Kategorie: Geschichte

Die Oktoberrevolution und der Kampf für LGBTQI*-Rechte

Es war einmal, da waren gleichgeschlechtliche Ehen legalisiert, Trans*personen konnten offen in der Armee dienen, ein bekennender Schwuler war Außenminister, diskriminierende Gesetze wurden abgeschafft und es war eine einfache administrative Angelegenheit den eigenen Geschlechtseintrag bei offiziellen Dokumenten ändern zu lassen. Wo war er, dieser wundersame Ort?


Wann wurden solche Gesetze, die weiter gingen, als alles, was moderne Staaten je im Bereich von LGBTQI*-Rechten erlassen haben, in Kraft? Viel wichtiger ist jedoch die Frage, warum solche Gesetze heute nicht überall bestehen. Für Marxist*innen wenig überraschend handelte es sich beim fraglichen Land um Sowjetrussland und die angesprochenen Gesetze wurden in der Phase direkt nach der Revolution, also von 1917 bis 1926, während der Zeiten Lenins und Trotzkis, erlassen. Ebenso wenig überraschend wurden diese Gesetze anschließend von der stalinistischen Konterrevolution – ebenso wie alle sozialen und politischen Fortschritte der Bolschewiki – nichtig gemacht.

Die Karriere von Georgi Tschitscherin, dem Kommisar für äußere Angelegenheiten von 1918 bis 1930 ist beispielhaft für diesen Prozess. Als er nach der Revolution der Bolschewiki nach Sowjetrussland zurückkehrte, wurde Tschitscherin während der Verhandlungen, die zum Frieden von Brest-Litowsk führen sollte, ins Departement Trotzkis berufen und war Trotzkis Nachfolger als Kommissar für äußere Angelegenheiten im Mai 1918. In dieser Funktion war Tschitscherin, der offen zu seiner Homosexualität stand, der Repräsentant des Sowjetstaats auf der Weltbühne internationaler Politik. Neben anderen Erfolgen unterzeichnete er den Vertrag von Rapallo stellvertretend für die Sowjetunion und – worin sich die Ironie der Geschichte zeigt – verhandelte den Status der katholischen Kirche in Russland mit Eugenio Pacelli, dem Mann der Später Papst Pius XII. werden sollte. Obwohl er als Workaholic galt und trotz seiner diplomatischen Fähigkeiten geriet Tschitscherin mit Stalin in Konflikt, wurde in seiner Position im Jahr 1928 verdrängt und letztlich 1930 abgesetzt. Nach seinem Tod 1936 wurden die Erinnerungen an ihn getilgt. In gewisser Weise steht Tschitscherin beispielhaft für die gesamte LGBTQI*-Bevölkerung Russlands in jener Zeit: Im politischen Exil während des Zarismus, stieg er auf und bekam eine Chance seine Talente zu entwickeln, als die Bolschewiki an die Macht kamen, wobei er vom Stalinismus wieder zur Seite gestoßen wurde. Sein Weg ist wohl beispielhaft für all jene, die wegen ihrer sexuellen Vorlieben oder ihrer geschlechtlichen Identität zum Opfer von Unterdrückung im zaristischen Russland und in der Sowjetunion wurden.

Während der Zarenherrschaft war Homosexualität illegal. Ganz zu schweigen von der Öffnung der Ehe. Leute aus der LGBTQI*-Bevölkerung konnten dafür, dass sie sich von der „falschen“ Person angezogen fühlten, ins Gefängnis verschleppt werden. Mit der Machtübernahme der Bolschewiki änderte sich die Lage praktisch über Nacht. Auch wenn die alten zaristischen Gesetze bis 1922 nicht völlig außer Kraft gesetzt wurden, als das neue Strafgesetz nicht mehr auf Homosexualität einging und gleichgeschlechtliche Ehen legalisiert wurden, gibt es nicht den kleinsten Hinweis darauf, dass die alten homophoben Gesetze nach dem 7. November 1917 noch umgesetzt wurden. Tatsächlich wurden die alten zaristischen Gesetze mit der Machtübernahme der Arbeiter*innenklasse sofort dem Müllhaufen der Geschichtsschreibung überantwortet.

