Kategorie: Deutschland |
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Nach der NRW-Wahl: Die SPD-Führung hat nichts gelernt |
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Die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen (NRW) am 14. Mai 2017 war bundesweit der letzte bedeutende Urnengang vor der Bundestagswahl, die genau heute in vier Monaten stattfinden wird.
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Markantestes Ergebnis der Wahl ist das historisch schlechteste Ergebnis für die SPD seit der Gründung des Landes nach 1945. Sie errang nur noch 2,65 Millionen Zweitstimmen oder 31,2 Prozent. Insgesamt stürzte die Landesregierung aus SPD und Grünen von 50,4% im Jahr 2012 auf nur noch 37,6% ab. Ein Niedergang, den es in diesem Ausmaß bundesweit bislang selten gab.
Angesichts der massiven Hoffnungen, mit dem vermeintlichen “Amtsbonus” der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und der Popularität des Rheinländers Martin Schulz zu punkten und somit Auftrieb für die Bundestagwahl zu bekommen, ist dies für die SPD ein niederschmetterndes Ergebnis. Schließlich war sie hier seit 1966 mit einer nur fünfjährigen Unterbrechung von 2005 bis 2010 führende Regierungspartei. Von 1980 bis 1995 regierte sie mit absoluter Mehrheit und Ergebnissen zwischen 48,4 und 52,1 Prozent. Zwar hielt sie im Ruhrgebiet, in Köln und Aachen sowie in der Region um Bielefeld noch viele Direktmandate und zehrte noch von ihrer traditionellen Stärke. Doch gerade im Ruhrgebiet, das in den “guten alten Zeiten” als uneinnehmbare SPD-Bastion galt, waren die SPD-Verluste mit oftmals über zehn Prozentpunkten besonders hoch. Hier schnitt die AfD, die nun auch im Düsseldorfer Landtag sitzt, überdurchschnittlich ab.
Auch der “Wahlsieger” CDU hat wenig Grund zum Lachen. 33 Prozent sind das zweitschlechteste CDU-Ergebnis in der NRW-Geschichte. In der Summe errangen CDU und SPD 64,2 Prozent, so wenig wie noch nie. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Bindekraft der großen traditionellen “Volksparteien” und die Loyalität der traditionellen Anhängerschaft schwindet – ein Prozess der Auszehrung, der europaweit im Gange ist.
Die Wahlbeteiligung war mit 65,2 Prozent höher als bei allen vorangegangenen Landtagswahlen seit 1995. Die stärkere Mobilisierung erfasste allerdings vor allem die Mittel- und Oberschicht und trug dazu bei, dass die neoliberale FDP auf 12,6 Prozent hochschnellte. Das Kapital hat diese Partei gerade auch nach ihrer krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl 2013 mit Spenden am Leben gehalten. So könnte sie nach der Bundestagswahl auch in der Bundespolitik wieder eine Rolle spielen. Dass der SPD-Chef und Kanzlerkandidat Martin Schulz unlängst die FDP als möglichen Koalitionspartner ins Gespräch brachte, dürfte die Liberalen weiter aufgewertet und die SPD-Anhängerschaft weiter verunsichert haben.
Dass die LINKE trotz eines engagierten Wahlkampfes und kämpferischen Wahlprogramms um nur 8.561 Stimmen an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, ist enttäuschend. Rein rechnerisch hätte die Summe der Stimmen für DIE LINKE und die beiden völlig bedeutungslosen linken Splitterparteien MLPD (0,09 Prozent) und DKP (0,03 Prozent) ein Ergebnis von 5,002 Prozent ergeben und damit den strategisch wichtigen Einzug einer linken Opposition in den Landtag sichergestellt. Dies bekräftigt unsere Kritik am linken Sektierertum. Doch in erster Linie muss sich die LINKE fragen, warum sie nicht aus eigener Kraft mehr mobilisiert hat, um die magische Fünf zu überspringen.
Abgesehen von der Tatsache, dass sie in NRW keine Große Koalition als Juniorpartnerin der CDU eingehen will, hat die SPD aus dem Wahlergebnis in ihren früheren “Stammland” NRW nichts gelernt. NRW sollte nach der Hoffnung der Parteistrategen der Höhepunkt von drei SPD-Siegen bei Landtagswahlen werden und endete mit der dritten Niederlage in Folge. Damit hat sich der “Schulz-Effekt” als Strohfeuer entpuppt, wie wir das bereits in einem Artikel Ende Januar vermutet hatten. Die “geniale Strategie”, mit einem vermeintlich “neuen” Gesicht und ein paar aufgesetzten und nichtssagenden Floskeln über “soziale Gerechtigkeit” das Blatt zu wenden und den Niedergang der SPD umzukehren, griff zu kurz. Auf den von Hoffnung und Zulauf zur SPD geprägten Februar folgte die Stagnation und die erste Niederlage bei der Landtagswahl im Saarland Ende März. Programmatisch hat die SPD-Spitze keinen Kurswechsel im Sinn. Weil die Partei neben CDU/CSU, FDP und Grünen große Spenden von Banken und Konzernen erhält, will die Führung offensichtlich dem Kapital nicht wehtun und scheut den Konflikt mit den Mächtigen.
