Parlamentswahlen sind immer eine Momentaufnahme und ein Barometer für die gesellschaftliche Stimmung. Insofern lassen sich auch aus den Ergebnissen der Wahlen zum EU-Parlament am vergangenen Sonntag wichtige Schlussfolgerungen für die politische Situation in Deutschland ableiten.
Die Krise der bürgerlichen Demokratie
Die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl (61,4 Prozent gegenüber 48,1 Prozent bei der Wahl 2014) spricht für eine Politisierung in der deutschen Gesellschaft und eine Verschärfung der gesellschaftlichen Polarisierung. Die Fragmentierung des deutschen Parteiensystems setzt sich fort. Die SPD fuhr mit 15,8% (-11,5%) eine schwere Niederlage ein und schlittert weiter in eine tiefe Krise. Aber auch die 28,9% (-6,4%) für die CDU/CSU sind ein historisch schlechtes Ergebnis, das ohne den relativen CSU-Erfolg der CSU in Bayern mit 40,7 Prozent noch viel magerer erscheint. Im Vergleich zu 2019 sackte die CDU bundesweit um 7,4 Prozentpunkte von 30 auf 22,6 Prozent ab. Im Wahlgebiet Ost einschließlich Berlin (Ost) war der Rückgang um 8,6 Prozentpunkte auf 21,5 Prozent noch krasser. Hier ist ihr die AfD mit 21,1 Prozent dicht auf den Fersen. Angesichts dieser Ergebnisse noch von den „Volksparteien“ CDU und SPD zu sprechen, erscheint unsinnig.
Die AfD zählt bundesweit allerdings nicht zu den Gewinnern, weil sie hinter dem Ergebnis der Bundestagswahl 2017 zurückgeblieben ist und der Nimbus eines unaufhaltsamen Aufstiegs im Westen der Republik vorerst gebrochen ist. Daher ist es auch falsch, von einem allgemeinen „Rechtsruck“ zu sprechen. Zu den Erfolgen der AfD zählt allerdings, dass sie in etlichen ostdeutschen Landkreisen mit Stimmenanteilen von 20 bis 30 Prozent zur stärksten Partei gewählt wurde. Im Land Brandenburg wurde sie mit nicht einmal 20 Prozent stärkste Partei – dank einer weitgehenden Fragmentierung des Parteiensystems in fünf mittelgroße Parteien und fast einem Sechstel der Stimmen für sonstige Parteien. In Sachsen erreichte sie mit etwa einem Viertel der Stimmen ebenfalls den ersten Platz. Die Rolle der stärksten Partei geht bei näherer Betrachtung in der Regel nicht mit einer Ausweitung der Stimmenzahl für die AfD einher. In Sachsen lag sie um 1,7 Prozentpunkte, in Brandenburg um 0,3 Prozentpunkte unter dem Stimmenanteil bei der Bundestagswahl.
Der Niedergang von CDU und SPD, der relative Erfolg der AfD besonders im Osten und der rasante Aufstieg der Grünen zeigen einmal mehr, was spätestens seit der letzten Bundestagswahl im September 2017 klar geworden ist: Die Zeiten der politischen Stabilität in Deutschland sind vorbei! Der seit den Angriffen der „Agenda 2010“ und der Krise von 2008 sinkende bzw. stagnierende Lebensstandard für die Masse der Bevölkerung drückt sich immer offener in Misstrauen und Unzufriedenheit gegenüber den etablierten Parteien aus.
Seit dem Zweiten Weltkrieg konnte sich die herrschende Klasse in Deutschland darauf verlassen, dass CDU/CSU und die reformistische Führung der SPD ihre politischen Interessen zuverlässig umsetzten. Tausend Fäden legaler und illegaler Einflussnahme, Korruption, Erpressung und Bestechung verbanden das deutsche Kapital mit den führenden Politikern beider Parteien. Union und SPD hatten in der Summe bei bundesweiten Wahlen stets eine klare Mehrheit. Das ist jetzt Geschichte. Während die Union auf knapp 28,9 Prozent zusammenschrumpft und die SPD mit dem vorläufigen Tiefstand von 15,8 Prozent weit hinter das Niveau von 1890 (!) zurückgefallen ist und immer mehr Rückhalt verliert, kann die herrschende Klasse ihre Politik nicht mehr so reibungslos umsetzen, wie es noch vor kurzem möglich war. Aber grade jetzt, mit Blick auf die kommende wirtschaftliche Rezession und den Konkurrenzdruck gegenüber den USA und China, ist diese eingeschränkte Handlungsfähigkeit für die herrschende Klasse fatal. Der Zugewinn und die steigende Relevanz der Grünen wird also dazu führen, dass der Druck der herrschenden Klasse auf die Grünen, die Kapitalinteressen der deutschen Bourgeoisie umzusetzen, deutlich zunehmen wird.
