Alte Bindungen an Parteien haben sich immer mehr gelockert. Das politische Gefüge ist zerbrochen. In allen drei Ländern erlitt DIE LINKE eine enttäuschende Schlappe. In Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt verzeichnete die SPD erdrutschartige Verluste und landete weit abgeschlagen auf Platz vier. Gleichzeitig zementiert sich der Aufstieg einer neuen Rechtspartei, der sogenannten „Alternative für Deutschland“ (AfD). Was verbirgt sich hinter den Prozentzahlen, die in der bürgerlichen Demokratie einen Schnappschuss, eine Momentaufnahme wiedergeben? Ein erster Überblick.
Charakteristisch für das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ist unverkennbar der massive Aufstieg der rechten AfD. Mit satten 24,4% aus dem Stand wird sie im Landesparlament die zweitstärkste Fraktion nach der CDU. Die Rechtspopulisten konnten über 104.000 Wahlberechtigte aus dem Lager der NichtwählerInnen und 29.000 ehemalige WählerInnen der Partei DIE LINKE für sich generieren. Die SPD verliert zwar nur 21.000 WählerInnen an die AfD, erleidet aber mit einem absoluten Stimmenverlust von -10,9% (80.000 Stimmen) die mit Abstand stärkste Niederlage aller beteiligten Parteien, gefolgt von der Partei DIE LINKE mit einem Stimmenverlust von -7,4 % (49.000 Stimmen). Bedrohlich ist der Zuspruch der AfD in der jüngeren Generation. 23% der 18- bis 24jährigen und 28% der 25- bis 34jährigen wählten die AfD. DIE LINKE hat hier den meisten Zuspruch hingegen in der Gruppe der über 60jährigen, die AfD hat in dieser Gruppe hingegen ihren niedrigsten Zuspruch. Der Zuspruch der früheren PDS in Ostdeutschland schöpft sich damit mehr aus einer älter werdenden StammwählerInnenschaft. Die von Perspektivlosigkeit und Frustration gebeutelte Jugend sieht allem Anschein nach in der Partei DIE LINKE einen Teil des etablierten Systems, was nicht für die AfD und ihr aggressives Auftreten gegen alle anderen Parteien gilt.
Ein erstaunlicher Punkt ist die Tatsache, dass nach ersten Analysen jeweils 37% der AfD-WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse und der Reservearmee (Arbeitslose) stammen. Dies ist vor allem deswegen interessant, weil die AfD ein der ArbeiterInnenklasse und Hartz IV-EmpfängerInnen ausdrücklich feindlich gesinntes Programm besitzt. Die AfD stemmt sich mit aller Kraft gegen jede Form von staatlich festgelegten Mindestlöhnen und will die Hartz IV-Sanktionen deutlich verschärfen. Ein ähnliches Phänomen erkennen wir in Österreich mit dem Aufstieg der FPÖ, die ebenfalls der ArbeiterInnenklasse feindlich gesinnt ist und trotzdem fast 50% aus ihrer WählerInnenschaft aus diesem Teil der Gesellschaft generiert.
Allerdings konnten die Rechtspopulisten bei der weiblichen WählerInnenschaft deutlich weniger punkten als im männlichen Teil der Gesellschaft. 75% der AfD-Wählerschaft sind männlich. Alle anderen Parteien haben in ihrer WählerInnenschaft hingegen in der Regel einen höheren Frauen- als Männeranteil. Dies kann an der reaktionären Position der AfD zu Abtreibungen liegen, wobei der Frau die freie Verfügung über ihren eigenen Körper entzogen werden soll. Andere PolitikerInnen der Rechtspopulisten werben mit der Verteilung von klaren Geschlechterverhältnissen. Die Frau soll traditionell Hausarbeit leisten, während der Mann arbeiten geht.
Mit Ausnahme der neoliberalen FDP, die mit 4,9% den Einzug in den Landtag knapp verfehlte, ist die AfD die einzige Partei ohne prozentuale Verluste. Der Faschismus in Form der NPD verliert ebenfalls immer mehr an Boden. Allerdings rief die NPD in allen drei Bundesländern kurz zuvor bei einer Pressekonferenz öffentlich zur Unterstützung der AfD mit der Erststimme auf, während die Zweitstimme weiterhin der NPD gelten sollte. Diese Kalkulation ist zwar nicht aufgegangen, allerdings tummeln sich zweifellos einige bisherige NPD-AnhängerInnen nun bei der AfD. Diese Sogwirkung könnte nach den AfD-Wahlerfolgen und angesichts des NPD-Verbotsverfahrens zunehmen und die AfD weiter nach rechts rücken.
Vom Standpunkt der historischen, traditionellen Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse gesehen, also DIE LINKE und SPD, müssen wir eine Niederlage des Reformismus auf ganzer Linie attestieren. Der Spitzenkandidat der Partei DIE LINKE, Wulf Gallert, verkaufte sich im Wahlkampf auf Plakaten als „Wirtschaftsexperte“ und „Frauenversteher“ und warb unaufhörlich für eine Koalition aus LINKEN, SPD und GRÜNEN nach thüringischen Vorbild. Von einem klaren Oppositionskurs war nicht ansatzweise etwas zu erkennen. Warum sollten demoralisierte ArbeiterInnen und frustrierte Jugendliche auch eine Partei unterstützen, die von vorne herein ein Bündnis mit den Volksver- und zertretern zum Ziel hat? Unterm Strich haben LINKE, SPD und Grüne nicht einmal ein Drittel der Stimmen errungen.
