Kategorie: Deutschland |
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Neue Regierung: Alte Gesichter und uraltes Programm |
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Mit der Verteilung der Posten hatten es die künftigen Koalitionspartner eilig. Das Programm der neuen Regierung soll erst in den nächsten Wochen erarbeitet werden. Doch es gehört wenig Phantasie dazu, um zu ahnen, was in den nächsten Jahren auf uns zu kommt. Wir müssen uns auf neue Angriffe und Privatisierungsorgien gefasst machen. | |||
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Zwar konnte bei der Bundestagswahl der traditionelle "Bürgerblock" zum dritten Mal in Folge keine Mehrheit erringen. 21 Millionen Stimmen für CDU/CSU/FDP stehen 24 Millionen Stimmen für SPD, Grüne und Linkspartei gegenüber. Damit hat eine klare Mehrheit für diejenigen Parteien gestimmt, die im Wahlkampf den "Neoliberalismus" und die "soziale Kälte" des Bürgerblocks angriffen. Doch davon haben wir nichts. Wochenlang herrschte in weiten Teilen der SPD ein Siegestaumel, der angesichts von 2,2 Millionen verlorenen Stimmen gegenüber der Wahl 2002 völlig unangebracht war. Niemand in der SPD-Führung dachte auch nur einen Moment daran, mit der Linkspartei darüber zu reden, ob denn vielleicht gemeinsam Gesetze im Interesse der abhängig Beschäftigten und Unterprivilegierten eingebracht werden können. So wird die Freude über das Wahlergebnis nicht lange anhalten. Am 1. Juli bat Gerhard Schröder den Bundestag darum, ihm ja nicht das Vertrauen auszusprechen. So bekam er grünes Licht für die angestrebten Neuwahlen. Im Wahlkampf präsentierte er sich dann als verlässlicher Kumpel der Gewerkschaften und "kleinen Leute", der die "soziale Balance" wahren wolle. Millionen, die eine Kanzlerin Merkel und einen weiteren Rechtsruck verhindern wollten, wählten zähneknirschend wieder SPD. Demnächst wird Schröder als eine seiner letzten Amtshandlungen den SPD-Bundesparteitag Mitte November und die Bundestagsfraktion darum bitten, der künftigen Kanzlern Angela Merkel das Vertrauen auszusprechen. Das hat er mit seinem Neuwahl-Abenteuer erreicht. Wer sich jetzt auf eine durch das "diplomatische Geschick" der SPD-Unterhändler erzielte "Sozialdemokratisierung" der CDU/CSU freut, dem wird der Bissen bald im Halse stecken bleiben. Nicht eine "Sozialdemokratisierung" der Union, sondern eher eine weitere Verbürgerlichung der SPD wird die neue Bundesregierung bringen. Unterm Strich ist das ein klarer Rechtsruck. Fein gemacht, Gerhard Schröder! "Aber wir haben doch die von CDU und FDP angestrebten Verschlechterungen bei Kündigungsschutz und Tarifautonomie abgewehrt", werden sozialdemokratische Parteisoldaten jetzt entrüstet einwenden. Freut euch nicht zu früh und schaut euch die Wirklichkeit mal näher an, können wir hierzu nur sagen. Denn der Kündigungsschutz ist ja ohnehin schon jetzt durch zahlreiche Befristungsmöglichkeiten mehr denn je ausgehöhlt. Die Praxis der Arbeitsgerichte zeigt, dass die Unternehmer letztlich fast jeden Beschäftigten loswerden können, den sie loswerden möchten. Und entgegen bürgerlicher Wahlkampfpropaganda sind angesichts hoher Massenarbeitslosigkeit schon jetzt die Flächentarifverträge weitgehend durchlöchert. Auch in den Branchen, für die im Tarifvertrag noch die 35 Stunden-Woche steht, arbeiten viele Beschäftigte schon deutlich länger. Zwischen "Rot-Grün" auf der einen Seite und "Schwarz-Gelb" auf der anderen Seite ging es beim Sozialabbau bisher ohnehin nie um das "Ob", sondern nur um das "Wie". Die Differenzen sind eher taktischer Natur. Die sozialdemokratische Variante legt dabei Wert auf die Einbeziehung der Gewerkschaften in diesen Prozess, während die härtere FDP-Linie die Gewerkschaftsapparate von vornherein entmachten will. Die deutschen Unternehmerverbände haben zwar nicht die Wunschkoalition bekommen, die sie vor der Wahl angestrebt hatten. Aber