Die Radikalisierung der Jugend und die Grünen
In den Monaten vor der Europawahl konnten wir zudem beobachten, wie weite Teile der Jugend sich radikalisierten und die politische Bühne betreten. Schon seit einigen Jahren können Demonstrationen gegen Rassismus und die AfD Zigtausende Jugendliche mobilisieren. Mit den Schulstreiks der „Fridays for Future“-Bewegung (FfF) hat die Politisierung der Jugend jedoch eine neue Stufe erreicht. Beim weltweiten Schulstreik am 15. März gingen in ganz Deutschland 300.000 Jugendliche auf die Straße. Am 24. Mai waren es 320.000. Zusammen mit der Mieterbewegung in Berlin führte das zu einem Klima, in dem der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sich für die Enteignung von Großkonzernen aussprach – sicher auch in der Hoffnung, damit vor allem jugendliche Wähler für die SPD zu gewinnen. Dass die SPD dennoch eine klare Niederlage einfuhr, liegt sicher nicht daran, dass diese Forderungen Kühnerts etwa zu radikal gewesen wären. Die SPD-Führung distanzierte sich von ihm. Nach über 20 Jahren neoliberaler Politik ist der Zuspruch für die SPD-Spitze auf einem Tiefpunkt angelangt. Ausdruck der Politisierung und Radikalisierung in der Jugend war nicht zuletzt auch Rezos Video „Die Zerstörung der CDU“, das mittlerweile über 11 Millionen Aufrufe auf Youtube hat.
Die Ideen, die in weiten Teilen dieser neu politisierten Schicht der Jugend vorherrschen, sind oft linksliberal, reformistisch und von kleinbürgerlichem Idealismus geprägt. So steht beispielsweise in der „Fridays For Future“ Bewegung oft das Konsumverhalten des Einzelnen und nicht etwa die Systemfrage im Vordergrund. Man will „auf Politik und Wirtschaft Druck ausüben und „mit ihnen reden“, in der Hoffnung, so CDU/CSU, SPD und Kapitalisten zur Vernunft zu bringen. Diese Positionen decken sich weitgehend mit der Rhetorik und den Wahlkampfforderungen der Grünen und so ist es wenig verwunderlich, dass viele dieser Jugendlichen die Grünen unterstützten und sie so mit 20,5 Prozent zur zweitstärksten Kraft in Deutschland machten.
Dass linksliberale und kleinbürgerliche Ideen in weiten Teilen der politisierten Jugend vorherrschend sind, ist jedoch wenig verwunderlich. Schließlich sind das die Ideen, die ihnen als erstes begegnen, wenn sie anfangen, sich zu radikalisieren. Vor allem deshalb, weil die verbürgerlichte Führung der organisierten Arbeiterbewegung selbst diesen Ideen verfallen ist und somit keinen Kampf für einen klaren unabhängigen Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse führt. In diesem Zusammenhang zu erwarten, dass plötzlich fertige Marxisten und Revolutionäre vom Himmel fallen, ist absurd.
Das wird aber keineswegs so bleiben! Die Wut und die Radikalisierung der Jugend hat den Grünen den 20,5 Prozent-Erfolg beschert. Die Grünen sind aber eine bürgerliche Partei. Sie stehen fest auf dem Boden des Kapitalismus und des bürgerlichen Staates. Angesichts der Schwäche von CDU und SPD wächst der Druck seitens der herrschenden Klasse auf sie, Politik im Interesse der Finanzoligarchie zu machen. Die Landesregierung in Baden-Württemberg ist dafür ein bezeichnendes Beispiel. Die Klimakrise hat jedoch ihre direkten Ursachen im Kapitalismus, der die Profitmaximierung der Kapitalisten vor alles andere stellt. Wer sich nicht traut, die Kohle- und Autokonzerne zu sozialisieren und die Stromnetze und die Infrastruktur den Privaten wieder aus der Hand zu nehmen, der wird den CO2-Ausstoß nicht reduzieren. Die Umweltfrage ist eine Klassenfrage.