DIE LINKE in Sachsen-Anhalt wird nicht als radikale Alternative zum etablierten Mainstream identifiziert, sondern verkörpert im Gegenteil eine Form von Bürokratie und Karrierismus. Die Führungsebene der LINKEN in Sachsen-Anhalt hätte selbst für ihre parlamentarische Karriere mit einem radikalen Oppositionskurs also eindeutig mehr erreicht, anstatt auf opportunistische Bündnisse mit der Bürokratie von SPD und GRÜNEN zu setzen. Der Verlust des politischen Profils und die Entfremdung von der ArbeiterInnenklasse wird nicht nur der SPD unmissverständlich quittiert, sondern vor allem auch der Partei DIE LINKE, die in Ostdeutschland traditionell mehr Rückhalt genießt als die SPD.
Auch im als konservativ geltenden „Ländle“ Baden-Württemberg, das über Jahrzehnte als uneinnehmbare CDU-Hochburg galt, sorgt die AfD mit 15,1% aus dem Stand für Wirbel. Hier konnten die Rechtspopulisten ganze 204.000 Ex-NichtwählerInnen mobilisieren und von anderen Parteien kräftig absahnen.
Auffällig ist hier der historische Wahlsieg für die Grünen mit ihrem alten und neuen Regierungschef Winfried Kretschmann. Als führende Regierungspartei seit 2011 haben sie offenbar einen derart guten Job für das (Klein-)Bürgertum gemacht, dass ihr bürgerliche Persönlichkeiten in Scharen zuliefen und der CDU den Rücken kehrten. Nichts desto trotz erlebte die AfD einen steilen Aufstieg. Überdurchschnittlich waren die AfD-Ergebnisse in Industriestädten wie Mannheim, Singen, Sindelfingen, Neckarsulm, Heilbronn und Pforzheim. Die SPD verlor dramatisch. DIE LINKE profitierte nur minimal. Sie kam nur in einigen größeren Städten mit gewisser Tradition über 5%: Stuttgart (5,3%), Freiburg (8,4%), Tübingen (7,7%), Heidelberg (6,1%).
Die herrschende Klasse setzte verstärkt auf die FDP; dies könnte ein Wiederbelebungsversuch sein, um die Orientierung des reaktionären Kleinbürgertums auf die AfD zu stoppen. Die allermeisten AfD-Wähler kannten das Wahlprogramm nicht und machten dort ihr Kreuzchen als Denkzettel für andere Parteien.
Auffällig in Rheinland-Pfalz ist die Dynamik der letzten Wochen. Die SPD lag im November 2015 in Umfragen noch rund 10% hinter der CDU, die sich Hoffnung auf einen Wahlsieg machte. Daraus wurde ein klarer Vorsprung der SPD, die sich vom negativen Bundestrend der Partei abkoppelte und alles auf die Karte der Ministerpräsidentin Malu Dreyer setzte, die ähnlich wie Angela Merkel im Bund als fürsorgliche „Landesmutti“ gecastet wurde. Damit genießt die SPD in Rheinland-Pfalz anders als in Sachsen-Anhalt oder Baden-Württemberg immer noch einen relativen Rückhalt in der ArbeiterInnenklasse genießt und konnte diesen sogar ausbauen. Drastisch war der Zehn-Prozent-Einbruch der Grünen, deren Aktien 2011 kurz nach Fukushima besonders stark überbewertet waren.
Überdurchschnittliche Werte erreichte die AfD vor allem im Süden des Landes. Hier stechen Ergebnisse in Industriestädten wie Ludwigshafen (19,9%), Germersheim (18,1%), Pirmasens (16,2%) und Kaiserslautern (14,8%) hervor. Relativ bescheiden nehmen sich demgegenüber die 8,1 Prozent in Mainz aus.
DIE LINKE trat zwar mit konkreter Reformprogrammatik an und ihr Spitzenkandidat Jochen Bülow schlug sich in der Elefantenrunde im SWR wacker, aber ihre Basis im Flächenland ist – auch aufgrund eigener Versäumnisse – nach wie vor schwach. Sie konnte mit einem absoluten Zugewinn von nur 4000 Stimmen aus der höheren Wahlbeteiligung keinen Vorteil ziehen. Nur in den Städten Trier und Zweibrücken kam sie über fünf Prozent. In Kaiserslautern holte sie 4,8% der Zweitstimmen und 7,1 % der Erststimmen.
Die Mehrheit der Stimmen für die AfD kommt nicht von hoffnungslosen Rechtswählern und Faschisten, sondern von verzweifelten oder einen Abstieg fürchtenden Menschen. Solange sie keinen kollektiven, sozialistischen Ausweg erkennen, sind sie für das rassistische Teile und Herrsche anfällig, das Flüchtlinge und MigrantInnen zu Sündenböcken abstempelt. DIE LINKE muss ernsthaft und ohne Tabus fragen, warum sie diese Menschen nicht ansprechen konnte und auch für viele Jugendliche unattraktiv war. Vielfach lässt die Verankerung in der ArbeiterInnenklasse zu wünschen übrig.
Was nun?
Die politische Landschaft ist stark polarisiert und fragmentiert. Besonders Sachsen-Anhalt hat deutlich gemacht, dass eine Anpassung der LINKEN an die sozialdemokratische Bürokratie ein Rezept für saftige Niederlagen ist. Wir brauchen eine kompromisslose Vertretung der Interessen der Jugend und ArbeiterInnen! Als Antwort auf die AfD-Erfolge werden etablierte Parteien immer mehr nach rechts rücken. Wir brauchen aber ein kämpferisches, revolutionär-sozialistisches Programm als radikale Antwort auf die Herausforderung dieser AfD-Erfolge.
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