Ignoranz und Augenwischerei
Als die Corona-Epidemie im chinesischen Wuhan ausbrach und die chinesische Regierung mit sehr drastischen Einschränkungen reagierte, übten sich weltweit die bürgerlichen Regierungen und Zeitungen in harscher Kritik: Die chinesische Staatsführung würde lediglich die eigene Macht weiter ausbauen wollen. Dafür nutze sie eine grippeähnliche Erkrankung aus. So wurde zu Beginn der Eindruck erzeugt, dass das Virus SARS-CoV-2 gar nicht so gefährlich sei. Die Warnungen vieler Wissenschaftler wurden ignoriert.
Über die möglichen Risiken einer Pandemie wurde erst berichtet, als das Coronavirus sich global auszubreiten begann. Im Vordergrund stand dabei die Angst vor den wirtschaftlichen Auswirkungen.„Corona-Virus – Made in China: Wenn die Globalisierung zur tödlichen Gefahr wird“, titelte etwa der Spiegel. Eine rassistische Schuldzuweisung.
Die Schuld für die Corona-Pandemie und deren Auswirkungen allein der chinesischen Regierung in die Schuhe zu schieben, hat nur einen Nutzen: Ablenken vom eigenen Verschulden, von den eigenen wirtschaftlichen Interessen und von der Zweitrangigkeit des Lebens der arbeitenden Klasse. Schäuble, Palmer, Merz und Co. haben bereits tief blicken lassen, als sie verkündeten, dass ja jeder einmal sterben müsse und dass das Leben einzelner nicht über allem stehen könne.
Als die Pandemie dann in Süditalien zu wüten begann und sich auch in Spanien und Österreich festsetzte, da reagierten die Regierungen widerwillig oder alibimäßig mit Einschränkungen. Die Kapitalisten und ihre Regierungen versuchten in erster Linie die wirtschaftlichen Folgen möglichst gering zu halten, um ihre Profite nicht zu gefährden. Weil die Zahl der Toten rapide wuchs, entzündeten sich spontane Streiks. Selbstorganisation der Arbeiter und erste Formen der Arbeiterkontrolle brachten in Italien, Spanien, den USA und anderen Ländern die Bourgeoisie in Bedrängnis. Erst dann wurden weitergehende Maßnahmen ergriffen.
Um die Seuche in den Griff zu bekommen, haben nach und nach fast alle Regierungen der betroffenen Länder weitreichende Einschränkungen in Handel, Produktion und öffentlichem Leben vorgenommen und massiv demokratische Rechte eingeschränkt. So auch in Deutschland. Mitte März wurde das öffentliche Leben heruntergefahren, Schulen und Kindergärten geschlossen, Spielplätze umzäunt, Streiks und Demonstrationen verboten oder stark eingeschränkt. Aber eines blieb weitgehend intakt: Arbeiten sollte nach Möglichkeit jeder. Und dort wo kein Home-Office angetreten werden kann, da fehlt es überall an den notwendigen Schutzausrüstungen.
Das Märchen vom selben Boot
Mit den Einschränkungen erfolgte dann das, was sich bereits seit mindestens zwei Jahren abzeichnete: eine erneute Weltwirtschaftskrise. Selbst bürgerliche Ökonomen haben längst davor gewarnt. Trotzdem wird in einer weiteren Fehlinformationskampagne behauptet, die Krise sei allein aufgrund der Corona-Pandemie ausgebrochen.
Der Grund für dieses Manöver ist folgender: Die Krise von 2008 wurde von vielen als das gesehen, was sie war: eine Krise des Kapitalismus. Deshalb wurde insbesondere die Finanzbourgeoisie von Klassenkämpfen und der Kritik verschiedener politischer Parteien und Gewerkschaften hart in die Mangel genommen. Diesmal wollen sich die Herrschenden aus der Verantwortung ziehen, indem sie behaupten, dass die Krise allein auf Grund des Virus ausgebrochen sei und nichts mit dem Kapitalismus zu tun habe. Dafür beschwören sie eine „nationale Einheit“ gegen einen „unsichtbaren Feind“: Niemand hätte eine Pandemie erahnen können. Deshalb hätte sich auch niemand auf so eine Situation vorbereiten können. Jetzt würden wir alle in einem Boot sitzen. Wir müssten alle zusammenhalten.
Größer könnte die Heuchelei nicht sein. In dieser Gesellschaft gibt es kein Wir, das sowohl die Kapitalisten, ihre Regierungen, ihre Ideologen aber auch uns Lohnabhängige, Arme und Unterdrückte umfasst. Die heutige Gesellschaft ist eine Klassengesellschaft und das tritt in dieser Krise unverblümt zu Tage. Während Krankenschwestern, Ärzte, Kassiererinnen, Putzfrauen, Arbeiter in Schlachthöfen, Busfahrer und Paketboten ihre Gesundheit und ihr Leben riskieren, können sich die Kapitalisten in Yachten, Villen und auf Inseln sicher wähnen.
