Kategorie: Deutschland |
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Nach den Blockupy-Protesten – was nun? |
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Nach drei Tagen strikter Veranstaltungsverbote war die internationale Frankfurter Blockupy-Demonstration am 19. Mai für viele der gut 25.000 TeilnehmerInnen die erste größere Demo seit langer Zeit, für manche auch die erste in ihrem Leben. Die Stimmung war fröhlich, solidarisch und selbstbewusst. Es war eine bunte Mischung von Menschen aller Generationen und aus unterschiedlichen Organisationen, die dem Aufruf für internationale Solidarität und gegen den europäischen Fiskalpakt folgten. | |||
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Schätzungsweise 5000 Teilnehmer waren aus Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich, Belgien und anderen europäischen Ländern angreist. Unübersehbar waren Fahnen, Transparente und Schilder der Partei DIE LINKE und des Netzwerks Attac. Viele fantasievoll erstellte Transparente und Schilder kritisierten nicht nur den Fiskalpakt, die vorherrschende neoliberale Politik und die vorgeblichen „Sachzwänge“ zum Schuldenabbau, sondern den Kapitalismus insgesamt und die ihm zu Grunde liegende Vorherrschaft des Profits und des Privateigentums an Produktionsmitteln und gesellschaftlichen Reichtümern. Die von manchen erwartete oder befürchtete Randale fand nicht statt. Verbote, Verbote, Verbote Unterm Strich nahmen nicht nur die TeilnehmerInnen, sondern eine breite Öffentlichkeit diese Demonstration als großen Erfolg wahr. Aller Hetze und allen Provokationen der Staatsgewalt zum Trotz kam die Botschaft einer kapitalismuskritischen Veranstaltung über die meisten Medien mehr oder weniger rüber und fand in der Öffentlichkeit Anklang. Für einige Tage war der Begriff „Kapitalismuskritik“ in vielen bürgerlichen Medien sogar überwiegend positiv besetzt. Dies ist umso wichtiger, als auch die tagelangen, vom örtlichen Frankfurter CDU-Grünen-Magistrat und vom hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) ausgehenden Veranstaltungsverbote, rechtswidrigen Festnahmen, Platzverweise und eine faktische Abriegelung der Innenstadt und Panikmache die DemoteilnehmerInnen ganz überwiegend nicht provozieren konnten. Schon seit Mittwochabend hatten sich mehrere tausend Menschen den Versammlungsverboten widersetzt und waren zu den für die Veranstaltung vorgesehenen Plätzen in der Frankfurter Innenstadt gekommen, um sich ihr Demonstrationsrecht trotz obrigkeitsstaatlicher Verbote nicht nehmen zu lassen. Verboten waren harmloseste Diskussionsveranstaltungen zur „Finanzmarktkrise“, Musikveranstaltungen, Zelte, Infostände, Megafone und Lautsprecher. Polizisten verwehrten Frankfurter Stadtverordneten der LINKEN und Piratenpartei Zugang zur Innenstadt und damit auch zum Rathaus. Eine ankommende Gruppe slowenischer Gewerkschafter durfte im Frankfurter Hauptbahnhof nicht einmal den Zug verlassen und wurde wieder heimgeschickt. Die Polizeiaktionen – Räumung des seit Oktober bestehenden Occupy-Camps vor der Europäischen Zentralbank (EZB), stundenlange Festnahmen von anreisenden Demonstranten, gewaltsame Übergriffe auf einzelne Personen, Sperrung von S- und U-Bahn-Stationen, weitgehende Abriegelung der Innenstadt – wirkten wie ein faktischer Ausnahmezustand und erinnerten an das Deutschland der 1920er Jahre oder die demonstrative Machtentfaltung von in die Jahre gekommenen Diktaturen oder Halbdiktaturen in aller Welt. Anreisende Busse mit Fahrtrichtung Frankfurt wurden auf der Autobahn stundenlang von Hubschraubern und Polizei verfolgt. Dies erinnerte auch an die Erfahrung bundesdeutscher Demonstranten, die Mitte der 1990er Jahre in Paris gegen französische Atombombenversuche in der Südsee protestieren wollten und bei ihrer Ankunft in der französischen Hauptstadt sofort von Polizisten in Polizeigebäude eskortiert und dort einen Tag lang festgehalten wurden. Nachspiel Diese Vorgänge und Erfahrungen haben in der bundesdeutschen Innenpolitik eine neue Qualität erreicht und werden ein längeres politisches und juristisches Nachspiel haben und die Gerichte beschäftigen. So kam nicht nur die Forderung nach einem Rücktritt von Innenminister Rhein auf. Viele hundert Demonstranten, die bei der Anreise in ihren Bussen außerhalb Frankfurts festgehalten wurden und einen Platzverweis bekamen, haben Rechtsanwälte eingeschaltet. