Kategorie: Deutschland

Schöne Bescherung! Abruptes Ende für Corona-Krankenhaus

Für die bisher 190 Beschäftigten des traditionsreichen Krankenhauses in der Kreisstadt Ingelheim (Rheinland-Pfalz) begann das neue Jahr mit einem Tritt in den Hintern. Sie landeten auf der Straße. Ausgerechnet in einem Corona-Krankenhaus gingen hier mitten in der zweiten Corona-Welle kurz vor Weihnachten die Lichter aus.


Auslöser der Katastrophe war aber kein technischer Defekt oder individueller Sabotageakt, sondern die Insolvenz der Trägergesellschaft Krankenhaus Ingelheim GmbH. Nach der Entlassung der letzten Patienten aus dem 130-Betten-Haus verabschiedete sich die Belegschaft mit einem symbolischen Sarg vor dem Rathaus der 34.000 Einwohner-Stadt. Nun hat ein Insolvenzverwalter das Kommando übernommen. Mit einem „Abwicklungsteam“ versucht er alles zu verramschen, was noch ein paar Euro einbringt.

Vom Chefarzt bis zur Reinigungskraft sind alle ab sofort unwiderruflich freigestellt und müssen ein geschrumpftes Einkommen verkraften. Während sich Mediziner und Pflegekräfte Hoffnung auf eine Anstellung anderswo machen, stehen die Chancen auf einen gleichwertigen neuen Job für ältere Verwaltungs-, Service- und Reinigungskräfte, Pförtner und Menschen mit Behinderung schlecht.

„Wir sind traurig, wütend und voller Ängste. Seit Jahren tun die Beschäftigten alles dafür, um das Krankenhaus und die Versorgung in Ingelheim zu erhalten“, bringt die Betriebsratsvorsitzende Stefanie Klemann die Stimmung in der Belegschaft auf den Punkt. „Und jetzt, tatsächlich aus dem Nichts, kurz vor Weihnachten, diese Nachricht!“, so Klemann. Man habe „bis zum bitteren Ende mit Leib und Seele für eine Fortführung gekämpft und alles Erdenkliche dafür getan“, so ihre Bilanz. Durch das „politische Versagen“ stünden nun alle auf der Straße. Dabei stehe die Politik in der Verantwortung, gerade kleine Häuser zu unterstützen und eine solche Situation zu verhindern, so ihr Appell.

Wie eine heiße Kartoffel ….

Betriebsrat und Belegschaft haben ein jahrelanges Wechselbad der Gefühle mit Hoffen und Bangen hinter sich. Seit Menschengedenken wurde das Krankenhaus von der Stadt betrieben. 1989 übernahm der Hessische Diakonieverein das Haus. 2017 ging die Trägerschaft zu 90 Prozent an die Universitätsmedizin Mainz und zu zehn Prozent an die Stadt Ingelheim über. Zum 1. Mai 2019 wurde ein erstes Insolvenzverfahren eingeleitet. Über den privaten Klinikkonzern cCare, der in Corona-Zeiten völlig überfordert war, gelangte die Klinik dann im Juni 2020 wieder in die volle Trägerschaft der Stadt. Die Hoffnung hielt nicht lange an. Im Oktober 2020 wurde das Insolvenzverfahren eingeleitet.

Stefanie Klemann ist sauer auf die Stadtverwaltung, die von einem direkt gewählten SPD-Oberbürgermeister und einer festen Kooperation aus CDU, Freien Wählern und Grünen geführt wird. Die Stadtspitze habe das traditionsreiche Krankenhaus wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen, sagt sie.

