Kategorie: Deutschland

Bundestagswahl und Hessenwahl – Rückblick und Ausblick

Dass die zurückliegende Bundestagswahl und die Landtagswahl in Hessen mehr Fragen als Antworten gegeben und die innenpolitischen Verhältnisse „durcheinandergewirbelt“ haben, zeigen konkrete Wahlergebnise (siehe Tabellen) und politische Reaktionen in den letzten Tagen.


So richtig an diesem Wahlerfolg berauschen kann sich eigentlich niemand. Die als glänzende Wahlsiegerin und gar als „Königin“ dargestellte Kanzlerin Angela Merkel kann sich auf 18,15 Millionen Zweitstimmen für CDU/CSU stützen.  Das sind weniger als 30 Prozent aller 61,15 Millionen Wahlberechtigten. Bei den Bundestagswahlen 1990, 1994 und 2002 hatten CDU/CSU deutlich mehr absolute Zweitstimmen. Auch bei den anderen Parteien sprechen die absoluten Zahlen für sich.

 

Tabelle: Zweitstimmen bei Bundestagswahlen seit 1990 in Mio.

 

Zwar haben – auch aufgrund der Schwäche von SPD und LINKEN – die maßgeblichen bürgerlichen Parteien CDU/CSU, FDP und AfD in der Summe eine absolute Mehrheit von rund 51 Prozent der abgegebenen Stimmen errungen. Doch mit dem historischen Scheitern der FDP an der Fünf-Prozent-Hürde haben Merkel und die Union ihren Koalitionspartner und hat das deutsche Kapital seine rein bürgerliche Wunschregierung verloren. Wie schon bei der Bundestagswahl 2005 besteht im künftigen Bundestag eine rechnerische Mehrheit für SPD, Grüne und LINKE. Das hatte die herrschende Klasse ebenso gewollt wie die Führung von SPD und Grünen.

Wie schon damals strebt die SPD-Führung nun mit aller Macht in die Große Koalition mit der CDU/CSU. Das ist genau die Konstellation, die der Kanzlerkandidat Peer Steinbrück noch vor wenigen Tagen so vehement ausgeschlossen hatte.  Auch jetzt wünschen sich viele Wirtschaftsführer und Vordenker des Kapitals, dass unter den gegebenen Mehrheitsverhältnissen die SPD nach dem Motto „mitgefangen-mitgehangen“ in die Regierung eingebunden wird. Sie soll die anstehenden „unangenehmen“ Entscheidungen mittragen, an einer neuen „Agenda 2020“ mitwirken und zur Mäßigung der Gewerkschaften beitragen.

Erinnern wir uns an die Tage unmittelbar nach der Bundestagswahl 2005. Damals verloren SPD und Grüne als Folge ihrer Agenda 2010 die Mehrheit. Der scheidende Kanzler Gerhard Schröder und der damalige Parteichef Franz Müntefering bestimmten nach der Basta-Methode den Weg in diese Koalition und die Fortsetzung der Agenda-Politik und kürten über die Köpfe der Parteigliederungen hinweg den Schröder-Vertrauten Frank-Walter Steinmeier zum Außenminister und Viezkanzler. Es folgten der Wortbruch bei der Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19 Prozent und die „Rente 67“. Die Quittung war 2009 der Absturz der SPD unter dem Kanzlerkandidaten Frank-Walter Steinmeier auf 23 Prozent und 9.9 Millionen Stimmen.

