Kategorie: Kapital und Arbeit

Flughafenbeschäftigte protestieren gegen Lohndumping und Liberalisierung

Gegen eine drohende Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen haben am Montag mehrere hundert Beschäftigte im Bereich Bodendienste am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen vor dem hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium in Wiesbaden demonstriert.


Hintergrund sind der von zunehmender Liberalisierung und Privatisierung ausgehende Dumpingdruck. Die Kolleginnen und Kollegen sind bei einer Tochter des spanischen Mischkonzerns Acciona angestellt und damit Leidtragende einer aktuellen Entscheidung des Ministeriums. Denn dieses hatte kürzlich in einem europaweiten Ausschreibungsverfahren für einen Teil der Bodendienste Acciona mit bisher rund 1300 Beschäftigten verdrängt und die entsprechende Konzession an die konkurrierende Wisag Aviation Service GmbH übergeben, eine Tochter des Frankfurter Wisag-Konzerns. Acciona ist seit 17 Jahren am Airport im Einsatz.

Minister Tarek Al-Wazir (Grüne) beruft sich dabei auf eine europäische Liberalisierungsrichtlinie, die vorschreibt, dass es an größeren Verkehrsflughäfen für Bodendienste mehrere konkurrierende Anbieter geben muss. Acciona hatte zunächst die erste Ausschreibungsrunde gewonnnen. Weil Wisag dagegen klagte, wurde das Verfahren wiederholt. Nun will sich Acciona mit dieser Entscheidung nicht abfinden und hat inzwischen beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof eine Anfechtungsklage eingereicht. Diese Klage hat aufschiebende Wirkung mit der Folge, dass der für die Übergabe der Aufträge von Acciona an Wisag vorgesehene Termin 1. November 2017 mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr eingehalten werden kann.

Bodendienste an Verkehrsflughäfen umfassen Arbeiten wie das Be- und Entladen der Flugzeuge, die Reinigung und das Betanken. Seit den 1990er Jahren drängen Lobby-Verbände und EU-Kommission hier auf eine Liberalisierung. Dem liegt die Tatsache zugrunde, dass Kapitalbesitzer seit den 1980er Jahren verstärkt nach profitablen Anlagemöglichkeiten suchen. In ihrem Sinne gaben die Vordenker des „Neoliberalismus“ die Idee vor, bisher vom Staat organisierte Bereiche aufzusplittern und der privaten Profitmaximierung zu unterwerfen – so etwa Krankenhäuser, Verkehrsbetriebe, Telekommunikation, Postdienste, Infrastruktur und Flughäfen. Gleichzeitig gliederten auch viele Privatunternehmen zunehmend Bereiche wie Gebäudereinigung, Hausmeisterdienste, Bewachung oder Kantinen aus der Kernbelegschaft aus. Gewerkschafter beklagen jedoch, dass mehr Wettbewerb zwischen Bodendiensten auf Flughäfen den Betriebsablauf hemmt und Ressourcen verschwendet. Eine zehnprozentige Lohnsenkung bei den Bodendiensten könne ein Flugticket um maximal 80 Cent verbilligen, so Enrique Carmona vom europaweiten Dachverband Europäische Transportarbeiterförderation (ETF).

So entstanden neue Dienstleistungskonzerne und verdienten sich auch neureiche Kapitalisten oftmals mit Lohndumping und rüden Methoden eine goldene Nase. Zu ihnen gehört auch der Frankfurter Claus Wisser mit dem von ihm gegründeten Wisag-Konzern. Die von der EU-Kommission vorgegebene Liberalisierung und Privatisierung im Bereich der Flughäfen hatte für die Betroffenen schmerzhafte Folgen. „Damit ist eine riesige Lücke von bis zu 30 Prozent zwischen dem alten, existenzsichernden Standard, dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, und den dann auf den Markt strömenden Billiganbietern mit Dumpinglöhnen entstanden“, berichtet die für Flughäfen zuständige ver.di-Tarifsekretärin Katharina Wesenick. Nur durch Streiks und Haustarifverhandlungen habe es ver.di bei etlichen Unternehmen inzwischen geschafft, diese Lücke um acht bis 20 Prozent zu verringern.

