Während DIE LINKE und SPD massive Stimmenverluste erleiden, zementiert sich der Aufstieg der rechten „Alternative für Deutschland“. Was verbirgt sich hinter den Prozentzahlen der bürgerlichen Demokratie?
Landtagswahl 2016 Sachsen-Anhalt
Wahlberechtigte: 1,9 Millionen Wahlbeteiligung: 61 % (2011: 51,2 %)
Charakteristisch für das Wahlergebnis in Sachsen-Anhalt ist unverkennbar der massive Aufstieg der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD). Mit ganzen 24,4 % aus dem Stand wird sie die zweitstärkste Fraktion nach der CDU im Landesparlament. Die Rechtspopulisten konnten über 104.000 Wahlberechtigte aus dem Lager der NichtwählerInnen und 29.000 ehemalige WählerInnen der Partei DIE LINKE für sich generieren. Die SPD verliert zwar nur 21.000 WählerInnen an die AfD, erleidet aber mit einem absoluten Stimmenverlust von -10,9 % (80.000 Stimmen) die mit Abstand stärkste Niederlage aller beteiligten Parteien, gefolgt von der Partei DIE LINKE mit einem Stimmenverlust von -7,4 % (49.000 Stimmen).
Bedrohlich ist der Zuspruch der AfD in der jüngeren Generation. 23 % der 18- bis 24jährigen und 28 % der 25- bis 34jährigen wählten die AfD. DIE LINKE hat den meisten Zuspruch in der Gruppe der über 60jährigen, die AfD hat in dieser Gruppe hingegen ihren niedrigsten Zuspruch. Der Zuspruch der früheren PDS in Ostdeutschland generiert sich damit mehr aus einer älter werdenden StammwählerInnenschaft. Die von Perspektivlosigkeit und Frustration unterjochte Jugend sieht in der Partei DIE LINKE einen Teil des etablierten Systems, was nicht für die AfD und ihr aggressives Auftreten gegen alle anderen Parteien gilt.
Ein erstaunlicher Punkt ist die Tatsache, dass jeweils 37 % der AfD-WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse und der Reservearmee (Arbeitslose) stammen. Dies ist vorallem deswegen interessant, weil die AfD ein der ArbeiterInnenklasse und HartzIV-EmpfängerInnen ausdrücklich feindlich gesinntes Programm besitzt. Die AfD stemmt sich mit aller Kraft gegen jede Form von staatlich festgelegten Mindestlöhnen und will die HartzIV-Sanktionen deutlich verschärfen. Ein ähnliches Phänomen erkennen wir in Österreich mit dem Aufstieg der FPÖ, die ebenfalls der ArbeiterInnenklasse feindlich gesinnt ist und trotzdem fast 50% aus ihrer WählerInnenschaft aus diesem Teil der Gesellschaft generiert.
Allerdings konnten die Rechtspopulisten bei der weiblichen WählerInnenschaft deutlich weniger punkten als im männlichen Teil der Gesellschaft. 75 % der AfD-WählerInnenschaft sind männlich. Alle anderen Parteien haben in ihrer WählerInnenschaft hingegen stets einen höheren Frauen- als Männeranteil. Dies kann an der reaktionären Position der AfD zu Abtreibungen liegen, in welcher der Frau die freie Verfügung über ihren eigenen Körper entzogen werden soll. Andere PolitikerInnen der Rechtspopulisten werben mit der Verteilung von klaren Geschlechterverhältnissen. Die Frau soll traditionell die Hausarbeit leisten, während der Mann zur Arbeit im Betrieb geht.
Mit Ausnahme der neoliberalen FDP, die mit 4,9 % den Einzug in den Landtag knapp verfehlt, ist die AfD die einzige Partei ohne Stimmenverluste. Der Faschismus in Form der NPD verliert ebenfalls immer mehr an Boden. Allerdings rief die NPD in allen drei Bundesländern kurz zuvor bei einer Pressekonferenz öffentlich zur Unterstützung der AfD mit der Erststimme auf, während die Zweitstimme weiterhin der NPD gelten sollte. Diese Kalkulation ist zwar nicht aufgegangen, allerdings tummeln sich zweifellos eigentliche NPD-AnhängerInnen unlängst bei der AfD. Und das ganz offiziell.
Vom Standpunkt der historischen Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse gesehen, also DIE LINKE und SPD, kann eine Niederlage auf ganzer Linie attestiert werden. Der Spitzenkandidat der Partei DIE LINKE, Wulff Gallert, verkaufte sich im Wahlkampf als „Wirtschaftsexperte“ und „Frauenversteher“ und warb unaufhörlich für eine Koalition aus LINKEN, SPD und GRÜNEN nach thüringischen Vorbild. Von einem klaren Oppositionskurs war nicht ansatzweise etwas zu erkennen. Warum sollten demoralisierte ArbeiterInnen und frustrierte Jugendliche auch eine Partei unterstützen, die von vorne herein eine Regierungskoalition mit den Ver- und zertretern zum Ziel hat?
