Kategorie: Deutschland

Piratenpartei – keine Alternative für SozialistInnen und GewerkschafterInnen

Nach dem spektakulären Wahlerfolg der Piratenpartei bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und dem jüngsten Bundesparteitag fragen sich manche Mitglieder der LINKEN besorgt, ob da eine neue Bewegung entsteht, die uns das Wasser abgräbt.



Eines ist sicher: Das Berliner Wahlergebnis war eine Protestwahl von links und gegen die etablierte Politik. Rechte Demagogen hatten keine Chance. Die Berliner Piraten gaben sich frisch und unverbraucht, als Gegenstück zu angepassten Politikern, als scheinbar glaubwürdige Verfechter von Demokratie und Transparenz. Demgegenüber wurden der Berliner LINKEN vor allem zwei Dinge zum Verhängnis: ihre fehlende Bereitschaft zur Unterstützung des Volksbegehrens gegen die Wasser-Privatisierung und ihre Passivität im Zusammenhang mit einer Bewegung gegen Mietwucher. Offensichtlich wurde DIE LINKE nach zehn Jahren Regierungsbeteiligung als Juniorpartner der Berliner Wowereit-SPD von vielen als Teil des politischen Establishments wahrgenommen. Da erschienen die Piraten und in gewisser Weise auch die Berliner Grünen als radikaler, kämpferischer und frischer.

Auch die vom Bundesparteitag der Piratenpartei Anfang Dezember in Offenbach ausgehenden medialen Signale vermittelten in den Augen vieler oberflächlicher Beobachter das Bild einer "linken Konkurrenz für die LINKE". Dies macht sich etwa an Beschlüssen zu einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) und zur Legalisierung von Drogen oder an der Kritik an Hartz IV fest. Oder an den Beschlüssen zur Trennung von Kirche und Staat.
Dabei gingen vielfach in der öffentlichen Wahrnehmung ganz andere Beschlüsse und Signale völlig unter. Angefangen mit der Rede des Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz, eines ehemaligen CDU-Mitglieds. „Die Piratenpartei ist jetzt in der Realpolitik angekommen und sie schlägt sich gut“, freute sich Nerz. Mittlerweile werde er „selbst aus den Reihen der FDP darauf angesprochen, dass wir die neue liberale Hoffnung in Deutschland sind“. Diese Grundorientierung, die FDP überflüssig zu machen, zog sich auch durch viele Debatten. Begriffe wie „Solidarität“ oder die Orientierung auf abhängig Beschäftigte und Gewerkschaften kamen in der Debatte kaum vor. Begriffe wie „Freiheit“ oder „liberal“ waren dagegen oft zu hören.

Aufschlussreich über die Stimmungslage war auch eine Debatte über Managergehälter. Da wollte Parteimitglied Kai Orak in das Grundsatzprogramm folgenden Satz aufnehmen. “Die Spitzengehälter der Manager im Unternehmen oder Betrieb dürfen maximal ein festgelegtes Vielfaches des niedrigsten Einkommens im Unternehmen, oder Betrieb betragen, das gilt für alle Formen der Entlohnung.“ Dieses Begehren nach etwas mehr Gleichheit löste eine längere Debatte mit mehreren Dutzend RednerInnen aus. Dabei hatte Kai Orak mit seinem Begehren keine Chance. Ihm wurden Argumente wie die folgenden entgegen gehalten:
  • Wir sollten uns das immer sehr genau überlegen, inwieweit der Staat irgendwo eingreifen soll, darf oder muss.
  • Wir haben in der Wirtschaft Vertragsfreiheit und die Verträge der Vorstände und Aufsichtsräte sind Individualverträge.
  • Ich bin auch dagegen das zu begrenzen, aber das müssen die Unternehmen selber regeln, wir nehmen ihnen die Arbeit nicht ab.
  • Es ist schlecht, in die Vertragsfreiheit der Unternehmen einzugreifen.
  • Man muss nur dafür sorgen, dass Aktionäre selber bestimmen, was ein Manager verdient.
Dies sind alles O-Töne von DebattenrednerInnen, die für eine breite Mehrheit sprachen.
So viel Respekt für die „Heilige Kuh“ bürgerliches Privateigentum wirft eine Frage auf: Wer sind die Piraten überhaupt und wen vertreten sie eigentlich? Bei genauerer Betrachtung der Zusammensetzung dieser Partei tritt zu Tage, dass viele der Akteure hochqualifizierte Menschen mit Studium, oftmals Informatiker oder mit naturwissenschaftlichen oder wirtschaftswissenschaftlichen Abschlüssen. Nicht wenige sind Selbstständige, Freiberufler oder Kleinunternehmer. Das ist an sich nicht verwerflich, denn viele Menschen sind heutzutage nicht immer freiwillig Freiberufler und auch in der LINKEN gibt es sozialistisch orientierte Kleinunternehmer und Freiberufler. Auch Gewerkschaften wie ver.di organisieren Freiberufler, die sich etwa im künstlerischen Bereich im Überlebenskampf befinden. Der durchschnittliche Pirat hat aber mit sozialistischen Gedanken oder der Arbeiterbewegung wenig bis gar nichts am Hut. Da schimmert schon eher die Mentalität eines Kleinbürgers durch, der groß werden will und daher das Privateigentum nicht in Frage stellt. Weil aber vor allem in Krisenzeiten Kleinunternehmer oft auch abstürzen und sich ganz schnell in den Krallen der Hartz IV-Behörden wiederfinden können und manche der Parteitagsteilnehmer schon entsprechende Erfahrungen gemacht haben, forderte der Bundesparteitag die Abschaffung der Sanktionen bei Hartz IV und ein "bedingungsloses Grundeinkommen" (BGE). Während Linke und Gewerkschafter die Hartz-Gesetze vor allem auch als Instrument zur Lohndrückerei und Schwächung der gewerkschaftlichen Kampfkraft kritisieren, sehen die Piraten darin vor allem eine Einschränkung individueller Freiheiten. Ein gesetzlicher Mindestlohn soll nach dem Willen der Piraten nur als "Brückentechnologie" bis zur endgültigen gesetzlichen Einführung eines BGE dienen. Zur Fragwürdigkeit der Forderung nach einem BGE aus sozialistischer Sicht und mögliche gesellschaftliche Folgen hat sich die Redaktion der Funke an anderer Stelle geäußert.

