Kategorie: Antifaschismus

Wer hat Interesse an der Gleichung "Stalinismus = Nationalsozialismus"?

Sind der sowjetische Stalinismus und der Hitler-Faschismus wirklich gleichzusetzen? Rein oberflächlich betrachtet haben (bzw. hatten) sie etliche Gemeinsamkeiten: Einparteienregimes, Gleichschaltung, Unterdrückung politisch Andersdenkender, Durchdringung aller Lebensbereiche. Doch Marxisten bleiben nicht an der Oberfläche haften. Was waren die Wurzeln dieser Regimes? 


Ohne Rückblick auf die Lage in Europa in den 20er Jahren lässt sich das Aufkommen von Stalinismus und Faschismus nicht verstehen. Der l. Weltkrieg verschärfte die Spannungen zwischen den Klassen und führte in vielen europäischen Ländern zu revolutionären Situationen. Nicht nur in Russland, sondern auch in Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und anderen Ländern erhoben sich heimkehrende Soldaten und Arbeiter gegen die alte Ordnung und versuchten, eine neue, sozialistische Gesellschaft aufzubauen. In Russland gelang es 1917 der aus dem linken Flügel der Sozialdemokratie hervorgegangenen Partei der Bolschewiki, mit Unterstützung der Mehrheit der neu entstandenen Arbeiter- und Soldatenräte die Staatsmacht zu erobern. Doch den Bolschewiki und vor allem ihren führenden Köpfen, Lenin und Trotzki, war klar, dass sie niemals den Sozialismus in einem Land alleine aufbauen könnten - vor allem nicht in einem so rückständigen wie Russland. Als Internationalisten betrachteten sie die Russische Revolution nur als Auftakt einer internationalen Revolution. Ihre Hoffnung lag im Westen, vor allem in Deutschland. Denn hier war modernste Industrie angesiedelt, und mit ihr eine starke, selbstbewusste und traditionsreiche Arbeiterbewegung. 

Fing das Problem mit Lenin an?

War Lenin ein Wegbereiter Stalins? Solche Ansichten halten einer genaueren Überprüfung nicht stand. Denn hätten die Bolschewiki 1917 nicht die Macht übernommen, dann wäre die Alternative in Russland nicht eine liberale bürgerliche Demokratie gewesen, sondern eine Rechtsdiktatur mit faschistischen und zaristischen Zügen. Die russische Revolution begeisterte damals Millionen Arbeiter und Unterdrückte in aller Welt, weil sie zeigte, dass es doch anders gehen kann. Die Politik Lenins und Trotzkis war darauf ausgerichtet, die Bastion Russland so lange zu halten, bis "der Westen nachzieht". In den ersten Wochen nach dem Oktober 1917 bestand in Ansätzen eine Rätedemokratie mit weitgehenden Rechten und Freiheiten. Erst der Bürgerkrieg und die Invasion von 21 ausländischen Armeen in den Jahren 1918-21 führten zu Notstandsmaßnahmen. Ohne politische Motivation und die Gewissheit, für eine gerechte Sache zu kämpfen, hätten die Soldaten der von Trotzki geführten "Roten Armee" allerdings nie "übermenschliche Leistungen" vollbringen und den Krieg gegen einen technisch und logistisch überlegenen Feind gewinnen können.

Rosa Luxemburg contra Lenin?

"Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden", zitieren rechte Sozialdemokraten auch heute noch gerne die "gute" Rosa Luxemburg, um sie dem "bösen" Lenin entgegenzustellen. Doch wie hielten es ihre Zeitgenossen vom rechten Parteiflügel mit dieser Devise? Mit dem "Ja" in der Reichstagssitzung vom 4. August 1914 ordnete sich der sozialdemokratische Parteiapparat (wie auch die Gewerkschaften) ohne wenn und aber der kaiserlichen und kapitalistischen Kriegspolitik und ihrer Militärdiktatur unter.
Andersdenkende in den eigenen Reihen wurden unter diesem Druck ausgegrenzt, gemaßregelt, ausgeschlossen. Und als 1918 die Revolution in Deutschland die Chance zu einem demokratisch-sozialistischen Neuanfang bot, verbündeten sich führende SPD-Vertreter mit rechtsgerichteten Truppeneinheiten (Freikorps), um die Rätebewegung niederzuschlagen. Selbst im Parteiorgan "VORWÄRTS" erschienen Anzeigen mit Aufrufen zur Bildung von Freikorps-Einheiten. Und eben diese Freikorps (eine Keimzelle der späteren Nazi-Bewegung) richteten Anfang 1919 ein Blutbad an dem neben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Tausende unbekannter Sozialisten zum Opfer fielen.