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE will nicht auf sich sitzen lassen, dass ihr verboten wurde, mit einem Veranstaltungszelt in der City über ihre Arbeit und Zielsetzungen zu informieren. Die Blockupy-Veranstalter wollen die verbotenen Veranstaltungen und Diskussionen mit einem Kongress im Herbst nachholen und verlangen dafür die Kostenübernahme durch die Stadt Frankfurt. Die tagelangen Auseinandersetzungen mit den ihre Macht ausspielenden, schwer bewaffneten Polizeikräften war – nebenbei gesagt – für viele eine handfeste Lektion in Sachen Staatstheorie. Denn der Staat ist laut Friedrich Engels kein neutrales, über den Klassen stehendes Organ, sondern in letzter Konsequenz eine besondere Formation bewaffneter Menschen zur Aufrechterhaltung und zum Schutz der bestehenden Eigentumsverhältnisse und Klassenherrschaft. Dass aber selbst Bereitschaftspolizisten, die von ihren Vorgesetzten wochenlang auf ihren Einsatz vorbereitet und „scharf gemacht“ worden waren, unter dem Eindruck von Argumenten ziviler Demonstranten ins Grübeln kamen, wird im folgenden Augenzeugenbericht eines Frankfurter Gewerkschafters und Bankmitarbeiters deutlich: „Man verbot Gewerkschaftern das Betreten des Frankfurter DGB-Hauses – das aber ohne Erfolg. Denn der Hinweis, so etwas sei seit dem Machtantritt der Nazis im Jahre 1933 nicht mehr passiert, machte sogar die Polizeiführung nachdenklich. Mehrmals verwiesen Gewerkschafter im DGB-Jugendkeller gegenüber anrückenden Polizisten auf ihr Hausrecht und die Polizisten zogen wieder ab. Anfangs versuchte die Polizei-Einsatzleitung, Gespräche von Polizisten mit Demonstranten zu unterbinden. Aber allmählich änderte sich das. Die Polizisten waren irritiert über das, was sie sahen und hörten. So führte ich im Laufe der vier Tage insgesamt rund 50 Debatten mit kleinen Gruppen von PolizistInnen über die im Rahmen des Fiskalpaktes zu erwartenden Gehaltskürzungen im Öffentlichen Dienst, die auch sie betreffen werden. Ich berichtete ihnen frisch aus meinem Urlaub auf Kreta, wo man den dortigen Polizisten 30% des Gehalts gestrichen hatte. Alle fragten mich: ‚Und was machen die dann?’ Meine Antwort: lautete: ‚Dienst nach Vorschrift’. Die große Mehrheit der Polizisten räumte mir gegenüber ein, eigentlich das Gefühl zu haben, auf der falschen Seite zu stehen. Viele teilten die Ansicht, dass die Taktik der Einsatzleitung, alles zu blockieren, eh unverhältnismäßig bis lächerlich sei. Aber es sei nun mal ihr Job, diesen Unsinn auszuführen. Überall kam es zu Diskussionen zwischen Demonstranten und Bürgern und Polizisten – und man kam sich näher.“ So weit ein Augenzeugenbericht im O-Ton. Blockade ganz anders Die Zielsetzung des Blockupy-Bündnisses, mit einer symbolischen Blockade der Zugänge zur Europäischen Zentralbank (EZB) und anderer Geldinstitute am Freitag, 18. Mai 2012, den Geschäftsbetrieb empfindlich zu stören, kam anders zu Stande, als es sich die Urheber eigentlich gedacht hatten. Denn die Blockade ging von den aus allen Bundesländern zusammengezogenen Bereitschaftspolizisten aus, die in kurzen Abständen Sperren errichteten und selbst Bankangestellte stoppten, die auf Anweisung ihrer vorgesetzten nicht mit Anzug und Krawatte, sondern in legerer Freizeitkleidung erschienen. Viele Banken hatten ihren Beschäftigten allerdings auch einen Tag Urlaub verordnet oder den Tag freigegeben, manche hatten aber auch die Geschäfte für diesen Tag schlicht und einfach an andere Standorte verlagert. Panische Ladenbesitzer