Die DWE-Aktivisten haben großartige Arbeit geleistet. In über zwei Jahren haben sie eine eindeutige Mehrheit der Berliner davon überzeugt, dass die Wohnungsfrage nur durch die Enteignung der privaten Immobilienkonzerne zu lösen ist. Angefangen als kleine Initiative, wuchs sie zu einer Bewegung mit bis zu 2.000 Aktiven an, die durch Flyer- und Plakataktionen, in unzähligen Haustürgesprächen, bei Demonstrationen, Diskussionen mit Kollegen, usw. einen historischen Erfolg errungen hat. Ein frischer klassenkämpferischer Wind geht wieder durch Deutschland.
Klassenfragen wieder Mehrheitsfähig
Der erfolgreiche Beschluss-Volksentscheid von DWE fordert den Senat dazu auf, alle Maßnahmen einzuleiten, die zur Überführung von Immobilien in Gemeineigentum erforderlich sind. Dafür muss ein Gesetz verabschiedet werden, das die Vergesellschaftung der Bestände aller privatwirtschaftlichen Wohnungsunternehmen mit über 3.000 Wohnungen im Land Berlin ermöglicht.
DWE hat die zentralste Klassenfrage der kapitalistischen Gesellschaft – die Eigentumsfrage – zum entscheidenden politischen Thema in Berlin gemacht: Wem sollen die Häuser gehören und wer soll darüber entscheiden, was mit ihnen geschieht? Diese Frage kann auf jedes Unternehmen, die Pharmaindustrie, das Gesundheitswesen, das Bildungswesen usw. übertragen werden.
Der Volksentscheid zeigt, dass Klassenfragen, wenn sie von kämpferischen Aktivisten beharrlich mit den richtigen Ideen und Argumenten in die Gesellschaft getragen werden, breite Zustimmung in der Bevölkerung erlangen können. „Enteignung“ ist kein Schreckgespenst mehr – zumindest, wenn es um Immobilienkonzerne geht – sondern Forderung von über einer Millionen Berlinern und genießt darüber hinaus Solidarität. Diese Wendung im Bewusstsein der Bevölkerung muss dafür genutzt werden, den Klassenkampf breiter aufzustellen und noch mehr Menschen in die politische Aktivität hineinzuziehen.
Wie geht‘s nun weiter?
Den bisher lesenswertesten Debattenbeitrag in der Frage, wie es nun mit DWE weitergehen soll, hat Ralf Hoffrogge am 29. Sptember im Jacobin Magazin veröffentlicht. In seinem Artikel „Der Volksentscheid hat gewonnen – und geht jetzt erst richtig los“ stellt er entscheidende Aufgaben der Kampagne vor, die einer Klärung im Rahmen einer demokratischen Diskussion bedürfen. Wir wollen an seinem Debattenbeitrag anknüpfen und auf folgende Punkte eingehen: (1) Der Druck auf Regierung, Staat und Konzerne muss stärker werden und so lange anhalten, bis ein wirksames Gesetz durchgesetzt ist. (2) Die Rolle und Aufgaben der Kiez-Teams müssen geklärt werden, auch hinsichtlich der Linkspartei und den DGB-Gewerkschaften.
Die Regierung wird‘s nicht richten
Das Ergebnis des Volksentscheids ist ein eindeutiger Auftrag an den Senat in Berlin. Aber bis auf die LINKE, stellen sich alle anderen Parteien gegen diesen demokratischen Beschluss. Dabei hat keine der Parteien auch nur ansatzweise vergleichbaren Rückhalt bei der Abgeordnetenhauswahl erhalten wie der Volksentscheid.
Die Grünen sagen, sie wollen das Ergebnis als Druckmittel nutzen, um einen Mietenschirm durchzusetzen, aber sehen Enteignungen nur als allerletztes Mittel an. SPD, CDU, FDP, AfD sind grundsätzlich dagegen. So ist klar, dass keine Koalition den Beschluss umsetzen wird. Aufschub und Sabotage sind vorprogrammiert.
Das macht die SPD bereits vor. Ihr scheidender Oberbürgermeister Müller hat einen Deal mit Vonovia und Deutsche Wohnen eingefädelt und über 14.750 oft sanierungsbedürftige Wohnungen und 450 Gewerbeeinheiten für 2,5 Milliarden Euro – das 24-fache des Preises, den die Konzerne bei der Privatisierung zahlten – aufgekauft. Seine Nachfolgering Franziska Giffey möchte den DWE-Beschluss „respektieren“, die Vergesellschaftung aber auf Verfassungsmäßigkeit prüfen. Das ist ein Ablenkungsmanöver, weil unnötig, denn mehrere juristische Gutachten haben bereits die Möglichkeit der Vergesellschaftung bestätigt.