Konterrevolution in West und Ost

Zwischen 1918 und 1923 boten sich in Deutschland mehrere Chancen für eine erfolgreiche sozialistische Revolution. Wenn diese Chancen verspielt wurden, dann lag dies nicht an der mangelnden Kampfbereitschaft der einzelnen Arbeiter, sondern maßgeblich an der Unerfahrenheit der neugebildeten Arbeiterparteien USPD und KPD bzw. an der bewussten Sabotage durch den rechten SPD-Flügel. Ein endgültiger Sieg über den Kapitalismus und die Errichtung einer demokratisch­sozialistischen Räteherrschaft in Deutschland hätte die Geschichte ganz Europas verändert. Vor allem hätte eine solidarische sozialistische Aufbauhilfe für Russland dort wesentlich dazu beitragen können, Hunger, Mangel und Rückständigkeit zu überwinden und das Blatt noch einmal zu wenden, Indem sich der westliche Kapitalismus nach 1923 jedoch (vorübergehend) stabilisierte, wurden in Russland endgültig die Weichen in Richtung Stalinismus gestellt: die neu entstandene privilegierte bürokratische Kaste - mit Stalin als Gallionsfigur - festigte ihre Kontrolle über Staat und Kommunistische Partei. Karrieristen und Opportunisten (die oftmals 1917 gegen die Revolution waren) gaben jetzt den Ton an, die "alte Garde" von 1917 und davor wurde an den Rand gedrängt, ausgegrenzt und verfolgt.
Lenin, der in den Jahren vor seinem Tod 1924 zunehmend ans Krankenbett gefesselt war, warnte eindringlich vor diesen Tendenzen. Trotzki wurde schrittweise von seinen Ämtern abgesetzt, ins Exil vertrieben und schließlich -1940-ermordet.

Was ist Stalinismus?

An der Frage "Was ist die Sowjetunion und wohin treibt sie?" schieden sich in den 30er Jahren innerhalb der Linken die Geister. Auf der einen Seite stimmten nicht nur kommunistische Arbeiter und Intellektuelle in aller Welt aufgrund der imposanten Industrialisierung der Sowjetunion unter Stalin unkritische Lobeshymnen auf das "Mutterland der Werktätigen" an und "übersahen" die Schauprozesse, Massensäuberungen und -hinrichtungen. Andererseits arbeitete Leo Trotzki über Jahre an einer Analyse der Sowjetunion, um der widersprüchlichen Situation gerecht zu werden.
Seine Kernaussage war: Stalinismus bedeutet Konterrevolution. Von den Errungenschaften der Oktoberrevolution ist nur noch eine - wenn auch wichtige -übrig geblieben: das Staatseigentum an Produktionsmitteln. Dies ist eine notwendige, aber keineswegs hinreichende Voraussetzung für eine Entwicklung in Richtung Sozialismus. Ohne die Kontrolle von Plan, Investition und Produktion durch demokratische Organe der Massendemokratie - eben Räte oder 'Sowjets' - droht die Herrschaft einer privilegierten, totalitären Bürokratie die Vorzüge einer Planwirtschaft zu sabotieren. Vor fast 60 Jahren demonstrierte Trotzki somit, dass es möglich war (und ist), mit einer marxistischen Methode dieses neue Phänomen des Stalinismus wie auch seine Krisenhaftigkeit zu erklären, noch lange bevor- in den 80er Jahren - jeder bürgerliche Hinz und Kunz anhand offenkundiger Krisenerscheinungen die tiefe Instabilität der Ostblockstaaten "diagnostizieren" konnte..

Wenn nicht sozialistisch, was dann?