Ingelheim ist nur eines von bundesweit 20 Krankenhäusern, die 2020 aufgegeben wurden. Die Stadt ist Sitz des Weltkonzerns Boehringer und gilt als eine der reichsten Kommunen Deutschlands mit hohen finanziellen Rücklagen. Doch Geld in das Krankenhaus stecken und für eine bessere Krankenhausfinanzierung durch das Land kämpfen wollten die Entscheidungsträger im örtlichen Rathaus dann doch nicht. Dass viele Einwohner Klemanns Kritik teilen, bestätigt uns auch ein lokales SPD-Mitglied. „Die Leute sind sauer. Es ist verwunderlich, dass für Volkgesundheit keine Gelder da sein sollen, dafür aber jede Menge für Prestigeprojekte und Denkmäler, die sich Kommunalpolitiker wie die Phararonen im alten Ägypten setzen“, so der gestandene Sozialdemokrat. „Möglichkeiten einer Weiterführung wurden nicht hinreichend ausgelotet, vielleicht war eine Fortführung gar nicht gewollt“, argwöhnt er.

Für den Krankenpfleger Stefan Heyde, Pflegeexperte der LINKEN in Rheinland-Pfalz, ist es „mehr als traurig, wenn ausgerechnet jetzt ein Krankenhaus schließen muss, das auch noch als Corona-Krankenhaus in der ersten Welle Patienten versorgt hat“. Durch die vielen Trägerwechsel habe das Haus nie eine echte Chance gehabt. „Dass es so kommen musste, liegt am Gesundheitssystem. Solange solche Häuser Rendite abwerfen müssen, sind sie nur Profitcenter. Patienten und medizinische Versorgung sind zweitrangig“, bringt es Stefan Heyde auf den Punkt. „Die Landesregierung hat das Krankenhaus im Stich gelassen“, so seine Diagnose.

Die „Sachzwänge“, die zur chronischen Unterfinanzierung im Gesundheitswesen geführt haben, sind von Menschen gemacht. So sieht der regionale ver.di-Pflegebeauftragte und Gewerkschaftssekretär Michael Quetting in dem seit 2004 gültigen System diagnosebezogener Fallpauschaulen (DRG) bei der Abrechnung mit den Krankenkassen, in den zu geringen Landeszuschüssen für Investitionen und in der Konkurrenz zwischen den Häusern wichtige Gründe für die Misere. ver.di fordert einen landesweiten „Masterplan“, um etwa über Verbundkrankenhäuser in ländlichen Regionen eine flächendeckende Grund- und Regelversorgung zu gewährleisten.

Der Verdacht liegt nahe, dass die politischen Eliten in Rheinland-Pfalz drei Monate vor der Landtagswahl und neun Monate vor der Bundestagswahl die „lästige“ und „teure“ Ingelheimer Klinik noch im alten Jahr „abwickeln“ wollten, um kurz vor dem Wahltag nicht mehr dazu befragt zu werden. Prominente Geburtshelferinnen des unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder eingeführten DRG-Systems waren übrigens die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt sowie die damalige Mainzer Gesundheitsministerin und heutige Ministerpräsidentin Malu Dreyer (beide SPD).

Umso wichtiger ist es jetzt, im „Superwahljahr 2021“ die Stimme zu erheben für einen radikalen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik. Die Krankenhäuser sind durch das DRG-System und die viel zu knappen Geldmittel der Länder für Investitionen völlig unterfinanziert. Konkurrenz zwischen den Häusern verschärft das Problem. Das System ist so angelegt, dass die Kommunen zur Privatisierung oder Schließung der Kliniken gedrängt werden. Gehorsame Kommunalpolitiker kapitulieren vor den „Sachzwängen“, anstatt einen gemeinsamen Kampf mit Beschäftigten und Gewerkschaften zu führen und die Landes- und Bundespolitik zum Kurswechsel zu zwingen. So sind immer mächtigere Krankenhauskonzerne entstanden, die alles ihrem Profitstreben unterordnen und den Notstand verschlimmern.

Unsere Gesundheit ist keine Ware. Das Gesundheitswesen muss dem Profitstreben der Krankenhauskonzerne wie auch der Pharmakonzerne und der Hersteller medizinischer Geräte entzogen, in öffentliche Hand überführt und unter demokratische Kontrolle gestellt werden. Statt faktischer Dreiklassenmedizin brauchen wir ein einheitliches staatliches Gesundheitswesen mit hohen Standards der medizinischen Versorgung für alle unabhängig vom Geldbeutel!

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