Die Medien konzentrieren sich auf die terroristischen Anschläge, sie lassen dabei gewöhnlich die Frage außer Acht, wer in erster Linie für das Chaos verantwortlich ist. Der US-Imperialismus, gestützt auf seine europäischen Verbündeten, intervenierte in Afghanistan und dem Irak und bombardierte im so genannten „Krieg gegen den Terror“ anschließend Syrien und Libyen. In diesem Prozess wurden Hunderttausende einfacher Muslime niedergemetzelt und Millionen von ihnen obdachlos … und wir sind seit fünfzehn Jahren keinen Schritt weitergekommen, diesen „Terror zu besiegen“. Tatsächlich hat die Bedrohung einfacher Menschen, die abends in ein Café gehen oder Weihnachtseinkäufe machen enorm zugenommen.
Wieder einmal wird eine Tragödie für die Opfer von den Mainstreammedien und den bürgerlichen Parteien zynisch genutzt, um die Stimmung gegen die ImmigrantInnen in Deutschland und dem restlichen Europa anzuheizen. Das wird zu einer weiteren Radikalisierung einer Schicht junger Muslime führen, welche das Leiden der Menschen in ihrer Heimat sehen, die aus ihren Häusern und Wohnungen vertrieben und getötet werden.
Wir MarxistInnen tolerieren keine terroristischen Methoden, wie auch immer diese geartet sind. Aber es gehört nicht viel dazu zu verstehen, wie in der momentanen Lage Schichten von marginalisierten Jugendlichen radikalisiert werden. Das kann zu Anschlägen führen, die von einem so genannten Einsamen Wolf verübt werden oder organisiert stattfinden. Organisationen wie der IS nutzen die Lage aus, um direkte terroristische Anschläge auszuführen oder stiften Einzeltäter an, dies zu tun. Auf zynische Art und Weise fördern sie derartige Aktivitäten, da es in ihrem Interesse ist, eine antimuslimische Gegenreaktion im Westen zu provozieren, welche wiederum ein fruchtbarer Nährboden ist, um Freiwillige zu rekrutieren.
Zynismus
Die Propagandawelle gegen ImmigrantInnen und Muslime als Folge des Attentats war gelinde ausgedrückt widerlich. Der saarländische Innenminister Klaus Bouillon (CDU) sagte, Deutschland befinde sich in einem „Kriegszustand“ gegen den radikalislamischen Terror. Frauke Petry, die Vorsitzende der rechtspopulistischen AfD, sagte: „ Das Milieu, in dem solche Taten gedeihen können, ist in den vergangenen anderthalb Jahren fahrlässig und systematisch importiert worden" Und fuhr fort: „Es war kein Einzelfall und auch nicht der letzte“.
Rechte Demagogen in ganz Europa attackierten sofort Angela Merkel und ihre “lockere” Einwanderungspolitik, die als eigentliche Ursache für den Anschlag verantwortlich gemacht wurde. Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders postete ein Bild auf Twitter, das Angela Merkel mit Blut an ihren Händen zeigte.
Auch auf Twitter erklärte Nigel Farage von der britischen Rechtspartei UKIP, dass die schlimmen Nachrichten nicht überraschend gekommen seien, „solche Ereignisse werden Merkels Vermächtnis sein“. Er fügte hinzu, es sei Zeit, dass „Menschen anfangen, Verantwortung für das Geschehene übernehmen. Frau Merkel hat direkt eine ganze Reihe von sozialen und Terrorproblemen verursacht. Es wird Zeit, sich dieser Wahrheit zu stellen“.
Um zu versuchen jeglicher Kritik zuvorzukommen, sagte Kanzlerin Merkel: “Wir müssen nach jetzigem Stand von einem Terroranschlag ausgehen. (…) „ Es wäre besonders schwer zu ertragen, wenn sich bestätigen würde, dass ein Mensch diese Tat begangen hat, der in Deutschland um Schutz und Asyl gebeten hat".