Natürlich konnte die Sowjetunion - wie auch später die anderen Ostblockstaaten -von Marxisten nicht als "sozialistisch" bezeichnet werden. Der immer gewaltiger werdende Staatsapparat deutete eher in die gegenteilige Richtung. Trotzki sprach von einem Übergangsregime zwischen Kapitalismus und Sozialismus und ließ offen, was am Ende der Entwicklung dieser Gesellschaft stehen würde. Er prägte den Begriff vom "degenerierten" (d.h. entarteten) Arbeiterstaat-ein Staat, der im wirtschaftlichen Sinn die Grundlage für eine Entwicklung hin zum Sozialismus bietet, politisch jedoch durch die Stalinsche Bürokratie völlig entartet ist. Und wir können hinzufügen: die späteren "Ostblock"-Staaten waren in diesem Sinne (von Anfang an) "deformierte" Arbeiterstaaten; sie entstanden im wesentlichen nicht aus einer Arbeiterrevolution im Sinne von 1917, sondern von ihrer ersten Stunde an unter der Vorherrschaft sowjetischer Panzer. Wenn auch die Abschaffung von Großgrundbesitz und Kapitalismus in diesen Ländern weltgeschichtlich fortschrittlich war und diesen Regimes eine gewisse Stabilität verlieh - alle Ansätze unabhängiger Regungen der Arbeiterschaft wurden von Anfang an abgetötet. Die Beschreibung stalinistischer Regimes als degenerierter/deformierter Arbeiterstaat erscheint uns im Sinne der marxistischen Staatstheorie nach wie vor am klarsten. Andere Begriffe wie "Staatssozialismus", "totalitärer Sozialismus", "Staatskapitalismus" oder gar "real existierender Sozialismus" bzw. "Kommunismus" sind dagegen irreführend - entweder werden sie den Umständen nicht gerecht, oder sie tragen bewusst dazu bei, die sozialistischen Ziele und Ideale zu beschmutzen.
Trotzki kam zu der Schlussfolgerung, "dass die grundlegende politische Voraussetzung für die Bürokratisierung des Regimes die Müdigkeit der Massen nach den Erschütterungen von Revolution und Bürgerkrieg gewesen ist. Im Lande herrschten Hunger und Epidemien. Die Fragen der Politik traten in den Hintergrund. Alle Gedanken waren auf ein Stück Brot gerichtet.
(...) Man darf keinen Augenblick lang vergessen, dass sich die Festigung der Apparatmacht auf die Arbeitslosigkeit stützte. Nach den Hungerjahren schreckte die Reservearmee jeden Proletarier an der Werkbank. Die Entfernung selbständiger und kritischer Arbeiter aus den Betrieben, schwarze Listen der Oppositionellen gehörten zur wichtigsten und wirksamsten Waffe in den Händen der Stalinbürokratie. Ohne diesen Umstand wäre es nie gelungen, die Leninsche Partei zu erdrosseln."

Faschismus

Auch wenn er als Erzfeind Stalins und Leidtragender des Stalinismus von Land zu Land gehetzt wurde: Trotzki erklärte so klar wie kein anderer Zeitgenosse die zentralen Unterschiede zwischen Stalinismus und Faschismus und die Hintergründe für den Aufstieg des Faschismus.
Obwohl die Staatsform bei oberflächlicher Betrachtung ähnliche Züge aufwies - der entscheidende Unterschied zwischen Hitlerdeutschland und der stalinistischen SU lag im jeweiligen Klassencharakter der Regimes. Denn Hitlers Regime stützte sich (wirtschaftlich) auf die Herrschaft des Kapitalismus und Imperialismus.
Kohl und Kapital setzen jetzt wieder die These in Umlauf, der (totalitäre) Faschismus sei nur eine Reaktion auf den (totalitären) Stalinismus gewesen. Damit versuchen sie von der Verantwortung ihrer Vorgänger für die Hitlersche Diktatur abzulenken. Denn Tatsache ist: Die entscheidenden Kräfte der deutschen Industrie und Banken setzten 1933 maßgeblich auf Hitler, unterstützten ihn finanziell und verhalfen ihm zur Macht. Die Weimarer Demokratie war ihnen lästig geworden. Für sie war Hitlers Massenbewegung das Werkzeug, um die Arbeiterorganisationen (Gewerkschaften, SPD und KPD mitsamt Vorfeldorganisationen) zu zerschlagen, die Löhne zu senken und ihre Position durch gezielte Vorbereitung des nächsten Krieges zu verbessern. Dass das "Monster" Hitler ihnen schließlich aus der Kontrolle geriet, schwächt diese Aussage nicht im geringsten. Und dass die Vorgänger von CDU. CSU und FDP 1933 im Reichstag geschlossen für Hitlers "Ermächtigungsgesetz" stimmten, spricht nicht gerade für die "demokratischen" Traditionen dieser Damen und Herren und eventuelle "Gemeinsamkeiten", die wir als Sozialisten mit ihnen pflegen sollten.

War der deutsche "Nationalsozialismus" etwas anderes als Faschismus?

