Kategorie: Amerika

Die Linke und Venezuela: Kein Einknicken vor dem bürgerlichen Mainstream!

“Die deutsche Linke muss sich endlich von der Regierung Maduro in Venezuela distanzieren.” So oder ähnlich klingt es in diesen Wochen in vielen bürgerlichen Mainstream-Medien von der Springer-Presse bis hin zu liberalen und linksliberalen Blättern wie der Süddeutschen Zeitung oder taz.


Ihnen ist offensichtlich ein Dorn im Auge, dass der jüngste Parteitag relativ klare Aussagen zu Venezuela und Lateinamerika beschlossen hat. Darin heißt es etwa: “DIE LINKE erklärt sich solidarisch mit der bolivarianischen Revolution, wie sie von Hugo Chávez eingeleitet wurde, um die demokratischen und sozialen Errungenschaften in Venezuela zu bewahren und zu entwickeln. Es müssen Maßnahmen zur Überwindung der Wirtschaftskrise unternommen werden, weil dadurch die Errungenschaften der bolivarianischen Revolution bedroht werden. DIE LINKE steht an der Seite aller linken Kräfte in Lateinamerika, einschließlich der sozialistischen Regierung in Venezuela. Die Bundesregierung fordern wir auf, einen Beitrag zu einem gleichberechtigten Dialog und zur Deeskalation in Venezuela zu leisten.“

Solche Aussagen heben sich positiv ab von den Aussagen oder dem Schweigen anderer Bundestagsparteien und von dem medialen Müll über Venezuela, der seit Monaten weltweit die Runde macht. Während der Mainstream in Wort und Bild gebetsmühlenartig behauptet, ein blutrünstiges “Regime” errichte in Venezuela eine Diktatur und unterdrücke friedliche Bürgerproteste, ergibt sich bei genauerem Hinsehen ein ganz anderes Bild: Seit Monaten setzen Teile der Rechtsopposition, die die Interessen der herrschenden Klasse vertreten, auf gezielten Terror gegen Personen und öffentliche Einrichtungen. Sie heuern faschistische Terrorgruppen und Kleinkriminelle aus dem Lumpenproletariat an, um die chavistische, linke und Arbeiterbewegung zu terrorisieren. Dazu kommen aus Kolumbien eingeschleuste Paramilitärs. Ansätze von Bürgerkrieg haben das Land erfasst.

Dass Venezuela im Bundestagswahlkampf zur bürgerlichen Keule gegen die LINKE geworden ist, wurde am 20. August auch beim ZDF-Sommerinterview mit Sahra Wagenknecht deutlich. Dabei war die Spitzenkandidatin mit dem wider besseres Wissen von bürgerlichen Medien in die Welt gesetzten Vorwurf konfrontiert, Venezuelas sozialistischer Präsident Nicolás Maduro wolle durch Auflösung des Parlaments (Nationalversammlung) die Demokratie ausschalten und eine Diktatur errichten.

Einen Augenblick lang begab sich Sahra, die 2004 die Solidaritätsbewegung “Venezuela Avanza” ins Leben gerufen hatte, dann auch tatsächlich auf diese Propagandaebene herab und entschuldigte den zitierten Parteitagsbeschluss damit, dass all dies vor den jüngsten Ereignissen in Venezuela beschlossen worden sei. Sie kritisierte die (angebliche) “Aushebelung” eines demokratisch gewählten Parlaments und forderte Regierung und Opposition gleichermaßen auf, “endlich auf den Weg der Demokratie zurückzukehren”. Dann erklärte sie völlig zurecht, dass die bürgerliche Opposition den Sturz der Regierung und des Präsidenten anstrebe und verteidigte die Errungenschaften für die ärmeren Bevölkerungsschichten, die in Venezuela mit dem Prozess der Bolivarischen Revolution seit 1998 einher gegangen sind.

Was geschieht wirklich in Venezuela?

Der von weltweiten Medien verbreitete Vorwurf einer angestrebten Diktatur ist irreführend und falsch. Tatsächlich hat eine “Aushebelung” der Nationalversammlung nicht stattgefunden. Allerdings ist mit der Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung Ende Juli neben der Nationalversammlung ein neues legitimiertes Organ ins Leben gerufen worden, das mit weitergehenden Kompetenzen ausgestattet ist. Präsident Maduro hatte im Frühjahr von seinem Recht Gebrauch gemacht, die Initiative zu einer Verfassungsreform zu ergreifen und die Wahl einer neuen Verfassungsgebenden Versammlung anzuberaumen. Dies ist in der Artikel 342 der Verfassung so festgehalten.