Ralf Hoffrogge hat völlig Recht damit, dass die Kampagne jetzt daraufsetzen muss, die öffentliche Debatte von der „Ob“-Frage hin zur „Wie“-Frage der Vergesellschaftung zu lenken.
DIE LINKE muss umsteuern
Auch Rot-Rot-Grün wird nichts ändern, deshalb muss die LINKE als einzige Partei, die hinter dem Volksentscheid steht, eine Regierungsbeteiligung ausschlagen und als sozialistische Opposition der DWE-Bewegung im Parlament eine unbeugsame Stimme verleihen. Sie sollte den von DWE erarbeiteten Gesetzesentwurf in der Abgeordnetenversammlung einbringen und verteidigen. Zudem sollte sie sich an der Ausarbeitung weiterer nötiger Gesetzesentwürfe im Zusammenhang mit dem Volksentscheid gemeinsam mit der Bewegung beteiligen.
Außerdem liegt es an der LINKEN ihre Mitgliedschaft dazu aufzurufen und zu befähigen, in den Stadtteilen, Betrieben und Gewerkschaften für die Vergesellschaftung einzustehen und weitere Mitstreiter dazuzugewinnen, den nötigen Druck auf Staat und Kapital auszuüben. Je größer die aktive Teilnahme an der Bewegung, desto effektivere Mittel könne zum Einsatz kommen, Demonstrationen und Kundgebungen sind nur ein Anfang.
DGB-Gewerkschaften aufrütteln
Damit der Klassenkampf sich zuspitzen kann, brauchen die Beschäftigten und die Mieter eine organisierte Macht im Rücken. Die DGB-Gewerkschaften sind das potenziell. Aber gegenwärtig herrscht im DGB keine Einigkeit gegenüber DWE und vor allem weht dort besonders in den Führungsriegen ein duckmäuserischer Wind, weshalb die Gewerkschaften vorrangig nur Lippenbekenntnisse abgeben.
Mit dem Rückhalt der Gewerkschaften könnten Betriebsversammlungen zum Thema Vergesellschaftung organisiert werden. Dazu können Vertreter der DWE-Kampagne eingeladen und Diskussionen darüber geführt werden, welche Vorteile dies für die Beschäftigten hätte und welche Möglichkeiten es gibt, im Mietshaus, Stadtteil oder Betrieb dafür aktiv zu sein.
Eine aktivierte Arbeiterschaft wäre in der Lage, den nötigen Druck auf die Gewerkschaftsspitzen auszuüben, sich hinter DWE zu stellen und ihre Mitglieder für Demonstrationen und sogar Streiks zu mobilisieren. Mietenstreiks, Streiks der Beschäftigten bei privaten Immobilienkonzernen und sogar politische Streiks, haben weitaus größere Wirkmacht.
Das Kampffeld erweitern
Die Mietenfrage ist auch eine Lohnfrage und muss daher von den Gewerkschaften in Angriff genommen werden. Über 80 Prozent der Berliner leben in Mietwohnungen. Mieten sind teuer: Seit 2009 um über 100 Prozent gestiegen und fressen 30-40 Prozent des Lohns. Zudem sind die Löhne niedrig: 27,7 Prozent der Beschäftigten werden zu Niedriglohn ausgebeutet. Auch Wohnraum ist knapp: Allein 10.000 Studenten sind zum kommenden Semesterstart ohne Wohnung. Allen Mietern in Berlin wäre geholfen, wenn die Mieten generell sinken würden. Ein erster Schritt dahin wäre es, die großen Immobilienkonzerne aus Berlin zu jagen.
Ein Streik bei den privaten Immobilienkonzernen wäre eine Möglichkeit die Miethaie unter Druck zu setzen. Die Entlohnung ist in diesen Unternehmen sehr schlecht. Die Beschäftigten könnten für bessere Bedingungen und gleichzeitig für die Vergesellschaftung kämpfen. Für sie wäre eine Einstellung durch den Staat und Bezahlung nach TVöD ein deutlicher Fortschritt.
Ein Mietenstreik hätte noch größere Wirkung. Wenn keine Mieten gezahlt werden, machen Miethaie keine Profite, damit fiele der Aktienkurs und die Immobilien könnten wie im Osten mit den volkseigenen Betrieben geschehen, für einen symbolischen Euro in gesellschaftliches Eigentum überführt werden.
