Kategorie: Deutschland

Rechtsruck oder Polarisierung?

Mit dem Auftreten von PEGIDA, aber vor allem der rechten AfD und faschistischen Gruppierungen wie der Identitären Bewegung ist in den Medien ein Kanon über einen gesellschaftlichen Rechtsruck entbrannt. Auch viele Linke schließen sich dieser Einschätzung an oder schreiben gar von einer „Faschisierung“ des Staates. Aber stimmt das?


Es ist eine Tatsache, dass insbesondere seit der Wirtschaftskrise 2008 rechte Kräfte einen gewissen Aufschwung verzeichnen und wie jüngst in Chemnitz jegliche Maskerade fallen lassen, um auf Migranten Jagd zu machen oder jüdische und migrantische Lokale zu zerstören. Der Hauptgrund für diese Eskalation und das neue Aufkeimen rechten Gedankenguts sowie von rechten bis hin zu faschistischen Organisationen ist in der organischen Krise des Kapitalismus zu suchen.

Historisch fand ab 1945 eine absolut oberflächliche Entnazifizierung in Westdeutschland statt. Betrachtet man allein den Katalog an Personen, die in staatlichen Führungspositionen in der Justiz, Legislative, Exekutive, den Bildungseinrichtungen, Medien und Wirtschaft nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs standen, ergibt sich eine Kontinuität vom Kaiserreich bis in die BRD. Nicht wenige hochrangige Beamte und Politiker rekrutierten sich aus SA, Waffen-SS, Gestapo und NSDAP. Das heißt aber nicht, dass die BRD ein faschistischer Staat geblieben ist. In Deutschland und vielen westeuropäischen Ländern herrschte eine antikapitalistische Stimmung, die von den Herrschenden und Besatzungsmächten ausgebremst wurde und letztlich in einer „demokratischen Konterrevolution“ mündete. Westeuropa wurde zum Bollwerk gegen Osteuropa und die Sowjetunion ausgebaut.

In Folge der maßlosen Zerstörung, gefördert durch massive Kredite und ein Wiederbeleben des deutschen Imperialismus kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Um die antikapitalistische Stimmung zu brechen, ging das Kapital die Sozialpartnerschaft mit den Gewerkschaften und der SPD ein. Durch die Erwirtschaftung hoher Profite konnten sie große Zugeständnisse in Form von Flächentarifverträgen, Vollbeschäftigung, dem Ausbau des Sozialstaats, der Infrastruktur, Bildungseinrichtungen usw. an die Arbeiterklasse machen. Dieser Aufschwung wurde ab den 70er Jahren durch Rezessionen abgeschwächt. In den 90ern wurde Deutschland zum „kranken Mann in Europa“. Dieser Entwicklung trat die Schaffung der EU entgegen, sie war ein wichtiger Faktor in der Festigung des deutschen Imperialismus. Um sich zur Wirtschaftsmacht und „Exportweltmeister“ zu mausern erfolgte ab Ende der 90er die Agenda 2010, Hartz-Reformen, Aushöhlung von Tarifverträgen usw. Das waren enorme Angriffe von Seiten des Kapitals auf die Arbeiterklasse. Die Krise 2008 spitzte dies weiter zu.

In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren rechte Ideologien und Gruppierungen auf dem Rückzug, da sie ihre gesellschaftliche Basis verloren hatten. Zwar wurde anfangs insbesondere von der herrschenden Klasse und den Eliten eine Aufarbeitung des Hitlerfaschismus nicht in Angriff genommen, aber die jungen Generationen verlangten nach Aufklärung. Schließlich setzte diese ein und beförderte die Kontinuität der Nazis in der BRD ans Tageslicht. Dies war ein Auslöser der Studentenproteste von 1968. Das drängte die Rechten noch weiter ins gesellschaftliche Abseits.

