Über 320.000 Menschen gingen am Samstag, 17. September 2016, in sieben Großstädten gegen die Freihandelsabkommen TTIP und CETA auf die Straße. Dies war die größte bundesweite Mobilisierung an einem Tag seit über einem Jahrzehnt. In die Demonstrationen reihten sich auch viele SPD-Mitglieder ein. In Frankfurt (Main) rief der örtliche Unterbezirk zur Teilnahme auf und trat SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann als Kundgebungsredner in Erscheinung.
Seit Jahren schon wirbt jedoch der Parteivorsitzende Sigmar Gabriel für das Freihandelsabkommen zwischen Europa und Kanada. Vor allem in den letzten Monaten verstärkte er hierfür seine Entschlossenheit, nachdem er im April 2016 seine Hoffnungen auf TTIP erstmal begraben musste. Die Landesverbände Bayern und Bremen sowie die JungsozialistInnen, der SPD-Jugendverband, stellen sich jedoch entschieden auch gegen CETA. Auch im Deutschen Bundestag wollen einige SPD-Abgeordnete dem Entwurf zum Freihandelsabkommen “in seiner derzeitigen Fassung” nicht zustimmen.
Die Entscheidung der Delegierten zum Wolfsburger Konvent könnte Sigmar Gabriel sogar seine sehnlichst erwünschte Kanzlerkandidatur 2017 kosten. Er und die ihn tragenden konservativen Parteifunktionäre wollen unter allen Umständen eine Unterstützung der SPD für das Freihandelsabkommen – notfalls auch ohne Einbeziehung der Parteibasis. Sigmar Gabriel und seine Regierungsclique pflegen enge Verbindungen zu deutschen Großkonzernen und betreiben systematisch Politik für ihre eigenen Interessen und gegen die lohnabhängige Bevölkerung. Es darf daher niemanden verwundern, dass der Rückhalt der SPD seit Jahren unaufhörlich dahin bröckelt. Kein Wunder, dass die SPD auch bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2016 nach Stand der Dinge ihr schlechtestes Ergebnis seit Generationen eingefahren hat.
Es ist offensichtlich, dass diese Regierungsclique aktiv gegen das Grundsatzprogramm der SPD arbeitet und alle Mitglieder verrät, welche dieses Programm und sozialistische Traditionen noch verteidigen. Unzweifelhaft haben Sozialdemokratie und Gewerkschaften nach dem Zweiten Weltkrieg große soziale Errungenschaften für die ArbeiterInnenklasse erreicht. Aber es waren auch die Führungsetagen der Sozialdemokratie, welche dem ungezügelten globalen Kapitalismus einen Freifahrtschein ausstellten und daran gingen, die großen Errungenschaften der Arbeiterklasse wieder rückgängig zu machen. Dass Ex-SPD-Chef und Ex-Vizekanzler Franz Müntefering jetzt meint, 600 Euro Rente reichten doch zum Leben, spricht Bände. Der aktuelle Streit in der SPD über CETA stellt lediglich eine weitere Etappe dieses Prozesses dar.
Wenn Tumore nicht aus einem menschlichen Körper entfernt werden, dann steht das Überleben des gesamten Organismus auf dem Spiel. Deswegen muss die Führungsspitze der SPD restlos abgewählt werden, weil sie letzten Endes eine Bedrohung für den Lebensstandard der lohnabhängigen Bevölkerung und alle sozialen Errungenschaften darstellt. Sie repräsentieren die Vergangenheit und sind politisch nicht zu unterscheiden von der konservativen Truppe um Bundeskanzlerin Angela Merkel. Der Kampf der SPD-Basis gegen CETA muss auch ein Kampf gegen die eigene Führungsetage sein. Alle kritischen SPD-Mitglieder sollten in eine konsequente Opposition zur bürgerlichen Linie der Führungsspitze treten.
Der rasante Wiederaufstieg der Labour Party unter Jeremy Corbyn in Großbritannien zeigt, dass sich die Massen auch wieder der Sozialdemokratie zuwenden können, wenn kompromisslose Kämpfe gegen den neoliberalen Parteiflügel sichtbar werden und die Parteibasis wieder mehr Freiraum aus Ausdruck für ihre Unzufriedenheit bekommt. Wenn dieser Kampf allerdings nicht geführt wird, dann wird die Sozialdemokratie unweigerlich weiter absterben. Und dieser Trend ist bereits seit über 20 Jahren international im Gange.
Alle kritischen SPD-Mitglieder müssen neoliberale Projekte wie CETA – die ausschließlich die Interessen von Großkonzernen verfolgen und die lohnabhängige Bevölkerung unterjochen – entschieden ablehnen. Sie müssen sich entscheiden, ob sie ihre Mitgliedsbeiträge für eine Partei der bürgerlichen Institutionen und des Kapitalismus zahlen wollen, oder ob sie – gestützt auf die am17. September deutlich gewordene Massenbewegung auf der Straße – eine unabhängige organisierte Fraktion gegen die neoliberale Clique um Sigmar Gabriel & Co bilden wollen. Erst dann werden Teile der SPD wieder “in der stolzen Tradition des demokratischen Sozialismus” stehen können - wie es die SPD im Hamburger Programm von 2007 beansprucht.
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