Und warum ist das so? Weil das Gesundheitssystem und der Sozialbereich über Jahrzehnte privatisiert und kaputtgespart wurden. Weil die Produktion von Masken und Beatmungsgeräten keine Priorität hat. Weil die medizinische Forschung unterfinanziert ist. Weil seit Jahren die Warnungen vor möglichen Pandemien ignoriert wurden. Weil Forschungen für Impfstoffe gegen Coronaviren vor über einem Jahrzehnt abgeblasen wurden. Weil die Kapitalisten auf der Suche nach Profit den gesamten Planeten verwüsten und so der Ausbreitung solcher Pandemien Vorschub leisten. All das und noch vieles mehr passiert letztlich nur aus einem Grund. Die Kapitalisten müssen uns und unsere Lebensgrundlagen immer weiter auspressen, damit sie sich in ihrer gegenseitigen Konkurrenz überbieten können.
Leben und Geld, …
Die Landesregierungen versuchen sich jetzt in einem Überbietungswettbewerb bei der Lockerung von Einschränkungen. Sie treiben damit die Bundesregierung vor sich her. Das, obwohl Wissenschaftler und Experten davor warnen, dass eine zu schnelle Aufhebung der Einschränkungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer zweiten Infektionswelle führen kann. Zumal diese dann in der Fläche stattfinden würde und höchstwahrscheinlich eine Überlastung der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen zur Folge haben könnte. Die Konsequenz wäre ein enormer Anstieg der Zahl der Toten.
Warum gehen die Regierungen das Risiko ein? Weil die Kapitalisten und der bürgerliche Staat davon abhängig sind, dass die Profite nicht einbrechen. Und sicher erhoffen sie sich damit kurzfristig politisches Kapital herauszuschlagen. Immerhin sind das ihre Existenzgrundlagen. Wozu also diejenigen retten, die doch auch so sterben werden, philosophierte Boris Palmer (Bündnis 90/Die Grünen) und äußerste damit nur offen, was die Herrschenden für sich im Stillen denken.
Ein weiterer Fakt lässt aufhorchen: Auf einmal rufen alle Kapitalisten und ihre Ideologen nach dem Staat. Er soll die Unternehmen unbedingt mit Geldspritzen retten. Und das macht er auch ganz fleißig. Auf allen erdenklichen Wegen gibt es Subventionen für die Unternehmen: Kurzarbeitergeld, Kreditprogramme der staatlichen Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), ein „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ (WSF), sowie weitere staatliche Kredite und Bürgschaften. Über 1,2 Billionen Euro sind dafür bereits genehmigt und nach oben wird kein Limit gesetzt. Plötzlich gibt es unendlich viel Geld.
… ein nötiges Opfer für die Bonzen
Aktuell bahnt sich Massenarbeitslosigkeit an. Für die nordeuropäischen Länder wird eine Arbeitslosenquote von bis zu 20 Prozent prognostiziert. Kurzarbeit befindet sich auf einem Rekordhoch. In Deutschland haben über 720.00 Betriebe Kurzarbeit für über 10 Millionen Beschäftigte angemeldet. Das ist ein etwa ein Viertel aller Erwerbstätigen. Und es ist noch unklar, wie viele Unternehmen letztlich bankrottgehen werden und wie viele ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts hat ergeben, dass fast 30 Prozent der befragten Firmen lediglich einen Lockdown von maximal drei Monate überleben können. Knapp 50 Prozent haben angegeben, dass sie maximal sechs Monate überstehen könnten. Dass es noch kaum zu Insolvenzen gekommen ist, liegt einzig und allein daran, dass die Meldepflicht für Insolvenzen vorläufig ausgesetzt wurde. Sobald sie wieder eintritt, wird sicherlich einiges nachgeholt.
In der Hoffnung den Schuldenberg, die Insolvenzen und die Arbeitslosigkeit einzudämmen werden in den nächsten Wochen die meisten Bereiche der Wirtschaft wieder geöffnet. So zum Beispiel der Einzelhandel, Friseure und die gastronomischen Betriebe. Der Einzelhandel kann schon seit einigen Wochen wieder Waren verkaufen, aber der Konsum kommt nicht wirklich in Fahrt. Viele sparen aus Angst vor Arbeitslosigkeit, sind arbeitslos oder haben wegen Kurzarbeit zu wenig Geld.
Ein anderes Problemfeld ist das produzierende Gewerbe und insbesondere die Automobilindustrie. Im April ging in Deutschland die Zahl der Neuzulassungen von PKWs im Vergleich zum Vormonat um 61 Prozent zurück, wobei der März bereits einen Rückgang von 38 Prozent verzeichnete. Aber auch aus dem Ausland gingen im April fast 50 Prozent weniger Aufträge ein. Der Einbruch trifft alle Autoproduzenten. Dabei hängen von ihnen sehr viele andere Sektoren und Zulieferfirmen ab. Immerhin findet in diesen 80 Prozent der automobilen Wertschöpfung statt.