Prüfstein Autobahnprivatisierung Der linke SPD-Flügel ist nach wie vor äußerst handzahm und weichgespült. Ein deutscher Jeremy Corbyn, der die Vorherrschaft des rechten Parteiflügels in Frage stellen und herausfordern würde, ist nicht in Sicht. Dass die Nervosität im Parteiapparat groß ist, zeigt die hektische Betriebsamkeit bei den Machern der Koalition in Sachen Autobahnprivatisierung. Ursprünglich wollten die Akteure der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD am 19. Mai mit ihrer Zweidrittelmehrheit eine umfangreiche Grundgesetzänderung im Bundestag durchwinken, mit der das Tor für eine Beteiligung von Banken und Versicherungen geöffnet würde. An der Basis wächst die Kritik. Bislang haben rund 30.000 SPD-Mitglieder einen Appell gegen Grundgesetzänderung und Privatisierung unterschrieben. Unter diesem Druck und als Reaktion auf die verlorene NRW-Wahl wurde hinter den Kulissen rasch noch einmal an den Gesetzesvorlagen herumgedoktert. In der SPD-Fraktion gab es keine Mehrheit für die Autobahnprivatisierung, die Abstimmung wurde im zwei Wochen auf den 2. Juni verschoben. Bei näherer Betrachtung ist mit den geänderten Formulierungen und Floskeln jedoch weiterhin der Einstieg in die Privatisierung möglich. Ein Kernsatz lautet: “Die Verwaltung der Bundesautobahnen wird in Bundesverwaltung geführt. Der Bund kann sich zur Erledigung seiner Aufgaben einer Gesellschaft privaten Rechts bedienen." Das ist die formale Privatisierung und der Anfang vom Ende öffentlichen Eigentums und öffentlicher Kontrolle der Fernstraßen durch den Bundestag. Privatisierung über sogenannte Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) wird weiterhin weder ausgeschlossen noch wirksam begrenzt. Stattdessen können bald Manager anstelle des Bundestags entscheiden, ob und wo ÖPPs gemacht werden. Das ist Privatisierung mit Renditeabsicherung. Banken und Versicherungen suchen fieberhaft profitable Anlagemöglichkeiten und setzen darauf, dass sie an der Finanzierung der Autobahnen mitwirken und aus den künftigen Mauteinnahmen satte Profite ziehen können.
Martin Schulz hat sich monatelang nicht zum Thema Autobahnprivatisierung geäußert und sich dann letzte Woche mit der Spitze der Bundestagsfraktion auf einen Text zur Grundgesetzänderung geeinigt. Damit hat der “Vizekanzlerkandidat” eine weitere Chance bewusst verspielt, mit Unterstützung einer Mehrheit der Basis sich und die SPD als klare Alternative zur Kanzlerin zu präsentieren. Wozu eine solche SPD wählen, die statt Konfrontation mit Kanzlerin und Kapital klein beigibt, werden sich viele fragen. Nun hätten es die SPD-Abgeordneten in der Hand, den Irrsinn einer Grundgesetzänderung und Autobahnprivatisierung zu stoppen. Sie alle werden in der Stunde der Wahrheit am 2. Juni im Bundestag Farbe bekennen müssen. Auch der jüngste Konflikt in der Koalition spricht Bände. So beklagte sich Arbeitsministerin Andrea Nahles am Montag darüber, dass ihr Gesetzentwurf zum Rückkehrrecht in Vollzeit und damit zur Befreiung von Frauen aus der "Teilzeitfalle" nach der Erziehungszeit am Widerstand von Unternehmerverbänden und Kanzleramt gescheitert sei. Damit will sie im anlaufenden Wahlkampf offenbar punkten. Doch die einzige konsequente Antwort wäre jetzt, diesen Gesetzentwurf im Interesse von vielen hundertausend berufstätigen Fragen umgehend im Bundestag zu beschließen. SPD, LINKE und Grüne haben jetzt eine rechnerische Parlamentsmehrheit und könnten dieses Gesetz wie auch noch viele andere gemeinsame, deckungsgleiche Forderungen noch vor dem Ende der Legislaturperiode verabschieden und damit den Worten Taten folgen lassen. Das würde vermutlich allen drei Parteien zugute kommen und zeigen, dass in diesem Lande doch noch Verbesserungen im Interesse der breiten Mehrheit möglich sind. Doch die SPD-Spitze ist offenbar zu feige, um kurz vor der Wahl den Konflikt und notfalls auch den Bruch mit Merkel und der Union zu riskieren. Dabei wäre dies jetzt ihre einzige Chance, um ihren aktuellen Abwärtstrend zu stoppen und noch einmal umzukehren. Sonst vergeigt sie die Wahl grandios.
