Weite Teile des Einzelhandels sind geschlossen und unser Privatleben ist durch Auflagen stark reglementiert, aber die großen Firmen arbeiten weiter, soweit sie nicht aufgrund konjunktureller Probleme auf das Kurzarbeitergeld zurückgreifen, welches die öffentliche Hand bzw. die Bundesagentur für Arbeit – also wir alle – bezahlt. Die großen industriellen Betriebe der Automobil-, Elektro- und Rüstungsindustrie ebenso wie die Schlachthöfe arbeiten trotz steigender Todesfälle munter weiter. Statt Gedränge in den Einkaufszentren gibt es nun ein umso stärkeres Gedränge bei den Versandhändlern und in den Verteilzentren der Post/DHL und anderer Logistikkonzerne.
Hier hat Rainer Dulger, der neue Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), bei Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erfolgreiche Lobbyarbeit gemacht. “Wenn schärfere Maßnahmen geplant werden, sollten wir vor allem über die Zeit nach Feierabend reden”, so Dulger im O-Ton. Das zeigt, dass wir in der Periode des monopolistischen Kapitalismus leben. Die Profite der Großindustrie und die Profite der Banken stehen im Vordergrund der politischen Entscheidungsträger. Auch wenn der „starke Mann“ Markus Söder (CSU) und amtierende Kanzlerin Merkel (CDU) an die Industrie appellieren, doch wenigstens über Weihnachten bis zum 10. Januar die Betriebe weitgehend zu schließen und Arbeit ins Homeoffice zu verlagern, so handelt es sich hier nur um eine folgenlose Bitte. Im Gegensatz dazu werden nicht nur alle, die ihre Arbeit verloren haben, sondern auch Teile der unteren und mittleren Schichten des Kleinbürgertums von dem jetzigen Lockdown existenziell getroffen und massenhaft in den Ruin getrieben. Viele sehen sich bei geschlossenen Geschäften weiter hohen Pachtzahlungen an das Immobilienkapital ausgesetzt. Es geht also nur sehr bedingt um die Gesundheit der Menschen, es geht um die Aufrechterhaltung der Profite.
Homeoffice-Leerlauf bremst Überwachung
Ob ungewollt oder gewollt – faktisch versagen aufgrund staatlicher Anordnungen auch die staatlichen Organe, die eigentlich die Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsregeln in den Betrieben überwachen sollen. Ein Aufschrei der Industriegewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) bringt es auf den Punkt: Die Corona-Pandemie hat die behördlichen Arbeitsschutzkontrollen weitgehend zum Erliegen gebracht. Einige Bundesländer hätten die Kontrollen ihrer Aufsichtsbehörden in der Corona-Pandemie sogar ganz eingestellt, beklagt der IG BAU-Vorsitzende Robert Feiger. Weil die Ämter für Arbeitsschutz in weiten Teilen auf Homeoffice umgestellt hätten, seien Baustellenkontrollen “rapide zurückgegangen”, so Feiger. “Einige Bundesländer lassen so den Arbeitsschutz regelrecht schleifen – und das betrifft ausdrücklich auch den Schutz vor einer Covid-19-Infektion am Arbeitsplatz”. Dabei seien gerade unangemeldete Kontrollen in den Betrieben ein wichtiges Instrument, um Verstöße beim Arbeitsschutz aufzudecken und Infektionsschutz durchzusetzen, gibt der IG BAU-Chef zu bedenken. Es sei “geradezu absurd, wenn diejenigen, die sich professionell um Infektionsschutz am Arbeitsplatz kümmern, dies nicht mehr machen dürfen und zu Hause bleiben müssen”, kritisiert Feiger. Angesichts rasant gestiegener Infektionszahlen sei es dringend geboten, dass die Prüfer wieder in Betriebe und auf Baustellen gingen, sagt Feiger. “Den Homeoffice-Leerlauf bei der Überwachung des Arbeits- und Gesundheitsschutzes können wir uns nicht länger erlauben.”
Laut aktueller Unfallstatistik der Berufsgenossenschaft der Bauwirtschaft (BG BAU) hat die Zahl der tödlichen Arbeits- und Wegeunfälle in der Bauwirtschaft in den ersten neun Monaten 2020 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 30 Prozent zugenommen. 87 Menschen kamen ums Leben, 20 mehr als von Januar bis September 2019. Die beklagte Misere hat eine lange Tradition. Denn die Aufsichtsbehörden der Länder wurden schon seit Jahren durch staatliche Kürzungspolitik ausgedünnt. Wo ein gut funktionierender Betriebsrat wirkt, hat der Arbeitsschutz in der Regel einen höheren Stellenwert. Denn laut Paragraf 87 des Betriebsverfassungsgesetzes hat der Betriebsrat die Verhütung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten sowie den Gesundheitsschutz zu überwachen und darf hier mitbestimmen. Tatsächlich werden in Westdeutschland jedoch nur noch 42 Prozent und in Ostdeutschland nur 35 Prozent der Beschäftigten in Privatbetrieben von einem gewählten Betriebsrat vertreten.