In der gesamten deutschen Industrie sind im März die Aufträge aus dem Inland um fast 15 Prozent im Vergleich zum Vormonat gesunken, die Aufträge aus dem Ausland sogar um 16,1 Prozent, wobei der Einbruch aus der Euro-Zone bei fast 18 Prozent liegt. Die Ausfuhr von Waren ist im März im Vergleich zum Vorjahr um 7,9 Prozent eingebrochen. Das sind die stärksten Einbrüche seit Beginn der statistischen Erfassung 1991. Für den April werden noch dramatischere Zahlen erwartet. Eine Besserung ist auf absehbare Zeit unwahrscheinlich. Zum einen werden keine Maschinen gebraucht, weil die Produktion überall lahmt. Auch gibt es nur eingeschränkten Bedarf an neuen industriellen Konsumgütern. Zudem sind durch Grenzkontrollen und den Produktionsausfall von Komponenten die Lieferketten und -zeiten angeschlagen.
Um die Industrie anzukurbeln gibt es von Politikern und Unternehmerverbänden verschiedene Ideen für Konjunkturprogramme und neue Abwrackprämien. Alles unter dem Deckmantel von „Umweltschutz“ und „Innovation“. In Wirklichkeit soll der Staat mit Investitionsprogrammen Aufträge an die Unternehmen vergeben. So sollen Schuldenfinanziert die Profite der Kapitalisten gesichert werden. Die Kapitalisten können weiter als Blutsauger auf ihren Abermilliarden sitzen, sie off-shore verstecken und keinen Cent anrühren. Hildegard Müller (Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie) sagt das völlig offen. Sie besteht darauf, dass die Automobilkonzerne Kurzarbeitergeld und staatliche Kredite kassieren und gleichzeitig Dividenden an ihre Aktionäre auszahlen dürfen sollen.
Auf Dauer geht das aber nicht gut, denn die Folge ist ein enormer Schuldenberg und den muss jemand bezahlen. Und es ist klar wer: die Arbeiterklasse. Dafür machen sich verschiedene Größen aus Politik und Wirtschaft, wie Roland Koch (CDU) oder Bert Rürup (ehemaliger „Wirtschaftsweiser“) stark. Alle werden zur Kasse gebeten werden. Vom Kleinkind, das gegen andere Kinder um einen Platz in unterbesetzten Kitas wird konkurrieren müssen. Bis zum Greis, der nach jahrelangem Ackern brav mit Brot und Wasser zu Grabe gehen darf. Je größer die Schulden, desto schlimmer die Kürzungen. Nur die Kapitalisten werden immer reicher.
Ein Wendepunkt
Diese Probleme wiederholen sich in jedem Land, in der EU sowie auf der ganzen Welt. Und alle Regierungen versuchen die Krise in gegenseitiger Konkurrenz, das heißt auf dem Rücken der anderen, zu lösen. Das wird nicht gelingen. Diese Situation hat völliges Chaos zur Konsequenz. Die Regierungen und Kapitalisten verstricken sich in immer mehr Widersprüche und säen den Wind, den sie in Form von Klassenkämpfen und Revolutionen ernten werden.
Plötzliche und scharfe Veränderungen werden von nun an unseren Alltag bestimmen. Die völlige Planungsunsicherheit und die Instabilität haben tiefe Auswirkungen auf das Bewusstsein aller Klassen. Fast alle fühlen, dass diese Krise einen fundamentalen Wendepunkt in der Geschichte darstellt.
Das ständige hin und her der Regierungen und Nachrichtenkanäle, ihr offenes Auftreten im Interesse der Kapitalisten, ihre Arroganz und Ignoranz gegenüber der Arbeiterklasse, den Armen und Unterdrückten, ihre vielen Falschinformationen und oftmals blanken Lügen haben die Grundlage für das gelegt, worüber sich die Bürgerlichen jetzt den Kopf zerbrechen: Alles was ist, wird in Frage gestellt. Das Misstrauen gegenüber dem bürgerlichen Staat, den Kapitalisten und ihren Meinungsmachern, ist völlig berechtigt.
Wir müssen jetzt kämpfen
Die Arbeiterklasse und die Jugend suchen nach Antworten auf ihre drängenden Fragen und sie verlangen Perspektiven. Wir sind der Meinung, dass nur eine marxistische Analyse eine Antwort liefern kann und dass nur eine revolutionäre Perspektive einen Ausweg aufzeigt. Deshalb setzen wir uns für ein revolutionäres Übergangsprogramm in der LINKEN, den DGB-Gewerkschaften und unter dem unabhängigen Banner der Internationalen Marxistischen Tendenz ein.
Wir sollten uns in der Krise nicht verkriechen. Stattdessen müssen wir alle Ausgebeuteten und Unterdrückten im Kampf für eine sozialistische Zukunft vereinen. Erste Streiks und Bewegungen finden bereits statt und sollten von einer mutigen Führung vorangetrieben werden. Wir brauchen eine revolutionäre Kampforganisationen gegen die Krise des Kapitalismus. Schließe dich uns an!
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