sie werden mit einer Großen Koalition gut leben können und haben vorab auch schon ihre Richtlinien für die Regierungspolitik der kommenden vier Jahre verkündet. So hat Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt seine Erwartungen klar formuliert. Der "Kampfhundt" der Deutschen Wirtschaft fordert weitere Steuersenkungen für die Unternehmen und die schrittweise und langfristige Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre. Dass die Kranken- und Pflegeversicherung in der jetzigen Form auch zur Disposition gestellt wird, erklärt sich in Anbetracht der Forderungen des Unternehmerlagers ja wohl von selbst. Zukünftig sollen die Beschäftigten selber für die Kranken- und Pflegeversicherung aufkommen. Aber auch Hundt weiß, dass er nicht alles auf einmal haben kann. So verlangt er vorerst "nur" die Einfrierung des Arbeitgeberbeitrages zur Krankenversicherung. Aber damit ist man noch nicht am Ende der Erwartungen der deutschen Wirtschaft angekommen. Um die falschen Anreize für teure Heimpflege zu beseitigen (so die hundtsche Meinung), sollen die Leistungssätze für ambulante und stationäre Pflege abgesenkt und einander angeglichen werden. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Leistungssätze schon jetzt zu niedrig sind! Und es geht lustig weiter: Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung sollen gesenkt und im Gegenzug dafür die Mehrwertsteuer erhöht werden. Auch soll das Arbeitsrecht "vereinfacht" werden. Der Kündigungsschutz für Betriebe bis 20 Beschäftigte soll demnach ganz verschwinden. Für Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigte soll es einen Kündigungsschutz erst nach 3 Jahren Beschäftigungszeit geben. Der neue Finanzminister Peer Steinbrück hatte schon als NRW-Ministerpräsident ein offenes Ohr für die Unternehmerwünsche und ist für seine Rücksichtslosigkeit auch im Umgang mit Gewerkschaften bekannt. Sein Vorschlag, die Bundesautobahnen zu privatisieren, war erst die Spitze des Eisbergs und zeigt die Richtung der kommenden Politik auf: alles verscherbeln, was der Staat noch an Unternehmen und Infrastruktur besitzt. Ob abhängig Beschäftigte, Erwerbslose, Schüler und Studierende, Rentner, Kranke und Pflegebedürftige - wir alle werden schon sehr bald von diesen Privatisierungen, Kürzungen bzw. einer drohenden Mehrwertsteuererhöhung betroffen sein. Der öffentliche Personennahverkehr, der bisher durch garantierte Gelder aus dem Bundeshaushalt auf relativ hohem Niveau gehalten wurde, droht ausgedünnt und in seiner Qualität untergraben zu werden. Dies gilt auch für viele andere öffentliche Dienstleitungen, auf die wir angewiesen sind. Wenn CDU/CSU und SPD gemeinsam für eine Senkung der "Lohnnebenkosten" eintreten, bringt dies weitere Angriffe auf die Sozialsysteme, insbesondere auf die Rentenversicherung und die Arbeitslosenversicherung. Die von Schröder und der SPD im Wahlkampf versprochene Anhebung des Arbeitslosengeldes II (ALG II) im Osten auf Westniveau ist am Widerstand der CDU gescheitert. Von den Ausgabenkürzungen dürften allerdings einige Bereiche wie die Militär- und Rüstungsausgaben ausgenommen werden. Vor allem ist nicht damit zu rechnen, dass die im Bundeshaushalt vorgesehenen knapp 40 Mrd. Euro - das entspricht über 15 Prozent der Ausgaben - "auf den Prüfstand gestellt" werden. Denn es sind überwiegend Banken und Besitzer hoher Kapitalvermögen, die dem Staat ihr Geld zur Deckung der Defizite leihen und dafür garantierte Zinsen einstreichen, ohne auch nur einen Finger zu krümmen. Dass die Große Koalition überhaupt untersuchen wird, ob die Besitzer von Staatsschuldverschreibungen wirklich bedürftig sind oder ganz auf ihre Zinseinnahmen verzichten können, ist nicht zu erwarten. Solche heiligen Kühe werden ebenso unangetastet bleiben wie die Vermögen der laut "Manager Magazin" 91 in Deutschland gezählten Milliardäre .Dafür aber hat der alte Wirtschafts- und