Kategorie: Deutschland

Wie weiter mit der SPD nach der Bundestagswahl?

Im Dezember sollen die SPD-Mitglieder über den Koalitionsvertrag zwischen Union und SPD entscheiden. Viele Mitglieder lehnen eine Große Koalition ab. Ein SPD-Mitglied kommentiert die aktuelle Lage.

Hinein in die Große Koalition, natürlich nur “aus Verantwortung”, im Leben nicht um schnöder Ministerposten willen, oder aber festhalten am Wahlprogramm, für das die Basis monatelang gekämpft hat, an Infoständen, bei Hausbesuchen und und und?


 

Geht es nach der Vorstandsmehrheit, scheint die Sache entschieden zu sein. Natürlich kommt “das Land vor der Partei”, natürlich muß der (vermeintliche) Wunsch der Wählerinnen und Wähler berücksichtigt werden... Und insgeheim ist man wahrscheinlich froh, mit der Großen Koalition (GroKo) das fortschrittlichste Wahlprogramm der SPD seit Jahrzehnten gleich mit entsorgen zu können.

 

Doch so einfach läßt sich den Zweifeln an der Basis nicht beikommen. Die Stimmen mehren sich, die endlich wieder eine sozialdemokratische Politik wollen, denn die Basismitglieder, die nach und trotz der Agenda noch in der Partei verblieben sind, sind die, die mit Herzblut an ihr hängen. Es sind die, für die Sozialdemokratie keine Posten-und-Ämter-Beschaffungsmaschine ist, sondern die damit Werte verbinden. Werte, die seit Schröder immer wieder mit Füßen getreten werden. Die in der letzten Großen Koalition unter die Räder kamen. Und die im aktuellen Wahlprogramm wiederauferstanden zu sein schienen. Dem muß der Vorstand Rechnung tragen, denn er weiß, ohne die Parteibasis mitzunehmen, werden seine Stühle wackeln.

 

Zwei Herzen kämpfen in der Brust der Basis. Einerseits der alte sozialdemokratische Wunsch nach Einheit und Geschlossenheit, andererseits das Misstrauen gegenüber der Führung. Durch die Anberaumung des Mitgliederentscheids hat es der Vorstand geschafft, vorerst wieder etwas Zeit zu gewinnen. Er kann über sein Verhandlungsteam jetzt versuchen, der Basis etwas vorzulegen, das diese mehrheitlich akzeptieren kann. Die Stimmen, die unabhängig vom Verhandlungsergebnis “Nein zur GroKo” rufen, werden leiser. Ausnahmen sind Kreisverbände, die der Vorstand wohl von vornherein “verloren geben” muß, wie etwa Lübeck. Aber schon im “linken” Landesverband Schleswig-Holstein scheint sich die Stegner-Linie durchgesetzt zu haben, erst einmal das Verhandlungsergebnis abzuwarten.

 

Es gibt zwei Verhaltensmuster in diesen Tagen: das Starren nach Berlin zu den Koalitionsverhandlungen, wie das Kaninchen auf die Schlange, und der Versuch, aktiven Widerstand zu organisieren. Dieser kommt vor allem aus Berlin selbst, wo die Initiative "Das WIR entscheidet" kurzfristig eine kleine Demonstration vor dem Willy-Brandt-Haus organisieren konnte, als dort im Oktober der erste Teil des Konvents tagte. Scheinbar hat die Parteibürokratie diese Initiative als besonders gefährlich identifiziert, denn ihr wurde ein Stand auf dem Bundesparteitag verweigert.

 

Wenn ich von meinem Umfeld in der Partei ausgehe, so gibt es keine Anhänger einer “GroKo”. Im Gegenteil, direkt nach der Wahl hat mein Kreisverband gefordert, endlich das Verhältnis zur Linkspartei zu normalisieren, um Rot-Rot-Grüne Bündnisse zu ermöglichen. Verbunden war diese Forderung mit der Absage an die Große Koalition. Schon die Aufnahme von Sondierungen wurde abgelehnt. Diese klare Haltung stellt jedoch wahrscheinlich in der Gesamtpartei eher eine Ausnahme dar. Schon im Landesverband bekräftigt zwar der Landesvorsitzende Stegner demonstrativ seine Skepsis, betonte auf dem Landesparteitag in seiner Rede aber ebenso, man müsse versuchen, in den Verhandlungen konkrete Verbesserungen für die Menschen zu erreichen. Er stellte aber gleichzeitig klar, bei gesellschaftspolitischen Themen wie der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften werde man sich wohl nicht durchsetzen können. Die Kapitulation auf diesem, die verfassungsmäßigen Rechte berührenden Gebiet, rief den Protest weit über die Schwusos hinaus hervor. Ein gleiches Bild auf dem Landesparteitag in Berlin am folgenden Tag, als auch Gabriel auf gesellschaftspolitischem Gebiet, vor allem bei den Lebenspartnerschaften, vor der Erwartung von Verbesserungen warnte. Auch hier rief er damit heftige Proteste hervor.

 

Das Einknicken des Verhandlungsteams auf dem Gebiet der Steuern (Reichensteuer, Spitzensteuersatz) könnte ebenfalls Sprengkraft besitzen. Den ersten Mitgliedern wird klar, daß der Verzicht auf diese Steuereinnahmen sämtliche Verhandlungsergebnisse unter Finanzierungsvorbehalt stellt und damit zur Makulatur macht. Es wird darauf ankommen, diese Erkenntnis bis zum Mitgliederentscheid bei möglichst vielen GenossInnen ins Bewußtsein zu bringen.

 

Ein Wort zur organisierten Linken in der Partei. Sowohl von der Parlamentarischen Linken als auch vom Forum DL 21 sind bisher keine Stellungnahmen zu hören. Offenbar will man sich nicht durch die “Störung” der Verhandlungen ins Unrecht setzen. Dieses taktische Herangehen birgt die große Gefahr, daß GegnerInnen und SkeptikerInnen der Großen Koalition orientierungslos bleiben. Vor allem trägt es nicht dazu bei, weitere Nein-Stimmen zu mobilisieren. Durch dieses Schweigen werden ebenfalls keine personellen Alternativen deutlich, sollte der Vorstand mit der Großen Koalition am Mitgliederentscheid scheitern.

 

Es läßt sich schwer voraussagen, wie der Mitgliederentscheid ausgehen wird. Einiges wird auch davon abhängen, welche Köder im Koalitionsvertrag zu finden sein werden. Auf jeden Fall wird der Ausgang wesentlich darüber entscheiden, ob der Bruch mit der Agendapolitik, der mit dem Wahlprogramm vorsichtig angedeutet wurde, fortgeführt oder zurückgerollt werden wird.

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