Faschistische Massenbewegungen gediehen vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise, der Auswegslosigkeit der bürgerlichen Gesellschaft und der schwerwiegenden Fehler der Arbeiterparteien in fast allen europäischen Ländern. Sie stützten sich im wesentlichen nicht auf die Kernbereiche der Arbeiterklasse - sondern auf die Mittelschichten, Bauern, Selbständige, Beamte, Gewerbetreibende, auch Arbeitslose, die durch die Krise ruiniert und von den Arbeiterparteien enttäuscht waren und in ihrer Verzweiflung eine radikale Lösung suchten. In Deutschland verstanden es die Nazis (die sich ja "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" nannten), mit einer gezielten Demagogie die Verzweiflung und Wut dieser Schichten gegen die "Bonzen", die Weimarer Republik und die "Bolschewisten" gleichermaßen zu richten und eine "nationale Revolution" zu versprechen.
Wenn sich auch die faschistischen Bewegungen in den verschiedenen Ländern in einzelnen Punkten voneinander unterschieden, so war ihr Zweck doch überall der gleiche. Dass unter deutscher Nazi-Herrschaft dabei extrem "gründlich" und "gnadenlos" verfahren wurde, hat vor allem mit der verzweifelten Lage des deutschen Kapitalismus Anfang der 30er Jahre zu tun. Dieser hatte im l. Weltkrieg Kolonien und Absatzmärkte verloren, war von den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise besonders stark betroffen und musste daher auch besonders aggressiv und draufgängerisch vorgehen. Hitlers ausgeprägter Antisemitismus ließ sich für deutschen Kapitalisten übrigens auch in klingende Münze verwandeln. Die Berliner "Haupttreuhandstelle Ost" koordinierte Ende der 30er Jahre die gezielte Enteignung jüdischen und polnischen Kapitals zugunsten des Nazi-Staates, deutscher Banken und Konzerne.

Was ist überhaupt Faschismus?

Ist alles, was autoritär und brutal vorgeht, faschistisch? Trotzki brachte es 1932 auf den Punkt:

"Der Faschismus ist nicht einfach ein System von Repressionen, Gewalttaten, Polizeiterror. Der Faschismus ist ein besonderes Staatssystem, begründet auf der Ausrottung aller Elemente proletarischer Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft. Die Aufgabe des Faschismus besteht nicht allein in der Zerschlagung der proletarischen Avantgarde, sondern auch darin, die ganze Klasse im Zustand erzwungener Zersplitterung zu halten. Dazu ist die physische Ausrottung der revolutionärsten Arbeiterschicht ungenügend. Es heißt, alle selbständigen und freiwilligen Organisationen zu zertrümmern, alle Stützpunkte des Proletariats zu zerstören und die Ergebnisse eines dreiviertel Jahrhundert Arbeit der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu vernichten. Denn auf diese Arbeit stützt sich in letzter Instanz auch die Kommunistische Partei." " Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben. Und die faschistische Agentur, die das Kleinbürgertum als Prellbock benutzt und alle Hemmnisse aus dem Wege räumt, leistet diese Arbeit bis zum Ende. Der Sieg des Faschismus führt dazu, dass das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe und Einrichtungen der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt: Staatsapparat und Armee, Gemeindeverwaltungen, Universitäten, Schulen, Presse, Gewerkschaften, Genossenschaften. Die Faschisierung des Staates bedeutet nicht nur die Mussolinisierung der Verwaltungsformen und –verfahren - auf diesem Gebiet sind die Veränderungen letzten Endes zweitrangig - sondern vor allem und hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, Zurückwerfung des Proletariats in amorphen Zustand, Schaffung eines Systems tief in die Massen dringender Organe, die eine selbständige Kristallisation des Proletariats unterbinden sollen. Darin besieht das Wesen des faschistischen Regimes."
"Die Arbeiter sind keineswegs ein für allemal gegen den Einfluss der Faschisten versichert. Proletariat und Kleinbürgertum bilden kommunizierende Röhren, besonders unter den jetzigen Umständen, wo die Reservearmee kleine Krämer, fliegende Händler usw. hervorbringen muss, das in Zersetzung befindliche Kleinbürgertum aber - Proletarier und Lumpenproletarier.
Angestellte, technisches und administratives Personal, gewisse Beamtenschichten haben in der Vergangenheit eine der wichtigsten Stützen der Sozialdemokratie abgegeben. Jetzt gingen oder gehen diese Schichten zu den Nationalsozialisten über. Sie können die Schicht der Arbeiteraristokratie mit sich ziehen - wenn das nicht schon begonnen hat. Auf dieser Linie bricht der Nationalsozialismus ins Proletariat von oben ein. Viel gefährlicher ist aber sein möglicher Einbruch von unten durch die Arbeitslosen. Keine Klasse vermag lange ohne Perspektiven und Hoffnungen zu leben. Die Arbeitslosen sind keine Klasse, aber schon eine sehr kompakte und dauerhafte soziale Schicht, die sich vergeblich bemüht, den unerträglichen Verhältnissen zu entrinnen. Ist es allgemein richtig, dass nur die proletarische Revolution Deutschland vor dem Zerfall und dem Ruin retten kann, so gilt das vor allem in Bezug auf die Millionen von Arbeitslosen."
War der Sieg der Nazis zwangsläufig? Wenn auch viele sozialdemokratische und kommunistische Arbeiter heldenhaft gegen die Nazis Widerstand leisteten und dabei ihr Leben einsetzten - wir können die Führung sowohl von SPD und KPD nicht von ihrer (politischen) Verantwortung für Hitlers Sieg freisprechen.

