Nach dieser zogen einzelne Demoteilnehmer weiter und besetzten ein Mehrfamilienhaus in der Forststraße 140. Das dreistöckige Backsteinhaus stand seit vielen Jahren komplett leer, was Zeitungen mit DM-Preisangabe belegten, die aus den Briefkästen herausschauten. In Angesicht der bevorstehenden Kommunalwahlen und aus Angst vor Ausschreitungen vermeintlicher „Linksextremisten“ hielten sich anfangs die Polizei und auch die Politikerinnen und Politiker im Stuttgarter Gemeinderat mit öffentlicher Kritik zunächst zurück.
Unklar blieb bislang auch, warum die Stadt sich nicht auf das seit 2016 bestehende sogenannte Zweckentfremdungsverbot bezieht? Sie könnte, wenn sie sich trauen würde, Bußgelder verhängen, wenn Eigentümer Wohnungen länger als ein halbes Jahr leer stehen lassen. Doch offensichtlich hat die Stadt mehr Hemmungen, sich mit Immobilienhaien anzulegen als mit verzweifelt Wohnraum suchenden Mieterinnen und Mieter. Sogar eine Enteignung „zum Wohle der Allgemeinheit“ wäre zulässig, hier würde ein Blick in das sonst immer hochgehaltene Grundgesetz helfen
Die Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer sowie auch der Verfasser und Beteiligter dieses Artikels, machten jedoch auch deutlich klar, dass die Besetzung auch von Dauer sein soll, denn diese stellt klare Forderungen, wann die Aktion beendet würde. Darunter zählen unter anderem klare Aussagen darüber, wann genau mit der Sanierung des Hauses Forststraße 140 begonnen und wann diese abgeschlossen sein soll. Ebenso wollen sie verbindlich wissen, was „bezahlbarer Wohnraum“ heißen soll. Jedoch kaum tauchen auf einmal Besetzerinnen und Besetzer auf, stehen plötzlich Renovierungen, Sanierungen und sogar Aufstockungsarbeiten unmittelbar bevor. Hierfür soll sogar schon eine Baugenehmigung erteilt worden sein, wozu sich das städtische Bauamt bislang noch nicht geäußert hat. Scheinbar sollen schon im April die Handwerker anrücken und es werden sogar für die Menschen bezahlbare Mieten versprochen – was immer das heißen mag, denn in Stuttgart wurde vor kurzem einer Mieterin eine Mieterhöhung in Höhe von 136 % angekündigt.
Das vom 10. März besetzte Haus in der Stuttgarter Forststraße 140 wurde am frühen Morgen des 28. März durch eine Hundertschaft der Stuttgarter Polizei geräumt. Auch wenn dieser Einsatz weitgehend friedlich verlief, wurden fünf Aktivistinnen und Aktivisten von der Polizei verhaftet und wegen Hausfriedensbruchs angezeigt. Interessanterweise erfolgte die Räumung nicht aufgrund einer Klage der betroffenen Eigentümer. Vielmehr hatte die Stadt eine Allgemeinverfügung erlassen, der zufolge die Besetzung eine Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung darstelle. Diese geht auf den Ordnungsbürgermeister Schairer (CDU) zurück, der noch zwei Tage zuvor Verhandlungen zwischen Besetzern und Eigentümer inszenieren wollte. Diese „Vermittlung“ entpuppte sich schon vor der Räumung als Farce, als Nebelkerze, um die Besetzerinnen und Besetzer als „unwillig“ hinzustellen. In Wirklichkeit bestand vonseiten der Stadt und der WS Real Estate KG von vornherein kein Interesse daran, zu einer Einigung zu kommen. Stattdessen wurde die Räumung vorbereitet. Schairer, die CDU, die bürgerlichen Medien, aber auch die Stadtverwaltung unter dem grünen Oberbürgermeister Kuhn hatten die Besetzung ohnedies immer schon als quasi-kriminellen Akt hinstellen wollen. Die Verfügung des städtischen Ordnungsamts, welches die Besetzung als Gefahr für die sogenannte öffentliche Ordnung betrachtet, ist nur das Mittel zum Zweck.