Der Zusage von Wisag-Chef Michael Wisser (Sohn des Firmengründers und Aufsichtsratsvorsitzenden Claus Wisser), er wolle die komplette Acciona-Belegschaft per Betriebsübergang und auf der Basis des mit ver.di abgeschlossenen Tarifvertrags übernehmen, trauen die Acciona-Beschäftigten nicht. Sie wollen keinen Firmenwechsel und befürchten, dass spätestens ein Jahr nach einer Übernahme der bisher gültige, mit Acciona abgeschlossene Tarifvertrag seine Wirkung verliert, der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen massiv zunimmt und ihnen auch Leiharbeit und befristete Verträge drohen könnten. Sie sind ein gut aufeinander eingespieltes Team und wissen, dass Unterbesetzung und Lohndumping mit schlecht ausgebildeten Arbeitskräften die Qualität der Arbeit drücken und dass dies im Luftverkehr sicherheitsgefährdend sein kann.

Mehrere Redner aus dem Acciona-Betriebsrat forderten Minister Al-Wazir auf, die Vergabe an ein nicht tarifgebundenes Unternehmen zu stoppen. Solidarische Unterstützung bekamen die Demonstrierenden von der Linksfraktion im Hessischen Landtag und der örtlichen IG Metall. „Nach der hessischen Ausschreibungspraxis bekommt der billigste Anbieter auf dem Rücken und Knochen der Kolleginnen und Kollegen den Zuschlag“, kritisierte die Fraktionsvorsitzende Janine Wissler. „Überall werden Belegschaften gegeneinander ausgespielt. Euer Kampf ist auch unser Kampf“, rief der Wiesbadener IG Metall-Bevollmächtigte Axel Gerntke aus. „Dies ist auch ein politischer Kampf, denn Tarek Al-Wazir und die Politik tragen die Verantwortung für das was hier passiert. Sie nennen das soziale Marktwirtschaft, ich nenne das Kapitalismus.“

Auf selbst angefertigten Schildern der Demonstranten standen Parolen wie „Herr Minister, Sie haben uns in die Existenzkrise gestürzt. Warum?“, „Stopp Lobbyismus“ oder „Wisag = Lobbyarbeit, Ausbeuter und Kumpel der Politik“. Dahinter steckt der naheliegende Verdacht, dass Claus Wisser als langjähriges hessisches SPD-Mitglied auch durch die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern für seinen Konzern bei Privatisierungen und Ausgliederungen Aufträge und und Lizenzen besorgte. Es dürfte kein Zufall sein, dass die hessische SPD zum Jahresanfang ihr „verdientes Mitglied“ Claus Wisser als Mitglied der Bundesversammlung benannte, die Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten wählte. Die von Steinmeier konzipierte Politik der „Agenda 2010“ kam auch dem Wisag-Konzern zugute. So erklärt es sich vielleicht auch, weshalb kein offizieller SPD-Repräsentant an diesem Montag vor Ort war und sich mit den Protestierenden solidarisierte, obwohl sich die hessische SPD gerade in Wahlkampfzeiten immer gerne als „gewerkschaftsnah“ gibt.

Die von der EU ausgehenden Richtlinien zur Liberalisierung und Privatisierung staatlicher Betriebe und Einrichtungen liegen ausschließlich im Interesse großer Konzerne und Kapitalbesitzer. Der vorauseilende Gehorsam politischer Entscheidungsträger bei der Umsetzung hat an Flughäfen wie auch bei Eisenbahnen, Post, Telekom und anderswo großen sozialen Flurschaden angerichtet. Es ist an der Zeit, die Umsetzung dieser Politik zu blockieren. Die Betroffenen müssen zusammenstehen, für bessere Arbeitsbedingungen und eine Rücknahme der Privatisierungs- und Liberalisierungsorgien kämpfen. Statt profitable Anlagemöglichkeiten und Filetstücke für Kapitalbesitzer zu schaffen, sollten Großkonzerne, Banken, Versicherungen sozialisiert und unter demokratische Kontrolle gestellt werden.

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