Kategorie: Deutschland |
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„Prekariat“ oder Proletariat? |
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Aufgrund einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist eine Diskussion um Unterschichten und „Prekariat“ aufgeflammt. Dabei wurde der Begriff der „Unterschichten“ vom SPD-Vorsitzenden Kurt Beck in die Diskussion geworfen. Beck beklagte, das „Prekariat“ habe Antrieb und Motivation verloren, aus seiner prekären Situation herauszukommen und ruhe sich lieber in den sozialen Sicherungssystemen aus. Anfang 2005 hat der Armuts- und Reichtumsbericht der Schröder-Regierung ans Tageslicht gebracht, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinander klafft und die Armut unter Schröder sogar nochmals stark zugenommen hat. | |||
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Für die Herrschenden ist die Sache ganz einfach. Das Problem der Unterschichten und deren sozialer Abstieg liege an mangelnder Motivation, unzureichender Bildung und Qualifikation, mangelnder Flexibilität und Familien mit Sozialhilfekarrieren, die sich von Generation zu Generation vererben. Nach dieser „Analyse“ der Ursachen durch die Herrschenden ist es nur folgerichtig, den Druck auf Arbeitslose zu erhöhen, Kündigungsschutz, Kranken- und Rentenversicherung zu schleifen und die bisher über die Sozialversicherung abgesicherten Risiken gegen Krankheit, Alter und Arbeitslosigkeit mehr und mehr zu individualisieren, also zu privatisieren. Wer über das notwendige Geld verfügt, kann die allgemeinen Lebensrisiken privat absichern. Den Versicherungskonzernen, privaten Krankenkassen und sonstigen privaten Dienstleistern werden somit neue Profitmöglichkeiten eröffnet. Armut trifft aber nicht nur Arbeitslose, sondern breite Gesellschaftsschichten, da auch sogenannte „Normalarbeitsverhältnisse“ immer weiter erodieren und durch Mini- und 1-EUR-Jobs, Teilzeitbeschäftigung und befristete Arbeitsverhältnisse ersetzt werden. Ferner werden immer mehr Leistungen aus dem Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung ausgegliedert. Die reale Senkung der Renten durch Nullrunden und Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre verursacht immer höhere zusätzliche Kosten für die private Absicherung dieser Risiken. Somit drohen immer mehr Menschen in den sozialen Abgrund zu stürzen. Gesundheits- und Rentenreform, Studiengebühren sowie Hartz IV wirken. Dazu kommt, dass die Gewerkschaften durch eine immer weitere Aushöhlung der Tarifverträge, den Druck zu flexiblen Arbeitszeiten und Lohnsenkungen immer mehr zu einem zahnlosen Tiger werden. Lohndumping nimmt zu, die Arbeitszeiten und Arbeitsbedinungen werden immer mehr flexibilisiert, von Seiten des Kapitals wird Druck ausgeübt, die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich zu erhöhen. Dies alles soll natürlich dem „Standort Deutschland“ dienen und die „Wettbewerbsfähigkeit“ der deutschen Unternehmen sichern. Die andere Seite dieser Medaille sind explodierende Gewinne der Unternehmen, insbesondere der DAX-Konzerne, exorbitante Managergehälter und Abfindungen in astronomischer Höhe. Das hält die Unternehmer freilich nicht davon ab, weiter zu jammern über angeblich noch zu hohe Steuern, Arbeitskosten und die sogenannten „Lohnnebenkosten“. Der Staat als verlängerter Arm von BDI und BDA setzt die Programme solcher Lobbygruppen des Kapitals fast 1:1 um. Wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, die auf der Existenz von Klassen beruht. „Es bedingt eine der Akkumulation von Kapital entsprechende Akkumulation von Elend. Die Akkumulation von Reichtum auf dem einen Pol ist also zugleich Akkumulation von Elend, Arbeitsqual, Sklaverei, Unwissenheit, Brutalisierung und moralischer Degradation auf dem Gegenpol“ (Karl Marx). Die Herrschenden verweigern in ihrer Analyse über die sozialen Destruktionstendenzen die Anerkennung des Klassencharakters unserer Gesellschaft. Auch Beck und Müntefering wollen nicht eingestehen, dass wir es mit einer Proletarisierung der Gesellschaft zu tun haben und schieben deshalb soziologische Wortkreationen wie „Prekariat“ vor. Stefan Kibik |