Kategorie: Deutschland

Willkommenskultur oder Barbarei made in Germany?

Röszke (Ungarn) im September 2015: Kinder zittern vor Kälte, Menschen werden krank, weil sie ohne Dach über dem Kopf vor sich dahinvegetieren, viele Menschen schlafen auf dem harten Boden. Menschenunwürdige Zustände.


Es kommt immer wieder zu regelrechten Menschenjagdszenen: Flüchtlinge, die beim Versuch, aus dem Lager auszubrechen, brutal von der ungarischen Polizei niedergeknüppelt werden. Szenen, die einen an den Filmklassiker “Planet der Affen” erinnern.
Aber warum fliehen diese Menschen aus Ungarn? Ganz einfach: In Ungarn müssen Flüchtlinge mit Haft, Obdachlosigkeit und Angriffen rechtsextremer Gruppen rechnen.

Merkels vermeintlich großzügige Geste: Ist das die Kehrtwende?

Unter dem Druck dieser Ereignisse, insbesondere der um die Welt gehenden Bilder der zutage getretenen Barbarei mitten im Herzen Europas gestattete die deutsche Bundesregierung in Kooperation mit Österreich den bis dahin an den ungarischen Bahnhöfen festsitzenden Flüchtlingen die Einreise. Merkel ließ damit die sogenannte Dublin-III-Verordnung - zumindest kurzzeitig - außer Kraft setzen.

In den deutschen wie auch vielen internationalen Medien wurde sodann diese doch scheinbar sehr menschliche Geste von Kanzlerin Merkel gefeiert, wie auch die großartige Willkommenskultur der deutschen Bevölkerung. Richtig ist: Große Teile der Bevölkerung in Deutschland zeigten eine überwältigende Solidarität. Viele Menschen empfingen die ankommenden Flüchtlinge an deutschen Bahnhöfen mit Willkommensschildern, Verpflegung und moralischer Unterstützung. Das sind großartige Gesten von Menschlichkeit und Solidarität.

Falsch jedoch ist die Behauptung, dass das kurzzeitige Aussetzen der Dublin-Verordnung durch die Bundesregierung bzw. Kanzlerin Merkel eine menschliche Geste gewesen sei. Denn dafür muss man wissen, was die Dublin-Verordnungen überhaupt sind und wie diese zustande kamen.

Geschichte des Dublin-Systems – solidarische Verteilung?

Die Dublin-Regel besagt, dass Flüchtlinge in dem ersten EU-Staat Asyl beantragen müssen, den sie betreten haben. Da aber die meisten Flüchtlinge aus Asien oder Afrika nur über die Mittelmeerroute in Malta, Italien, Spanien und Griechenland oder über die Balkanroute nach Ungarn nach Europa gelangen können, führt dies dazu, dass es meist diese Grenzstaaten der EU sind, die nach dem Dublin-System für die Asylverfahren zuständig sind.

Im Klartext bedeutet dies, dass das europäische Recht bzgl. der Zuständigkeit für Asylverfahren mit der Dublin-Regelung alles andere als eine solidarische Verteilung in den europäischen Ländern gesetzlich festgelegt hat. Vielmehr sollte die Last von diesen Grenzstaaten getragen werden.

Da fragt man sich, warum eine solche – vollkommen unsolidarische - Verteilung überhaupt implementiert wurde? Es war die deutsche Bundesregierung, die gegen Widerstände in einigen europäischen Staaten eine solche Regelung forciert hatte. Bei den Verhandlungen über die Dublin-II-Verordnung im Jahr 2003 hatten die reichen europäischen Kernstaaten, insbesondere Deutschland, die südlichen EU-Staaten mit dem Versprechen eingekauft, finanzielle Mittel für die Flüchtlingsaufnahme bereit zu stellen. Sonst hätten die EU-Randstaaten der Dublin-Regelung kaum zugestimmt.