Die gesamte populistische Rechte in Europa fällt übereinander her, um die Hysterie gegen die Einwanderung noch um eine Stufe höher zu schrauben und sie für ihre eigenen Absichten zu nutzen. Dies steht z. B. in einem scharfen Kontrast zum Mord an die englische Labour Abgeordnete Jo Cox. Dieser Mord, der von einem Nazi ausgeführt wurde, wurde von den Medien schnell übertüncht, als ob es sich um die unglückliche Tat eines verwirrten Menschen gehandelt habe. Es wurde behauptet, der Mord habe nichts mit der allgemeinen Stimmung gegen MigrantInnen zu tun, die von der herrschenden Klasse, vor allem während des Brexit-Referendums, entfacht wurde.
Heute haben die gleichen Medien und die politische Elite kein Problem damit, den jüngsten Anschlag zu nutzen, um MigrantInnen und Muslime in ganz Europa zu verunglimpfen – trotz der Tatsache, dass es keinen sicheren Beweis dafür gibt, wer der Täter war und warum er (oder sie) den Anschlag ausgeführt hat.
Während der IS schnell bei der Hand war, sich zu dem Attentat zu bekennen, konnten Beamte aus den USA und Deutschland dies nicht bestätigen. Der Sprecher des US-Außenministeriums John Kirby sagte: „Es gibt keinen direkten Beweis für eine Verbindung zu einer terroristischen Organisation“. Außer „Erkennungsmerkmale über frühere Anschläge“, was immer das heißen mag, gibt es keine Beweise. Das hält unsere lieben PolitikerInnen aber nicht davon ab, diese „Erkennungsmerkmale“ zu nutzen, um Millionen einfache ArbeiterInnen und Jugendliche zu attackieren, nur weil sie Muslime sind.
Ein Indiz über das, was noch bevorsteht, war die Verhaftung eines 23jährigen pakistanischen Asylbewerbers, der im Dezember 2015 nach Deutschland kam, der verdächtigt wurde, das Attentat begangen zu haben. Er wurde später wieder frei gelassen, nach dem der Polizei klar war, dass er nichts mit dem Anschlag zu tun hatte. Bevor er für unschuldig erklärt wurde, war sein Name schon in den deutschen Medien veröffentlicht worden.
“Wer Wind sät, wird Sturm ernten“
Natürlich kann der Anschlag von einem Islamisten ausgeführt worden sein. Aber woher kommen diese Islamisten? Darüber herrscht bei den Damen und Herren ein eisiges Schweigen. Aber es gibt noch ein zusätzliches Problem. Diese „radikalislamischen Terroristen“ sind tatsächlich die gleichen Kräfte, die als „moderate Rebellen“ bezeichnet werden, wenn sie in Syrien kämpfen und in den letzten fünf Jahren mit Milliarden von Dollar und Berge von Waffen durch den Westen unterstützt wurden. Der IS selbst entstand aus Gruppen, die von den USA gefördert und unterstützt wurden. Heute halten die USA natürlich einen sicheren Abstand zum IS – zumindest in der Öffentlichkeit – aber sein Ableger Jabhat Fatah al-Sham (al-Kaida in Syrien) ist zur stärksten Rebellengruppe in Syrien geworden und das nur mit Unterstützung des westlichen Imperialismus zusammen mit der Türkei, Saudi Arabien und den Golfstaaten.
Der islamische Fundamentalismus hätte nie als bedeutende Kraft ohne die Unterstützung durch den westlichen Imperialismus überleben können. Sowohl in den Gründertagen in Saudi Arabien und Ägypten , wo die Bewegung aufgebaut wurde, um den sozialistischen und kommunistischen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten zu brechen, als auch während des Bürgerkriegs in Afghanistan, in dem die Bande um Osama Bin Laden das Land in die Barbarei zog, hat der Westen diese Gruppen systematisch unterstützt.