Mit der zunehmenden Konzentration des Kapitals vor allem ab den 2000er Jahren, welche mit der Krise 2008 einen weiteren Impuls erhalten hat, verloren das Kleinkapital und Kleinbürgertum jegliche Möglichkeit in der Konkurrenz mit den transnationalen Konzernen mitzuhalten. In Deutschland existieren hunderttausende scheintote Unternehmen, die von der lockeren Geldpolitik der EZB profitieren und künstlich am Leben erhalten werden. Oft zahlen gerade kleine Unternehmen Löhne erst verspätet oder nur dank Krediten. Sie können mit der Konkurrenz nicht mehr mithalten, werden vom Markt verdrängt, pressen ihre Arbeiterinnen und Arbeiter verstärkt aus und wünschen sich einen Staat, der ihnen unter die Arme greift. Dieses Kleinunternehmertum bildet eine wesentliche gesellschaftliche Basis für die nun aufkeimenden rechten bis faschistischen Ideologien.

Auf der anderen Seite droht die EU auseinander zu brechen. Sie ist aber ein notwendiges Instrument des deutschen Imperialismus, um seine ökonomischen und geopolitischen Interessen in Europa und der Welt durchzusetzen. Um dazu auch weiterhin in der Lage zu sein und dem Anspruch einer Weltmacht gerecht zu werden, forcieren die herrschende Klasse, der Staat und das Militär eine zunehmend militaristische Politik. Die Bundeswehr wird aufgerüstet, befindet sich in Auslandseinsätzen und soll nun in den 2030er Jahren voll einsatzfähig sein. Grund dafür ist, dass das Kapital zur Durchsetzung seiner Interessen den Krieg auch nach wie vor als ein notwendiges Mittel in Erwägung zieht. Um dies zu legitimieren erfolgt seit Jahren meist noch zurückhaltende militaristische Propaganda – stets im Namen von Menschenrechten, Demokratie und Kampf gegen Terror – da in der Gesellschaft eine generelle Antikriegsstimmung herrscht. Diese Propaganda hat verschiedene Formen wie Geschichtsrevisionismus an Universitäten und in den Medien oder YouTube-Serien, die die Verpflichtung beim Bund schmackhaft machen sollen.

Ein weiterer Faktor ist die islamfeindliche Hetze, die nun seit fast zwei Jahrzehnten von den Medien gefahren wird und im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise ohrenbetäubend und omnipräsent wurde. Nachdem der Imperialismus der NATO-Länder den Nahen Osten durch Kriege zerstört, Terrororganisationen herangezüchtet und die größte Flüchtlingsbewegung seit 1945 ausgelöst hatte, nutzen sie nun diese Flüchtenden, um mit Hilfe des Rassismus die Arbeiterklasse zu spalten, im Namen von Terrorbekämpfung die Polizei aufzurüsten und mit geheimdienstlichen Befugnissen auszustatten sowie umfassende Überwachung einzuführen.

Das Auftreten der AfD kam der herrschenden Klasse und dem Establishment sehr gelegen, auch wenn sie sich nach außen hin stets entrüstet über deren Demagogie zeigt. Ihr wird seit Jahren eine große Bühne in allen Massenmedien geboten. Ihre Spitzenkandidaten werden hofiert und dürfen ihre rassistische und demagogische Propaganda verbreiten. Als Antwort erhält die AfD in aller Regel die Umsetzung ihrer Positionen durch die Regierungsparteien auf Landes- und Bundesebene. Inzwischen ist die AfD in allen Parlamenten vertreten. In ihr sitzen gerade diese kleinbürgerlichen Schichten, die vom ökonomischen Ruin im Zeitalter des Imperialismus betroffen sind, aber auch viele Polizisten und Soldaten, die eben eine Aufrüstung dieser Apparate wollen, um den deutschen Imperialismus zu stärken.