Jetzt ist es die deutsche Bundesregierung, die laut nach solidarischer Verteilung innerhalb der EU ruft, nachdem sie selbst die unsolidarische Verteilung gesetzlich festgelegt hatte. Denn nun muss die Regierung Merkel feststellen, dass das Dublin-System in der Praxis gescheitert ist. Dies ist zum einen sichtbar aufgrund der Weiterwanderung tausender Flüchtlinge aus den EU-Randstaaten nach Deutschland, da etwa in Griechenland oder Italien ein menschenwürdiges Asylsystem vor allem auch aufgrund der wirtschaftlich katastrophalen Situation dieser Länder nicht mehr aufrecht erhalten werden kann.

Zum anderen wird das Scheitern des Dublin-Systems auch dadurch sichtbar, dass die deutsche Bundesregierung seit 2011 das Dublin-System für Griechenland außer Kraft gesetzt hat. Das heißt, dass die Asylverfahren in Deutschland durchgeführt werden, selbst wenn nach der Dublin-Verordnung Griechenland zuständig wäre. Darüber hinaus entscheiden deutsche Verwaltungsgerichte seit Jahren, dass auch Italien nicht mehr die Kapazität hat, menschenwürdige Asylverfahren zu garantieren. Daher wird auch bei Italien faktisch eine Ausnahme von der Dublin-Verordnung gemacht. Die gleichen Zustände wie Italien und Griechenland sind auch in den meisten osteuropäischen Ländern gegeben, so dass ein Domino-Effekt nur eine Frage der Zeit ist.

Die Heuchelei der Bundesregierung

Es mag sein, dass die deutsche Bundesregierung im Vergleich zu den Regierungen anderer EU-Mitgliedsstaaten derzeit eine menschlichere Rhetorik an den Tag legt. Entscheidend sind aber die Handlungen! Die gleichen Flüchtlinge, die vor einigen Wochen erst medienwirksam in die Bundesrepublik großzügig hineingelassen worden waren, werden nun von dem neuen Gesetzesentwurf existentiell bedroht. Unter anderem droht ihnen die Abschiebung zurück nach Ungarn.

Unter der Überschrift „Fehlanreize beseitigen“ werden in dem Gesetzesentwurf mehrere Maßnahmen der Abschreckungspolitik der neunziger Jahre reaktiviert. Ziel ist die weitere Abschreckung und die Kriminalisierung von Menschen, die vor Krieg und Unterdrückung fliehen.

Die Welle der Hilfsbereitschaft gegenüber Schutzsuchenden wird zwar von der Bundesregierung in höchsten Tönen gelobt, doch de facto wird das Engagement der Zivilgesellschaft durch das diskriminierende und ausgrenzende Maßnahmenpaket der Bundesregierung deutlich konterkariert. Hier tritt die menschenverachtende Logik des Kapitalismus offen zutage: Die gleichen Regierungen, die etwa durch imperialistische Kriege, Waffenexporte, Unterstützung von Diktaturen oder Freihandelsabkommen erst die Fluchtursachen schaffen, verwehren den Flüchtlingen nicht nur den Zugang nach Europa. Sie stigmatisieren sie durch rassistische Rhetorik wie „Asylmissbrauch“, stecken sie in Abschiebehaft und verletzen sie in ihren fundamentalen Rechten und in ihrer Menschenwürde.

Daher darf die große Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung nicht nur durch Willkommens-Transparente an Bahnhöfen und eine Verteilung von Kleidung in Erstaufnahmeeinrichtungen zum Ausdruck kommen, sie muss weiter gehen, indem sie sich klar gegen diese menschenverachtende Politik der Bundesregierung stellt. Die Bundesregierung muss das Dublin-System nun endgültig für gescheitert erklären und komplett abschaffen! Das fordern Menschenrechtsorganisationen wie Pro Asyl bereits seit Jahren. Kämpfen wir gemeinsam für ein wirklich menschliches Europa, jenseits der kapitalistischen Verwertungslogik!

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