Noch nie in der deutschen Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik wurde eine amtierende Koalition derart abgestraft wie an diesem Wahlsonntag. Die CDU/CSU war nur bei der ersten Bundestagswahl 1949 schwächer, als sie 31 Prozentpunkte errang. Ein strahlender Wahlsieg sieht anders aus. Von Zufriedenheit der Bevölkerung mit der seit 12 Jahren regierenden Kanzlerin Angela Merkel keine Spur. Erste Untersuchungen zu Wählerwanderungen zeigen, dass die Union in Millionenhöhe WählerInnen an FDP und AfD verlor.
Nach dem Wiedereinzug der FDP in den Bundestag steht uns jetzt voraussichtlich eine „Jamaika-Koalition“ aus Union, FDP und Grünen bevor. Ein Rechtsruck der Union zeichnet sich ab. Über Jahrzehnte galten CDU/CSU und SPD als starke und unerschütterliche Volksparteien, die in der alten Bundesrepublik lange in der Summe auf Werte zwischen 80 und 90 Prozent kamen. Vor vier Jahren hatten sie noch mit über 67 Prozent eine Zwei-Drittel-Stimmenmehrheit. Jetzt ist die Zustimmung zu den bisherigen Koalitionsparteien um 14 Prozent auf wenig mehr als 50 Prozent geschrumpft. Neben der FDP ist die Rechtspartei AfD der maßgebliche Gewinner dieser Wahl. Erstmals seit 1949 ist eine rechte Partei mit einem faschistischen Flügel im Deutschen Bundestag vertreten. Mit über 13 Prozent stellt sie die drittstärkste Bundestagsfraktion. Dieser enorme Stimmenzugewinn verkörpert einen massiven Vertrauensverlust in die etablierten Parteien.
DIE LINKE konnte von dieser Unzufriedenheit nicht wesentlich profitieren und wurde von unzufriedenen Wählern als Teil eines etablierten Parteienblocks angesehen. 60 Prozent der AfD-Wähler stimmten nach ersten Analysen nicht aus Überzeugung für die AfD, sondern vielmehr als ohnmächtiger Ausdruck der Unzufriedenheit mit der abgehobenen politischen Kaste. Vor allem im Osten, wo DIE LINKE mehr als im Westen als „etablierte“ Partei angesehen wird, sahnte die AfD massenhaft ab. Die SPD errang mit rund 20 Prozent ihr mit Abstand schlechtestes Nachkriegsergebnis. Damit ist sie faktisch wieder auf ihr Niveau bei der Reichstagswahl 1890 (19,8%) zurückgefallen. Sie hat ihren Negativrekord von 23 Prozent im Jahre 2009 noch deutlich unterboten. Dies ist vor allem auch die Quittung für vier Jahre Große Koalition. Anfang des Jahres hatte die SPD Martin Schulz als neue „Wunderwaffe“ gekürt, der sie aus dem 20-Prozent-Tal führen sollte. Doch dem neuen Gesicht folgte kein politischer Kurswechsel und keine Abkehr von Gerhard Schröders Agenda 2010, die für Millionen Menschen Verarmung und sozialen Abstieg besiegelt hat. Stattdessen orientierte die SPD-Führung auf eine Fortsetzung der Koalition mit der Union. Dass die SPD-Spitze kurz nach Schließung der Wahllokale den rechtssozialdemokratischen Fraktionschef Thomas Oppermann verkünden ließ, dass die Partei in die Opposition gehen werde, ist eine prompte Reaktion der Parteiführung auf das miserable Wahlergebnis. Nachdem europaweit sozialdemokratische Parteien durch ihre Regierungspolitik die frühere Arbeiterbasis derart stark abgestoßen haben, dass sie in der Bedeutungslosigkeit zu landen drohen, zog die SPD-Spitze nun offenbar die Notbremse.
Eine Fortsetzung der Koalition mit der Union um fast jeden Preis entspräche zwar den Karrierewünschen abgehobener Parteibürokraten. Es könnte aber längerfristig die Partei wie in Griechenland, den Niederlanden und Frankreich in den einstelligen Bereich drücken und hätte schon kurzfristig zur Zerreißprobe der SPD geführt. Viele SPD-Mitglieder machten in den vergangenen Tagen nach eigenen Angaben keinen Hehl aus ihrer Absicht, ihre Zweitstimme der LINKEN zu geben. Dabei hätte die SPD in den vergangenen Monaten im bisherigen Bundestag die Chance gehabt, gemeinsam mit LINKEN und Grünen einige Forderungen aus ihrem Programm mehrheitlich zu beschließen – so etwa eine deutliche Rentenerhöhung, längeres Arbeitslosengeld I oder eine Abschaffung der sachgrundlosen Befristung bei Arbeitsverhältnissen. Doch abgesehen von der „Ehe für alle“ kam dies nicht zustande. Am Ende wirkte sie maßgeblich am Einstieg in die Autobahnprivatisierung mit, obwohl 33.000 SPD-Mitglieder sich in einer Petition dagegen äußerten. SPD-Mitglieder, die sich nach wie vor in der Tradition der linken und Arbeiterbewegung sehen, wären gut beraten, wenn sie jetzt einen radikalen Neuanfang einfordern würden – personell und programmatisch. Während die britische Labour Party mit einem dezidiert linken Programm und Parteichef Jeremy Corbyn vor wenigen Monaten 40 Prozent errang und weiter Zulauf registriert, hat der rechte SPD-Flügel die deutsche Sozialdemokratie gründlich heruntergewirtschaftet. Die LINKE hat in dieser Wahl faktisch trotz allem stagniert und wird voraussichtlich die schwächste Oppositionspartei im Bundestag sein. Auch wenn sie in den letzten Monaten insgesamt 5000 neue und vor allem viele junge Mitglieder gewinnen konnte, besteht kein Grund zur überschwänglichen Freude. Die Partei blieb weit unter ihren Möglichkeiten.
Die Plakate der Partei im Wahlkampf waren optisch und vor allem inhaltlich blass und ließen den Anspruch einer radikalen Systemalternative vermissen. Abgesehen vom Nein zu Waffenexporten fehlten Alleinstellungsmerkmale im Wahlprogramm wie etwa die Ablehnung von Hartz IV und von Privatisierungen oder eine grundsätzlich antikapitalistische, sozialistische Orientierung. Jetzt geht es darum, die sozialistische Zielsetzung zu schärfen und konsequente Alternativen anzubieten. Klassenkampf Wahlen sind eine Momentaufnahme und Stimmungen ändern sich schnell. Tatsache ist, dass sich die bürgerlichen Kräfte gestärkt fühlen können und weitere Angriffe auf die abhängig Beschäftigten zu erwarten sind. Altersarmut, Ausschlachtung von Air Berlin, drohender massenhafter Arbeitsplatzabbau bei ThyssenKrupp, Streikbewegung in Krankenhäusern und zunehmende Wohnungsnot und Wuchermieten in Großstädten und viele andere Angriffe werden den Alltag bestimmen.
Der Druck auf sozialstaatliche Errungenschaften wird steigen. LINKE, Gewerkschaften und SPD-Basis haben eine hohe Verantwortung beim Aufbau einer breiten gesellschaftlichen Gegenwehr. Statt Schmusekurs müssen sich die Gewerkschaften deutlicher in das politische Geschehen einmischen und mobilisieren. Schließlich werden wir nur mit Klassenkampf der AfD den Nährboden entziehen und eine starke Bewegung für eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft aufbauen können.
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