DIE LINKE in Sachsen-Anhalt wird nicht als radikale Alternative zum etablierten Mainstream identifiziert, sondern verkörpert im Gegenteil eine Form der Bürokratie und des Karrierismus. Die Staatssozialisten in der Führungsebene der LINKEN in Sachsen-Anhalt hätten mit einem radikalen Oppositionskurs also eindeutig mehr für ihre parlamentarische Karriere getan, anstatt auf Bündnisse mit der Bürokratie von SPD und GRÜNEN zu setzen. Der Verlust des politischen Profils und die Entfremdung von der ArbeiterInnenklasse wird nicht nur der SPD unmissverständlich quittiert, sondern vorallem auch der Partei DIE LINKE, die in Ostdeutschland traditionell mehr Rückhalt genießt als die SPD.
Die östlichen Landesverbände der AfD, vorallem Thüringen, Brandenburg und Sachsen-Anhalt sind in ihrer Programmatik deutlich rechter eingestellt als andere Landesverbände. Umso dramatischer ist daher ihr Aufstieg ausgerechnet in Sachsen-Anhalt. Im Gegensatz zu ihren Ablegern in Westdeutschland stützt sich die AfD teilweise auf offen faschistische Kräfte. Die völkische „Volkstod“-These findet sich beispielsweise in ihrem politischen Repertoire. Bekannte Führungspersonen wie Björn Höcke und André Poggenburg vertreten die wahnhafte Ansicht, dass die „Linken“ - damit meinen sie alle Parteien links der AfD inkl. CDU – mithilfe von „Invasoren“ (MigrantInnen) das deutsche Volk ausrotten wollen würden.
Um diesen „Volkstod“ aufzuhalten müsse die politische Linke folglich zerschlagen werden. Mit dieser Verschwörungstheorie setzen einige Führungspersonen der AfD tatsächlich an faschistischen Denkmustern an. In sozialen Netzwerken wie Facebook fallen immer wieder Postings von AfD-Accounts in Danksagung gegenüber der offen faschistischen NPD und ihrer Unterstützung für die AfD. Auf der anderen Seite grenzt sich die AfD offiziell noch immer vom „Extremismus“ ab, der die „deutsche Demokratie und Stabilität“ gefährde. Sie bezeichnet Linke oftmals auch als „Linksfaschisten“, was zwar ein idiotischer Widerspruch in sich selbst ist, allerdings auch eine Ablehnung gegenüber dem Faschismus impliziert.
Die Regierungskonstellation in Sachsen-Anhalt wurde ebenso wie in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz abgewählt, obwohl alle Ministerpräsidenten bestätigt wurden. Für eine neue Koalition in Sachsen-Anhalt ist die herrschende Klasse wahrscheinlich auf eine „Kenia-Koalition“ angewiesen, also ein Bündnis aus CDU, SPD und GRÜNEN. Dies erscheint exotisch, ist allerdings die einzige Option zur Machterhaltung, wenn sie Neuwahlen verhindern will. Anders als in Thüringen wird eine Regierung mit Beteiligung der LINKEN von der herrschenden Klasse noch nicht als unumgänglich angesehen. Das Experiment Rot-Rot(-Grün) ist damit bisher in allen Bundesländern gescheitert. Eine Koalition der CDU mit der AfD wird von letzterer kategorisch ausgeschlossen, denn damit würde die AfD ihr rebellisches Image verlieren.
Landtagswahl 2016 Baden-Württemberg
Wahlberechtigte: 7,7 Millionen Wahlbeteiligung: 70,4 % (2011: 66,3 %)
Auch im „Ländle“ von Baden-Württemberg sorgt die AfD mit 15,1 % aus dem Stand für Wirbel. Hier konnten die Rechtspopulisten ganze 204.000 Ex-NichtwählerInnen mobilisieren. Erstaunlicher Weise konnten auch die in der Regierung tonangebenden GRÜNEN ihr Ergebnis gegenüber 2011 deutlich ausbauen und ebenfalls 129.000 ehemalige NichtwählerInnen für ein grünes Kreuz bei der Zweitstimme gewinnen. Die GRÜNEN haben einen guten Job für das Kleinbürgertum erledigt, wodurch der Aufstieg der AfD abgeschwächt wurde. Die Sozialdemokraten der SPD verzeichnen auch in Baden-Württemberg einen historischen Tiefstand.
Charakteristisch für Baden-Württemberg ist die Bewegung des Kleinbürgertums, der sich im Aufstieg der GRÜNEN, der AfD und der bereits totgesagten Neoliberalen der FDP ausdrückt. Dies kann als Wiederbelebungsversuch der FDP durch die herrschende Klasse verstanden werden, um ein Gegengewicht zur politisch destabilisierenden AfD zu schaffen. Dieser Versuch ist ihr zwar gelungen, allerdings wählten auch hier 55 % der AfD-AnhängerInnenschaft die Rechtspopulisten als Denkzettel für die anderen Parteien und nicht aus politischer Überzeugung.