Die Grünen werden nicht wagen, sich ernsthaft mit der herrschenden Klasse anzulegen. Dass sie ihre eigenen Ökoziele verraten, zeigt auch die Erfahrung in Hessen. Dort setzt die schwarz-grüne Landesregierung rigoros auf Flughafenausbau und rollt dem Billigflieger Ryanair den roten Teppich aus. Ganz zu schweigen von der Nähe des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Kretschmann (Grüne) zu den Chefetagen der Autoindustrie.
Je mehr die Grünen die Erwartungshaltung der Jugend und all derer, die sich echte Klimaschutzmaßnahmen von ihnen erhoffen, enttäuschen, um so mehr wird ihr Niedergang mindestens genauso schnell von Statten gehen wie ihr gegenwärtiger Aufstieg. Denn schon jetzt können wir sehen, wie sich die Klimastreikbewegung radikalisiert. Bei der Demo am 24. Mai waren viele Reden und Demosprüche deutlich radikaler als bei der am 15. März. In Tübingen rief etwa ein 15-jähriger Redner: „Ihr nennt mich radikal? Ihr nennt einen Systemwechsel radikal? Der Klimawandel ist radikal! Und natürlich müssen auch wir radikal sein, um den Kapitalismus aufzuhalten.“
Zudem ist auch ein Gefälle zwischen der Führung der FfF-Bewegung, die oft den Grünen nahesteht und sich teilweise komplett aus Grünen-Mitgliedern zusammensetzt, und der Basis festzustellen: Während die Führung den Fokus auf das Konsumverhalten des einzelnen lenkt und auf diplomatische Gespräche mit Politik und Wirtschaft setzt, sind viele Demonstrierende für eine radikale und antikapitalistische Lösung des Klimaproblems offen. Wenn diese Leute gegenwärtig noch kleinbürgerlichen Ideen hinterherlaufen, liegt das nicht an ihrer mangelnden Radikalität, sondern daran, dass sie noch keine radikalere, sprich marxistische und revolutionäre Antwort, auf ihre Fragen erhalten haben.
Der Reformismus als Feigenblatt der kapitalistischen EU
Angesichts dieser Radikalisierung der Jugend erscheinen die Ergebnisse der Parteien mit Traditionen in der Arbeiterbewegung, vor allem der LINKEN, noch erbärmlicher. Die LINKE hat eine herbe Schlappe einstecken müssen und erzielte mit nur 5,4 Prozent und schlappen zwei Millionen Stimmen ihr historisch schlechtestes Ergebnis seit der Parteigründung vor 12 Jahren. Selbst die Quellpartei PDS schnitt bei früheren EU-Wahlen 1999 und 2004 mit 5,8 (1999) bzw. 6,1 Prozent (2004) besser ab. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 musste die Linke fast eine Million Stimmen an die Nichtwähler abgeben, weitere 570.000 ehemalige Wähler wanderten zu „den anderen“ ab – hier dürfte sicher die Satire-PARTEI der größte Nutznießer sein. Und was ist aus dem Plan geworden, den Grünen Wähler abspenstig zu machen? Gar nichts. Netto wanderten vielmehr 610.000 Wähler von der Linken zu den Grünen. Bei den Erstwählern liegt die Linke mit enttäuschenden acht Prozent sogar bundesweit hinter der PARTEI, die hier neu Prozent holen konnte.
Im Vorfeld war diese Wahl zum Europäischen Parlament immer wieder zu einer „Schicksalswahl“ ausgerufen worden. Die Zukunft Europas stünde auf dem Spiel. „Europa“ werde bedroht von Nationalisten und „Rechtspopulisten“. Die darauf aufbauenden Wahlstrategien gingen allerdings an den wirklichen Problemen der meisten Menschen vorbei. Die Gleichsetzung von „Europa“ mit der Institution EU und Orientierung auf diese EU als angebliches „Bollwerk gegen Nationalismus“ blendete aus, dass die europäische Arbeiterklasse Antworten auf die soziale Misere und die verschärften gesellschaftlichen Konflikte suchte.
Die Wahlergebnisse der SPD (15,8 %) und der LINKEN (5,4 %) sind Ausdruck der Tatsache, dass die Arbeiterklasse auf Dauer keine reformistischen Parteien als Führung duldet, wenn diese sich von den bürgerlichen Parteien verschiedener Couleur kaum mehr unterscheiden und sich den Interessen der herrschenden Klasse unterordnen und Notstandsverwaltung betreiben. Also wenn sie keine nennenswerten Verbesserungen der Lebens- und Arbeitsverhältnisse, sondern Einschnitte herbeiführen.