Trotzki verfolgt die Spur von 1933 zurück zur Niederlage der Novemberrevolution 1918:

"Die Novemberrevolution, die die Macht den Arbeiter- und Soldatenräten übergab, war in ihrer Grundtendenz proletarisch. Doch die an der Spitze der Arbeiterschaft stehende Partei gab die Macht dem Bürgertum zurück. In diesem Sinne eröffnete die Sozialdemokratie die Ära der Konterrevolution, ehe es der Revolution gelang, ihr Werk zu vollenden. Solange die Bourgeoisie von der Sozialdemokratie und folglich von den Arbeitern abhängig war, enthielt das Regime aber immer noch Elemente des Kompromisses. Bald ließ die internationale und die innere Lage des deutschen Kapitalismus keinen Raum mehr für Zugeständnisse. Rettete die Sozialdemokratie die Bourgeoisie vor der proletarischen Revolution, so hatte der Faschismus seinerseits die Bourgeoisie vor der Sozialdemokratie zu retten. Hitlers Umsturz ist nur das Schlussglied in der Kette der konterrevolutionären Verschiebungen."
Wie konnte es aber geschehen, dass in einem Land mit einer so starken, stolzen und traditionsreichen Arbeiterbewegung Hitler an die Macht kam, ohne dass eine Fensterscheibe zu Bruch ging?
Trotzki spürt gnadenlos die politischen Fehler der beiden Arbeiterparteien auf: "Für den Fall wirklicher Gefahr setzt die Sozialdemokratie ihre Hoffnungen nicht auf die »Eiserne Front« sondern auf die preußische Polizei" Eine trügerische Rechnung! Der Umstand, dass die Polizisten in bedeutender Zahl unter sozialdemokratischen Arbeitern rekrutiert wurden, will ganz und gar nichts besagen. Auch hier wird das Denken vom Sein bestimmt. Die Arbeiter, die Polizisten im Dienst des kapitalistischen Staates geworden sind, sind bürgerliche Polizisten und nicht Arbeiter. In den letzten Jahren hatten sich diese Polizisten weitaus mehr mit revolutionären Arbeitern zu schlagen als mit nationalsozialistischen Studenten. Eine solche Schule hinterlässt Spuren. Und die Hauptsache: jeder Polizist weiß, dass die Regierungen wechseln, die Polizei aber bleibt. (...)
Die Hoffnung auf den Präsidenten ist eben die Hoffnung auf den "Staat". Angesichts des herannahenden Zusammenstoßes zwischen Proletariat und faschistischem Kleinbürgertum - beide Lager bilden zusammen die überwältigende Mehrheit des deutschen Volkes - rufen die Marxisten vom "Vorwärts" den Nachtwächter zu Hilfe. »Staat greif ein!«"
Viele SPD-Mitglieder spürten die fatalen Auswirkungen dieser Politik. 1932 trat etwa der junge Willy Brandt (und mit ihm Tausende) aus Protest gegen den rechten Kurs des Parteivorstandes aus der SPD aus und in die neu gebildete SAP ein. Noch nach Hitlers Machtergreifung am 30. Januar 1933 wurden Jusos aus der SPD ausgeschlossen, weil sie den bewaffneten Kampf gegen Hitler vorbereiten wollten. Tatsache ist auch, dass viele Führer von SPD und Gewerkschaften im Frühjahr 1933 zu großen Zugeständnissen an Hitler bereit waren - in der (vergeblichen) Hoffnung, dadurch den Apparat, ihre Posten und ihre Haut retten zu können....
Die SPD-Führer wollten kein Blutvergießen - und bekamen im Endergebnis das größte und entsetzlichste Blutvergießen der Geschichte: die gezielte Massenvernichtung, den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg. Während also der SPD-Apparat auf den Staat setzte und seine Mitglieder und Anhänger im Grunde zur Passivität verdammte, leistete die KPD-Führung mit einer falschen politischen Einschätzung des Faschismus und dem Feindbild "Sozialfaschismus" (gemeint war die SPD) einen wesentlichen Beitrag zur Spaltung und Lähmung der deutschen Arbeiterbewegung. Im Grunde war alles rechts von ihr schon "faschistisch". So bestand letzten Endes aus ihrer Sicht zwischen der bürgerlichen Notverordnungsregierung Brüning. der SPD und Hitler kein wesentlicher Unterschied. Nachfolgend noch einmal O-Ton Leo Trotzki:
"Als Leitmotiv für ihre Forschungen über den Sozialfaschismus hat "Die Rote Fahne" Stalins Worte erkoren: »Der Faschismus ist eine Kampforganisation der Bourgeoisie, die sich auf die aktive Unterstützung der Sozialdemokratie stützt. Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus.«(...) Die Weisen, die sich dessen rühmen, dass sie keinen Unterschied zwischen Brüning und Hitler kennen, sagen in Wirklichkeit: ob unsere Organisationen noch bestehen oder ob sie schon zertrümmert sind, ist ohne Bedeutung."
Eben weil die KPD-Führer den grundsätzlichen Unterschied zwischen Faschismus und anderen Herrschaftsformen nicht erkennen wollten, blieben sie noch nach Hitlers Regierungsantritt passiv und abwartend - in der Hoffnung, der Faschismus werde sich schon selbst entlarven und abwirtschaften, und dann werde die Stunde der KPD anbrechen.