Die AfD rekrutiert 188.000 Stimmen von der CDU, was 25 % ihrer WählerInnenschaft ausmacht, und 22.000 von der Partei DIE LINKE. Damit generiert die AfD in Baden-Württemberg nur 3 % ihrer WählerInnen von ehemaligen LINKE-AnhängerInnen. In Sachsen-Anhalt macht dieser Anteil hingegen 11 % und in Rheinland-Pfalz 5 % aus. Auch im Südwesten der Republik kommt der relativ größte Anteil ihrer WählerInnen aus der ArbeiterInnenklasse und Arbeitslosen aus dem Spektrum der 25- bis 44jährigen. In diesen Bereichen übertrifft sie alle anderen Parteien.
Die Pulverisierung der SPD ist ihrer unaufhörlichen Entfremdung von der ArbeiterInnenklasse geschuldet. Über 69 % aller Wahlberechtigten und 41 % ihrer WählerInnen sind der Meinung, man wisse heutzutage nicht mehr, wofür die SPD politisch überhaupt stehe. Über 77 % aller Wahlberechtigten und 65 % ihrer WählerInnen sind sogar der Meinung, dass der SPD das überzeugende Spitzenpersonal fehle. Hier kommt die ganze Schwäche der bürgerlichen Führung der einst stärksten und bestorganisierten Arbeitermassenpartei der Welt zum Ausdruck. Im Vergleich zu 2011 verliert die SPD in den Kernbereichen soziale Gerechtigkeit 15 %, Familienpolitik 11 %, Arbeitsplätze 6 % und in der Bildungspolitik 16 % in ihrem Kompetenzvertrauen in der Bevölkerung.
DIE LINKE stagniert zwar in der Marginalisierung, allerdings sehen ihre Werte gegenüber der SPD in Baden-Württemberg deutlich anders aus. Ganze 79 % ihrer UnterstützerInnen wählten DIE LINKE wegen sozialer Gerechtigkeit, 30 % wegen ihrer Wirtschaftspolitik, 28 % wegen ihrer Positionierung zur Flüchtlingsfrage und 21 % wegen ihren Forderungen in der Bildungspolitik. Nur 10 % wählten DIE LINKE wegen einer möglichen längerfristigen Parteibindung. Damit steht die Existenz der LINKEN in Baden-Württemberg auf Messers Schneide. Allerdings wählten ganze 79 % ihrer AnhängerInnen die Partei wegen ihrer Lösungsvorschläge zu Sachfragen insgesamt. Im Moment ist die kleine WählerInnenschaft der LINKEN die politisch meist überzeugte im südlichen Bundesland.
Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil der 18- bis 34jährigen WählerInnen der Partei DIE LINKE. Der Anteil der über 60jährigen ist hingegen verschwindend gering. Das ist sehr beachtenswert, denn bundesweit hält DIE LINKE mit einem Altersdurchschnitt von ca. 60 Jahren den Rekord der im Bundestag vertretenen Parteien. In Baden-Württemberg sind die Genossinnen und Genossen also zu einem kleinen Anlaufpunkt für fortschrittlich radikalisierte Jugendliche und frustrierte Arbeitslose geworden. Das bietet wichtige Chancen für die Partei, denn Jugendliche sind in der Regel tatkräftiger und motivierter als belastete Ältere. Wie der britische Marxist Ted Grant bereits sagte: „With enthusiasm you can reach everything. Without you can reach nothing!“
Insgesamt konnte DIE LINKE nur 156.211 Stimmen von 7,1 Millionen mobilisieren. Das ist natürlich ein verschwindend geringer Anteil, aber das kann sich das ändern, wenn sie ihren Zuspruch bei ihrer überdurchschnittlich jungen WählerInnenschaft nutzt. Wichtig wäre vorallem, eine offensive Mitgliederrekrutierung zu betrieben und ihre Zentren Freiburg, Tübingen und Stuttgart zu festigen. Sie muss Neulinge integrieren, politisch auszubilden und ihnen ein Raum für die Entfaltung der politischen Aktivität bieten. Beschränkt sich DIE LINKE wie in vielen anderen Teilen der Bundesrepublik auf einen unattraktiven Sitzungssozialismus zur Klärung von Formalien, wird sie dieses Potenzial sehr schnell wieder verlieren. Die Überalterung der Partei resultiert schließlich daraus, dass ihre Arbeitsweise für Jugendliche so unattraktiv ist wie eine zweistündige Klausur in Mathematik.
Landtagswahl 2016 Rheinland-Pfalz
Wahlberechtigte: 3,1 Millionen Wahlbeteiligung: 70,4 % (2011: 61,8%)
Im Unterschied zu Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg konnte die Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz ihre „PASOKisierung“ zunächst abwenden. Der Grund dürfte die scharfen Auseinandersetzungen zwischen der SPD-Bürokratie um Ministerpräsidentin Malu Dreyer und der CDU um Spitzenkandidatin Julia Klöckner sein. Noch im November 2015 lag die SPD in Rheinland-Pfalz in den Sonntagsumfragen ca. 10 % hinter der CDU, allerdings konnte sie wieder an ihr Ergebnis von 2011 anschließen. Julia Klöckner positionierte sich in der dominierenden Flüchtlingsfrage öffentlich gegen Angela Merkel, die für die herrschende Klasse jedoch einen guten Job erledigt.