Anstatt die soziale Frage radikal zu stellen und sie auch radikal zu beantworten, stiegen die reformistischen Führungen von SPD und LINKE umso lauter in den bürgerlichen Kanon ein, „Europa stark zu machen“. Der Wahlkampf der SPD und des DGB war in erster Linie auf die Verteidigung der „Demokratie“, des „Rechtsstaats“ und der „Freiheit“ gerichtet. Es wurde das Schreckgespenst eines Rechtsrucks und damit einhergehend eine potenzielle „Zerstörung Europas“ an die Wand gezeichnet. Und in diesem Geiste wurde ein Wahlkampf betrieben, der auf eine breite „Volksfront“ gegen die „Rechtspopulisten“ abzielte. Der DGB machte Wahlkampf mit dem Slogan „Europa. Jetzt aber richtig!“. Weiter hieß es in ihrem Wahlaufruf: „Wenn es die Europäische Union nicht gäbe, müsste man sie erfinden. Seit mehr als siebzig Jahren herrscht Frieden in großen Teilen Europas, länger als je zuvor. Wir EU-Bürgerinnen und Bürger können uns in Europa frei bewegen, in anderen EU-Ländern leben, arbeiten, studieren und reisen.“ Das Wahlkampfmotto der SPD war „Europa ist die Antwort“. Worauf konkret weiß man letztlich auch nicht, aber Inhalte hat diese Partei auch keine mehr vorzuweisen. Die bürgerliche Parteiführung ist völlig kopflos und steuert ihre Partei zielgerichtet auf die Klippe zu.
Wenn die herrschende Klasse von „Freiheit“, „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ redet, dann meint sie nichts anderes als die politische Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft, also ihre direkte politische Herrschaft, ihre Handlungsfähigkeit. Wenn sie dies gegen „die Rechtspopulisten verteidigen“ will, dann möchte sie lediglich eine intelligente und professionelle Politik im Interesse des Großkapitals, gegen die geschäftsschädigende und destabilisierende Politik von der Krise radikalisierter und aufgescheuchter Kleinbürger und reaktionärer Kapitalisten wie die der AfD und ihrer europäischen Schwesterparteien verteidigen. Wenn die herrschende Klasse von „offenen Grenzen“ spricht, dann meint sie uneingeschränkten Warenverkehr und die unkomplizierte Auslagerung der Produktion in imperialistisch ausgebeutete Länder mit degradierten Lebensbedingungen. Wenn sie von „Frieden“ und „Zusammenhalt“ redet, meint sie die Vorherrschaft der deutschen Wirtschaft in Europa und den Zusammenschluss Europas zum imperialistischen Wirtschaftsblock unter deutscher Führung, um mit den USA und China mithalten zu können.
Indem SPD, DGB und LINKE diese Phrasen aufgreifen und Illusionen in die soziale und ökologische Reformierbarkeit der EU schüren, sind sie nichts anderes als das vermeintlich linke, soziale und ökologische Feigenblatt der kapitalistischen EU. Sie machen sich damit faktisch zu Komplizen der deutschen Kapitalisten und helfen mit, deren Profitinteressen zu wahren. Die reformistische Führung dieser Organisationen stellt sich also de facto auf einen bürgerlichen Klassenstandpunkt. Das geht nicht an den Wählern vorbei: Wenn sich die Parolen von SPD und LINKE nicht von denen der bürgerlichen Parteien unterscheiden, wenn sie im Prinzip das Gleiche wie die bürgerlichen Parteien wollen, wozu dann SPD und Linke wählen?
Die Krise des Reformismus – Welche Antworten auf die soziale Frage?
Die Krise des Kapitalismus entzieht der Klassenkollaboration die materielle Grundlage, die reformistische Führung ist mehr und mehr gezwungen klar zu bekennen auf wessen Seite sie steht. Ausdrücklich bezeugen diese Wahlen, dass das verbissene Beharren auf der Klassenkollaboration (d.h. auch und vor allem auf die Sozialpartnerschaft), in Zeiten der sich verschärfenden kapitalistischen Krise nur zu herben Niederlagen für die Reformisten führt.