Hätte es eine Chance gegeben, den Faschismus in Deutschland zu verhindern?

Trotzki schlug die Bildung einer Einheitsfront der Arbeiterparteien vor:

"Die Kommunistische Partei muss zur Verteidigung jener materiellen und geistigen Positionen aufrufen, die das Proletariat in Deutschland bereits errungen hat. Es geht unmittelbar um das Schicksal seiner politischen Organisationen, seiner Gewerkschaften, seiner Zeitungen und Druckereien, seiner Heime, Bibliotheken usw. Der kommunistische Arbeiter muss zum sozialdemokratischen Arbeiter sagen: „Die Politik unserer Parteien ist unversöhnlich; aber wenn die Faschisten l heute nacht kommen, um die Räume Deinen Organisation zu zerstören, so werde ich Dir mit der Waffe in der Hand zu Hilfe kommen. Versprichst Du, ebenfalls zu helfen, wenn die Gefahr meine Organisation bedroht?“ Das ist die Quintessenz der Politik der jetzigen Periode. Die gesamte Agitation muss im diesem Stil geführt werden.....Je entschlossener, ernsthafter und überlegten wir diese Agitation führen werden - ohne Geschrei und Prahlerei, wovon die Arbeiter so rasch genug haben -, je sachlicher die organisatorischen Verteidigungsmaßnahmen sein werden, die wir in jedem Betriebe, in jedem Arbeiterviertel und Bezirk vorschlagen, umso geringer ist die Gefahr, dass der Angriff der Faschisten uns überraschen wird, umso größer ist die Gewissheit, dass dieser Angriff die Arbeiterreihen zusammenschweißen und nicht spalten wird.... Der deutsche Arbeiter ist erzogen im Geist von Organisation und Disziplin. Das hat seine starken und schwachen Seiten. Die überwiegende Mehrheit der sozialdemokratischen Arbeiter will gegen die Faschisten kämpfen, aber- vorwiegend noch - nicht anders als gemeinsam mit ihrer Organisation. Diese Etappe lässt sich nicht überspringen. Wir müssen den sozialdemokratischen Arbeitern helfen, in der Praxis - in der neuen, außergewöhnlichen Situation - zu überprüfen, was ihre Organisationen und Führer wert sind, wenn es um Leben und Tod der Arbeiterklasse geht. Man muss der Sozialdemokratie den Block gegen die Faschisten aufzwingen ".