und Gastwirte ließen vorab Fensterschreiben mit Holzbrettern verbarrikadieren. Der durch die Polizei angerichtete ökonomische Schaden für Banken, Tourismus und Einzelhandel war dank der Absperrung der City riesig. Viele machten sich über Innenminister Rhein und die Verantwortlichen im Römer, dem Frankfurter Rathaus, lustig. So kursierten Witze wie folgender: Obelix: "Die spinnen, die Römer. Um zu verhindern, dass Blockupy die Banken blockiert, blockieren die Polizisten selbst die Banken!" Auch „Normalbürger“, die mit den Blockupy-Aktionstagen nichts zu tun hatten und nicht zur Demonstration kamen, waren über das Verhalten der Behörden entsetzt. Mobilisierungsschwäche Der vor allem von der Samstagsdemo und dem weit verbreiteten Kopfschütteln über das teilweise absurde staatliche Handeln ausgehende mediale Erfolg der Veranstalter kann bei näherer Betrachtung allerdings nicht über die politisch-organisatorische Mobilisierungsschwäche von Blockupy trotz monatelanger Vorbereitung hinwegtäuschen. Denn die allermeisten Demonstranten waren erst am Samstagvormittag angereist. Etwa 2000 bis 3000 am Freitag anwesende Blockupy-Unterstützer – so schätzen Insider – in ganz Frankfurt hätten es aus eigener Kraft kaum geschafft, sich gegen ein Mehrfaches an Polizisten zu behaupten und das Herz des Blockupy-Vorhabens, die für den Freitagvormittag vorgesehene physische Bankenblockade, durchzuziehen. „Die EZB wird derzeit nicht von uns, aber wegen uns blockiert“, brachte es eine Blockupy-Sprecherin auf den Punkt. Damit ist klar, dass für die Idee einer aktiven Bankenblockade „von außen“ auch trotz des internationalen Charakters der Blockupy-Tage, trotz dramatischer Zuspitzung der Lage in Südeuropa und trotz riesiger medialer Aufmerksamkeit unterm Strich nicht mehr Menschen für den Freitag mobilisiert werden konnten als für das im Oktober 2010 vorgesehene ähnliche Projekt einer Bankenblockade. Damals hatte eine „Aktionsgruppe Georg Büchner“ von Juni bis Oktober 2010 intensiv eine frühmorgendliche zivile Blockadeaktion mitten im Frankfurter Bankenviertel geplant und die Hoffnung geweckt, damit den Geschäftsbetrieb lahmzulegen. Die Aktion wurde damals mangels Masse und Anmeldungen wenige Wochen vor dem Stichtag abgeblasen. Ein Teil der Organisatoren von damals war auch jetzt bei Blockupy wieder dabei und hoffte auf ein Mehrfaches an TeilnehmerInnen. Offensichtlich ist dies nicht gelungen. Ob die Mobilisierung stärker oder schwächer gewesen wäre, wenn die Blockade nicht – wie 2012 – an einem Brückentag (dem Freitag nach Christi Himmelfahrt), sondern an einem regulären Werktag anberaumt gewesen wäre, ist schwer abzuschätzen. Es ist aber anzunehmen, dass die Staatsgewalt schon 2010 mit aller Macht Bereitschaftspolizisten aufgefahren hätte, um das „Allerheiligste“ im Bankendistrikt vor Blockadeaktionen zu schützen. Die Banken konnten am Montag nach der Demo wieder weitgehend zum „Business as usual“ übergehen Von innen oder außen? Offensichtlich hatten sich die Blockupy-Aktivisten lange darauf verlassen, dass sie für den Freitagsaktionen deutlich mehr Masse aus dem In- und Ausland mobilisieren würden als im Herbst 2010. Allem Anschein nach hat sich auch kaum jemand unter den Occupy-Koordinatoren rechtzeitig den Kopf darüber zerbrochen, dass die Blockade eines Geschäftsbetriebs am wirksamsten ist, wenn sie „von innen“ – also aus dem Betrieb heraus – kommt. In Frankfurt arbeiten schätzungsweise 70.000 Menschen bei Banken – also deutlich mehr als in der Industrie. Die Belegschaften in den Bankentürmen bestehen längst nicht nur aus gut verdienenden Spezialisten, Brokern und Analysten und Chefökonomen, sondern zu einem guten Teil aus Angestellten mit durchschnittlichen Einkommen und unterdurchschnittlich verdienenden Büro- und Servicekräften, Reinigungs- und Küchenpersonal, Dienstboten und Druckern. Ein systematischer, professionell angelegter Versuch, diese Belegschaften durch wochenlange