Die momentane Stabilisierung der Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz ist einem Wechsel von einem Teil des Bürgertums von der CDU hin zu SPD geschuldet sowie der dort organisch schwachen LINKEN. Dies hat auch historische Gründe. Der Bruch der SPD-Linken im Jahr 2005, der zur Gründung der WASG und zu ihrer Verschmelzung mit der PDS zur Partei DIE LINKE im Jahr 2007 führte, war in Rheinland-Pfalz schwächer ausgeprägt als in anderen Teilen Westdeutschlands. DIE LINKE kann zwar einige regionale gewerkschaftliche Positionen besetzen, allerdings fehlt ihr eine breite Verankerung in der ArbeiterInnenklasse. Aufgrund des Abgrenzungskurses der SPD-Führung gegenüber CDU konnte die Sozialdemokratie hier noch ihr Gesicht bewahren – trotz ihrer Verwaltung des bürgerlichen Staates und Durchsetzung von Kürzungen.
Über 94 % der Wahlberechtigten in Rheinland-Pfalz zählen zur ArbeiterInnenklasse. Tatsächlich stammt der größte Anteil der SPD-WählerInnen in Rheinland-Pfalz aus der ArbeiterInnenklasse, gefolgt von Rentnern und der Reservearmee (Arbeitslose). Allerdings schwindet ihr Anteil an ArbeiterInnen in der Mitglied- und WählerInnenschaft ebenfalls kontinuierlich. Die Schwäche der LINKEN ist das einzige Ventil, dass den drohenden Kollaps in Rheinland-Pfalz für die Sozialdemokratie aufhält. Der Rückhalt der LINKEN in Rheinland-Pfalz reduziert sich beinahe vollständig auf ihre StammwählerInnenschaft, obwohl sie mit klar oppositionellen Positionen angetreten ist. Den meisten Zuspruch erhielt DIE LINKE nicht von ArbeiterInnen, sondern von Arbeitslosen.
„Jeder Schritt wirklicher Bewegung ist wichtiger als ein Dutzend Programme.“, so formulierte es Karl Marx in seiner Kritik des Gothaer Programms im Jahr 1875. Dies trifft auf die Misere der LINKEN in Rheinland-Pfalz zu. Es mangelte ihr nicht an politischer Strategie, sondern an fehlender Präsenz in der ArbeiterInnenklasse und der Jugend. Selbstverständlich leidet DIE LINKE in Westdeutschland auch unter der Verwaltung des bürgerlichen Staates der LINKEN in Ostdeutschland. Sie schmälern das Image der Partei DIE LINKE insgesamt. Die korrekte Strategie der LINKEN in Rheinland-Pfalz macht sich insbesondere in ihrem überdurchschnittlich hohen Anteil an WählerInnen bei den 18- bis 24jährigen bemerkbar, während die SPD den meisten Zuspruch bei den 59- bis 69jährigen findet. In Ostdeutschland sind die meisten WählerInnen der LINKEN ebenfalls RentnerInnen.
Ungewöhnlich ist der erdrutschartige Verlust der kleinbürgerlichen GRÜNEN, die ca. 2/3 ihrer Stimmen gegenüber 2011 verloren haben. Er geht einher mit einem Kickstart der AfD auf 12,6 %, allerdings besteht hier keine nähere Verbindung. Die GRÜNEN stützen sich auf das Bildungsbürgertum und verlieren dadurch ganze 93.000 Stimmen an die Sozialdemokratie, während die AfD 46.000 Stimmen von ehemaligen CDU- und 34.000 Stimmen von ehemaligen SPD-AnhängerInnen generiert. Ebenso wie in Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg mobilisieren sie das Heer der NichtwählerInnen und ziehen dadurch 77.000 weitere Stimmen aus dem Boden.
Das ist ein bedrohlicher Warnschuss für die politische Linke, selbst unter dem Trost, dass die Hälfte der AfD-AnhängerInnen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie ganze 77 % ihrer AnhängerInnen in Sachsen-Anhalt finden, die rechtspopulistische Partei distanziere sich nicht genug von rechtsradikalen Positionen. 90 % der WählerInnen der AfD in Rheinland-Pfalz sind der Meinung, dass diese Partei zwar keine Probleme lösen kann, aber die Probleme immerhin benenne.
Der linke Reformismus in West- und Ostdeutschland
Über 25 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD offenbart sich die ganze Unvollkommenheit der sogenannten deutschen Wiedervereinigung. In den 1990ern konnte die PDS in Ostdeutschland wegen des sozialen Ausverkaufs durch den Kapitalismus in den neuen Bundesländern große Teile der ArbeiterInnenklasse mobilisieren. Die Unterstützung der ostdeutschen Arbeitermassenpartei heute ist von einer Burg auf massivem Stein zu einer Hütte auf Sand verkommen.