Kurt Schumacher: Demokratie im Kapitalismus in Gefahr

Die verheerende Niederlage von 1933 hinterließ deutliche Spuren. "Der revolutionäre Kampf erfordert die revolutionäre Organisation. Neue Organisationsformen mit opferbereiten Kämpfern müssen entstehen", hieß es 1934 im "Prager Manifest" des SPD-Exilvorstandes. Und die Erfahrung mit faschistischer Herrschaft, Holocaust und Krieg beeinflusste Denken und Bewusstsein der Überlebenden und drückte auch weite Teile der SPD nach links. Dass das Großkapital Hitler gefördert und von Nazidiktatur, Krieg und Holocaust profitiert hatte, lag klar auf der Hand. Daher war die Sehnsucht nach einem neuen, wirklich demokratischen und sozialistischen Neuanfang in ganz Deutschland ab 1945 besonders groß.
"Karl Marx. Er wies uns den Weg. Seine Lehre ist unsere Lehre", lautete der Text eines offiziellen SPD-Plakates aus jener Zeit, auf dem Karl Marx (der bisher mit Abstand hervorragendste SPD-Politiker aus Rheinland-Pfalz) abgebildet ist.
Wenn der "Historiker" Kohl den ersten Nachkriegsvorsitzenden der SPD, Kurt Schumacher, mit dessen Wort von den "Kommunisten" als "rotlackierte Faschisten" demagogisch für seine Sache in Anspruch nimmt, dann übersieht er bewusst die anderen maßgeblichen Seiten der Persönlichkeit und Politik Kurt Schumachers. Während Kohls politischer Opa Konrad Adenauer in der Nazizeit weitgehend unbehelligt gelassen wurde, hatte Schumacher als KZ-Häftling die Nazi-Zeit nur mit angeschlagener Gesundheit überstanden. Seine Erfahrungen schlugen sich in seiner Rede auf dem SPD-Parteitag von Hannover im Mai 1946 nieder:
"Es gibt keinen Sozialismus ohne Demokratie, ohne die Freiheit des Erkennens und die Freiheit der Kritik. Es gibt auch keinen Sozialismus ohne Menschlichkeit und ohne Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit. Wie der Sozialismus ohne Demokratie nicht möglich ist, so ist umgekehrt eine wirkliche Demokratie im Kapitalismus in steter Gefahr. Auf Grund der besonderen geschichtlichen Gegebenheiten und Eigenarten der geistigen Entwicklung in Deutschland braucht die deutsche Demokratie den Sozialismus. Die deutsche Demokratie muss sozialistisch sein oder die gegenrevolutionären Kräfte werden sie wieder zerstören.... Sozialismus ist nicht mehr ein fernes Ziel. Er ist die Aufgabe des Tages. Die deutsche Sozialdemokratie ruft zur sofortigen sozialistischen Initiative gegenüber allen praktischen Problemen in Staat und Wirtschaft auf allen Stufen des staatlichen und wirtschaftlichen Lebenslauf...
Wir brauchen die soziale Reformarbeit. Aber soziale Reformarbeit ist noch nicht revolutionäre Umgestaltung, und sozialpolitische Veränderung ist noch nicht entscheidende gesellschaftliche Veränderung."

Nach 1945: Stalinismus in Osteuropa.

Als Ergebnis des 2. Weltkrieges war Stalins Sowjetarmee bis nach Mitteleuropa, nach Berlin, Wien und Belgrad vorgedrungen. Während die kapitalistischen und; faschistischen Kräfte vor den sowjetischen Panzern in Richtung Westen Hohen, hofften revolutionäre Arbeiter nicht nur in Osteuropa auf einen wirklich sozialistischen Neuanfang. Doch die ; Sowjetbehörden und die von ihren Gnaden in Schlüsselpositionen der neu entstehenden Ostblockstaaten eingesetzten Führer der KPs würgten sehr schnell jeden Ansatz einer unabhängigen Bewegung und Selbstorganisation der arbeitenden Menschen ab und errichteten Regimes mehr oder weniger nach dem Muster der stalinistischen Sowjetunion. Durch eine Reihe von Säuberungen, denen auch viele oppositionelle kommunistische Arbeiter zum Opfer fielen, wurde so etwa die SED nach der Niederschlagung des Aufstandes vom Juni 1953 endgültig zum Herrschaftsinstrument der stalinistischen Bürokratie.

...bietet Vorwand für Rechtsruck im Westen.

Die abschreckenden Erfahrungen mit stalinistischen Methoden boten in Westdeutschland den willkommenen Anlaß und Vorwand, um sehr bald die alten kapitalistischen Verhältnisse wiederherzustellen. Die meisten Kriegsgewinnler, Konzernherren und Bankiers überstanden die oberflächliche "Entnazifizierung" durch die Westmächte erstaunlich gut und saßen rasch wiederum Ruder. Als der Ludwigshafener Oberschüler Helmut Kohl in die CDU eintrat, konnten alte Nazis über diese Partei wieder steile Karrieren machen. Auch die Spitzen von SPD und Gewerkschaften fanden in den Erfahrungen mit stalinistischer Herrschaft einen willkommenen Vorwand für eine Abkehr von den linken und klassenkämpferischen Zielen und Programmen der unmittelbaren Nachkriegszeit und eine Anpassung nach rechts.
So offenbarte sich auch in dieser Hinsicht der Schaden, den der Stalinismus für das (Selbst) Bewusstsein und die Moral der Arbeiter und Ost und West angerichtet hat. Brutale politische Unterdrückung der arbeitenden Menschen - angeblich im Namen des Sozialismus, im Namen von Marx und Lenin - war Wasser auf die Mühlen der Rechten. Es besteht für Marxisten nach wie vor kein Anlass, die politischen Zustände in diesen Staaten nachträglich "nostalgisch" zu beschönigen und die Gräueltaten der Stalin-Ära zu rechtfertigen, zu vertuschen oder gar mit Marx und Lenin zu begründen.
Auch wenn wir in der strikten Ablehnung der Privatisierungen und des Ausverkaufs von Staatsbetrieben und Grundstücken mit einigen Stalinisten einer Meinung sind, so trennen uns ansonsten doch Welten.
Der Stalinismus war ein Irrweg der Geschichte und keine grundsätzlich neue gesellschaftliche Formation.
Mit ihren totalitären Kommandomethoden hat es die Staatsbürokratie im Osten geschafft, viele positive Errungenschaften der Planwirtschaft zu zerstören. Und weil die derart sabotierte Planwirtschaft nicht mehr genug für ihre Privilegien hergab, wurden in den letzten 5-7 Jahren bekennende "Marxisten-Leninisten" vom Schlage eines Boris Jelzin oder Michail Gorbatschow fast über Nacht zu glühenden Verfechtern der kapitalistischen Marktwirtschaft! Schon allein dieser rasche "Sinneswandel" zeigt, wie hohl und nichtssagend die jahrzehntelangen Bekenntnisse dieser "Apparatschiks" zum Sozialismus gewesen sind.

