Das verwundert nicht, wenn man sich die aktuellen Zustände ansieht. Aus der Umfrage wird ersichtlich, dass das Thema „Bezahlbares Wohnen“ auch für Schichten mit etwas höherem Netto-Haushaltseinkommen ein wichtiges Thema ist. Doch insbesondere 83 Prozent der Lohnabhängigen mit maximal 1500€ Netto-Haushaltseinkommen und 79 Prozent der Befragten mit 1500-2000€ Netto-Haushaltseinkommen haben dieser Frage einen sehr hohen Stellenwert eingeräumt. Führt man sich dabei vor Augen, dass 17,7% der Vollzeitbeschäftigten in Deutschland monatlich unter 2000€ Brutto verdienen und dass sich prekäre Arbeitsverhältnisse und Teilzeitarbeit kontinuierlich ausweiten, steht für einen stetig wachsenden Teil der Arbeiterklasse kaum leistbarer Wohnraum zur Verfügung. Für viele bedeutet eine Wohnung zu haben, dass vom Lohn weniger als der Hartz-IV-Regelsatz übrigbleibt, also ein Leben unterhalb des Existenzminimums gefristet werden muss.
So verwundert es auch nicht, dass für 79 Prozent der Befragten hohe Mietkosten ein erhebliches Armutsrisiko darstellen und für 74 Prozent Grund für Obdachlosigkeit sind. Laut Schätzung der BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W) waren 2016 etwa 860.000 Menschen in Deutschland obdachlos, von diesen leben etwa 52.000 dauerhaft auf der Straße, der Rest provisorisch bei Verwandten und Bekannten auf dem Sofa, in Notunterkünften, Heimen oder Hostels. Das sei fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Die Zahl der Obdachlosen soll weiter steigen und könnte nach Prognosen in diesem Jahr die Millionengrenze deutlich überschreiten.
Ein weiterer großer Teil der Arbeiterklasse, für den es unmöglich ist, sich eine eigene Bleibe zu leisten, sind die meisten Auszubildenden. Auch Studierende sind zunehmend davon betroffen. Für manche scheitert das Studium daran, dass sie keine bezahlbare Unterkunft finden können. Wohnheimplätze sind begehrt, aber nur wenige sind vorhanden und auch hier klaffen deutliche Unterschiede. Während von den Studentenwerken verwaltete Wohnheime noch vergleichbar günstig sind, kosten Zimmer in privaten Wohnheimen oftmals fast so viel wie Ein- oder Zweizimmerwohnungen.
Grundlegend für diese Verschärfungen sind unter anderem, dass bisherige Sozialwohnungen aus der Sozialbindung fallen und somit die Mietkosten deutlich erhöht werden. Gab es 1990 bundesweit noch knapp drei Millionen belegungsgebundene Sozialwohnungen, so waren es 2016 nur noch 1,2 Millionen. Diese Zahl wird weiter sinken. Außerdem haben viele Bundesländer, Kommunen, der Bund und privatisierte Betriebe wie Bahn, Post und Telekom die eigenen Wohnungsbestände privatisiert. Zusätzlich fehlen laut dem Bericht von BAG W etwa 11 Millionen Ein- bis Zweizimmerwohnungen. Demgegenüber werden bei weitem nicht genügend neue Wohnungen gebaut; jährlich müssten mindestens 400.000 Wohneinheiten gebaut werden. Aber das Problem ist nicht nur, dass nicht ausreichend Wohnungen gebaut werden. Neubauten sind zu einem großen Teil teure Eigentumswohnungen. Aber in Zeiten der Krise und unsicherer Arbeitsverhältnisse, ist der Kauf einer Wohnung für viele keine Option. Das von der Bundesregierung beschlossene Baukindergeld, nach dem der Eigenheimbau von Familien pro Jahr und Kind mit 1.200 Euro bezuschusst wird, kommt überwiegend nur Familien mit gehobenem Einkommen in ländlichen Regionen zugute, die sich ein Häuschen leisten können. Nötig wäre aber vielmehr eine bundesweite Offensive zum Bau von einer Million Sozialwohnungen und zur Beschlagnahme, Enteignung und Nutzbarmachung geeigneter und leerstehender Gebäude in Ballungsgebieten.
Zudem kann Wohneigentum für Arbeiterinnen und Arbeiter schnell zu einer Fessel werden. Wer die Eigentumswohnung noch nicht abbezahlt hat, wird sich oft mehrmals überlegen, ob ein Arbeitskampf in Frage kommt. Um den Arbeitsplatz und die Wohnung nicht zu verlieren, sehen sich viele gezwungen, Lohnkürzungen und Erpressung im Betrieb zu akzeptieren. Oder sich einen Nebenjob zu suchen. Sollte das Geld doch nicht reichen, so kann den betroffenen Familien schnell die Eigentumswohnung oder das Häuschen und damit die Existenzgrundlage durch die Banken und Kapitalisten entzogen werden.
Über Angebot und Nachfrage regelt sich der Bedarf nicht. Während Milliarden für sinnlose Projekte wie Stuttgart 21 ausgegeben werden, teure Luxusbauten und unnötige Shopping-Passagen errichtet werden, da diese höhere Mieten abwerfen und als ertragreiche Spekulationsobjekte dienen, scheren sich die Kapitalisten nicht um die Bedürfnisse der Lohnabhängigen. In den Stadtzentren kommt es zunehmend zur Verdrängung der dort lebenden arbeitenden Bevölkerung an die Stadtränder und in das Umland. Das bedeutet oftmals schlechtere Verkehrsanbindung an Arbeitsplatz, Schule und Universität.
Da diese Probleme im Kapitalismus offensichtlich nicht gelöst werden können und die etablierten politischen Parteien sich nicht um eine nachhaltige Verbesserung der Situation kümmern, ist es umso erfreulicher, dass sich nun auch zunehmend Widerstand in der Arbeiterklasse und Jugend regt. In Berlin haben am 14. April rund 25.000 Menschen gegen Gentrifizierung, Wohnungsnot und hohe Mieten demonstriert, obwohl die Veranstalter nur wenige tausend Teilnehmer erwartet hatten.
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