Die SPD konnte nie an die Erfolge der LINKEN in Ostdeutschland anknüpfen, ebenso wie DIE LINKE nie an die Erfolge der SPD in Westdeutschland anknüpfen konnte. Die SPD verwaltet den bürgerlichen Staat mit Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse in Westdeutschland, DIE LINKE verwaltet den bürgerlichen Staat mit Angriffen auf die ArbeiterInnenklasse in Ostdeutschland. Die wechselseitige Beziehung der Landesverbände in ihrer Tagespolitik und das Erscheinungsbild von SPD und LINKEN auf Bundesebene haben beiden Parteien Schläge von historischem Ausmaß versetzt.
Noch immer ist das Kapital in Ostdeutschland wesentlich weniger entwickelt als in Westdeutschland. Noch immer verdienen ArbeiterInnen in Ostdeutschland deutlich niedrigere Löhne als ArbeiterInnen in Westdeutschland, ebenso wie die Jugendarbeitslosigkeit im Osten weit stärker ausgeprägt ist als im Westen. Die Demoralisierung und Frustration über die etablierten Parteien ist in großen Teilen der ArbeiterInnenklasse und Jugend entsprechend hoch. Diese Wut wurde in einer „konterrevolutionären Verzweiflung“ (Leo Trotzki) in reaktionäre Bahnen kanalisiert, weil die AfD als einzige oppositionelle Partei gegen den Mainstream wahrgenommen wird. Die ArbeiterInnenklasse und Jugend wählte die AfD aber nicht wegen ihrer Programmatik, sondern um eben ihrer Verzweiflung ein Ventil zu geben. Das bedeutet aber keineswegs, dass die ArbeiterInnenklasse eine magische Immunität gegen rassistische Propaganda hätte – denn eine Minderheit der ArbeiterInnen wählten die AfD auch aus programmatischer Überzeugung.
Warum sollten die ArbeiterInnen und Jugendlichen in Sachsen-Anhalt DIE LINKE wählen, wenn ihre Parteiführung von Anfang an eine Koalition mit SPD und GRÜNEN fokussiert, welche die Sparpolitik konstruiert haben und diese von der LINKEN zwangsläufig gestützt werden müsse? Und warum sollten die ArbeiterInnen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz DIE LINKE wählen, wenn diese keine materielle Basis in ihrer eigenen Klasse besitzt? Die Probleme der Partei DIE LINKE unterscheiden sich in West- und Ostdeutschland. DIE LINKE in Ostdeutschland verliert ihre Massenbasis durch bürgerliche Politik, in Westdeutschland muss sich DIE LINKE eine Massenbasis hingegen erst mühselig aufbauen.
Die Fraktionsvorsitzende der Partei DIE LINKE im Bundestag, Sahra Wagenknecht, sagte am Sonntag abend auf ihrer Facebook-Seite, es sei „in diesem politischen Klima sehr schwer, mit linken Positionen zu punkten.“ Welch Unsinn! Genau diese defensive Haltung ist es, die DIE LINKE bundesweit in die Marginalisierung drängt. Ihre Einschätzung ist nicht nur schädlich für die ArbeiterInnenklasse, sondern objektiv völlig falsch. Die ArbeiterInnenklasse schreit regelrecht nach einer radikalen Alternative. In ihrer Verzweiflung versucht sie die Führungsebenen der LINKEN und SPD wachzurütteln, indem viele aus Frustration ihr Kreuz bei der AfD gesetzt haben, obwohl sie das Programm der AfD mehrheitlich ablehnen.
DIE LINKE und SPD wurden in Ost- und Westdeutschland gleichermaßen abgestraft. Der Spielraum für progressiven Reformismus innerhalb des Kapitalismus wird immer geringer, denn die soziale und wirtschaftliche Krise des Weltkapitals erreicht inzwischen auch das kapitalistische Zentrum Europas. Zwar unterscheidet sich DIE LINKE bundesweit noch in wichtigen Kernfragen von der SPD, z.B. in der Ablehnung von Militäreinsätzen und HartzIV, aber ihr struktureller Parteiaufbau ist beinahe identisch mit der SPD. Das ist nicht verwunderlich, entspringen beide Parteien immerhin dem gleichen Naturell: dem Reformismus.
Wer den bürgerlichen Staat verwalten will muss zwangsläufig die Spielregeln des Kapitalismus akzeptieren. Durch Akzeptanz der bürgerlichen Hegemonie und Verzicht auf das Ziel eines revolutionären Bruchs mit den kapitalistischen System läuft reformistische Politik zwangsläufig auf einen politischen Verbürgerlichungsprozess hinaus. Daher unterscheiden sich DIE LINKE in Ostdeutschland und die SPD in Westdeutschland letzten Endes nur temporär und graduell voneinander. Der viel weiter fortgeschrittenere Verbürgerlichungsprozess der SPD im Vergleich zur Partei DIE LINKE ist ihrer historisch viel längeren Teilnahme an Landes- und Bundesregierungen im bürgerlich-kapitalistischen Staat und der stetig gewachsenen Nähe der Führungsschicht zum Kapital geschuldet.