Die bürgerliche Rechtsopposition in Venezuela hat seit Ende 2015 die Mehrheit in der Nationalversammlung und möchte mit aller Gewalt Maduro und seine Regierung stürzen. Ihr Hauptproblem ist, dass sie vorab zum Boykott der Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung aufgerufen hatte und sich daher an ihr nicht beteiligte. Sie hatte gehofft, durch Protestdemos und Randale kurzfristig Maduro zum Rücktritt zu zwingen. Dies ist ihr nicht gelungen. Es gab am Wahltag landesweit Versuche der direkten Einschüchterung durch gewaltbereite rechte Kommandos, um Menschen von den Wahllokalen fernzuhalten. Dennoch fand die Wahl statt.

Das Wehklagen der Rechtsopposition soll seit Monaten dazu dienen, Venezuela international zu isolieren und ein militärisches Eingreifen zu rechtfertigen. In diesem Sinne äußerte sich auch US-Präsident Donald Trump, der kürzlich die Diktatur in Saudi-Arabien hofierte. Erinnerungen an Intrigen zum Sturz linker Regierungen in früheren Jahrzehnten in Nicaragua und Chile kommen auf. Die internationale Arbeiterbewegung und Linke muss sich dem entgegenstellen und darf der bürgerlichen Propaganda keinen Millimeter nachgeben.

Ursachen der Krise

Letztlich werden die schweren Probleme im Lande aber nicht durch Verfassungsartikel und Gerichtsentscheide gelöst, sondern durch den Klassenkampf. Es geht um die Macht- und Eigentumsfrage. Die venezolanische Oberschicht, Großgrundbesitzer, Bankiers und Konzerne haben sich von Anfang an nie mit dem von dem verstorbenen Präsidenten Hugo Chávez angestoßenen Prozess der Bolivarischen Revolution versöhnt. Sie startete im April 2002 einen Staatsstreich nach dem Vorbild des Militärputsches in Chile 1973, der dann jedoch durch eine breite und spontane Massenmobilisierung von unten gestoppt wurde. Die Verschwörer von damals wurden bis heute für ihre Verstrickung in den Putsch nicht strafrechtlich verfolgt. So viel zur angeblichen “Diktatur”.

Chávez zog aus seinen Erfahrungen wichtige Schlussfolgerungen und sprach sich ab 2005 für den “Sozialismus des 21. Jahrhunderts” aus. Zahlreiche Sozialreformen, sozialer Wohnungsbau, freie Gesundheitsfürsorge und gebührenfreie Bildung brachten für Millionen Menschen Fortschritte und ein Stück Menschenwürde. Doch nach wie vor ist Venezuela ein kapitalistisches Land. Der Staat mit seinem bürokratischen Apparat bleibt trotz der fortschrittlichen Verfassung aus dem Jahr 2000 ein bürgerlicher Staat. Betriebe, Banken und Großgrundbesitz wie auch die meisten Medien liegen mehrheitlich in privaten Händen, in den Händen der Oligarchie. Bisherige Verstaatlichungen reichen nicht aus, um die Machtverhältnisse grundlegend zu verändern. Verstaatlichte und von den Belegschaften besetzte Betriebe sind bislang nur “Inseln”.

In Venezuela ist nicht der Sozialismus gescheitert, sondern der reformistische Versuch, den Kapitalismus im Interesse der Arbeiterklasse durch Gesetze und Auflagen zu regulieren. Devisen- und Preiskontrollen, Kündigungsschutz und ein fortschrittliches Arbeitsrecht haben die Freiheit des Kapitals eingeschränkt. Es rebelliert dagegen mit Kapitalflucht, Betriebsschließungen, Sabotage, Investitionsstreiks, Hortung und künstlicher Verknappung von Waren. Dies ist seit dem Ölpreisverfall vor wenigen Jahren offenkundig. Die Inflation könnte in diesem Jahr auf 700 Prozent steigen. Dies nagt am Lebensstandard von Millionen Menschen der arbeitenden Klasse und ärmeren Bevölkerungsschichten und bringt unhaltbare Zustände.

Leider will Präsident Maduro die Opposition und die Oligarchie durch Zugeständnisse beschwichtigen und ihr die Hand zu einem Wirtschaftspakt reichen. Die Regierung hat signalisiert, dass sie bereit wäre, die vom Kapital kritisierten Regulierungen aufzuheben, verstaatlichte Betriebe wieder zu privatisieren und Sonderwirtschaftszonen im Interesse des Kapitals einzurichten. Alle Sozialreformen und Errungenschaften des revolutionären Prozesses seit fast 20 Jahren stehen auf der Kippe.