1926 ermöglichte der Sowjetstaat, dass auf Anfrage der Geschlechtseintrag auf Pässen und anderen offiziellen Dokumenten geändert wurde, wobei keine chirurgischen Eingriffe, psychologischen Konsultationen oder ähnliche Anforderungen erfüllt werden mussten. Staatlich finanzierte Forschung wurde zur Frage von Intersexualität begonnen. Die Zukunft schien es gut mit denen zu meinen, die zuvor wegen ihrer geschlechtlichen Identität marginalisiert wurden (sei es wegen ihrer Identität im Bereich sex, gender oder als (a)gender1).

Obwohl die Bolschewiki ihre Politik nicht notwendigerweise mit großem Fokus auf LGBTQI*-Fragen (hier wird mit „LGBTQI*“ ein moderner Begriff verwendet, da die Begriffe, die damals zur Beschreibung von queeren Personen bestanden antiquiert, verletzend oder ausschließend sind) begannen, müssen wir es als klar erachten, dass ihre Position im Wesentlichen aus der Ablehnung von Vorurteilen und Diskriminierung standen.

Der Bolschewik Grigori Batkis, Direktor des Instituts für Sozialhygiene beschrieb die Position wie folgt: „Die gegenwärtige Sexualgesetzgebung in der Sowjetunion ist ein Resultat der Oktoberrevolution. Diese Revolution ist nicht nur wichtig als ein politisches Phänomen, dass die politische Rolle der Arbeiterklasse sichert, sondern ist auch Ausgangspunkt für all jene Revolutionen, die sich in alle Bereiche des Lebens ausweiteten. Die sowjetische Gesetzgebung erklärt, dass der Staat oder die Gesellschaft in keine sexuelle Beziehung einzugreifen haben, sofern sie niemandem schaden oder die Interessen von jemanden verletzen. Homosexualität, Sodomie und verschiedene andere Formen der sexuellen Befriedigung, die weiterhin in den Gesetzgebungen Europas als Verstoß gegen die öffentliche Moral gewertet werden, werden von der sowjetischen Gesetzgebung gleich behandelt wie der sogenannte „natürliche“ Geschlechtsverkehr.“ Die Sowjetunion würde zweifellos ein Aufblühen von Möglichkeiten für ihre Bewohner*innen gesehen haben, das weit über alles, was man sich damals erträumt hat, hinausgegangen wäre, wenn es nicht zu den Katastrophen von Isolation und Stalinismus gekommen wäre.

Abgeschnitten von der Welt und in Bedingungen massiver Rückständigkeit im Bereich von Technologie und Produktion, in einem Land, das von imperialistischen Interventionen, von Bürgerkrieg und Hungersnot verwüstet worden war, kämpfte die Sowjetunion ums Überleben. Eine konterrevolutionäre Bürokratie entwickelte sich innerhalb des Sowjetstaats und der bolschewistischen Partei selbst, wie ein Tumor. Als der Krieg und die Hungersnöte radikale Maßnahmen nötig machte, um das Überleben zu sichern, wuchs und konzentrierte sich diese Bürokratie um die Person Josef Stalins. Von 1924, das Jahr als Lenin starb, bis 1928 als Trotzki ins Exil verbannt wurde und die linke Opposition zerschlagen wurde, fand in der Sowjetunion ein Prozess statt, der in der Diktatur der von Stalin geführten Bürokratie endete und die Sowjetdemokratie erstickte. Die stalinistische Bürokratie zerschlug anschließend alle sozialen und politischen Erfolge der Revolution und hinterließ einzig die Planwirtschaft als überlebende Errungenschaft des revolutionären Umsturzes, bis diese unter dem Gewicht der Bürokratie und des Zerfalls der Sowjetunion in den 1990ern ebenfalls kollabierte.