Drohende Wahlniederlage
Nun tröstet sich die SPD-Spitze in einem Anflug von Dialektik damit, dass “vier Monate eine lange Zeit” seien und sich bis zum Wahltag noch allerhand ereignen könne. Altkanzler Gerhard Schröder, der mit seiner Agenda 2010 die tiefe und anhaltende Krise der SPD herbeigeführt hatte, bemühte am Montag bei der 150-Jahr-Feier der Wiesbadener SPD eine historische Parallele und versuchte damit seinen Zuhörern Mut zu machen. So habe die SPD schon 2005 die Wahl in NRW verloren und dann hinterher in einer rasanten Aufholjagd massiv zugelegt und die Union fast wieder überholt, so Schröder. Dies sei auch jetzt wieder möglich, sagte er.
Schröders historischer Vergleich hinkt allerdings mehrfach. So war das SPD-Ergebnis bei der verlorenen NRW-Landtagswahl 2005 mit 37,1 Prozent im Vergleich zu den mageren 31,2 Prozent vom 14. Mai 2017 geradezu üppig. Schröder hatte damals als Kanzler das Heft des Handelns in der Hand und initiierte vorgezogene Neuwahlen zum Bundestag. Im Wahlkampf polarisierte er stark gegen die CDU/CSU und die damalige Kanzlerkandidatin Merkel, mobilisierte und machte mit markanter sozialer Rhetorik Punkte gut. Am Ende lag die SPD mit 34,2 Prozent nur um einen Prozentpunkt hinter der CDU/CSU. Die heutige SPD sitzt jedoch im Kabinett Merkel, lässt sich permanent unterbuttern und wirkt mit aufgesetzter Anti-Merkel-Rhetorik nicht glaubwürdig. Sehr viele Menschen haben nicht vergessen, dass die SPD-Spitze nach der Wahl 2005 schnurstracks in die Große Koalition unter Merkel marschierte. Das erste Kabinett Merkel von 2005 bis 2009 erhöhte die Mehrwertsteuer um drei Punkte auf 19 Prozent, erhöhte das Rentenalter auf 67 Jahre und wollte die Bahn an die Börse bringen. Bei der Wahl 2009 folgte der Absturz der SPD auf 23 Prozent.
Mit jedem Tag, an dem die SPD-Spitze als treue Partnerin des Kapitals die Chance zum Kurswechsel verstreichen lässt und darauf verzichtet, im Bundestag zusammen mit Linksfraktion und Grünen fortschrittliche Gesetze zu beschließen, dürften auch ihre Wahlchancen am 24. September schwinden. So droht längerfristig eine Schrumpfung, wie sie die Sozialdemokratie jüngst auch bei Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich erlebt hat. Die mit dem “Schulz-Effekt” verbundenen Hoffnungen haben keine reale, programmatische Basis.
DIE LINKE muss aufpassen, dass die Krise der SPD nicht auf sie übergreift. Sie muss die SPD-Spitze treiben und fordern und zwingen, Farbe zu bekennen. Illusionen, dass es irgendwie doch noch zu Rot-Rot-Grün kommen wird und dann alles gut wird, sind schädlich. Wenn uns der Erfolg von Jean-Luc Mèlenchon in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl in Frankreich etwas zeigt, dann die Erkenntnis, dass mit klaren und kämpferischen Anti-Establishment-Botschaften und weitgehenden programmatischen Forderungen noch Menschen zu begeistern sind. Und dass damit auch der Aufstieg der Rechten abgebremst werden kann. Wir brauchen ein scharfes antikapitalistisches Profil und ein konsequentes sozialistisches Programm.
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Da NRW als das größte Bundesland mehr Einwohner hat als die frühere DDR und neben dem Ballungsgebiet an Rhein und Ruhr auch weite ländliche Regionen einschließt, kann diese Wahl auch durchaus als Test und Generalprobe für die Bundesebene angesehen werden. Auch wenn es bei der Ermittlung und Übertragung der Ergebnisse am Wahlabend offenbar Pannen gab und daher immer noch nicht das amtliche Endergebnis vorliegt, sind die vorläufigen Zahlen aussagekräftig genug.