Vor diesem Hintergrund wird auch die neue Verfassungsgebende Versammlung nichts lösen, solange die Machtverhältnisse in der Wirtschaft und im bürgerlichen Staat so bestehen bleiben. Die Regierung hat die Spitzen des Militärs bisher auch dadurch loyal gehalten, dass sie ihnen die Erdölfirma Caminpeg geschaffen hat, in der sie die Chefs sind. Spaniens Ex-Ministerpräsident José Luis Rodriguez Zapatero, ein rechter Sozialdemokrat, ist nach Venezuela gereist und möchte die “gemäßigten” Flügel im Regierungs- und Oppositionslager zusammenführen.

Was nun?

Der einzige fortschrittliche Ausweg liegt in einer Enteignung der Großgrundbesitzer, Banken und Konzerne und Entmachtung des bürgerlichen Staatsapparats. Ein aktueller Ansatz sind Landbesetzungen in einigen Regionen und in diesem Zusammenhang bewaffnete Selbstverteidigungskomitees der Bauern sowie selbstverwaltete Betriebe. Die bestehenden kommunalen Räte und bolivarischen Basisbewegungen müssen sich zusammenschließen, von unten einen Arbeiterstaat aufbauen und der herrschenden Klasse die Staatsmacht entreißen.

Anstatt die Oligarchie zu beschwichtigen, sollte die neue Verfassungsgebende Versammlung die landesweite Bewaffnung und Selbstverteidigung der revolutionären Kräfte, Arbeiter und Bauern gegen faschistischen Terror organisieren. Zum Schutz des Lebensstandards der Massen sind ein Preisstopp und existenzsichernde Löhne und Renten notwendig. Auslandsschulden sollten gestrichen werden. Banken, Großkonzerne, Medien- und Kommunikationskonzerne müssen in Staatseigentum überführt und durch demokratisch legitimierte Räte kontrolliert werden. Alle Spekulanten wie der Lebensmittelkonzern Polar gehören enteignet, gehortete Güter des täglichen Bedarfs an die Beölkerung verteilt. Für eine Agrareform und Aufteilung des Landes auf landlose Bauern! Die Putschisten von 2002 gehören endlich vor Gericht gestellt! Mit diesen Maßnahmen könnte die erlahmende Revolution neuen Schwung erhalten und auf Lateinamerika ausstrahlen. Chile und Nicaragua zeigen, dass eine Revolution nicht auf halbem Wege stehen bleiben kann.



Revolutionäre Linke, PSUV und Nicolás Maduro

Die derzeitige Regierungspartei PSUV wurde vor über zehn Jahren von Maduros Vorgänger, dem verstorbenen Hugo Chávez, ausgerufen. Ihm schwebte eine Massenpartei der Arbeiter, Bauern und ärmeren Bevölkerung vor, um einen von der Basis ausgehenden Prozess Richtung Sozialismus voranzutreiben. Er setzte auf einen Kampf gegen die Bürokratisierung und Korruption. In den ersten Monaten folgten sieben Millionen Menschen diesem Aufruf und schrieben sich als Mitglieder und Sympathisanten ein. Dies war eine für die bolivarische Revolution typische Massenmobilisierung. Aber durch Tricks und Manöver bekam die Staats- und Parteibürokratie den Parteiapparat in ihre Hände. Aus der PSUV wurde zunehmend eine prokapitalistische Sozialdemokratie wie in Europa. Wir sind daher der marxistischen Oppositionsströmung in der PSUV Lucha de Clases (IMT) solidarisch verbunden.

Einige ultralinke Organisationen unterstützen seit geraumer Zeit das von der Rechtsopposition angestrengte Abwahlreferendum gegen Maduro. Das ist aus unserer Sicht ein schwerer Fehler. Sie übersehen dabei eines: Der Sturz von Maduro ist die zentrale Parole der Rechten und wäre unter den gegeben Kräfteverhältnissen für Oligarchie und Imperialismus ein Signal zur endgültigen Zerstörung aller Errungenschaften der Revolution. Wer nicht die Massen hinter sich hat, um die Regierung Maduro durch eine linkere, revolutionäre Regierung zu ersetzen, überreicht damit der Rechten die Macht auf einem silbernen Tablett.

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