Wir befragten Rana Issazadeh, Rechtsanwältin in Wiesbaden mit Schwerpunkt Asylrecht.
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) drängt seit Ende Oktober darauf, afghanische Flüchtlinge verstärkt in ihre Heimat abzuschieben. Dem haben sich inzwischen alle Innenminister der Länder angeschlossen. Was ist der Hintergrund?
Deutschland müsse Flüchtlinge aus Afghanistan angesichts ihrer deutlich steigenden Zahl abschieben, sagen die Minister. Die Abschiebung in sichere Gebiete Afghanistans sei grundsätzlich möglich und erlaubt. Bei diesen Meldungen drängen sich zwei Fragen auf: Ist die Tatsache, dass aus einem Land sehr viele Menschen fliehen müssen, ein Grund, diese abzuschieben, womöglich zur Abschreckung? Oder wäre es nicht angemessener, zu analysieren, warum vermehrt Menschen aus diesem Land fliehen? Die zweite Frage, die sich aufdrängt, wenn vermehrt Menschen aus Afghanistan fliehen: Kann man Menschen, die oft monatelang oder gar jahrelang unter schwierigsten, gefährlichen Bedingungen auf der Flucht waren und es geschafft haben, in Deutschland anzukommen, in dieses Land zurück abschieben?
Das Auswärtige Amt in Berlin kommt zu dem Ergebnis, dass das Einflussgebiet der Taliban heute größer ist als zu Beginn der NATO-Intervention im Jahr 2001. Zusätzlich machen sich in einigen Regionen Afghanistans nun auch Kämpfer des IS breit. Allein im ersten Halbjahr 2015 kamen mehr als 1.500 Zivilisten in dem Konflikt zwischen Armee und Taliban ums Leben. Das ist der höchste Wert seit dem Sturz der Taliban im Jahr 2001.
Lediglich drei Provinzen seien sicher: Kabul, Bamiyan und Panjshir. Diese drei Provinzen machen jedoch nur einen geringen Teil der Landesfläche aus. Kabul ist jedoch bereits jetzt aufgrund der hohen Zahl der in die Region um die Hauptstadt drängenden Binnenflüchtlinge ein schwieriger Ort, an dem immer weniger Leute ein menschenwürdiges Auskommen finden können. Zur Zeit leben ca. eine Million Binnenflüchtlinge in Afghanistan. Allein 1,5 Millionen Menschen sind nach Pakistan geflohen, etwa eine Million in den Iran. Aufgrund der „verschlechterten Sicherheitslage“ wurde im November sowohl eine Verlängerung des Bundeswehreinsatzes als auch eine Aufstockung der deutschen Truppen beschlossen.
Verlängerung und Aufstockung des Bundeswehreinsatzes auf der einen Seite und Abschiebungen auf der anderen Seite – wie passt das zusammen?
Genau diese verantwortungslose und Menschenleben verachtende Politik ist kennzeichnend für die deutsche Bundesregierung. Sie ist aufgrund ihrer militärischen Beteiligung in Afghanistan mitverantwortlich für diese desaströse Sicherheitslage. Anstatt diese Verantwortung anzuerkennen und zu übernehmen, indem man beispielsweise legale Möglickhkeiten schafft, um Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen, sollen Menschen in das Land abgeschoben werden.
Im Oktober hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Türkei besucht und mit Staatspräsident Erdogan über die Rücknahme von Flüchtlingen und den Stopp von Fluchtbewegungen Richtung Mittel- europa verhandelt. Wie ist die Lage der Flüchtlinge in der Türkei?
Die Lage der rund 2,2 Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei ist katastrophal. Sehr viele werden willkürlich inhaftiert. Vor allem im Lager Osmaniye nahe der syrischen Grenze, das offiziell ein Aufnahmelager, de facto aber eine Hafteinrichtung ist: Insassen, auch unbegleitete Minderjährige, werden gegen ihren Willen dorthin verbracht und dürfen das Lager nicht verlassen. Sie dürfen keinen Besuch erhalten; selbst mit Rechtsanwälten können sie nicht sprechen, da nach offizieller Darstellung keine Anklage gegen sie vorliegt. Die einzige Möglichkeit der syrischen Flüchtlinge, sich aus dieser Gefangenschaft zu befreien, ist freiwillig nach Syrien zurückzukehren.
Also soll die Türkei die Drecksarbeit für die EU übernehmen?
In der Tat. „Wir bitten die Türkei inständig auf Knien, dass sie ihre Grenzen schließt“, sagte laut Guardian ein Botschafter eines größeren EU-Staates. Mit diesem Deal soll die Türkei dafür sorgen, dass Flüchtlinge nicht weiter nach Europa kommen. Bis 2011 konnte sich die EU in dieser Hinsicht auf den libyschen Diktator Gaddafi verlassen. Durch ein bilaterales Abkommen zwischen Libyen und Italien konnte bis 2011 die Fluchtroute über Libyen „erfolgreich“ eingedämmt werden. Nun soll die Türkei die Abschottung Europas sichern. Darüber hinaus berechtigt das Abkommen die EU, Flüchtlinge aus Drittstaaten in die Türkei abzuschieben. Dafür erhält die Türkei drei Milliarden Euro Hilfsgelder von der EU, Visaerleichterungen für türkische Staatsbürger sowie die Zusage einer Intensivierung der EU-Beitrittsverhandlungen. Kurzum: Das Abkommen zwischen der EU und der Türkei ist die endgültige Bankrotterklärung der EU-Staaten und entlarvt vollständig ihre heuchlerische, menschenverachtende Politik.
Das Wüten der von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar hochgepäppelten Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) treibt viele Menschen in die Flucht. Jetzt gelobt der Westen, an der Seite Frankreichs den IS mit Stumpf und Stiel auszurotten. Was ist davon zu halten?
Eine militärische Beteiligung ist ganz klar völkerrechtswidrig. Und noch wichtiger: Das vermeintliche Ziel der westlichen Staaten, nämlich den IS zu bekämpfen, wird mit größter Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden! Das zeigen Irak und Afghanistan, wo das Einflussgebiet der Taliban in Afghanistan heute größer ist als zu Beginn der NATO-Intervention im Jahr 2001.
Klar ist darüber hinaus: Es geht den westlichen Staaten mitnichten um die Bekämpfung des IS, sondern einzig und allein um ihre eigenen Interessen in einer aufgrund der riesigen Ölvorkommen strategisch äußerst wichtigen Region. Schon daher ist eine deutsche Kriegsbeteiligung konsequent abzulehnen.
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