Am Samstag, dem 6. April, gingen etwa 5.000 Menschen unter dem Motto „Mieten runter!“ auf die Straße. Aufgerufen hatte ein breites Bündnis aus mehr als 30 Organisationen – darunter neben Mieterinitiativen, Sozialverbänden, Hausbesetzern auch Parteien wie DIE LINKE oder die DKP. Dass sich auch Vertreter der Grünen vor Ort zeigten, wurde mit deutlichen Missfallensäußerungen seitens der Teilnehmerinnen und Teilnehmern quittiert. Kein Wunder – schließlich trägt diese als regierende Partei in Stadt und Land Mitschuld an der katastrophalen Wohnungspolitik und hat auch gegen die Hausbesetzung in der Forststraße 140 Stimmung gemacht.
Noch kurz vor Demobeginn begann der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende der rechten AfD und Stuttgarter Stadtrat Heinrich Fiechtner in üblicher Manier zu provozieren. Nach kurzem Hin und Her musste er frustriert im Taxi den Rückzug antreten, so dass der große Zug der Demonstranten pünktlich loslaufen konnte. Neben Demosprüchen und kurzen Redebeiträgen wurde das Programm durch den Lauf der Demonstration durch das Heusteigviertel begonnen. Als der Demozug an einem Büro des Immobilienspekulanten Vonovia vorbeizog, wurde dieses aus dem Block heraus mit roter Farbe kreativ verschönert und von einem gegenüberliegenden Parkhaus ein Transparent herunter gelassen, um die Bewohnerinnen und Bewohner der Heusteigstraße auf die skandalösen Machenschaften der Immobilienhaie aufmerksam zu machen.
Nach Abschluss der Endkundgebung und Auflösung der Versammlung machte sich eine Gruppe Menschen in der Böblinger Straße auf den Weg Richtung Heslach. Dabei versperrte die Polizei den Demonstrantinnen und Demonstranten den Weg und setzte ohne ernsthafte Gefahr völlig unverhältnismäßig wiederholt massiv Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Dabei wurden viele durch das zum Teil aus nächster Nähe eingesetzte Reizgas verletzt. Die Demosanitätsgruppe berichtete von fast 60 Behandlungen, davon über 50 Verletzten durch Pfefferspray, 2 chirurgischen Verletzungen durch Schlagstockeinsatz und 2 internistischen Notversorgungen. Jedoch ließen sich die mutigen Demonstrantinnen und Demonstranten nicht von staatlichen Terror einschüchtern und so wurde etwa eine Stunde nach der Abschlusskundgebung das seit langem leerstehende Hofbräu-Areal in der Böblinger Straße symbolisch besetzt. Die Bauten auf dem Gelände sollen abgerissen werden und der Aldi-Konzern will dort 50 Luxuswohnungen bauen, während immer mehr Menschen auch in Stuttgart auf Wartelisten für Sozialwohnungen stehen. Dies scheint aber die grüne Mehrheit im Gemeinderat nicht groß zu interessierten.
Das Gebäude in der Forststraße wurde später mit einem Bauzaun symbolisch verriegelt, passiert ist bis heute nichts, die großen Ankündigungen im Vorfeld entpuppten sich als Seifenblase.
Wichtig bei der Wohnungsfrage ist, dass diese nicht im Kapitalismus oder mit reformistischer Politik wirklich gelöst werden kann. Mietpreisbremsen, städtische Verordnungen etc. sind allenfalls Symbolentscheidungen, denn linke Politik ist die konsequente Negation des herrschenden Systems und solange die Systemfrage nicht gelöst wird, wird es auch keine Lösung der Wohnungsfrage geben. Die Vergesellschaftung des Wohnraums ist ein Ziel: Es geht hierbei um eine Aneignung von Gütern und Infrastrukturen, die im Kapitalismus in privaten Händen liegen und unter dem Zwang der Kapitalverwertung stehen.
Uns muss abschließend klar sein, dass die Überwindung der kapitalistischen Wohnungspol letztlich eine Machtfrage ist und wir wissen, dass die Gegenseite ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen wird – hierzu müssen wir jeden Tag aufs Neue kämpfen. Miethaie, wie Vonovia, aber auch private Wohnungsspekulanten müssen entschädigungungslos enteignet werden und Wohnraum als aktives Grundrecht verankert werden. Eine revolutionäre kommunistische Bewegung darf sich jedoch nicht nur im Bereich Wohnungen zeigen, sondern auch zu anderen alltäglichen Fragen klare Stellung beziehen. Wohnraum ist keine Geldanlage, sondern ein Grundrecht jedes einzelnen Menschen.
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