Die politische Konterrevolution begann bürgerliche „moralische Werte“ wieder zu beleben, während sie versuchte diese in „marxistisch-leninistisches“ Jargon zu gewanden. 1933 wurde Homosexualität wieder verboten. Bei Verstoß drohten bis zu 5 Jahre Arbeitslager. Die stalinistische Propaganda rückte Homosexualität in die Nähe des Faschismus. 1936 fasste der Justizkommissar Nikolai Krilenko die offizielle Linie zusammen, indem er erklärte, dass der homophobe Artikel 121 sich gegen die alte herrschende Klasse richtete, wobei Homosexualität in völlig unmarxistischer Weise mit der zaristischen Aristokratie und der russischen Bourgeoisie in Zusammenhang gesetzt wurde. Die Bürokratisierung der Sowjetunion ging Hand in Hand mit der Bürokratisierung der Komintern. So konnten sowjetische Stalinist*innen ihre Homo- und Transphobie in die kommunistischen Parteien überall auf der Welt hinein tragen. Es kam zu einem reaktionären Rückschritt in diesen Fragen bei all jenen kommunistischen Parteien. Doch es kam auch zu Widerstand zu Widerstand durch gewöhnliche Parteimitglieder, wie sich am Brief des britischen Kommunisten Harry Whyte an Stalin sehen lässt.

Die Bolschewiki gingen an die Fragen dessen, was wir heute als „LGBTQI*-Rechte“ bezeichnen, mit der Perspektive heran eine Welt zu erschaffen in der die Menschheit sich endlich frei von der Unterdrückung der Klassengesellschaft entwickeln könne. Wie weit die Sowjetmacht vor 100 Jahren entwickelt war, wird belegt durch den Umstand, dass die USA „Sodomie“ erst 2003 vollständig legalisierte.

In den heutigen USA mag die Öffnung der Ehe erreicht worden sein, doch der Kampf geht weiter in Fragen von Kündigungsschutz bis hin zu den demokratischen Rechten von Trans*menschen Toiletten und andere öffentliche Einrichtungen zu nutzen ohne mit dem falschen Gender bezeichnet, belästigt oder Opfer von Gewalt zu werden. Marxist*innen stehen in dieser, wie in allen anderen Fragen, auf Seiten der Unterdrückten und sind kompromisslose Kämpfer*innen gegen Homophobie und Transphobie.

Darüber hinaus zeigt die Oktoberrevolution, wie eine proletarische Revolution die unterdrückten Schichten in ihrem Kampf um ein vielfaches besser befreien kann, als es der Kampf für einzelne Reformen je könnte. Trotzdem ist es eine verbreitete Unwahrheit, dass Marxist*innen sich „nur“ auf wirtschaftliche Bedingungen und auf Klasse fokussieren würden, ohne Rassismus, Gender und Sexualität zu beachten. Nichts könnte von der Wahrheit weiter entfernt sein. Was Marxist*innen erklären, ist dass solche Fragen nicht isoliert betrachten werden können. Dass verschiedene Formen der Unterdrückung nicht in individuelle Kämpfe aufgeteilt werden können, sondern dass Unterdrückung der Ausdruck von sozialen Beziehungen ist und dass die Ausbeutung auf Klassenbasis das Fundament dieser Unterdrückung ist. Fegt die Klassengesellschaft beiseite und die alten Vorurteile und die Unterdrückung werden zu wanken beginnen!

Das heißt nicht, dass es unnötig sei gegen verschiedene Formen von Unterdrückung und Vorurteilen zu kämpfen aber, dass der Kampf notwendigerweise eine Folge des Kampfes gegen die Klassengesellschaft sein muss. Es bedeutet nicht, dass Sexismus, Rassismus, Homophobie oder Transphobie automatisch über Nacht verschwinden werden, wenn der Sozialismus erreicht wurde. Diese Formen von Unterdrückung und Vorurteilen werden mit der Zeit stufenweise verschwinden, wenn der Sozialismus ihnen die materiellen Bedingungen und die Klassenspaltung raubt, die ihre Grundlage sind. Das Wichtigste, was wir hervorheben müssen, ist dass es nicht möglich sein wird, den Sozialismus zu erreichen, wenn wir nicht als Klasse vereint gegen die gemeinsamen Unterdrücker*innen kämpfen. Die Bolschewiki verstanden dies, sowohl bevor als auch ihrer Machtübernahmen und stellten sich auf die Seite der Ausgebeuteten und Unterdrückten. Wir müssen von ihrem großen Beispiel lernen.

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