Selbst wenn eine Regierung durch die Schuldenbremse und Wirtschaftskrise Angriffe gegen die ArbeiterInnenklasse startet und Konflikte mit den Gewerkschaften provoziert, ist es keine ausgemachte Sache und kein Automatismus, dass DIE LINKE davon auf breiter Front profitiert und auf allen Ebenen in der Lage wäre, der Unzufriedenheit Ausdruck und Programm zu verleihen. Die ArbeiterInnenklasse will die etablierten Parteien nicht bloß abstrafen. Sie verlangt nach einer wirklich sozialistischen Partei, die endlich kompromisslos ihre Interessen vertritt, anstelle das Interesse einer kleinen bürokratischen Schicht, die auf Teufel komm raus an den Kuchen des bürgerlichen Staates gelangen will. Sie will keine defensive Linkspartei, sondern eine radikale Opposition zum politischen Mainstream.
Die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz können als ein historisches Tief der traditionellen Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse zusammengefasst werden. Die ArbeiterInnenklasse wurde aber nicht besiegt, im Gegenteil, sie beginnt sich gerade erst zu bewegen. Die Niederlage der Massenparteien der arbeitenden Bevölkerung ist nicht dem „politischen Klima“ geschuldet, ganz im Gegenteil, sondern der Unfähigkeit der Führungen der traditionellen ArbeiterInnenparteien, der ArbeiterInnenklasse selbst gerecht zu werden und ihrer Wut einen angemessenen Entfaltungsspielraum zu bieten. Die Begrenztheit des Reformismus endet zwangsläufig in Passivität und seufzender Akzeptanz der Verhältnisse.
In turbulenten Zeiten von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Erschütterungen ebnet der Reformismus der Reaktion den Weg. Nicht, weil der Reformismus das etwa beabsichtigen würden, sondern weil der Reformismus schlichtweg keine Antworten auf die Krise formulieren kann und zwangsläufig in einer Sackgasse endet, wo er keine Antworten mehr weiß und die frustrierte ArbeiterInnenklasse nun selbst zu frustrieren beginnt. Dies haben wir in Griechenland mit PASOK und jetzt SYRIZA gesehen, in Spanien mit der PSOE und der Izquierda Unida, in Italien mit der Rifondazione Comunista, in Frankreich mit der PCF und Front de Gauche, in Dänemark mit der Einheitsliste, in Schweden mit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei und der Linkspartei, in Venezuela mit der 7,5 Millionen Mitglieder zählenden Vereinigten Sozialistischen Partei (PSUV) und unzähligen weiteren Beispielen weltweit.
Die Reaktion in West- und Ostdeutschland
Die Gärung des Klassenkampfes wurde zunächst in reaktionäre Bahnen geleitet, weil DIE LINKE und SPD ihm keine Entfaltungsmöglichkeiten mehr bieten konnten. Dies begünstigte den Aufstieg der AfD unmittelbar, denn die Rechtspopulisten konnten durch ihren aggressiven „Oppositionskurs gegen das Establishment“ (in Wahrheit gehören sie ausdrücklich dazu) nicht nur das Heer der NichtwählerInnen begeistern, sondern auch viele frustrierte WählerInnen der LINKEN gewinnen. Die AfD mobilisiert Enttäuschte, nicht Überzeugte. Aus diesem Grund ist die vorschnelle Annahme, in Deutschland stehe plötzlich eine neue faschistische Gefahr unmittelbar bevor, grundlegend falsch.
Die ArbeiterInnenklasse ist sich sogar bewusst, dass die AfD ihre Probleme nicht lösen kann und – sobald die AfD an der Regierung wäre – sogar Konterreformen gegen die ArbeiterInnenklasse einleiten würde. Es ist eine klassische Protestwahl, die sich wegen der Unfähigkeit der Führungen der LINKEN in die falsche Richtung entladen hat. Auf der anderen Seite ist der dramatische Aufstieg der AfD insbesondere in Sachsen-Anhalt keineswegs zu verharmlosen, sondern in erster Instanz (!) eine eindringliche Warnung für die politische Linke. Wenn ArbeiterInnen sich von einer sozialistischen Partei abwenden und massenhaft in die Reaktion laufen, dann müssen alle Alarmglocken läuten.
Diese Entwicklung kam keineswegs unvorhergesehen. Alle vorrevolutionären Prozesse in der Geschichte verlaufen wie ein Vulkan. Die Gesellschaft durchläuft zunächst tiefe Gärungsprozesse unter der Oberfläche über Jahre hinweg, bevor es sprungartig zur Explosion kommt, sobald der Druck zu hoch wird. Alle hatten sich darauf eingestellt, dass DIE LINKE verlieren und die AfD gewinnen würde. Doch das Ausmaß der Niederlage für DIE LINKE und der überragende Sieg für die Rechtspopulisten wurde selbst von strammen SozialistInnen in dieser Dimension nicht erahnt. Denn es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen der Situation in Deutschland gegenüber jenen in Griechenland, Spanien, Frankreich, Polen, Portugal und vielen weiteren europäischen Staaten.
