungsgericht gekippt und der Volksentscheid zur Enteignung von Deutsche Wohnen & Co. wird trotz seiner mehrheitlichen Annahme durch die Berliner Bevölkerung vom Senat nicht umgesetzt. Mit wachsenden Kräften werden wir in solchen Kämpfen unseren Beitrag dazu leisten, gemeinsam mit den Arbeitern den Klassenkampf voranzutreiben. So und nur so werden wir uns als revolutionäre Strömung Anerkennung in der Arbeiterklasse verdienen und uns als festen Bestandteil der Arbeiterbewegung etablieren.
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Die sinkende Wahlbeteiligung bringt ein wachsendes Vakuum hervor, das vor allem eines ausdrückt: Der unbewusste Wunsch nach einer klassenkämpferischen Partei und einer Massenbewegung. Die gegenwärtige Periode der organischen Krise des Kapitalismus wird von heftigen Ausschlägen der öffentlichen Meinung – sowohl nach links als auch nach rechts – geprägt sein. Das ist der Ausdruck der verzweifelten Suche der Massen nach einem Ausweg aus der Krise. Eine instabile Koalition wird auf eine andere folgen. Alle bestehenden Parteien und Führungen werden auf die Probe gestellt. Die Massen werden eine Option nach der anderen austesten und erst die eine dann die andere Partei verwerfen, bevor sie schließlich zu revolutionären Schlussfolgerungen gelangen. Es wird kein geradliniger Prozess sein, sondern von vielen Aufs und Abs durchzogen sein, die uns immer wieder vor neue Proben stellen werden. Darauf bereiten wir uns durch das Studium des Marxismus und der Geschichte der Arbeiterbewegung sowie dem Aufbau revolutionärer Zellen in unseren Städten vor.
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Dieser Molekularprozess hat auch in Deutschland längst begonnen. Damit dieser Prozess reifen und sein volles Ausmaß entfalten kann, wird es notwendig sein, eine Reihe von Erfahrungen zu durchlaufen, da die Massen nur aus Erfahrungen lernen können. Und sie werden lernen. Das Endergebnis ist noch nicht in Sicht.
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Marxisten sind geduldige Menschen. Es macht uns nichts aus, wenn der Prozess ein wenig länger dauert. Aus dem einfachen Grund, weil wir noch nicht bereit sind. Viele sind jetzt offener für unsere Ideen. Überall entwickelt sich eine eindeutig antikapitalistische Stimmung. Unsere Ideen werden als relevant angesehen, weil sie die reale Situation genau widerspiegeln.
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Das Privateigentum und der bürgerliche Nationalstaat müssen als Fesseln des gesellschaftlichen Fortschritts überwunden werden. An ihre Stelle muss eine internationale Planwirtschaft und sozialistische Weltföderation treten. Dann können alle Ressourcen, Technologien, Wissenschaft und das Wissen der Arbeiterklasse für die Bedürfnisse der Menschheit eingesetzt werden. Nur so können die Inflation und Wirtschaftskrisen bekämpft, die Klimakrise aufgehalten, das imperialistische Blutvergießen und Aufrüsten beendet, die Ausbeutung und Unterdrückung überwunden sowie die Bedürfnisse aller Menschen befriedigt werden. Der Sozialismus ist der einzige Weg zum gesellschaftlichen Fortschritt.
Bundeskongress, 26.03.2023
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