Aber genau das taten die Reformisten, anstatt sich auf einen proletarischen Klassenstandpunkt zu stellen, also mit voller Kraft für die Interessen der Arbeiterklasse einzutreten. Über linksliberale Floskeln und vage Äußerungen wie etwa „faire Mindestlöhne“ oder „faire Besteuerung“ von Großkonzernen, ging der Wahlkampf nicht hinaus. Eine echte Alternative wurde nicht präsentiert.
Der Wahlkampf der reformistischen Parteien und Gewerkschaften ging völlig an den tatsächlichen Problemen vorbei, welche wachsenden Teilen der Arbeiterklasse und Jugend auf den Nägeln brennen: Prekarisierung der Arbeit, die Wohnungsnot, Anstieg psychischer Erkrankungen, die sich anbahnende Klimakatastrophe, usw. In der Frage des Aufstieges rechter Parteien und der begründeten Sorge vieler gegenüber diesem Krisenphänomen konnten sie nur anbieten, zur Wahl der Parteien aufzurufen, deren Politik im Interesse der Herrschenden eben das Aufkommen der Rechten erst mit sich gebracht hat. Eine völlige Sackgasse.
In der Arbeiterklasse und Jugend kommt zunehmend die Forderung nach Enteignung von Miethaien auf und selbst die Enteignung von Großkonzernen stößt in der von Kühnert angestoßenen Debatte auf Zustimmung. Aber die reformistische Führung weiß damit nichts anzufangen. Sie weigert sich sogar, diese richtigen Forderungen auf ihre Fahnen zu schreiben und den Konflikt mit der herrschenden Klasse zu suchen. So ein Kniefall vor den herrschenden Verhältnissen macht die Arbeiterklasse schutzlos vor den Angriffen des Kapitals, die seit der Krise 2008 tagtäglich durchgepeitscht werden.
Je mehr sich die Krise zuspitzt, desto gehaltloser und impotenter wird die reformistische Programmatik. Immer mehr büßen sie jegliche Unterscheidbarkeit zu den bürgerlichen und kleinbürgerlichen Parteien ein. Umso stärker werden sie marginalisiert. Die LINKE schafft es nicht, aus dem Niedergang der SPD irgendeinen Profit zu schlagen. Stattdessen ist sie damit beschäftigt, sich der herrschenden Klasse als „seriös“ anzubiedern und zur zweiten SPD zu werden. Die anstehenden Landtagswahlen im Osten werden weitere Erschütterungen mit sich bringen und die Krise dieser Parteien weiter anheizen.
Die Sozialpartnerschaft, die Zusammenarbeit zwischen Bourgeoisie und Führung der Arbeiterorganisationen wird zunehmend untergraben, weil ihr in der sich verschärfenden kapitalistischen Krise die Grundlage entzogen wird. Die Frage, die sich LINKE und Gewerkschaften stellen müssen ist, ob sie dieser Realität ins Auge blicken und den Kampf vorbereiten oder ob sie die Arbeiterklasse wehrlos den Angriffen der Bürgerlichen ausliefern wollen.
In der LINKEN braucht es eine offene und ernsthafte Diskussion über die Ursachen ihrer Misere: Warum kann sie weder vom Niedergang der SPD profitieren, noch unzufriedene „Protestwähler“ oder breitere Schichten der radikalisierten Jugend für sich gewinnen? Diese Diskussion muss sich in erster Linie auf die Frage des Programms und der Methoden richten. DIE LINKE muss sich mit ihren Forderungen und Parolen deutlich von den bürgerlichen Parteien unterscheiden und einzig und allein die Interessen der Arbeiterklasse und der Jugend im Auge haben. Sie darf dabei keine Rücksicht auf die Interessen der Kapitalistenklasse nehmen!
Dafür braucht sie ein sozialistisches Programm. Die LINKE sollte in den bestehenden Kämpfen um die Führung der Arbeiterklasse streiten und sich so in den Gewerkschaften, Betrieben und Stadtteilen verankern. Sie muss sich mit ihrem ganzen Gewicht und eigenem Profil in Bewegungen wie Mietwahnsinn stoppen! und Fridays for Future einbringen und offensiv Kämpfe für bessere Lebensbedingungen, höhere Löhne, höhere Renten, ein Ende von prekärer Beschäftigung und Mietenwahnsinn, gegen den Pflegenotstand und für die Enteignung von Großkonzernen und Banken sowie gegen die Klimakatastrophe führen
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