Kategorie: Deutschland

SPD wählt neue Spitze - Wer wirds richten?

Vor dem Hintergrund anhaltender schwerer Wahlniederlagen und einer seit Jahren ungelösten Führungskrise will die SPD Anfang Dezember eine neue Parteispitze wählen.


Zwischen Agenda 2010-Chef Gerhard Schröder und Andrea Nahles erlebte und verschliss die Partei in zwei Jahrzehnten insgesamt acht Vorsitzende. Dann übernahm im Sommer 2019 ein kommissarisches Trio aus Manuela Schwesig, Thorsten Schäfer-Gümbel und Malu Dreyer die Führung. Übrig geblieben ist seit Oktober Malu Dreyer. Nun soll erstmals eine Doppelspitze gewählt und hierzu auch noch die Mitgliederschaft befragt werden. Wohlgemerkt: befragt, denn die KandidatInnen müssen danach trotzdem noch vom Parteitag bestätigt werden. Das Verfahren in Kurzform: Aus den laufenden Abstimmungen soll sich schließlich eines der Kandidatenpärchen hervortun, um vom amtierenden Vorstand vorgeschlagen und dann dem Parteitag im Dezember zur Wahl gestellt zu werden. Man möchte sich wundern, dass es tatsächlich noch mehr oder weniger prominente SPD-Mitglieder gibt, welche ihren Hut in den Ring werfen. Denn die letzten Vorsitzenden machten am Ende vor allem durch ihre spektakulären Abgänge Schlagzeilen und die eigene Partei schickte sie in den vorzeitigen Politruhestand.

Vielleicht rührt daher die nicht ganz so originelle Idee der Doppelspitze. Ende August gab Kevin Kühnert, der vermeintlich radikale Hoffnungsträger der JungsozialistInnen und Parteilinken bekannt, nicht anzutreten. Sogleich verschwand er im totenWinkel der medialen Beachtung.

Nun ergibt sich die Frage: WelcheWahl haben die GenossInnen überhaupt? Da nach der ersten Abstimmungsrunde altbekannte Gesichter wie die Antikommunistin Gesine Schwan und der niedersächsische Law-and-Order-Minister Boris Pistorius den Ring verlassen mussten, stellen sich nun im Finale Vizekanzler Olaf Scholz mit seiner Partnerin Klara Geywitz und das von den Jusos unterstützte Duo aus Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken dem Votum der Basis. Keines der Teams schaffte es allerdings, in der ersten Runde auch nur ein Viertel der Stimmen auf sich zu vereinen. Die beiden bestplatzierten Teams kamen auf 22,68 Prozent (Scholz/Geywitz) bzw. 21,04 Prozent (Walter-Borjans/Esken).

Der amtierende Bundesfinanzminister Scholz und der frühere NRW-Finanzminister Walter-Borjans unterscheiden sich vor allem in ihrer Bewertung der Schwarze-Null-Politik, also der Schuldenbremse. Somit wird der 67-jährige „Nowabo“ von parteilinken Kreisen zur Galionsfigur einer Politik höherer Verteilungsgerechtigkeit und fast zum Erben Willy Brandts verklärt. Doch welche Rolle spielen in dieser Aufführung die Namen abgenutzter BerufspolitikerInnen? Die Befragung zum Parteivorsitz ist in erster Linie ein Versuch, die entnervte Parteibasis ruhig zu stellen und ihr Mitgliedernähe zu suggerieren. Was für eine gesundende Wirkung Basisbefragungen auf die Partei hatten, stellte sich bekanntermaßen schon bei den Abstimmungen früherer Jahre zur Großen Koalition heraus. Diese gingen nach dem Anrollen der Propagandamaschine der Parteizentrale stets im Interesse der MandatsträgerInnen und des Apparats aus. Das Willy-Brandt-Haus, die Parteizentrale, folgt seinen eigenen Regeln.

Nun dürfte eine massive Propagandakampagne losgehen, um den Favoriten des Apparats, Scholz/Geywitz, zum Sieg zu verhelfen. Demgegenüber setzen kritische SPD-Mitglieder auf „Nowabo“/Esken und erhoffen sich davon eine klare Niederlage des Partei-Establishments und die einmalige Chance, sich von der verheerenden Politik der SPD seit Schröder zu trennen. Ob die beiden diese Erwartungen erfüllen und sich gegenüber dem in der Regierung verankerten Parteiapparat behaupten, falls sie gewählt würden, bleibt abzuwarten. Ein „Corbyn-Effekt“, also ein scharfer Linksruck und Zustrom von Hunderttausenden Arbeitern und Jugendlichen wie bei der britischen Labour Party, ist derzeit nicht in Sicht. Wenn Scholz gewinnt, dürfte sich der Niedergang der SPD unbeirrt fortsetzen.

Und so bleibt die SPD eine Partei zwischen allen Stühlen, ganz im Interesse der herrschenden Klasse, der sie seit Jahrzehnten die Stange hält, unabhängig davon, wer sich VorsitzendeR nennen durfte. Vor einem halben Jahr hatte sich der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert für die Enteignung von Großkonzernen ausgesprochen und damit ein starkes Echo gefunden. Ist er jetzt verstummt? Wo bleibt nun die viel beschworene kämpferische Parteijugend?

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