Diese Angriffe auf die Arbeiterklasse und die demokratischen Rechte wurden und werden auch weiterhin von der SPD führend umgesetzt und den Gewerkschaften mitgetragen. Deshalb verlieren beide Organisationen, besonders die SPD massiv an gesellschaftlichem Rückhalt. Die LINKE ist ebenso an der Staatsverwaltung im Interesse des Kapitals in den Bundesländern Berlin, Brandenburg und Thüringen beteiligt. Dort wurde auch sie bei der letzten Bundestagswahl abgestraft. Ihr reformistisches Programm bildet keine Grundlage für eine prinzipielle Opposition gegen den Kapitalismus und kann keinen Ausweg aus der gesellschaftlichen Krise aufzeigen. Zusätzlich fehlt ihr eine weitgehend starke Verankerung in Betrieben, Bildungseinrichtungen, Stadtteilen und der politischen Schulung ihrer Mitglieder. Deshalb kann sie nicht von der Krise des Kapitalismus profitieren. Für Reformen und Sozialpartnerschaft besteht kein Raum mehr.

Wenn wir also von einem Rechtsruck sprechen können, dann findet dieser bei den politischen Parteien, im Parlament, im Staatsapparat, den oberen Etagen der Medien und teilweise auch an Bildungseinrichtungen sowie in gewissen kleinbürgerlichen Gesellschaftsschichten statt – mit anderen Worten, die herrschende Klasse und ihre Apologeten rücken nach rechts. Lediglich eine Minderheit der Arbeiterklasse greift aus Verzweiflung zu einer ohnmächtigen Geste und wählt aus Protest – nicht Überzeugung – die AfD. Sie haben über Jahre die Zerstörung ihrer Lebensgrundlage miterlebt und haben das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren. Die AfD greift diesen Unmut auf und verspricht Verbesserungen. Da keine Arbeiterpartei existiert, die einen offensiven Kampf gegen den Kapitalismus führt und einen Ausweg aufzeigt, machen kleine Teile der arbeitenden Klasse ihr Kreuz bei der AfD.

Der Großteil der Arbeiterklasse steht in Opposition zu Aufrüstung von Militär und Polizei, rassistischer Demagogie, Zerstörung der Infrastruktur und Bildungseinrichtungen, Abbau des Sozialstaates, Wohnungsnot, sinkendem Lebensstandard, Betriebsabwicklungen, Arbeitslosigkeit und Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse. Deshalb sehen wir seit Jahren Massenproteste z.B. gegen TTIP und Stuttgart 21 oder große Solidarität mit vor imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung flüchtenden Menschen. Insbesondere dieses Jahr geht eine Welle von Massenprotesten gegen neue Polizeigesetze, Abschiebungen, Mietenwucher, Umweltzerstörung und rechte Politik durch Deutschland. Fast täglich finden Demonstrationen statt und regelmäßig sind zehntausende daran beteiligt. Einen vorläufigen Höhepunkt bildet die „UNTEILBAR“-Demonstration vom 13. Oktober in Berlin mit bis zu 240.000 Demonstrierenden. Außerdem haben während der Tarifrunden der IG-Metall und ver.di hunderttausende gestreikt. An den Kliniken, bei Amazon, Ryanair und Real sehen wir große Streikbereitschaft. Diese Proteste und Streiks stehen aber unter dem Einfluss einer perspektivlosen Führung, die nicht die Systemfrage stellen wird und deshalb keine Lösung bieten kann.

Im Verhältnis dazu sind die Mobilisierungen der Rechten und selbst der AfD schwach. PEGIDA hat 2015 in Dresden das letzte Mal mehr als zehntausend Demonstranten gezählt – Zahlen die fast wöchentlich in diversen Städten von Seiten progressiver Demonstrationen erreicht werden. Gewaltbereit sind zudem nur kleine Gruppierungen von Faschisten und rechtsradikalen Hooligans.

