Kategorie: Antifaschismus |
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Gewaltbereite Neonazis auch im Westen |
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Alltägliche Auseinandersetzungen mit einer gewaltbereiten Neonazi-Szene gibt es nicht nur in Vorpommern, der Sächsischen Schweiz oder Thüringen. Gut ein Jahr nach dem brutalen Überfall örtlicher Neonazis auf ein Sommercamp der hessischen Linksjugend ['solid] im Schwalm-Eder-Kreis, bei dem eine schlafende 13-jährige frühmorgens in ihrem Zelt von den Tätern angegriffen und am Kopf schwer verletzt wurde, sehen Antifaschisten in der nordhessischen Region keinen Grund zu Entwarnung. Am Mittwoch standen Neonazis aus dem Umfeld der „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ erneut vor Gericht. | |||
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Michel Mager, Kreistagsmitglied der LINKEN, hatte erstmals Anfang 2008 die Umtriebe dieser „klassischen Neonazi-Kameradschaften“ im Kreis wahrgenommen. Er war auch am Mittwoch Nachmittag zur Stelle, als das örtliche Amtsgericht in Schwalmstadt ein Urteil über vier rechtsextreme Jugendliche zwischen 18 und 20 Jahren verkündete. Diese hatten im letzten Jahr in der nordhessischen Ortschaft Todenhausen linke Jugendliche auf der Straße überfallen, zusammengeschlagen und ihnen ihre Mobiltelefone entrissen. Jetzt standen sie wegen Körperverletzung und Raub vor Gericht. Zwei der Angeklagten wurden zu je einer Woche Jugendarrest verurteilt, einer zu 50 Arbeitsstunden. Das Verfahren gegen einen weiteren Neonazi-Aktivisten wird bei einem Bußgeld von 800 Euro eingestellt. Die Linksfraktion im Hessischen Landtag kritisierte diese Urteile als „äußerst mild“ und beklagte „das Versagen staatlicher Stellen im Umgang mit dem organisierten Neo-Faschismus“. Der Polizei sei der Überfall von Todenhausen nicht mal eine Pressemeldung wert gewesen und die Gerichtsverhandlungen fänden erst ein Jahr danach statt, bemängelte der Abgeordnete Hermann Schaus. In einer zweiten „Runde“ Anfang September will das Gericht über das Strafmaß für weitere sechs Angeklagte urteilen, darunter auch Kevin S., der bereits Anfang 2009 wegen seiner Attacke gegen das Linksjugend-Camp zu einer 27-monatigen Jugendstrafe verurteilt worden war. In dem südlich von Kassel gelegenen Landkreis mit rund 190.000 Einwohnern hatte ein von der NPD initiiertes „Bürgerbündnis pro Schwalm-Eder“ bei der letzten Kommunalwahl einen Sitz im Kreistag errungen. Doch während sich der für das inzwischen ausgeschiedene gewählte Kreistagsmitglied nachgerückte NPD-Mann in den Sitzungen auf der parlamentarischen Ebene eher rar macht und die Aufbauarbeit der Partei im Kreis nicht vorankommt, zeigen sich die NPD-nahen „Freien Kräfte Schwalm-Eder“ umso rühriger und tatendurstiger. Weil die „Freien Kräfte“ nun auch verstärkt an Schulen Präsenz zeigen und Mitglieder zu rekrutieren versuchen, ziehen inzwischen in einigen Schulen auch Lehrer und Schüler gegen die Neonazis an einem Strang. Nachdem zunehmende Aufkleber der „Freien Kräfte“ angebracht wurden und in einigen Berufsschulklassen rechtsextrem inspirierte Schüler Andersdenkende einschüchterten und die Meinungsführerschaft an sich zu reißen versuchten, zeigten sich der zuständige Schulleiter Karl Weinrich und sein Lehrerkollegium an den Beruflichen Schulen Ziegenhain nach Berichten in der Lokalpresse zum Handeln entschlossen. Die Schule holte sich kompetente Hilfe von Kennern der rechtsextremen Szene im Landkreis, um sich für die politische Auseinandersetzung fit zu machen. „In den Beruflichen Schulen dulde ich keine Agitation, keine rechte Kleidung und kein rechtes Verhalten“, stellt Weinrich klar. Schüler, die sich nicht daran hielten, müssten mit Sanktionen bis zum Schulverweis rechnen. Der Landkreis hat inzwischen eine Beratung für Aussteiger aus der Neonazi-Szene eingerichtet. Ein Runder Tisch „Schwalm bleibt bunt“ wurde ins Leben gerufen. Am 1. September möchten sich antifaschistische Initiativen wie auch gewerkschaftliche und politische Jugendorganisationen bei einem gemeinsamen „Markt der Möglichkeiten“ präsentieren. Etliche Teilnehmer am Linksjugend-Sommercamp aus dem Schwalm-Eder-Kreis und Zeugen des Überfalls auf das Linksjugend-Sommercamp erlebten übrigens gut ein halbes Jahr später wieder einen Neonazi-Überfall – bei der Rückfahrt von einer großen antifaschistischen Demonstration in Dresden im vergangenen Februar. Wie berichtet wurden damals am Autobahnrasthof Teufelstal an der A 4 bei Jena Reisende in einem vom DGB Nordhessen gecharterten Bus von Neonazis überfallen und tätlich angegriffen. Ein Gewerkschafter aus dem Schwalm-Eder-Kreis wurde dabei krankenhausreif zusammengeschlagen und musste einen Tag später in der Universitätsklinik Jena wegen eines Schädelbruchs operiert werden. Rückblickend kritisiert der Betroffene den "dürftigen" Einsatz der Staatsgewalt vor Ort. Die Polizeikräfte hätten den Zwischenfall als Lappalie bewertet, wenig Interesse für die Schwere seiner Verletzung gezeigt und sich später auch nicht in der Klinik nach seinem Gesundheitszustand erkundigt. Die Tatsache, dass die Staatsorgane bis zum heutigen Tage immer noch ermitteln und seines Wissens bislang noch keine Anklage erhoben worden sei, könnte auch mit dem nahen Landtagswahltermin in Thüringen am 30. August zusammenhängen, mutmaßt der Gewerkschafter und Familienvater: "Vielleicht will man das Ganze bis nach dem Wahltermin hinauszögern." Arbeiterbewegung und Linke dürfen sich also nicht darauf ausruhen, dass Neonazis wahrscheinlich keine Chance haben, in den nächsten Bundestag zu kommen. Wir müssen den Anfängen wehren und vor allem ein konsequentes antikapitalistisches und demokratisch-sozialistisches Programm gegen die Krise anbieten, das im Gegensatz zu den (scheinbar kapitalismuskritischen aber in Wirklichkeit durch und durch nationalistischen, rassistischen und antidemitischen) Phrasen mancher Neonazis wirklich Hand und Fuß hat. |