Arbeitsminister Clement zum Abschied eine neue Hetzkampagne gegen ALG II Empfänger gestartet und Arbeitslose mit Parasiten verglichen (siehe hierzu unseren Artikel auf www.derfunke.de). Auf der einen Seite kritisieren die rechten Hardliner in der Union heftig einzelne Zugeständnisse an die SPD und fordern noch rücksichtsloseren Neoliberalismus pur. Die CSU hat in Bayern erheblich an Stimmen verloren und will mit einer Figur wie Horst Seehofer im Kabinett signalisieren, dass sie die "kleinen Leute" nicht vergessen hast. Demgegenüber zählen manche stramm rechte Jungunionisten Seehofer bereits zur SPD-Seite im Kabinett. Auf der anderen Seite dämmert es vielen in der SPD, dass die Große Koalition äußerst große und ungenießbare "Kröten" auftischen wird und dies die Linkspartei stärken kann (sofern diese bzw. diese beide sich zusammenraufen und klare Alternativen anbieten). Auch wenn von der (bisher äußerst zahmen und loyalen) "SPD-Linken" in absehbarer Zeit kein Aufstand gegen die Regierung zu erwarten ist, so ist das Gerangel um die Besetzung des Generalsekretärs-Postens in der SPD ein Vorbote künftiger Konflikte. Der Druck verschiedener gesellschaftlicher Klasse auf die Regierung wird zunehmen und sich vor allem in einem weiteren Differenzierungsprozess in der SPD niederschlagen. Bei der Bundestagswahl hat rund die Hälfte aller Gewerkschaftsmitglieder (zähneknirschend) SPD gewählt und suchte dadurch Schutz vor den drohenden Angriffen unter einer Kanzlerin Merkel. Die Enttäuschung über eine Regierung Merkel-Müntefering kann sich durch eine Abkehr von der SPD, gleichzeitig aber auch zunehmende Richtungskämpfe in der SPD, aber auch neue linke Abspaltungen manifestieren. Erstmals seit Gründung der Bundesrepublik wurde die SPD an den Kabinettstisch geholt. Sie konnte - besser als die Union - den Arbeitern Lohnverzicht und "Maßhalten" predigen. Der damalige Wirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) setzte sich zum Ziel, mit einer "antizyklischen Wirtschaftspolitik" das Wirtschaftswachstum zu verstetigen und gleichzeitig in einer "konzertierte Aktion" Gewerkschaften, Regierung und Unternehmer an einen Tisch zu holen und mit "Lohnleitlinien" den Lohnanstieg zu bremsen. Die damalige wirtschaftliche Rezession war weitgehend auf die BRD beschränkt und konnte - natürlich auch auf dem Rücken der abhängig Beschäftigten - schon bis 1968 rasch überwunden werden. Ähnliches ist heute - fast 40 Jahre später - ausgeschlossen. Solange die kapitalistische Marktwirtschaft besteht, werden uns Massenerwerbslosigkeit, unsichere Arbeits- und Lebensverhältnisse sowie Angriffe auf Lebensstandard und Lebensqualität der breiten Masse der Bevölkerung begleiten. Ein nachhaltiger langfristiger Wirtschaftsaufschwung, der Arbeit für alle schafft und wieder genug Geld in die Staatskassen spült, um das Defizit auszugleichen, ist nicht in Sicht. Eines hat die Große Koalition in den 60er Jahren allerdings bewirkt: sie löste - nach anfänglichem Schock - eine breite Protestbewegung aus. Nicht nur Studenten gingen auf die Straße, sondern auch massenhaft Bergarbeiter gegen Zechenschließungen und Gewerkschafter gegen die "Notstandsgesetze" der Großen Koalition. Letztere wurden 1968 vom Bundestag beschlossen und sahen für den Fall eines "Notstands" massive Eingriffe in demokratische Rechte sowie einen Einsatz der Bundeswehr im Inland vor. Im Gegensatz zu heute gab es damals keine starke, im Bundestag vertretene Linke. So kam es erstmals seit einer Generation speziell in der SPD wieder zu einer Rebellion der Basis und einem breiten Linksrutsch der Jusos. So wie damals die gesellschaftliche und ideologische Verkrustung der Nachkriegszeit aufgebrochen wurde und Kapitalismuskritik wieder Verbreitung fand, werden auch in den kommenden Jahren grundlegende gesellschaftliche Alternativen und sozialistisch-demokratische Ideen wieder gefragt sein. |