Die Kapitalisten und ihre Handlanger bereiten sich auf noch größere Proteste vor und schaffen sich die Mittel um diesen Einhalt gebieten zu können. Dafür rüsten sie Polizei und Militär auf, erlassen rassistische Gesetze und rassistische Propaganda, um uns zu spalten und setzen Angriffe auf unseren Lebens- und Arbeitsstandard durch. Die nächste Krise hat bereits angeklopft und wie das Handelsblatt am 04.10.2018 schrieb: „Beim Jobabbau im nächsten Abschwung sind dann direkt die Stammbelegschaften dran“.

Noch braucht die herrschende Klasse den Faschismus nicht, ebenso ist die gesellschaftliche Basis dafür nicht gegeben. Dieses äußerste Mittel wird erst zum Einsatz kommen, wenn alle anderen Möglichkeiten verbraucht sind. Bis 1933 Hitler die Macht übergeben wurde mussten erst Jahrzehnte ideologischer Obskurantismus und Militarismus propagiert werden, ein Weltkrieg, fünf Jahre revolutionärer Bewegung, Bürgerkriegszustände, gravierender Einbruch der Lebensverhältnisse, der Verrat und politische Zickzack-Kurs der Führung der Arbeiterbewegung erfolgen. Erst dann in einer Phase völliger Aussichtlosigkeit war die gesellschaftliche Basis des Faschismus – das Kleinbürgertum – durch den Imperialismus seiner Existenzrundlage völlig beraubt und von der Arbeiterbewegung enttäuscht und deshalb bereit sich der rückwärtsgewandten Ideologie von Blut und Boden, Volkstum und Antisemitismus sowie der Hoffnung hinzuwenden, die kapitalistischen Krise durch eine „Reinigung des Volkskörpers“ unter Anführung eines starken Führers zu lösen. Diese Massenbewegung entfachte schließlich die Barbarei, die zur Vernichtung der Arbeiterbewegung führte, den Zweiten Weltkrieg begann und den Holocaust durchführte.

Davon sind wir aber noch weit entfernt. Wenngleich die herrschende Klasse kein Problem damit hat, dass solche Ideologien bestehen und an Popularität gewinnen, sieht sie die offen zutage getragen Sympathie von Staatsbediensteten mit rechten Ideologien und Organisationen nicht gern. Deshalb wurde z.B. Maaßen entlassen und andere „Staatsdiener“ versetzt.

Was wir gerade sehen, ist das Zusammenbrechen der Fassade eines über den Klassen stehenden Staates und insbesondere des Märchens einer klassenlosen Gesellschaft im Kapitalismus. Die ökonomische Basis der Sozialpartnerschaft schwindet zusehend, deshalb geraten die Bürokratien der reformistischen Parteien in eine Krise. Die kapitalistische Gesellschaft normalisiert sich auch in Deutschland.

Deshalb ist die These eines gesellschaftlichen Rechtsruckes nicht haltbar, sondern lediglich eine oberflächliche Betrachtung. Was wir heute erleben ist die Polarisierung der Gesellschaft. Die Herrschenden und ihre Freunde rücken nach rechts, während die Arbeiterklasse objektiv auf einen großen Sprung zu antikapitalistischen Kämpfen vorbereitet wird. Das Kapital wird aggressiver gegen die Arbeiterklasse vorgehen und sie zwingen sich zu wehren. Diejenigen die bei den Demonstrationsbewegungen seit der Krise 2008 dabei waren, werden sich in der nächsten Krise weiter radikalisieren und den Kapitalismus in Frage stellen. Ihnen werden sich Massen anschließen, die jetzt noch nicht politisiert sind oder noch schwanken. Die Darstellung eines gesamtgesellschaftlichen Rechtsrucks ist der Krise der Führung der Arbeiterbewegung geschuldet. Unsere Aufgabe ist es, diese zu überwinden und die Arbeiterklasse mit einem sozialistischen Programm, Perspektiven und einer revolutionären Organisation auszustatten. Uns erwarten enorme Klassenkämpfe.

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