Den größten Druck hätte ein politischer Streik der Berliner Beschäftigten. Politische Streiks sind nicht verboten, im Grundgesetz ist das Streikrecht nicht eingeschränkt. Die Auslegung des Urteilsspruchs von 1952 durch das Freiburger Landesarbeitsgericht als generelles Verbot politischer Streiks ist ein Kompromiss der Gewerkschaftsführung mit dem Staat und der herrschenden Klasse. Damit muss endlich Schluss sein.
Auf die Kiez-Teams kommt‘s an
Solche radikalen Mittel des Klassenkampfes erscheinen zuerst als unrealistisch. Aber vor etwas mehr als zwei Jahren haben es die meisten Leute für unrealistisch gehalten, dass eine Mehrheit der Berliner für die Enteignung privater Immobilienkonzerne stimmen würde. Und doch hat der geduldige Einsatz von fast 2.000 Berlinern, organisiert in Kiez-Teams, das Gegenteil erreicht. Ihr Engagement ist das Rückgrat der Initiative und der Grund für den Erfolg des Volksentscheids. Sie können noch Größeres leisten.
Wie Ralf Hoffrogge schreibt, war die Arbeit der Aktivisten mit Unterschriftensammeln, Haustürgesprächen und anderen Aktionen fest auf das Volksbegehren und den Volksentscheid ausgerichtet. Diese Orientierung fällt nun weg. Es braucht eine neue Orientierung. Die DWE-Aktivisten in den Kiez-Teams sollten gezielt darauf hinarbeiten, z.B. in LINKE-Stadtteilgruppen und in Gewerkschaftsgliederungen, deren Mitglieder zu erreichen, in die Aktivitäten einzubeziehen und Druck auf die Führung auszuüben.
Damit eine Reorientierung erfolgen kann, sollte schnellstmöglich ein Kongress aller Kiez-Teams organisiert werden, der eine Strategie- und Programmdebatte eröffnet und Perspektiven für die Aktivitäten der Aktivisten vorzeichnet. Ein demokratisch beschlossener Fahrplan mit einer gewählten Führung in der Bewegung würde das Handeln der einzelnen Teams und Aktivisten koordinieren und dadurch wirksamer machen. Das würde die Strukturen der Kiez-Teams festigen, sodass mehr Aktivisten in die Kampagnenarbeit integriert werden könnten.
Den Kampf zuspitzen
Teil der Reorientierung sollte eine Eskalationsstrategie sein, die bei Kundgebungen und Demonstrationen ansetzt, aber versucht steigende Zahlen an Aktiven und Teilnehmern an Aktionen zu erzielen, als auch die Aktionsformen zu verschärfen: Betriebsversammlungen, Mietenstreiks, usw. bis hin zum politischen Streik.
Auf jede Verzögerung, auf jede Falschmeldung, jedes falsche Versprechen, von Politikern und Miethaien sollte eine Antwort folgen, die der Regierung und der herrschenden Klasse klar macht, dass die Berliner nicht lockerlassen werden, bis ihr Beschluss Wirklichkeit wird. So würde der öffentliche Rückhalt hinter dem Beschluss wachsen. Zudem könnten die Illusionen in die bürgerlichen Parteien gebrochen werden, während die gesellschaftliche Linke in Berlin und bundesweit gestärkt würde, weil ersichtlich wäre, wer für welche Interessen eintritt.
Eine solche Eskalationsstrategie wäre ein gewaltiger Fortschritt für das Klassenbewusstsein der arbeitenden Bevölkerung in Berlin und darüber hinaus. Die Mehrheit der Gesellschaft, ob Putzkraft, Büroangestellte oder Metaller, könnten die Erfahrung machen, dass ihr gemeinsamer Kampf sie in die Lage versetzt, ihre Klasseninteressen durchzusetzen.
Das würde endlich Klarheit schaffen über die gesellschaftlichen Verhältnisse und den Weg vorzeichnen, wie Klimakrise, Corona-Krise, Wirtschaftskrise – das heißt die allgemeine Krise des Kapitalismus – gelöst werden können. Nämlich mit sozialistischer Politik für eine Gesellschaft ohne Privateigentum an Unternehmen und Banken. Für eine sozialistische Gesellschaft in der demokratisch entschieden wird, wo neue Häuser gebaut werden, wie hoch die Mieten sind, wo neue Arbeitsplätze entstehen, wie die Arbeitsbedingungen sein sollen, wie hoch die Löhne sind und in was investiert wird.
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