Überzeugungsarbeit für die Proteste gegen Bankenmacht und Kapitalismus zu gewinnen, fand nicht statt. Erst sehr spät gab es hastig geschriebene Flugblätter und Presseerklärungen, in denen die Blockupy-Veranstalter klarstellten, dass sich die Proteste nicht gegen die Belegschaften richteten. Ein Großteil der Belegschaften dürfte damit nicht erreicht worden sein. Die Chance, einen direkten Bezug zur laufenden Tarifrunde bei den Privatbanken und den Konflikten bei der Postbank herzustellen, wurde bei weitem nicht optimal genutzt. Gewerkschaften Auch die Beteiligung der Gewerkschaften an der Blockupy-Demo blieb relativ gering. Es war vor allem eine von der „linken Szene“ beherrschte Demo. Zwar hatten etliche demonstrierende Gewerkschaftsmitglieder ihre Fahnen mitgebracht. Aufgerufen hatten immerhin einzelne Gliederungen wie der ver.di-Bezirk Stuttgart, die GEW Hessen und die ver.di-Jugend Hessen. Aber das in den Gewerkschaften steckende Potenzial blieb weitgehend verschlossen. Der oben beschriebene Schutz von Demonstranten im Frankfurter DGB-Jugendkeller vor dem Zugriff durch Polizisten ist denkwürdig und symbolisch zugleich, zumal die Akteure des Occupy-Camps im Oktober bei ihren wöchentlichen Demos keine Gewerkschaftsfahnen wollten. 25.000 Demonstranten sind eine beachtliche Zahl, im Vergleich zur aktuellen sozialen Protestbewegung in Südeuropa jedoch erst ein ganz zaghafter Anfang in der 82 Millionen Einwohner zählenden Bundesrepublik Deutschland. Bei halbwegs konsequenter Mobilisierung können die DGB-Gewerkschaften – wie etwa 1996 oder 2004 – Hunderttausende auf die Beine bringen. Ungeduld darüber, dass die Lage in Deutschland – scheinbar und oberflächlich betrachtet – noch viel stabiler ist als anderswo in Europa, hilft uns nicht weiter. Die herrschende Klasse hierzulande hat es bisher geschafft, durch ein System des „Teile und Herrsche“ sowie durch einzelne, bescheidene Zugeständnisse größere Bewegungen zu verhindern. Dies kann und wird sich ändern. Darauf müssen wir uns vor allem politisch, inhaltlich und programmatisch vorbereiten. Antikapitalismus – und jetzt? Angesichts der Empörung über das ebenso harte wie groteske Vorgehen der Staatsgewalt stand und steht – nicht ohne Grund – die Frage demokratischer Rechte vielfach im Vordergrund. Die gemeinsame Klammer der Blockupy-Proteste bestand in der Kritik an Banken, Regierungen, EU und Kapitalismus. Solche zentralen Demos sind wichtig. Unsere Aufgabe ist es jetzt jedoch, den Protest dezentral in jede Stadt, jede Gemeinde, jeden Betrieb zu tragen. Und das geht halt immer noch nach dem altbekannten Motto: Aufklären, mobilisieren und organisieren. Dabei kommt es darauf an, über den „Antikapitalismus“ der Blockupy-Proteste hinaus ein alternatives Programm und Perspektiven des Kampfes für die Überwindung des Kapitalismus zu entwickeln. „Sozialismus oder Barbarei“ – diese Feststellung von Rosa Luxemburg ist in der heutigen Welt so aktuell wie zu ihren Lebzeiten vor 100 Jahren. Die Staatsschuldenkrise in Europa und die erneute massenhafte Verelendung von Millionen Menschen sind eine riesige Herausforderung für Arbeiterbewegung und linke Organisationen. Mit einer marxistischen Analyse können wir die Ursachen und Tiefe der Krise begreifen. Mit einem sozialistischen Übergangsprogramm können wir eine Brücke schlagen zwischen den Alltagsnöten und der Notwendigkeit einer sozialistisch-demokratischen Gesellschaftsordnung, in der die Banken, Großkonzerne und Schaltstellen der wirtschaftlichen Macht in Staatshänden ruhen und demokratisch kontrolliert und verwaltet werden. Zur weiteren Klärung und Diskussion über Krisenursachen, Perspektiven und Alternativen empfehlen wir unsere neue Broschüre „Krise, Schulden, Staatsbankrotte – Debattenbeitrag zur Krisenanalyse und antikapitalistischer Programmatik, Rote Reihe Nr. 34, Preis 3 Euro, Solipreis 5 Euro. Zu bestellen bei der Redaktion: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! |