Der 09. September 2001 sollte eine Warnung und ein Wendepunkt für den Westen sein, aber was ist bei dem „Krieg gegen den Terror“ herausgekommen? In Afghanistan diskutiert der Westen offen über ein Abkommen mit den Taliban, der Kraft, die er ursprünglich zerstören wollte, und im Irak hat die katastrophale Besetzung das Land in ein Schlangennest von dschihadistischen Banden verwandelt. In Syrien intervenierte der Westen, nachdem er sich in Afghanistan und dem Irak die Finger verbrannt hatte, mit Hilfe von dschihadistischen Stellvertretern und wir können jetzt das barbarische Chaos sehen, das dort angerichtet wurde. Fünfzehn Jahre nach dem 09. September hat al-Kaida nie bessere Tage erlebt. Die Terrororganisation hat nie über ein größeres Netzwerk, nie über mehr Geld und Waffen verfügt. Ihre Propaganda erreicht mehr Menschen und sie hat ein Emirat im Nordwesten Syriens errichtet – und das alles wird im Westen unter dem Deckmantel der Unterstützung „gemäßigter Rebellen“ gerechtfertigt.
Rassismus
Die herrschenden Klassen im Westen sind wegen ihrer Kriege und Interventionen im Nahen und Mittleren Osten und darüber hinaus für die Welle des Terrors und des Dschihadismus verantwortlich. Sowohl im eigenen Land als auch international stehen ihre Worte im krassen Widerspruch zu ihren Taten. Sie behaupten gegen den islamischen Terror zu sein, aber indem sie anti-muslimische Stimmungen schüren und dabei große Schichten muslimischer Jugendlicher in Europa marginalisieren, schaffen sie einen fruchtbaren Boden, auf dem dschihadistische Demagogen operieren können.
Das wirkliche Problem, mit dem die herrschenden Klassen im Westen konfrontiert werden, ist die Tatsache, dass sich das Establishment und die alte “Ordnung” als Augenwischerei erwiesen haben. Durch die Polarisierung der Gesellschaft erleben seit langem etablierte Parteien einen Rückgang. Millionen Menschen stehen vor einer Zukunft, in der die Nöte zunehmen werden, während die Elite sich an ihrem extravaganten Lebensstil erfreut. In diesem Zusammenhang betrachtet ein Teil der herrschenden Klasse den Populismus als eine effektive Waffe, die verbitterte ArbeiterInnenklasse zu spalten.
Leider bieten die FührerInnen der ArbeiterInnenbewegung keine Alternative für die ArbeiterInnenklasse. Anstatt ein sozialistisches Programm aufzustellen, um die herrschende Klasse zu entblößen und zu besiegen, verwenden sie oft die gleiche antimuslimische Rhetorik, die als Notwendigkeit präsentiert wird, „etwas für die Einwanderung zu tun“ und in vielen Fällen haben sie die imperialistischen Kriege direkt unterstützt. Sie haben letztendlich der herrschenden Klasse geholfen, die ArbeiterInnenklasse aufgrund nationaler und religiöser Konfliktlinien zu spalten.
Der Terrorismus und die allgemeine Instabilität, die wir in ganz Europa beobachten können, widerspiegeln die Krise des Kapitalismus. Die herrschende Klasse hat Wind gesät und wird Sturm ernten. Je stärker die Krise wird, desto häufiger werden wir Zeuge solcher Ereignisse. Die Lösung kann aber nicht sein, andere Opfer dieses Systems zu verunglimpfen und zu kriminalisieren. Wir müssen den Massen in allen Ländern erklären, warum all dies passiert, die Schuldigen beim Namen nennen und klar machen, dass dies nicht die armen Migranten sind, sondern die herrschende imperialistische Klasse im Westen. Gleichzeit müssen wir ein sozialistisches Programm auf die Tagesordnung bringen, welches die Probleme der Arbeitslosigkeit, der niedrigen Löhne, der hohen Mieten und der Obdachlosigkeit, von denen die ArbeiterInnen überall betroffen sind, lösen kann.
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