Am Montag, 17. Oktober 2016, kam es gegen 11:20 Uhr im Bereich des werkseigenen Landeshafen-Nord in einem 15m breiten Rohrgraben mit 28 Versorgungsleitungen zu einem Brand. Auslöser soll ein Brand in einer Versorgungsleitung eines Tanklagers gewesen sein. Dies teilte die Werksleitung der Presse mit. In der Folge brannten nach BASF-Angaben Rohrleitungen mit Ethylen (Ethen) und Propylen (Propen) bzw. Flüssiggas.
Nach dem Eintreffen der Werksfeuerwehr kam es zu einer Explosion. In den Flammen starben zwei Feuerwehrleute, darunter der Einsatzleiter. Ein Matrose eines Tankschiffes, das zu diesem Zeitpunkt voll betankt mit Ethylhexanol am Pier zur Entladung bereitlag, wurde vermutlich vom Detonationsdruck über Bord in das Hafenbecken gefegt. Die tote Person konnte erst zwei Tage nach Abklingen des Brandes von Polizeitauchern geborgen werden. Zeitweise waren 100 Mann der Berufsfeuerwehr und der Freiwilligen Feuerwehr Ludwigshafen sowie 62 Mann der Werkfeuerwehr im Einsatz. Hinzu kamen Löschboote. Das Feuer konnte nach Angaben der BASF am späten Abend des 17. Oktober 2016 von den Feuerwehren unter Kontrolle gebracht werden.
Zwischen dem Landeshafen Nord und dem Rhein mussten Chemikaliensperren errichtet werden, um zu verhindern, dass ausgetretene Chemikalien in den Fluss gelangten. Die Staatsanwaltschaft sprach am Folgetag von knapp 30 Verletzten. Am selben Tag berichteten die BASF und verschiedene Medien über acht schwer und 17 leicht Verletzte. Sechs weitere Personen seien ärztlich untersucht worden. Die genauen Ursachen des Vorfalls sind noch nicht bekannt. Die Staatsanwaltschaft Frankenthal leitete nach dem Unglück in Ludwigshafen Ermittlungen u.a. wegen Verdachts auf fahrlässige Tötung ein.
Ein schlechtes Bild während der Schadensbewältigung machte die Ludwigshafener BASF-Werksleitung unter ihrem Chef Uwe Liebelt. Den Werksleiter überraschte die Katastrophenmeldung während des Besuchs in einem Zweigwerk im etwa 14 km entfernten hessischen Lampertheim. Peinlich für Liebelt, der wahrscheinlich zum Zeitpunkt des Brandausbruchs seine Betriebsleiter in Lampertheim wegen einer Verpuffung in einer Filteranlage für pulverförmige Kunststoffadditive am frühen Morgen, mit vier Verletzten, flottmachte.
Die Katastrophe vom 17. Oktober ist der vorläufige Höhepunkt einer Serie von 14 offiziell bekannt gewordenen Unfällen im Jahr 2016 allein in Ludwigshafen. Für das Unternehmen und die Werksleitung fand am 17. Oktober 2016 ein Super-Gau statt. In Folge mussten 24 Produktionsanlagen abgestellt oder im Durchsatz stark reduziert werden, darunter auch die Herzstücke des Konzerns, zwei Steamcracker, in denen längerkettige Kohlenwasserstoffe zu kurzkettigen Kohlenwasserstoffen wie Ethen oder Propen aufgespalten werden. Die Versorgung des Chemieunternehmens mit Rohstoffen, vor allem mit Naphtha, brach fast komplett zusammen. Über das Tor 15 war kein LKW-Verkehr und wegen des Brandes kein Schiffsentladung von Flüssigkeiten mehr möglich war. Das Tor 15 ist die einzige, zentral nach Terminablauf rechnergesteuerte LKW-Zufahrt des Standortes.
Nach der Explosion in Ludwigshafen sind die Folgen für das Unternehmen noch unklar. Uwe Liebelt sagte während einer Pressekonferenz: „Der wirtschaftliche Schaden ist nicht mein großes Problem heute“. Den Beobachtern zeigte sich ein fast ängstlicher, überforderter Werksleiter, der mehr Fragen offen ließ als er beantworten wollte.
Der Störfall ist kein Einzelfall. Bereits vor drei Jahren kam es zu einem gigantischen Großbrand, bei dem die Städte Mannheim und Ludwigshafen sowie die umliegenden Gemeinden nur knapp an einer Katastrophe vorbei geschrammt sind. Kein Notfallplan und schon gar keine technische Absicherung hat damals die Katastrophe verhindert – sondern nur der Zufall einer „günstigen Wetterlage“.
Die BASF steht nun unter Druck, sofort Konsequenzen zu ziehen. Auch die Politik und die Kontrollbehörden müssen entschlossener reagieren. So legte die rheinland-pfälzische Landesregierung eine hektische Betriebsamkeit an den Tag. Die Ministerpräsidentin und mehrere Minister zeigten vor Ort in Ludwigshafen Präsenz. Der Landtag soll demnächst in einer Sondersitzung über die Katastrophe debattieren.