Dass sich heute, 2013, so viele kritische Stimmen an der SPD-Basis und ganze Landesverbände der Partei offen gegen eine Große Koalition aussprechen, spricht Bände und zeigt, wie sehr sich die Stimmung seit 2005 verändert hat. Viele befürchten, dass die Partei als Folge einer Großen Koalition zerrissen werden könnte. Viele sehen keine gemeinsame politische Basis für eine Zusammenarbeit mit der Union. Unter diesem Druck muss nun Parteichef Sigmar Gabriel der SPD-Basis das Zugeständnis eines Mitgliedervotums über das Regierungsprogramm machen, dass die Unterhändler von CDU/CSU und SPD nun erarbeiten sollen. Ob überhaupt bzw. welche Bonbons, Placebos und „Zugeständnisse“ die SPD-Unterhändler der CDU/CSU am Verhandlungstisch tatsächlich abtrotzen können, um damit die Basis zu beruhigen, bleibt abzuwarten. Ein Mitgliederentscheid, bei dem jedes Mitglied per Briefwahl abstimmen kann, birgt in der heutigen Lage mehr Risiken als ein Sonderparteitag, bei dem eine mit allen Wassern gewaschene Parteibürokratie die angereisten Delegierten mit Zuckerbrot und Peitsche gefügig machen, unter Druck setzen und erpressen kann. Allerdings fehlt auch der „SPD-Linken“ offenbar eine entschlossene Führung, die den Unmut über die anstehende Große Koalition zum Ausdruck bringt und bündelt und eine klare Alternative aufzeigt.

 

Hessische Verhältnisse

 

Auch bei der zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfinden Landtagswahl in Hessen wurde Schwarz-Gelb abgewählt. Doch so richtig glücklich kann auch hier keine der maßgeblichen Parteien sein. So ging die CDU zwar als Siegerin aus der Wahl hervor, liegt jedoch noch deutlich unter 40 Prozent. Die SPD blieb mit 30,7 Prozent immer noch deutlich unter den 36,7 Prozentpunkten, die sie Anfang 2008 erreicht hatte. Die FPD schrumpfte um gut zwei Drittel und errang mit Hängen und Würgen gerade noch die magischen 5,0 Prozent.

 

Tabelle: Landtagswahlen in Hessen

Art der Angabe

Landesstimmen / Zweitstimmen

2013

2009

Veränderung zu 2009

Zum Vergleich: 2008

Anzahl

%

Anzahl

%

Anzahl

%-Pkte.

Anzahl

%

Wahlbe-rechtigte

4 392 536

-

4 375 286

-

17 250

-

 

 

Wähler

3 214 176

-

2 670 385

-

543 791

-

 

 

Wahlbe-

teiligung

-

73,2

-

61,0

-

12,2

 

64,3

Ungültige Stimmen

85 504

2,7

78 513

2,9

6 991

-0,2

 

 

Gültige Stimmen

3 128 672

97,3

2 591 872

97,1

536 800

0,2

2.742.959

 

davon entfielen auf

 

 

CDU

1 198 889

38,3

963 763

37,2

235 126

1,1

1.009.775

36,8

SPD

961 311

30,7

614 648

23,7

346 663

7,0

1.006.264

36,7

FDP

157 354

5,0

420 426

16,2

-263 072

-11,2

258.550

9,4

GRÜNE

348 371

11,1

356 040

13,7

-7 669

-2,6

206.610

7,5

DIE LINKE

161 389

5,2

139 074

5,4

22 315

-0,2

140.769

5,1

FREIE WÄHLER

38 415

1,2

42 153

1,6

-3 738

-0,4

 

 

NPD

33 395

1,1

22 172

0,9

11 223

0,2

24.004

0,9

REP

9 457

0,3

15 664

0,6

-6 207

-0,3

 

 

PIRATEN

60 006

1,9

13 796

0,5

46 210

1,4

 

 

AfD

126 419

4,0

-

-

-

-

 

 


Für DIE LINKE, die hier mit 5,2 Prozent zum dritten Mal in Folge wieder im Landtag eines westdeutschen Flächenlands vertreten ist, war dies vor allem ein psychologischer Erfolg. Hätte sie 5000 Stimmen weniger erhalten und damit – wie zuvor in  Niedersachsen, NRW und Schleswig-Holstein – auch hier ihre Mandate verloren, dann wäre die Gesamtpartei unweigerlich eine tiefe Krise getaumelt und hätten sich Stimmen zu Wort gemeldet, die die „Westausdehnung“ als „gescheitert“ bezeichnen. Dies ist der Partei nun erspart geblieben.