Dass die Piratenpartei vielfach nur die äußere Form der Mainstream-Politik kritisiert, ohne die Inhalte wirklich in Frage zu stellen, wurde auch in anderen Zusammenhängen deutlich. So beschränkte sich die Kritik am europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) an den "demokratischen Defiziten bei seiner Entstehung" und weniger am Inhalt und der damit verbundenen Umschichtung hoher Milliardenbeträge aus den Taschen der abhängig Beschäftigten an die Banken. Maßgebliche Piraten-Akteure halten es für unvermeidlich, dass überschuldeten Staaten ein gerader Weg zu einem Austritt aus der Euro-Zone geebnet werden müsse. Ein Standpunkt, der auch in CDU und CSU Anhänger hat. In solchen Fragen scheint die Piratenpartei aber noch keine klare Position zu haben. Schließlich gibt es auch kritischere Kräfte, die sich nicht neoliberal positionieren wollen. Ein erster Überblick lässt vielleicht den Schluss zu, dass die Piratenpartei in gewisser Hinsicht eine Wiedergeburt der FDP der 1970er Jahre ist. Die damalige FDP war in manchen gesellschaftspolitischen und bildungspolitischen Fragen weitaus linker als das, was seit Anfang der 1980er Jahre aus ihr gemacht wurde. Das kapitalistische Privateigentum stellten die Liberalen aber nie in Frage.

Interessant ist auch ein Blick auf die Praxis der Piraten überall dort, wo sie in Kommunalparlamente gewählt worden sind. So etwa in Hessen, wo sie nach allen Richtungen offen sind. In Wiesbaden etwa haben LINKE und Piraten eine gemeinsame Rathausfraktion gebildet. Dort ziehen beide Partner bisher in den aktuellen Fragen an einem Strang. Im Darmstädter Rathaus jedoch wollen die Piraten mit der LINKEN nichts zu tun haben und gingen daher Bündnisse mit der FDP und einer rechten unabhängigen Wählergemeinschaft ein. Im Main-Kinzig-Kreis schlugen die Piraten allen Ernstes eine gemeinsame Fraktion von FDP, Piraten und LINKEN vor.

Derzeit scheinen die Piraten in den Medien besser wegzukommen als DIE LINKE. Dies ist seitens der LINKEN teilweise selbst verschuldet. Es könnte dahinter aber auch eine Strategie einflussreicher Medien und ihrer finanzstarken Lenker stecken. Denn einer Partei, die sich in ihrem Grundsatzprogramm zum „demokratischen Sozialismus“ bekennt, die Eigentumsfrage anspricht und die Banken verstaatlichen und unter demokratische Kontrolle stellen will, trauen die Herrschenden sicherlich weniger als einer Partei, die den Kapitalismus nur transparenter machen will.
DIE LINKE muss mit dem Phänomen der Piratenpartei selbstbewusst und offensiv umgehen. Dass die Piraten – in gewisser Weise unverdient – als „linker Protest“ wahrgenommen werden und Neofaschisten derzeit zumindest bei Wahlen überwiegend keine Chance haben, ist durchaus bemerkenswert. Wie stabil die Piraten wirklich sind und wohin sie steuern, muss sich noch zeigen. Sollten sie in weitere Parlamente einziehen und in den Genuss der damit verbundenen Privilegien kommen, dann wird sich auch bald zeigen, wie basisdemokratisch, „unverbraucht“ und transparent die Partei wirklich ist und ob der Zugang zu den „Fleischtöpfen“ die Parteiführung nicht ebenso in Beschlag nimmt und beeinflusst wie es bei den Grünen spätestens in den 1990er Jahren der Fall war. Wenn es sein muss und rechnerisch nötig wird, dann könnten die gewieften SPD-Führer auch die Piraten ebenso ins Boot einer Koalition ziehen wie in der Vergangenheit die Grünen oder die Hamburger Statt-Partei in den 1990er Jahren.
DIE LINKE muss aber darauf bestehen und einer breiten Öffentlichkeit erklären, dass Demokratie, Transparenz und Bürgerrechte nur dann durchzusetzen sind, wenn die Macht der 100 größten Konzerne gebrochen wird, die hierzulande die wirtschaftliche und damit faktisch auch die politische Macht ausüben. Die hereinbrechende Wirtschaftskrise wird alle Parteien auf den Prüfstand stellen und in der politischen Szene noch viel mehr durcheinanderwirbeln als im zu Ende gehenden Jahr 2011.

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