Neben den tödlichen Arbeitsunfällen nehmen die politischen Entscheidungsträger offenbar auch den Ruin kleiner Unternehmen und die Verarmung von Solo-Selbstständigen und Künstlern billigend in Kauf. Sie reden von der Bekämpfung des äußerst gefährlichen Coronavirus. Doch wo bitteschön sind die Hygienekonzepte für die industrielle Produktion, wo sind die Hygienekonzepte für die weiter unter Hochdruck arbeitenden Beschäftigten in der Bauindustrie? Es gibt keine Hygienekonzepte für die Produktion von momentan gesellschaftlich nicht notwendigen Produkten. Das beste Hygienekonzept wäre es, die gesamte Industrie, die nicht Lebensmittel, sondern etwa Autos oder Tötungswerkzeuge produziert, sofort stillzulegen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter dürfen dann aber nicht mit Kurzarbeitergeld abgespeist werden, sondern die Löhne müssen von den Kapitalisten in voller Höhe weiter bezahlt werden. Wenn diese sich weigern sollten, stellt sich die Frage nach ihrer sofortigen Enteignung und der Überführung der großen Betriebe in gesellschaftliches Eigentum.
Für die kapitalistische Krise, die durch Corona nur beschleunigt wurde, müssen die Millionäre, Multimillionäre und Milliardäre zur Kasse gebeten werden. Wir fordern den absoluten Lockdown für die gesamte nicht notwendige Produktion in Deutschland. Und dies in Verbindung mit Arbeiterkontrolle der Produktion. Die Belegschaften könnten selbst darüber entscheiden, was sinnvolle Produktion ist und wie die Hygiene zu garantieren ist.
Selbstständige vor dem Ruin?
Gleichzeitig muss die Arbeiterbewegung auch für ein Programm zu Gunsten der von der Krise gebeutelten unteren Schichten des Kleinbürgertums, der Künstler und Solo-Selbstständigen eintreten. Es ist ein unhaltbarer Zustand, wenn beispielsweise Fußball-Kneipen nach wie vor hohe Gebühren an Privatsender für die Übertragung von Profispielen bezahlen. Dabei können und dürfen sie aus Hygienegründen derzeit nicht öffnen und kein einziges Fußballspiel zeigen.
Unhaltbar ist auch, dass der Staat den Großkonzernen Milliardenbeträge hinterher wirft, aber bezüglich der Hilfen für die unteren Schichten des Kleinbürgertums und der Künstler angeblich noch mit Computerproblemen zu tun hat. Die von der Regierung in Aussicht gestellten Hilfen werden die Verluste in diesem Bereich keinesfalls ausgleichen können. Im Interesse der Menschen und ihrer Gesundheit ist eine Politik der Umverteilung von oben nach unten nötig. Den Kleingastronomen, Selbständigen bzw. „Arbeitern mit eigenem Risiko“ müssen massive Hilfen zuteil werden. Am besten sollte diesen Schichten bei komplettem Lockdown die Einnahmen gemäß Einkommensteuererklärung des letzten Jahres komplett erstattet werden. Nicht als Kredit und „Hartz IV light“, sondern aus Mitteln des Staates. Die daraus entstehenden Staatsdefizite müssen von den Superreichen eingetrieben werden.
Geld ist genug da, um allen Menschen die Existenzängste zu nehmen und ein sorgenfreies Leben zu garantieren. Während die aktuelle Krise eine massenhafte Verarmung auslöst, die erst allmählich sichtbar wird, sind die Superreichen in kurzer Zeit reicher geworden. Zu den ganz großen Krisengewinnlern gehören die acht reichsten Milliardärsfamilien in Deutschland, deren Vermögen 2020 in binnen neun Monaten um 37,1 Milliarden Euro auf eine Summe von 167 Milliarden Euro angewachsen ist. Statt “Bedürftigkeitsprüfung” bei Hartz IV-Empfängern brauchen wir eine Offenlegung aller Geschäftsbücher und einen gesamtgesellschaftlichen Kassensturz, der alle öffentlichen Kassen, Bilanzen der Konzerne und Banken wie auch die privaten Vermögenswerte der Reichen und Superreichen umfasst und Transparenz herstellt..
Sonderseite Corona
|