Anders als in diesen Ländern befindet sich Deutschland noch keineswegs in einer vollentwickelten kapitalistischen Krise. Trotzdem verbreiten sich Wut und Frustration bereits jetzt in extremen Ausmaß, obwohl die Krise des Kapitalismus Deutschland noch nicht einmal wirklich erreicht hat. Der soziale und politische Verfall ist zwar spürbar, aber ein radikaler Zusammenbruch des Lebensstandards liegt noch in weiter Ferne. Das Geheimnis für diese ungleich aggressivere Reaktion der deutschen ArbeiterInnenklasse im Vergleich zu den anderen europäischen Staaten liegt in dem Entwicklungsstand des deutschen Kapitalismus und seiner extrem hoch entwickelten Produktivkräfte.
Wir wissen, dass die Akkumulation von Kapital stets auch Vermehrung des Proletariats bedeutet. Deutschland ist seit Jahrzehnten eine der führenden Nationen des Kapitals weltweit und erdrückt alle anderen europäischen Staaten auf dem Markt. Kein anderes europäisches Land hat eine derart hohe Konzentration von Kapital und eine solch große und enorm entwickelten ArbeiterInnenklasse. Dies konnte der deutsche Kapitalismus im Wettbewerb aber nur durch eine starke Expropriation der Produktivkräfte selbst erreichen – also bspw. durch Dumpinglöhne für Millionen ArbeiterInnen, modernes Sklavenhaltertum durch Leiharbeit, schrittweiser Abbau des Sozialstaates und letztlich bei allen Errungenschaften der deutschen ArbeiterInnenklasse seit 1949 bzw. 1990.
Weil die deutsche ArbeiterInnenklasse sich aber wie keine andere durch große Errungenschaften auszeichnet, akzeptiert sie auch einen vorübergehenden Abbau ihrer Errungenschaften, solange das Bürgertum ihr dies als notwendiges Übel und Reaktion auf den wirtschaftlichen Abschwung verkauft. Selbst die reaktionäre Agenda 2010 von Altkanzler Gerhard Schröder, ein beispielloser Angriff auf die ArbeiterInnenklasse, von dem Helmut Kohl nur hätte träumen können, führte zwar zu einer tiefen Existenzkrise in der SPD, aber die ArbeiterInnenklasse tolerierte letztlich selbst diese massiven Angriffe. Man musste schließlich den Gürtel enger schnallen. Doch damit ist jetzt Schluss.
Deutschland sah im Jahr 2015 eine derartige Streikwelle wie seit zwanzig Jahren nicht mehr. In Berlin gingen im Oktober über 250.000 Menschen gegen TTIP auf die Straße – immerhin halb so viele wie bei den Massendemonstrationen gegen den Irak-Krieg im Jahr 2003. Die ArbeiterInnenklasse beginnt sich zu wehren. Es brodelt. Die Klassenkämpfe im Jahr 2015 haben die deutsche ArbeiterInnenklasse nach Jahren der Passivität zu neuer Stärke verholfen, weil sie ihr eigenes Potenzial wiedererkannt hat. Warum sollte sie ihre hart erkämpften Errungenschaften weiter preisgeben, wenn in Wirklichkeit sie selbst der King im Ring ist?
Es ist unbestreitbar, dass ein politischer Crash im Zentrum des europäischen Kapitalismus den gesamten Kontinent durcheinander werfen würde. Revolution und Konterrevolution sind zwei Erscheinungen des gleichen Prozesses und in ihrem Ablauf sehr ähnlich. Beide treten in den gleichen gesellschaftlichen Phasen auf. Entscheidend ist lediglich der subjektiven Faktor, nämlich: die Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse. Kann sie die (vor)revolutionäre Gärung in der Bevölkerung nicht artikulieren, wird sich die Bevölkerung von ihr abwenden. Warum auch sollte man sich hinter einer Organisation scharen, die einem selbst nicht gerecht wird?
Das Versagen der Partei DIE LINKE in Ostdeutschland war demnach vorprogrammiert. Die AfD hat überdurchschnittlich stark abgeschnitten bei männlichen und unter 45jährigen Wählern, unter Haupt- und RealschülerInnen, ArbeiterInnen und Arbeitslosen. Das macht sie aber keineswegs zu einer ArbeiterInnenpartei, denn ihr organischer Kern ist das Kleinbürgertum. Die Gärung im Kleinbürgertum ist immer das erste Anzeichen für Stimmungsschwankungen in der Gesellschaft. Die ArbeiterInnenklasse zieht hingegen später nach. Aufgrund ihrer Zahlenmäßigkeit und ihrer größeren ökonomischen Einheit dann aber umso dramatischer. Während die Partei DIE LINKE das Kleinbürgertum schon bei der Bundestagswahl 2013 verloren hatte, verliert sie nun auch die ArbeiterInnenklasse. Das hat ernsthafte Folgen.