Allerdings spricht manches dafür, dass der Erfolg und knappe Wiedereinzug der LINKEN in den Landtag vor allem eine Folge der höheren Wahlbeteiligung als Folge der Bundestagswahl ist. Besondere Zuwächse hatte DIE LINKE in Städten rund um den Frankfurter Flughafen, die besonders vom Fluglärm betroffen sind. Hier könnte das Engagement der LINKEN für die Stilllegung der Nordwest-Landebahn maßgeblich gewesen sein.

Auch in Hessen haben, wie schon 2008, SPD, Grüne und LINKE eine rechnerische Sitzmehrheit im Landtag. Ob der amtierende Regierungschef Volker Bouffier (CDU) nun SPD oder Grüne ins Boot ziehen kann, ist ebenso fraglich wie eine rechnerisch mögliche „rot-rot-grüne“ Zusammenarbeit.

Bei aller Freunde darüber, dass DIE LINKE zum dritten Mal wieder im Landtag sitzt und als drittstärkste Kraft im Bundestag nun die führende Oppositionspartei werden könnte, dürfen wir die bundesweiten Stimmenverluste der LINKEN gegenüber 2009 (von 5,16 auf 3,75 Millionen) bei der Bundestagswahl nicht auf die leichte Schulter nehmen. Ersten Analysen zufolge hat DIE LINKE vor allem an die SPD, an die AfD und an das große Lager der Nichtwähler verloren. Ernst nehmen sollen wir auch die Verluste der LINKEN bei den Gewerkschaftsmitgliedern, wie die nachfolgenden Tabellen aus dem DGB-Infoblatt „Einblick“ zeigen.

 

Dies deutet darauf hin, dass die Verankerung der Partei in der Arbeiterklasse, in Betrieben und Gewerkschaften insgesamt noch nicht nachhaltig stabil ist. Ernst nehmen sollten wir vor allem auch den Aufstieg der AfD. Sie hat gute Kontakte zu den wirtschaftlichen Eliten und bietet sich als „Reservemannschaft“ im bürgerlichen Lager an. Sie lässt sich als eine rechtskonservative Strömung im bundesdeutschen Parteienspektrum einordnen und diente vielen Wählern als Protestpartei gegen die Europa-Politik. So hat die wachsende Angst in Teilen des Kleinbürgertums vor den Folgen der kapitalistischen Wirtschaftskrise ihr einen Achtungserfolg beschert. Schließlich hat Merkels Krisenpolitik gegenüber Südeuropa auch bei besser situierten deutschen Lohnabhängigen und Angehörigen der Mittelschicht das Gefühl geweckt, dass unbescholtene Kleinsparer für Bankenverluste zur Kasse gebeten werden und ihre Sparguthaben durch Bankenpleiten, Eingriffe und Inflation gefährdet sein könnten. Das erklärt auch, warum manche Ex-LINKE-AnhängerInnen die AfD gewählt haben. Dass die AfD binnen kurzer Zeit vor allem im Osten einen derartigen Achtungserfolg erzielte und ihr Wahlkampf offensichtlich ausreichend finanziert war, lässt ahnen, dass Teile der herrschenden Klasse sich künftig auf diese Partei stützen könnten.

 

Was nun?

 

In den kommenden Monaten und Jahren wird die Bedeutung des Themas Euro-Krise zunehmen. Daraus schöpft die AfD Hoffnung. Offen ist, inwiefern sie es schafft, nach außen hin rassistische und chauvinistische Tendenzen zu vermeiden und sich ein biederes Image zu geben. Zurückblickend bleibt der Eindruck, dass im Bundestagswahlkampf die berechtigte Ablehnung der  Bankenrettungspolitik durch DIE LINKE zu wenig im Blickpunkt stand und der AfD zu viel Spielraum ließ. Gerade angesichts der anstehenden Europawahlen im Mai 2014 ist eine linke, internationalistische und sozialistische Euro-Kritik durch die DIE LINKE ist entscheidend, damit die AfD oder sonstige rechte Parteien keine Chance haben. Die Formelkompromisse im Wahlprogramm der LINKEN reichen dazu nicht aus.