Aber die Führungskräfte in Ludwigshafen stecken in einem Dilemma. Sie sind eingeklemmt unter dem Druck der Aktionäre und der Leistungsvereinbarungen, die sie mit den Unternehmen freiwillig abgeschlossen haben. Die größten Aktionäre der in Streubesitz befindlichen BASF SE (Societas Europaea, eine Rechtsform für Aktiengesellschaften in der Europäischen Union und im Europäischen Wirtschaftsraum) sind mit 6,2% BlackRock und mit 3% die dem Finanzministerium Norwegens unterstellte Norges Bank. Es ist anzunehmen, dass der Einfluss von BlackRock über andere Beteiligungen wie etwa an der Deutschen Bank größer ist. Großbanken verfügen meist über die Stimmrechte vieler Kleinanleger, die Aktiendepots bei ihnen angelegt haben.
Für den Manager Liebelt und seine leitenden Angestellten kann es auch zu einen persönlichen finanziellen Verlust kommen. Denn die Arbeitssicherheit und sonstige produktionsstörende Vorkommnisse sind ein wichtiger Punkt der Leistungsvereinbarung, die Führungskräfte jährlich mit den Unternehmen abschließen. So orientiert sich ihre Jahresprämie stark an der Zahl der Unfälle und der Verbandsbucheinträge, also Bagatellunfälle mit oder ohne ärztliche Behandlungen, sowie an der 1000-Mann-Quote, also der Anzahl der meldepflichtigen Unfälle mit Ausfallzeiten von mehr als drei Arbeitstagen pro 1000 Mitarbeiter und Jahre. Es ist anzunehmen, dass die verantwortlichen Führungskräfte schon aus diesem Grund mit allen Mitteln versuchen, die Zahl der Unfälle und Störungen so niedrig wie möglich zu halten. Damit spart das Unternehmen vor allem auch Beiträge für die Berufsgenossenschaft (BG). Gewerbliche Berufsgenossenschaften sind die Träger der gesetzlichen Unfallversicherung für die Unternehmen der deutschen Privatwirtschaft und deren Beschäftigte. Die Berufsgenossenschaften erheben dazu die Beiträge im nachträglichen Umlageverfahren zur Bedarfsdeckung, d h. am Jahresende zahlt jedes Unternehmen Beiträge, die sich an der Zahl der Unfälle, der Mitarbeiter und einer betriebsspezifischen Gefahrenklasse orientieren. Das Verfahren kann leicht dazu führen, dass Unfälle bagatellisiert werden und damit einer vernünftigen Analyse durch Behörden und BG entzogen werden.
Die Zunahme der Havarien bei der BASF in den letzten Monaten scheint Ausdruck der Verschärfung der Widersprüche im Kapitalismus zu sein. Die Aktionäre und ihre Helfer versuchen sich mit aller Gewalt gegen das von Karl Marx beschriebene Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate zu stemmen. Ziel kapitalistischer Produktion ist die Steigerung des Mehrwertes. Dies geschieht über die Erhöhung der Arbeitsproduktivität. In der chemischen Industrie erfolgte dies durch den Bau von immer größeren, aber auch schwerer beherrschbaren Anlagen. Über Personalabbau, Outsourcing und den Einsatz von oft fachunkundigen, prekären Arbeitskräften verschärften sich die Gefahrensituationen.
Nach unserer Auffassung ist die augenblickliche Situation bei der BASF ein Teil der gesetzmäßig wiederkehrenden Wirtschaftskrise des Kapitalismus. Diese führt im Verlaufe des Wachstums der Arbeitsproduktivität durch Automatisierung, Rationalisierung, Effizienzsteigerung, Lohndumping, Arbeitszeiterhöhungen, unbezahlte Überstunden usw. in allen Bereichen der Volkswirtschaft zu einer Produktion mit immer weniger Arbeitskräften. Ausdruck dieses Widerspruchs ist, dass gleichzeitig die Kaufkraft der produzierenden Bevölkerung immer weiter abnimmt und die Eigentümer der Produktionsmittel, die Kapitalisten, somit immer weniger Produkte verkaufen können.
Aus marxistischer Sicht schafft die digitalisierte, auf dem modernsten Stand der Technik basierende Industrie die Möglichkeit, die Wirtschaft zentral zu lenken und anstelle der Erhöhung des Gewinns das Gemeinwohl als primäres Ziel festzusetzen. Im Klartext: Das egoistische Profitstreben, muss zu Gunsten des Gemeinwohls zurückstehen. Großkonzerne wie die BASF gehören in öffentliche Hand und unter demokratische Kontrolle der abhängig Beschäftigten und einer breiteren Allgemeinheit gestellt. Die Risiken beim Umgang mit gefährlichen Gütern und Verfahren könnten auf diese Weise stark minimiert werden.
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