Auch wenn es viele Parallelen zur Weimarer Republik der 1920er Jahre gibt (Zerfall der Volksparteien, Klassenpolarisierung, revolutionäre Gärung), gibt es noch keinerlei Grund eine neue faschistische Massenbewegung in Deutschland zu prognostizieren. Der Kapitalismus befindet sich in einer ganz anderen Phase, die ArbeiterInnenklasse ist viel größer und entwickelter, das ländliche Kleinbürgertum hingegen viel schwächer (es war Hauptstütze des Faschismus in den 1920ern bis 1940ern), es existiert keine Todesfeindschaft zwischen zwei ArbeiterInnenparteien usw. Wäre DIE LINKE aber eine revolutionär-sozialistische Partei auf dem absteigenden Ast, müsste man jetzt definitiv Alarmstufe rot schlagen. DIE LINKE ist aber keine Partei der sozialistischen Revolution, sondern des bürgerlichen Parlamentarismus.
Die ArbeiterInnenklasse wendet sich nicht gegen radikal-sozialistische Positionen, sondern gegen Bürokratismus und Karrierismus, gegen Lahmarschigkeit und Parlamentsfokussierung. Die ArbeiterInnenklasse ist in einer aggressiven Stimmung – und die derzeit einzig aggressiv auftretende Partei ist die AfD. DIE LINKE muss also sofort ihren Kurs auf Regierungsbündnisse ändern, einen grundlegenden Personal- und Strukturwechsel in der Bürokratie vollziehen und wieder sozialistische Politik betreiben. Vollzieht DIE LINKE keine radikalen Kurswechsel, steht ihr eine unglaubliche Katastrophe bei den Bundestagswahlen 2017 bevor.
Was nun?
Die Wahlergebnisse und Umfragewerte aus den Institutionen der bürgerlichen Demokratie sind notwendige Referenzen für die Analyse der aktuellen Phase in Deutschland. Sie dürfen aber auch nicht für bare Münze genommen werden, denn damit würden wir Dialektik verkennen und nicht hinter die kalten Zahlen der Landtagswahlen blicken. Die gesteigerte Wahlbeteiligung und eine dramatische Veränderung der politischen Landschaft sind direkte Äußerungen des Klassenkampfes in der Bundesrepublik Deutschland.
Der vorläufige Höhepunkt der Rechtspopulisten kann sich schnell wieder in Luft auflösen, wenn DIE LINKE politische, organisatorische und strukturelle Konsequenzen zieht. Der Großteil der Mitglieder der Partei DIE LINKE versteht diesen Warnschuss sehr gut, wie wir ihren Reaktionen in den ersten 24 Stunden nach der Wahl entnehmen können. Die Diskussionen in der Mitgliedschaft über die Gründe für die Wahlergebnisse sind so breit und intensiv wie seit dem Fusionierungsprozess von 2005 bis 2007 nicht mehr. Keine Stunde vergeht ohne neue lange Statements und Diskussionsbeiträge von bekannten und weniger bekannten Mitgliedern der LINKEN.
Damit haben die Teile der ArbeiterInnenklasse, die aus Verzweiflung heraus die AfD gewählt haben, bereits ihr erstes Ziel erreicht: sie haben DIE LINKE wachgerüttelt und eine ernsthafte Diskussion in der Partei über ihr Programm, Profil, Strategie und Taktik und ihre gesamte Existenz ausgelöst. Die Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger suchen indessen die Fehler bei CDU, SPD, GRÜNEN und natürlich der AfD. Das bedeutet aber, die Fehler der ArbeiterInnenklasse zuzuschieben und keine Selbstkritik zu äußern. Eine in den Fragen des Marxismus geschulte Basis erkennt diese Sachverhalte, eine politisch ungebildete Basis hingegen nicht.
Es gibt kein fertiges Rezept für den erfolgreichen Aufbau einer sozialistischen Massenpartei der ArbeiterInnenklasse. Und würde solch ein Rezept existieren, dann wäre es eher schädlich als nützlich. Aber es gibt bestimmte Methoden und Strategien, die sich in 150 Jahren internationaler ArbeiterInnenbewegung bewährt gemacht haben. MarxistInnen müssen politische Prinzipienfestigkeit mit taktischer Flexibilität verbinden und stets auf die Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse orientieren. Überall dort, wo unabhängige marxistische Aufbauarbeit bei der Partei DIE LINKE möglich ist, muss diese Option auch wahrgenommen werden. Denn wenn sich die Massen bewegen, dann organisieren sie sich zunächst in den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse anstelle von ultralinken Sekten. Die Losung muss lauten:
• Kein Vertrauen in die Bürokratie! • Nein zu Demoralisierung in den eigenen Reihen! • Nein zu Regierungskoalitionen mit SPD und GRÜNEN! • Nein zur Vergesellschaftung der Schulden – die Kapitalisten sollen zahlen! • Nein zur Verwaltung des Kapitalismus durch DIE LINKE! • Für selbstbewussten Basisaufbau der LINKEN mit marxistischer Perspektive! • Für die demokratische Vergesellschaftung des Großkapitals zur Absicherung und Ausbau des Lebensstandards der Bevölkerung! • Für eine kompromisslose Vertretung der Interessen der ArbeiterInnenklasse und Jugend! • Für unabhängige revolutionäre Aufbauarbeit! • Für sozialistische Rätedemokratie in Deutschland und Europa!
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