Nun steht die Republik vor spannenden Wochen. Dass die LINKE-Vorsitzende Katja Kipping SPD und GRÜNE aufgefordert hat, gemeinsam im neuen Bundestag unverzüglich einen gesetzlichen Mindestlohn durchzusetzen, so wie es alle drei Parteien im Wahlprogramm versprochen haben, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ähnliches sollten wir von SPD und Grünen auch für andere Schnittmengen aus den Programmen und fortschrittliche Inhalte wie etwa die Bürgerversicherung einfordern. Vergessen wir aber alles Gerede von Regierungsbeteiligung der LINKEN unter kapitalistischen Vorzeichen. Unter den aktuellen Bedingungen wäre DIE LINKE der Schwanz, mit dem der Hund wedelt. Alle Regierungen europaweit, an denen sozialdemokratische und linke Parteien beteiligt sind, fügen sich derzeit dem Druck des Kapitals. Linke Parteien wie die Sozialistische Volkspartei (SFP) in Dänemark oder die italienischen KommunistInnen (PRC) stecken in einer Existenzkrise, weil sie mit der Beteiligung an Koalitionsregierungen und der dort vertretenen unsozialen Politik ihre Ziele verraten haben. Sie haben massenhaft WählerInnen und Mitglieder verloren.

Nachdem Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundestag verloren hat, kommt für uns nur ein „dritter Weg“ in Frage. DIE LINKE sollte SPD und Grüne auffordern, eine Minderheitsregierung zu bilden und konsequent für die Interessen der Masse der abhängig Beschäftigten, der Arbeitslosen, Rentner und Jugendlichen einzutreten. DIE LINKE darf dem Antritt einer solchen Regierung nicht im Wege stehen. Danach darf es jedoch keinerlei Block oder fixe Tolerierungsvereinbarung geben. Wir sollten die fortschrittlichen Seiten ihrer Politik, und seien sie auch noch so klein, unterstützen, gleichzeitig jedoch scharfe Kritik an den Inhalten üben. die den Interessen der abhängig Beschäftigten entgegenlaufen.. Die LINKE würde sich damit größtmögliche Bewegungs- bzw. Beinfreiheit erhalten und SPD/Grüne zwingen, Farbe zu bekennen.

Mit einer offensiven Kampagne auf allen Ebenen könnten wir vor allem AnhängerInnen der SPD, Gewerkschaftsmitglieder und kritische Jugendliche ansprechen und mit geduldiger Überzeugungsarbeit für eine antikapitalistische Alternative gewinnen. Es setzt aber auch voraus, dass DIE LINKE auf allen Ebenen wirklich kampagnefähig ist und überzeugend auftritt. Dass die SPD-Führung schon jetzt – wenige Tage nach der Wahl – von einer gemeinsamen Bundestagsmehrheit pro Mindestlohn nichts wissen will, spricht Bände. Sie verschanzt sich offensichtlich lieber hinter den vom Kapital diktierten „Sachzwängen“ einer möglichen künftigen Großer Koalition. Umso mehr brauchen wir einer echte, längerfristige linke Machtalternative und einen sozialistischen Gegenpol zum real existierenden Kapitalismus. Bereiten wir uns politisch und praktisch auf die unvermeidlichen Klassenkämpfe der kommenden Jahre vor. Nutzen wir auch die Politisierung der Nach-Wahl-Wochen, um für eine linke Machtalternative, für ein sozialistisches Programm, für einen Ausweg aus der kapitalistischen Sackgasse zu werben und neue Unterstützer zu finden.

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