Und doch: Das globale Ausmaß des Elends ist weitaus größer, denn weltweit sind nach UN-Angaben mehr als 50 Millionen Menschen auf der Flucht. Über 85 Prozent von ihnen schaffen es nicht in die reichen Industrieländer, sondern sterben auf ihrer Flucht, werden in Lagern in Libyen und anderen Ländern gefoltert oder leben in menschenunwürdigen Verhältnissen in Flüchtlingslagern bzw. auf der Straße.
So sind die mehr als 1.000 Leichen lediglich die Spitze des Eisbergs und kommt der Teil der unzähligen Flüchtlinge, die zu uns nach Europa sprichwörtlich an den Strand geschweppt wird, dermaßen in unser Blickfeld, dass sich die Medien und die Politik der Misere nicht mehr entziehen können.
Nun, da diese toten Menschen nicht weggeredet werden können, werden in den Medien von den führenden Politikern der europäischen Staaten propagandistische „Lösungen“ vorgeschlagen, die allesamt in eine Richtung gehen: die Ursachen von Flucht zu verschleiern, die Schlepper als das Hauptübel darzustellen und weitere (militärische) Maßnahmen vorzuschlagen, die im Ergebnis noch mehr Tote und noch mehr Elend verursachen.
Was aber könnten echte Lösungen sein, damit diese von Menschen verursachte Barbarei ein Ende findet? Nun, dafür muss man sich die Fluchtursachen einmal genauer anschauen.
Imperialistische Kriege in Irak, Afghanistan und anderswo
Die USA und ihre europäischen Verbündeten führen völkerrechtswidrige Kriege, die mit irgendwelchen „humanitären“ Motiven nichts zu tun haben. Sie dienten und dienen einzig und allein imperialistischen Zwecken, d.h. der Sicherung von Macht und Einflussgebieten, der Kontrolle über wichtige Rohstoffquellen, Erschließung neuer Märkte etc. In diesen Kriegen wurden rund eine Million Menschen getötet, mehr als 220.000 Menschen in Afghanistan und mehr als 80.000 Menschen in Pakistan. Wieviele Menschen gezwungen sind, vor diesen Kriegen zu fliehen, ist nicht einmal bekannt. Man kann es allerdings aufgrund der enormen Zahl an getöteten Menschen (mehr als 1,3 Millionen) nur erahnen! Auch Bürgerkriege wie in Syrien und Libyen wurden und werden von westlichen Regierungen direkt oder indirekt angefacht und geschürt
Unterstützung diktatorischer Regimes
Auf der ganzen Welt wurden und werden brutale, diktatorische und antidemokratische Regimes massiv hochgepäppelt. Ägyptens Diktator Mubarak wurde von den USA, Israel wie auch der Europäischen Union massiv unterstützt, Frankreich stützte den tunesischen Diktator Ben Ali bis zuletzt, Chiles blutiger Putschist und Diktator Pinochet wurde mit Hilfe der USA sogar an die Macht gebracht, um den demokratisch gewählten Präsidenten Allende zu stürzen.
Das saudische Regime wurde und wird vom Westen hofiert. Diese Liste ist noch sehr lang, aber diese Beispiele zeigen die Systematik der kapitalistischen und imperialistischen westlichen Staaten auf. Wo es demokratisch gewählte Regierungen wie etwa in Venezuela geschafft haben, sich trotz westlicher Intervention zu behaupten, wurden und werden sie vom Westen bekämpft. Nur diktatorische, volksfeindliche Regime ermöglichen es den westlichen Regierungen, die Volkswirtschaften uneingeschränkt auszuplündern.
„Freihandelsabkommen“ und Ausplünderung
Der Begriff Freihandelsabkommen hört sich sehr ungefährlich an und sogar sehr positiv an! Dahinter verbirgt sich eine gnadenlose Durchdringung der Märkte aller Länder durch die großen Konzerne in den imperialistischen Industrieländern. Dies bedeutet Ausplünderung und Zerstörung der Regionen ohne Rücksicht auf Mensch und Natur, die vielen Menschen eine bescheidene Existenzgrundlage entzieht und sie zur Flucht zwingt. Im Zusammenhang mit den toten Flüchtlingen im Mittelmeer wird jedoch offiziell auf all diese komplexen Zusammenhänge nicht eingegangen? Diese Fluchtursachen sollen eben nicht näher thematisiert werden, da hierdurch jedem Menschen bewusst würde, dass diese im kapitalistischen System begründet sind.
Abschottung
Die PolitikerInnen müssten also die Systemfrage stellen: Was sind die konkreten Folgen des Kapitalismus? Und damit ihr bisheriges Tun in Frage stellen. Stattdessen schottet sich die EU immer weiter ab und verursacht damit weiteres Elend und weitere Tote. Weiterhin werden an den Grenzen Flüchtlinge entgegen allen Regeln des humanitären Völkerrechts abgewiesen. Die europäischen Regierungen sind trotz Lippenbekenntnissen nicht daran interessiert, die Flüchtlinge wirklich zu schützen.
Da die Fluchtursachen im Kapitalismus begründet liegen, können letztendlich nur die Überwindung des Kapitalismus und die Schaffung einer weltumspannenden sozialistischen Demokratie die Fluchtursachen beheben. Diese Erkenntnis war in Deutschland unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg sehr weit verbreitet. Daher wurde Artikel 15 in das Grundgesetz aufgenommen: „Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz...in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden.“ Eine sozialistische Wirtschaftsordnung ist möglich und notwendig.
In den letzten 70 Jahren seit Ende des 2. Weltkriegs hat der Kapitalismus die Chance gehabt, seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Die globale Bilanz ist erschütternd und vernichtend. Massenhafte Verelendung, Zerstörung von Lebensgrundlagen, Kriege und ständige Zerrüttungen sind kennzeichnend für den real existierenden Kapitalismus. Es ist höchste Zeit für eine globale sozialistische Gesellschaft, in der nicht der private Profit, sondern die Bedürfnisse aller Menschen zählen.
*Rana Issazadeh Auf Asylrecht spezialisierte Rechtsanwältin und in den 1980er Jahren als Kind asylsuchender Eltern in die Bundesrepublik Deutschland gekommen.
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