So fand in der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden am 15. Juni die erste örtliche Demonstration gegen Mietenwahnsinn, Immobilienleerstand und Spekulation seit Jahrzehnten statt. Dazu aufgerufen hatte das Aktionsbündnis „WohnRaum für ALLE“, das Aktive aus der Stadtteilgruppe „Die Linke im Westend“ und dem örtlichen „Bündnis gegen Rechts“ das Wiesbadener Bündnis gebildet hatten. Die kurzfristig anberaumte Demo stand unter dem Motto „Bezahlbaren Wohnraum schaffen, Leerstand beschlagnahmen, Spekulant*innen enteignen“. Die Veranstalter hatten 100 Menschen erwartet, es kamen dann aber über 200.
Im Aufruf ging es um spekulativen Leerstand in Wiesbaden ebenso wie um grundsätzliche Solidarität mit Wohnungskämpfen, Mieterprotesten, Initiativen und Volksbegehren, die in den letzten Monaten in Berlin, Stuttgart, Frankfurt, München und anderen Städten entstanden sind. Die Auftaktkundgebung fand am Bismarckring statt. Dort steht großes Büro- und Wohngebäude seit rund zehn Jahren leer und ist zu einem Schandfleck im Stadtviertel geworden. Es gehört einer Frankfurter Immobiliengesellschaft. Noch um die Jahrtausendwende beherbergte es eine Arztpraxis, eine Bankfiliale, ein Geschäft für Haushaltsgeräte sowie diverse Büros und Wohnungen. Doch nun ist zu einem Schandfleck im Stadtviertel geworden.
2004 wurde das Zweckentfremdungsverbot in Hessen durch die damalige CDU-Alleinregierung gegen den Protest von Gewerkschaften und Mieterverbänden außer Kraft gesetzt. Damit wurde den Kommunen ein Instrument aus der Hand genommen, um gegen spekulativen Leerstand, die Umwandlung von Miet- in teure Eigentumswohnungen sowie gegen die Zweckentfremdung wirksam vorzugehen. In Hamburg hingegen ermöglicht ein Landesgesetz etwa die Beschlagnahme leerstehender Immobilien und Einweisung von Wohnungssuchenden. Allerdings wurde dies bisher nur ein wenigen Fällen umgesetzt. In Hessen scheut die schwarz-grüne Regierung den Konflikt mit Eigentümern großer Immobilien und lehnt ein Gesetz gegen Leerstand ab. Der grüne Bauminister Tarek Al-Wazir behauptet sogar, dass Leerstand in hessischen Großstädten kein Problem sei. Viele tausend Menschen, die tagtäglich am Bismarckring 23 vorbei gehen oder fahren, nehmen allerdings eine andere Realität wahr. Dass auch noch etliche andere Gebäude leerstehen, konnten die Demonstrierenden entlang der Route mit eigenen Augen sehen.
Zudem werden jetzt im Wiesbadener Westend mit seinen attraktiven Altbaufassaden immer mehr Häuser von Immobilienfirmen aus Nah und Fern aufgekauft. Dadurch greifen unter den dort wohnenden Menschen Ängste um sich. Ein Frankfurter Mieter berichtete von dem tagtäglichen Kleinkrieg, den er zusammen mit anderen Nachbarn gegen die Immobiliengesellschaft Vonovia führt. Vonovia war vor allem durch die Privatisierung ehemaliger Eisenbahnerwohnungen groß geworden und wird von finanzstarken Anlegern getragen, die aus den Immobilien rasch große Profite ziehen wollen. Die Privatisierung wurde unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder 1999 eingeleitet. Die Demo solidarisierte sich mit dem Berliner Begehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“, das einen Tag zuvor 77.001 Unterschriften beim Senat abgegeben hatte.
Das Gespenst der Enteignung
Im Europaviertel von Frankfurt am Main fand am Dienstag die alljährliche Hauptversammlung der Immobiliengesellschaft Deutsche Wohnen SE (DW) statt. Draußen war Protest angesagt. Die ankommenden Aktionäre wurden von in Bettlaken gehüllten Demonstranten empfangen, die das „Gespenst der Enteignung“ darstellten und „Investoren verschrecken“ sollten. Parolen wie „Wir sind die Geister, die ihr ruft“ oder „Quälgeister aller Wohnungskonzerne, vereinigt euch“ standen auf ihren Pappschildern. Im Saal fand die alljährliche Hauptversammlung der DW statt.
Die DW ist durch das Berliner Begehren „Deutsche Wohnen und Co. Enteignen!“ und Kritik an ihrem aggressiven Geschäftsgebaren in aller Munde. Längst hat sie auch im Rhein-Main-Gebiet Fuß gefasst und einen Bestand von knapp 10.000 Wohnungen erworben. „Seit dem Start des Begehrens hat die Angst die Seiten gewechselt: Von den Mietern hin zu den Aktionären und allen anderen, die bisher vom Ausverkauf unserer Städte profitiert haben“, so eine Erklärung des Frankfurter Bündnisses, das die Aktion organisierte. „Plötzlich fallen die Aktienkurse und die Immobilienlobby versucht hektisch, sich aus der Verantwortung zu stehlen und gleichzeitig den reibungslosen Fortgang der Geschäfte abzusichern.“
Das renommierte Europaviertel mit etlichen leerstehenden Luxuswohungen in unmittelbarer Nähe der Frankfurter Messe war in den vergangenen Jahren auf dem Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs entstanden und gehört zum Gallusviertel. In diesem traditionellen Arbeiterviertel hat sich in wenigen Jahrzehnten ein dramatischer Umbruch vollzogen. Während in den 1970er Jahren noch sehr viele Wohnungen in gemeinnütziger und nicht profitorientierter Trägerschaft standen, sind die meisten dieser Bestände inzwischen in private Hände gelangt.
„Die bundesweite und internationale Resonanz auf unsere Initiative zeigt, dass dies die richtige Forderung zur richtigen Zeit ist“, unterstrich die Berliner Initiativensprecherin Susanna Raab. „Wir haben lange Angst gehabt, unsere Wohnungen zu verlieren. Aus dieser Angst ist Wut geworden“, so die Aktivistin. Sie meldete sich auch in der DW-Hauptversammlung zu Wort, wo das Stichwort Enteignung in etlichen Redebeiträgen vorkam. „Wer jetzt noch weiter in Deutsche Wohnen-Aktien investiert, wird Geld verlieren. Wir sind Ihr Investitionsrisiko“, prophezeite sie den versammelten Anteilseignern und Managern.
Mobilisierungsvideo auf Facebook: https://www.facebook.com/dielinkeimwestend/videos/994297444236004/
Mobilisierungsvideo auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=4RfY1aljp-I Leerstand trotz Wohnungsnot: Gebäude am Bismarckring 23 verkommt seit Jahren fast ungenutzt https://www.mensch-westend.de/2018/04/27/5966/
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