War die Sowjetunion imperialistisch?

Obwohl manchen Linken dieses Wort leicht über die Lippen geht: die Sowjetunion war strenggenommen nicht "imperialistisch" gegenüber ihren "befreundeten" Staaten. "Imperialismus" ist weit mehr als die Entsendung von Truppen in ein anderes Land. Der Imperialismus des 20. Jahrhunderts ist im wesentlichen eine vom Finanzkapital der kapitalistischen Hochburgen ausgehende Politik der Ausdehnung von Interessensgebieten, der Suche nach Absatzmärkten und Rohstoffquellen, der Unterjochung kleinerer und schwächerer Länder wie vor allem der "3. Welt" unter die Profitinteressen der Multis, der gezielten Ausplünderung dieser Länderund Völker. In diesem Sinne betrieb die Sowjetunion gegenüber ihren "Satelliten" im Ostblock und in Übersee keine imperialistische Politik. Bei genauerer Betrachtung war die Aufrechterhaltung des RGW/Comecon der osteuropäischen Länder für die Kreml-Bürokraten eher noch ein Zuschussbetrieb. Während es etwa unter dem westlichen Imperialismus der Masse der Bevölkerung in den karibischen und lateinamerikanischen "Bananenrepubliken" immer schlechter gegangen ist, konnte die kubanische Planwirtschaft (mit östlicher Subventionierung bis 1990) über Jahrzehnte der Bevölkerung ein hohes Niveau in Sachen Bildung, Gesundheitswesen und Lebenserwartung bieten, das in Lateinamerika fast einmalig war.

Wie "demokratisch" ist die westdeutsche Demokratie wirklich?

Entgegen aller Propaganda müssen wir feststellen: Kapitalismus heißt nicht automatisch Demokratie, ebenso wenig wie Planwirtschaft zwangsläufig totalitäre Diktatur bedeuten muss. Solange die wirtschaftliche Macht in den Händen weniger Großkonzerne und Banken ruht, haben auch sie und nicht die vom Volk gewählte Regierung das letzte, entscheidende Wort. Alle demokratischen Rechte und sozialen Absicherungen sind keine Almosen der Unternehmer, sondern wurden letzten Endes durch massiven Druck von unten (und gegen viele Widerstände) erkämpft. Die aktuellen Erfahrungen zeigen: demokratische Rechte und sozialstaatliche Einrichtungen sind in Gefahr, solange das kapitalistische System besteht.
Die westdeutsche "Demokratie" zeigte nie Skrupel, wenn es darum ging, kapitalistische Interessen in aller Welt auch mit brutaler Gewalt abzusichern. Der Bundesnachrichtendienst (BND) half unter seinem ("liberalen") Präsidenten Klaus Kinkel (!) Anfang der 80er Jahre gemeinsam mit dem damaligen bayerischen Innenminister Stoiber (!) maßgeblich bei der Aufrüstung des Regimes von Saddam Hussein im Irak mit. BRD-Regierungen, auch solche mit sozialdemokratischen Außenministern und Kanzlern (1966-82) deckten den Völkermord der USA im Vietnamkrieg und die Verwicklung der USA in den Militärputsch gegen den chilenischen Präsidenten Allende (1973) ebenso wie die Zusammenarbeit mit den Militärdiktaturen und "NATO-Partnern" in Griechenland und Portugal (bis 1974).

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